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Zur Debatte um die "Palästina-Filmtage" im Kino 3001

Vom 4 bis 13. Mai veranstalteten die "FreundInnen des palästinensischen Volkes e.V." im 3001 eine Filmreihe zur "palästinensischen Geschichte und Gegenwart". Das 3001 stellt sein Kino öfter für Filmreihen zur Verfügung. Zum Programmzettel, mit dem die "FreundInnen des palästinensischen Volkes" für ihre Filmreihe werben, hier unsere Kritik. Uns geht es dabei nicht um die einzelnen Filme, sondern um die Anlage und Präsentation der Reihe.
Schon mit dem Titel des Zettels findet eine nationale Bewertung statt: "50 Jahre Israel", in Halbtonschrift grafisch zurückgesetzt hinter dem eigentlich wichtigen: "50 Jahre Besatzung, Unterdrückung und Widerstand in Palästina", das Ganze unterlegt mit einem PalästinenserInnentuch.
Durch den gesamten folgenden Text scheinen unterschwellig antisemitische Stereotypen durch: Den zionistischen Siedlungen wird "die palästinensische Bevölkerung, die seit Generationen in diesem Land gelebt hat" entgegengesetzt, um die "Wirklichkeit des palästinensischen Volkes zu beleuchten". So wird gleich im zweiten Absatz klargemacht, wer hier heimatverbunden auf seiner Scholle gelebt hat, bevor ihn der wurzellose Jude vertrieben hat. Irgendwie erscheint es logisch, daß so mehrmals der Acker zum Bestandteil der Nation wird und als "arabischer Boden" unter der "aggressiven Siedlungspolitik" leidet. An dieser Stelle taucht das Etikett zionistisch bei den "FreundInnen..." auf: Selbstverständlich nicht als ursprünglich auch mit sozialistischen Vorstellungen verbundener, in sich widersprüchlicher Nationalismus, sondern als "zionistische Terroreinheiten", "zionistische Militarorganisationen", "zionistische Siedlungen", "zionistische Wehrdörfer". Von den frühen Kibbuzim als sozialistischen Kommunen ist natürlich nicht die Rede, Israel wird in dem ganzen Text als monolithischer, aggressiver Gegner konstruiert, der bereit ist, selbst die palästinensische Präsenz im Libanon "militärisch auszulöschen".
Israel wird als Subjekt gesetzt, als ob es sich nicht um eine Klassengesellschaft mit tiefgehenden Widersprüchen handelt. Die "FreundInnen..." hätten etwas von der Opposition etwa linker zionistischer Parteien und linker antizionistischer israelischer Gruppen mitbekommen können, wenn sie nicht auf ihr Feindbild zionistischer Siedlerstaat Israel festgelegt wären. Die nationalistische Gegenübersetzung Israel kontra Palästina durchzieht den gesamten Text. Der einzige Satz, der sich etwas vom Volks- & Nation-Sermon abhebt, lautet: "Der palästinensischen Linken gelingt es nicht, eine Doppelstrategie gegen die israelische Besatzung und die eigene Bourgeoisie zu entwickeln." Zum Terror der Hamas gegen die Zivilbevölkerung Israels heißt es danach lapidar: "... unter anderem mit so fragwürdigen Mitteln wie Bombenanschlägen in Einkaufspassagen und öffentlichen Verkehrsmitteln." Wir schließen uns dagegen dem Kommentar des FSK-Frühstücksradios vom 4. Mai an: "Die FreundInnen haben zumindest noch Fragen zu Bombenanschlägen in Einkaufspassagen. Wer dazu noch Fragen hat, ist für uns indiskutabel."
Desweiteren wird darüber schwadroniert, daß "die palästinensische Gesellschaft" wegen Israel unterentwickelt sei - als ob neben der Vertreibungspolitik der rechten israelischen Haganah nicht israelische Besitzer ihr Land auch palästinensischen Großgrundbesitzern abgekauft haben, denen die Situation der palästinensischen KleinbäuerInnen egal war. Aber nein, Israel schädigt die palästinensische Ökonomie - als ob es keinen kapitalistischen Weltmarkt gäbe. "Die FreundInnen..." wünschen sich so sehr ein einheitliches palästinensisches Volk, daß sie die Bereicherung der palästinensischen Bourgeoisie allein mit Korruption und Vetternwirtschaft erklären, wodurch "einige wenige immer reicher werden".
