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Akzeptierende Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen
oder: Faschismus ist kein Jugendproblem


Dieser Text soll eine kritische Betrachtung der bisher weit verbreiteten pädagogischen Bemühungen um rechte Jugendliche sein. Die Motivation dafür entstand beim Lesen der Broschüre "Rosen auf den Weg gestreut..., Kritik an der akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen" (herausgegeben von norddeutschen Antifagruppen), die sehr illustrativ den negativen Verlauf solcher pädagogischer Projekte beschreibt. In diesem Text werden die Kritikpunkte aus der Broschüre und noch einige andere, sowie eine Kurzbeschreibung gegenläufiger Auffassungen im Diskurs um die akzeptierende Sozialarbeit, dargestellt.

Vor einigen Jahren, als rassistische Angriffe und Übergriffe seitens jugendlicher Horden in kaum zählbarer Folge sich auszuweiten begannen, war damit der existierende Rassismus in der BRD-Gesellschaft nicht mehr zu verschleiern; Deutschland kam (insbesondere außenpolitisch) in argen Erklärungsnotstand. An diesem Punkt entzündete sich eine allgemeine Diskussion über "das Phänomen der rechten Jugendlichen", in der sich ziemlich schnell darauf geeinigt wurde, daß es sich bei diesen Jugendlichen um fehlgeleitete, frustrierte, chancenlose Menschen mit schlimmer Kindheit handele, um Modernisierungsopfer. PolitikerInnen aller Parteien, SozialwissenschaftlerInnen und die "guten deutschen BürgerInnen" bringen bei dieser Thematik einen sonst selten zu erreichenden Konsens zustande.
Die Eskalation rassistischer und faschistischer Gewalt konnte mit diesem simplen Erklärungsansatz subjektiviert, individualisiert und damit entpolitisiert und verharmlost werden: die Täter sind eigentlich Opfer und Opfer brauchen Hilfe - so das Leitmotiv der daran anschließenden Expansion auf dem Gebiet Streetwork und akzeptierende Sozialarbeit mit diesen Jugendlichen. Konkret heißt das hier: Jugendliche, die sich in rassistischen Horden zusammentun, aufzusuchen und ihnen mit unabdingbarer Akzeptanz zu begegnen und ihnen Hilfe zur Verbesserung ihrer sozialen Situation anzubieten. Soziale Benachteiligung und Desillusionierung - so die Annahme hier - soll nämlich hauptsächlich verantwortlich für die rechte Orientierung so vieler Jugendlicher sein. Damit ist in den bisher umgesetzten Modellen dieser Art ausdrücklich nicht verbunden, die rassistischen und faschistoiden Überzeugungen zu thematisieren oder gar zu hinterfragen, oder auf die Jugendlichen einzuwirken und rechte Denkmuster aufzubrechen. "Keine Gewalt" ist eine allgemeine Bedingung dieser sozialarbeiterischen Modelle, die Begriffsbestimmung von Gewalt ist dabei jedoch sehr, sehr eng gefaßt.
"Die akzeptierende Sozialarbeit hilft aus Reih und Glied gestolperten jungen Deutschen in die Marschformation des neuen Deutschland zurück. Sie will >>normale<< Deutsche aus den Jugendlichen machen, sie in die Gesellschaft integrieren. (...) Sie verharmlost das Problem des Rechtsradikalismus zu einem Problem der Auffälligkeit. Und die Auffälligkeit ist das Einzige, womit sie Probleme hat."
Soweit die konzeptionelle Kurzkritik zu den bisher in der Regel stattfindenden Modellen akzeptierender Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen. Was aber sind die konkreten Folgen dieses verharmlosenden Umgangs mit den jugendlichen Auswüchsen des gesellschaftlichen Rassismus in der BRD? Und vor allen Dingen, soll dies der einzig mögliche Weg im Rahmen von pädagogischer Behandlung der Thematik sein?
