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 Der Mensch ist 
worthaft - Die Rede Yasar Kemals aus Anlaß der Verleihung des 
Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
 
 Die Literatur 
verknüpft uns und macht uns zu Mittätern 
Auszüge aus der Laudatio von Günther Grass:
  
 
Yasar Kemal - Friedenspreis-Träger des Deutschen Buchhandels
 
Mit der Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des deutschen 
Buchhandels an den kurdisch-türkischen Schriftsteller Yasar Kemal hat sich 
der Börsenverein für einen bedeutenden Autor entschieden. 
In den 50er und 60er Jahren galt der heute 75 jährige Kemal als Inbegriff 
des linken, kemalistischen Türken. Später übte er offene Kritik an der 
Kurdenpolitik und den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. 
Schwierigkeiten mit dem herrschenden System in der Türkei bekam der 
'Anwalt der Armen, Ausgebeuteten und Verfolgten' nach dem Militärputsch von
1971. Die Machthaber warfen ihn wegen Mitgliedschaft in der sozialistischen 
Arbeiterpartei der Türkei (TIP) ins Gefängnis. 
In Deutschland wurde Kemal in der breiten Öffentlichkeit vor zwei Jahren 
bekannt, als er sich in einem Artikel für den Spiegel den türkischen Staat 
vernichtend attackierte und seine demokratische Defizite beklagte: "Vom 
Tag ihrer Gründung 1923 bis heute hat sich die türkische Republik zu einem 
System unerträglicher Zwänge und Grausamkeiten entwickelt", schrieb er. 
Zahlreiche türkische 'Intellektuelle' warfen ihm daraufhin 'Verrat an den 
Prinzipien Atatürks' vor. 
Yasar Kemal stammt aus der südtürkischen Stadt Adana, in der das Zentrum 
der Çukurova ist, der fruchtbaren und feuchtheißen Kilikischen Ebene, die 
sich vom Südhang des Taurus bis zu den Küsten des Mittelmeeres erstreckt. 
Er wurde 1922 in dem Dorf Hemite, Kreis Gögçeli, unter den Namen Kemal 
Sadik Gökçeli geboren und wuchs unter ärmlichen Verhältnissen auf. Im Alter 
von fünf Jahren wurde er Zeuge, wie sein Vater ermordet wurde. Blutrache 
war das Motiv für den Mord. Aufgrund eines Unfalls im Kindesalter 
erblindete sein rechtes Auge. Schon als Jugendlicher mußte sich Kemal 
allein durch das Leben schlagen. In seiner Jugend verdiente er seinen 
Lebensunterhalt als Hirte, Wasserwächter, Traktorfahrer und Schuhmacher, 
bevor er mit dem Schreiben anfing. 
Im Jahre 1955 erschien sein Erstlingsroman Ince Memed 
('Memed, Mein Falke'). Das Buch, das in mehr als 30 Sprachen übersetzt 
wurde, schildert den Kampf eines anatolischen Robin Hood, der als Sohn 
bitterarmer Leute in die Berge geht und dort zum Räuber wird, zum Rächer 
der Enterbten, gegen die Agas (Großgrundbesitzer). Es gibt in der Türkei 
tatsächlich immer noch Menschen, die glauben, Memed habe wirklich gelebt.
 
In den Prosaepos Bin Bogalar Efsanesi ('Das Lied der Tausend Stiere') 
schildert er den Überlebenskampf des turkmenischen Nomadenstammes der 
Karaçullu in den Bergen des Taurus. Es ist eine Geschichte voller 
Realismus, Trauer und innerer Auflehnung gegen einen gesellschaftlichen 
Wandel, der doch unvermeidlich zu sein scheint. Ein weiterer bekannter Band 
von Kemal ist 'Ararat Efsanesi' ('Die Ararat-Legende'). 
Kemal hat im Gegensatz zu vielen Intellektuellen in der Türkei nicht zur 
Unterdrückung und zum dreckigen Krieg in Kurdistan geschwiegen. "Wie einst 
Hitler tanzen sie auf den Knochen der Toten", klagte er vor einigen
Jahren die Regierenden in Ankara an. Auch beim Hungerstreik vor einem Jahr 
scheute er sich nicht, "Mörder" in der Staatsspitze zu benennen. 
Die in Korruptionsaffären verwickelte ehemalige türkische Außenministerin 
und DYP-Vorsitzende Tansu Ciller nannte Yasar Kemal einst einen "Strolch".
  
 widerstand@koma.free.de
 
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