Beim Abfeiern des "palästinensischen Volksaufstandes" fehlt jede Kritik. Daß etwa die PLO 1964 von den reaktionären arabischen Staaten gegründet wurde, um die Flüchtlinge aus Palästina zu kontrollieren, ist keine Erwähnung wert, daß ihr erster Chef vorher Gesandter Saudi-Arabiens bei der UNO war auch nicht, daß in frühen Reden davon die Rede war, "man müsse die Juden zurück ins Meer treiben" sowieso nicht. Damit die vereinfachenden Gleichungen [Israel = aggressive zionistische Siedler ohne Erdverbundenheit = Böse] kontra [AraberInnen = heimatvertriebene Opfer = Gut] funktionieren, wird alles verschwiegen, was dieses Bild stört: Daß Jordanien im "schwarzen September" 1971 die Auffanglager der Flüchtlinge aus Palästina/Israel brutal militärisch besetzte, um die PLO-Milizen zu zerschlagen, kann beispielsweise nicht Israel angelastet werden.
Wie sehr der Programmzettel an antisemitische Stereotypen anknüpft, wird an den beiden abgedruckten Karikaturen deutlich: Beide Male kommt ein israelischer Soldat vor, der typisiert wird durch eine Hakennase und einen Davidstern. Die Reproduktion der im deutschen Nationalsozialismus für die Vernichtung von Millionen Menschen als JüdInnen gebrauchte antisemitisch-rassistische Zuschreibung der Hakennase verbietet sich für Linke in Deutschland ebenso, wie jemanden mit einem Davidstern zu markieren. Daß der israelische Soldat auf der einen Zeichnung einen mit Kopftuch als Palästinenser markierten Bauern entwurzelt, indem er ihn samt gepflanztem Setzling plus Heimaterde mit einem Bagger hochhebt, reicht scheinbar als Symbolik alleine noch nicht aus: Der Bauer hat auch noch eine runde Nase, damit er sich in rassistischer Logik vom israelischen Soldaten unterscheidet. Aus der Verwendung dieser Zeichnungen von Naji al-Ali durch deutsche Linke spricht vor allem eines: Die Verdrängung von Auschwitz.
So findet sich im Text kein Verweis auf die von Deutschen, von Nazis verbrochene Shoah, durch die JüdInnen in eine Gemeinschaft hineingetrieben wurden, die ein wesentlicher Grund für die Staatsgründung Israels war und ist.
Offen antisemitisch ist der Programmzettel dadurch,
* daß JüdInnen in Israel zu einer einheitlichen, aggressiven, wurzellosen Tätergruppe konstruiert werden,
* Zionismus mit dem Drang nach Beherrschung und Vertreibung eines erdverbundenen Volkes gleichgesetzt wird,
* die Shoah durch Ignoranz verharmlost wird.
Im letzten Abschnitt wird über Solidarität geschrieben, als ob es sich bei der BRD um eine Gesellschaft ohne Verbindung zum deutschen Nationalsozialismus und der Shoah handelt. In den letzten beiden Absätzen blocken die "FreundInnen..." eine Kritik am deutschen Antizionismus ab: Während die real niedergehende Linke zu Zeiten der Intifada '87 ihrer Meinung nach "neuen Aufschwung" genommen hätte, sei sie '91 von "inhaltlicher Desorientierung" geprägt gewesen. Neben der Wiedervereinigung war '91 gegenüber '87 in der Linken vor allem eines neu: Die Kritik an der nationalen Formierung als "deutsches Volk", verbunden mit der Forderung, gegen das Vergessen der Shoah anzugehen. Wie sich die "FreundInnen..." davon gestört fühlten, erklären sie beim Thema Golfkrieg: "Durch die Kollektivschulddebatte wurde die anfänglich starke Bewegung ... letztlich handlungsunfähig (Kollektivschulddebatte: Vorwurf, daß antizionistische Kritik am Charakter des israelischen Staates, von Deutschen eingenommen, antisemitisch sei)." Damit stellen sich die "FreundInnen des palästinensischen Volkes" selbst in die antisemitische deutsche Tradition. Die sogenannte Kollektivschulddebatte nach '45 in der Westzone diente dazu, Mithilfe des Phantoms "Kollektivschuldvorwurf" die tatsächlichen Vorwürfe über die deutsche TäterInnenschaft im Nationalsozialismus, insbesondere bei der Shoah, zu delegitimieren und zu verdrängen. Wer das Phantom "Kollektivschuldvorwurf" wie die FreundInnen..." erneut bemüht, leistet seinen Beitrag zur Verdrängung der Shoah. Daß die antinationale Linke jetzt die alliierten BefreierInnen/BesatzerInnen ersetzt in dem Konstrukt, daß Deutsche für etwas bestraft werden sollen, was sie angeblich nicht gemacht haben, ist hanebüchen. Wer die Palästina-Solidarität der 70er und 80er ohne die geringsten Zweifel verteidigt, kann nichts von der Kritik am Antisemitismus begriffen haben.

Gruppe demontage, Postfach 306 132, 20327 Hamburg



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