Daß das oben kritisierte Konzept dieser Art von akzeptierender Sozialarbeit, die Problematik rechter Orientierung Jugendlicher Einhalt zu gebieten, nicht aufgegangen ist, erübrigt sich hier weiter auszuführen, angesichts der Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt (20-30% des DVU-Wählerpotentials waren dort Jung- und ErstwählerInnen) und der Tatsache der anhaltenden und wachsenden Zahl rassistischer Übergriffe. In der oben zitierten Broschüre werden recht detailliert Erfahrungen und Entwicklungsverläufe von staatlich geförderten und sozialarbeiterisch betreuten rechten Jugendcliquen in Norddeutschland beschrieben. Sie alle führen aus, wie diese Art akzeptierender Sozialarbeit bestehende rechte Organisierung stabilisieren und zur Erweiterung dieser sogar noch beitragen. Am Beispiel Tostedt wird besonders gut deutlich, wie sich Nazi Kader (in diesem Fall Personen wie z.B. Sascha-Oliver Bothe und Sven Ole-Rehse, die Mitglieder der mittlerweile verbotenen FAP waren) über die Bereitstellung öffentlicher Mittel und eines Streetworkers weiter organisieren und etablieren konnten. Seit 1995 wurde mit der Arbeit von StreetworkerInnen der RESO-Fabrik vom Gemeinderat Tostedt ein Modell initiiert, welches sich gegen "politischen Extremismus" richten sollte. Anlaß waren zwar hauptsächlich die Naziaktivitäten in Tostedt, doch wie allgemein üblich, wird bei dieser Thematik zwischen links und rechts nicht unterschieden, sondern alles in einen, den Topf des "politischen Extremismus", geworfen. Der Streetworker Bernd Rutkowski suchte den Kontakt zu eher links orientierten Jugendlichen im Jugendzentrum, stellte aber von Anfang an zur Bedingung, daß diese sich mit den Nazis zusammen- , oder (um im pädagogischen Jargon zu bleiben:) auseinandersetzen müßten und sich andernfalls nicht zu beschweren hätten. Die Vorstellung, daß es Menschen gibt, die aus politischer Überzeugung Nazis zu bekämpfen finden und mit ihnen nicht an einem Tisch sitzen wollen, war/ist Rutkowski offensichtlich gänzlich unbekannt. Konsequenz daraus war die Diffamierung "der Linken" in der Öffentlichkeit als "nicht-gesprächsbereit" und von daher das eigentliche Problem. Der Kristallisationspunkt rechter Organisierung bildete sich dann im Jugendraum Handeloh, der auch vorher schon von den Nazis genutzt wurde; jetzt bekamen sie eine noch bessere Legitimation ihrer Bündelung dort: akzeptierende Sozialarbeit wurde installiert. Sowohl organisierte, radikale und gewalttätige Nazis, als auch "nur rechtsorientierte" Jugendliche und Jungerwachsenen hatten ab diesem Zeitpunkt städtisch abgesicherte Räumlichkeiten. Die Angriffe der Nazis wurden mehr, antifaschistische Gegenwehr wird immer noch und immer wieder als eigentlich zu bekämpfender Aggressor denunziert.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie die akzeptierende Sozialarbeit Verantwortlichkeiten verschiebt, der Ausbreitung von Nazis und rechten Denk- und Handlungsmustern Vorschub leistet und damit hilft, rechte Ideologien hoffähig zu machen. Rechte Orientierung und Gewalt dient als Beleg dafür, hilfsbedürftiges Opfer zu sein und gehegt und gepflegt, aber keinesfalls in die Verantwortung gezogen zu werden.
"Die Kids von der Straße zu kriegen" ist das Ziel dieser Sozialarbeit; die Nachbarschaft freut sich und findet sich in ihrer Meinung bestätigt, daß "unsere Jugendlichen" doch eigentlich gar nicht schlecht sind. Lose organisierten Jungnazis werden behördlich geförderte Zentren zur Verfügung gestellt, in denen sie faschistische Ideologien und Rituale ungestört pflegen und ausbauen können. Das Motto dabei: "So lange sie unter Aufsicht sind, können sie keine Häuser anzünden." - daß sie es trotzdem tun, wenn sie nicht unter Aufsicht sind, erschüttert diese Konzeption nicht. Ebenfalls schlägt bislang nicht kritisch zu Buche, daß faschistische Kader und Parteien diese Bündelung loser Strukturen zur Rekrutierung und weiteren Organisierungsbemühungen nutzen. Fakt ist, daß zu dem erklärten Programm neonazistischer Parteien die Anwerbung und Anbindung Jugendlicher gehört; diese ist sehr niedrigschwellig und jugendnah angelegt, um eventuelle Hemmschwellen gleich >locker< abzubauen. Seien es die Fülle von Propagandamaterial für Jugendliche, das z.B. die JN bereithält, oder die Kontaktierung Jugendlicher über Musikveranstaltungen und dazugehörigen Fanzines - es ist unbestreitbar, daß "Jugendarbeit" ein großes Betätigungsfeld neonazistischer Organisierungen darstellt.
Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre in Gesamtdeutschland zeigt, daß diese Bemühungen auf äußerst fruchtbaren Boden fallen. Versuche antifaschistischer Gruppen der oben benannten faschistischen Rekrutierung entgegenzuwirken, verlieren immer mehr an Effektivität, weil die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz rechtsradikaler Ideologien, auf die neonazistische und faschistoide Organisierungen zurückgreifen können sich stetig ausweitet. Dem wird dadurch Vorschub geleistet, daß in den Erklärungsmodellen (zu) vieler (Sozial-) WissenschaftlerInnen, die Entscheidung Jugendlicher, sich rechts zu orientieren/organisieren vollständig individualisiert und entpolitisiert wird. Rassismus und Faschismus unter der Subsumierung "Jugendproblem" bzw. "Resultat von Modernisierungsopfern in der Risikogesellschaft" zu betrachten, wie auch von angesehenen Wissenschaftlern wie Wilhelm Heitmeyer und Beck - wenn auch natürlich weitaus differenzierter, von der Leitlinie her aber dennoch hier vergleichbar - verkennt die Ursachen des Rechtsextremismus, zu finden in der gesellschaftlichen Mitte. Außerdem werden in solchen rein sozialwissenschaftlichen Ansätzen die historische Einbettung des neuen Faschismus in der BRD unzulässigerweise vollständig ausgeblendet. Sich dem jedoch im wissenschaftlichen Diskurs um diese Thematik nicht zu stellen, verschiebt die Diskussion in den Bereich individuellen Verhaltens und weitergehend in eine subjektivierte Defizit-Theorie. Ein solcher Ansatz ist fatal, da er außer acht läßt, daß die betrachteten Subjekte sowohl eigene Intentionen und Entscheidungskriterien, als auch eine eventuell andere Eigenwahrnehmung ihrer persönlichen Ausgangslage haben. Rechtsradikale Orientierung muß, gerade auch aus dem Blickwinkel von Anhängerinnen akzeptierender Sozialarbeit, als Entscheidung für diese und nicht eine andere Richtung ernst genommen und hinterfragt werden. Erklärungsansätze, die versuchen einen monokausalen Bedingungsrahmen zu konstruieren, werden immer nur begrenzt übertragbar sein, da die subjektiven Gründe, die zu einer Entscheidung nach rechts hin führen, nicht zu pauschalisieren sind. Soziale und gesellschaftliche Bedingungen in den Vordergrund bei Erklärungsversuchen jugendlicher rechter Gewalt zu stellen ignoriert die Tatsache, daß Faschismus ein gesamtgesellschaftliches und politisches und kein jugendspezifisches Problem ist.
Wenn denn überhaupt die Annahme als überzeugend angesehen wird, daß mensch sich der Problematik rechtsradikaler Jugendlicher pädagogisch nähern sollte/könnte/müßte, heißt das für die konkrete pädagogische Arbeit mit rechten Jugendlichen eine permanente, kontinuierliche Auseinandersetzung und Konfrontierung mit den zu beobachtenden Formen rassistischer, sexistischer und anderer ausgrenzender Handlungen und Denkmustern; und diese auch offensiv zu suchen, anstatt das Ziel zu verfolgen ruhig zu stellen, zu integrieren (in die Normalität, den Rassismus der gesellschaftlichen Mitte) und unauffällig zu halten. Der Begriff der Akzeptanz heißt nicht automatisch unkritisch und unpolitisch zu sein, vielmehr kann (und wird) er auch in anderen pädagogischen Bereichen nur in Verbindung der Thematisierung von Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung gesehen. Dabei gibt es bestimmte (meist humanistisch begründet, aber durchaus auch politisch füllbare) Grundregeln menschlichen Zusammenlebens, die bei Nichteinhaltung auch zur "Ausgrenzung" führen. Pädagogische Förderung von Selbstbestimmung muß die AdressatInnen in die Verantwortung nehmen, demnach versuchen zu erklären, aber nicht zu entschuldigen. Stützpfeiler einer solchen akzeptierenden Pädagogik müssen klare Arbeitsprinzipien und die deutliche und ehrliche Bestimmung der Grenzen pädagogischen Handelns bei gesamtgesellschaftlichen Problemen sein.
Jede Art von Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen, die nicht klar und offen antifaschistisch ausgerichtet ist und durchgeführt wird, die nicht in die Konfrontation gegen rechte Denk- und Handlungsmustern bei Jugendlichen tritt, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, dazu beizutragen, die schon schnell mahlenden Mühlen rassistischer und faschistischer Neuformierung dieser Gesellschaft voranzutreiben.
Pest A. Lozzi

Zum Schluß noch mal der ausdrückliche Hinweis auf die hier mehrmals zitierte Broschüre "Rosen auf den Weg gestreut...", da sie hauptsächlich Impulsgeberin für diesen Text war. Sie ist erhältlich unter
rat - reihe antifaschistische texte
c/o Schwarzmarkt
Kl. Schäferkamp 46
20357 Hamburg
kostet: DM 5



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