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Aleviten, die "Retter" einer nicht-existenten Demokratie

Durch die neue Taktik der in der Türkei Regierenden sind in der türkischen Innenpolitik neue Schwerpunkte entstanden. Nachdem es zu Konflikten zwischen den ehemaligen Weggefährten, den Islamisten und dem Militär gekommen ist, sucht man nun verzweifelt nach neuen Mitstreitern im Kampf um den Erhalt der jahrzehntealten Machtstrukturen. Durch die Angst vor einer unkontrollierbaren islamischen Kraft versuchen die ehemaligen erklärten Feinde der alevitischen Herkunft nun einen Schulterschluß mit den von ihnen bisher nicht anerkannten, ja sogar verfolgten und ermordeten Menschen alevitischer Herkunft. Hat der türkische Staat in seiner kurzen Geschichte stets die Ideologie der "türkisch-islamischen Synthese" verfolgt, so zeigt er sich nun „alevitenfreundlich".
Auf der Suche nach des Pudels Kern äußert sich jedoch eindeutig dieselbe Ideologie in einer neuen Kluft. Das Gedankengut eines totalitären "Ein-Volk-Ein-Staat"-Denkens hat sich um keinen Deut geändert. Der Unterschied zu früheren Methoden liegt darin, daß einerseits die Islamisten zu einer unkontrollierbaren Masse zu werden drohen, während andererseits die seit Jahrhunderten existente demokratische und stets antinomistische alevitische Bewegung einen ebenso bedrohlichen Organisationsgrad zu erreichen scheint. Die Wühlarbeit in den alevitischen Vereinen hat bisher keine wesentlichen Früchte getragen.
Aus diesen beiden Fakten heraus versucht die türkische Militärdemokratie und seine Handlanger, seine willigen Politiker, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Mit einer gezielten Konfrontation der Aleviten mit den sogenannten "Feinden der Demokratie" - den Islamisten, hat man die Gelegenheit, beide Oppositionsbewegungen zum Schwiegen zu bringen.
Für dieses Ziel schrecken die Systempolitiker nicht davor zurück, in ihrer Minderheitenpolitik eine 180 Grad-Kehrtwendung zu zelebrieren. Die abstrusen Verrenkungen, die sie dabei zeigen sind zum Teil bühnenreif. So hat der jetzige Staatspräsident Süleyman Demirel 1977 als damaliger Ministerpräsident zu seiner Amtszeit Schulbücher veröffentlichen lassen, die die Aleviten als Wesen beschrieben, deren "Vater nicht bekannt sei". Im Jahre 1997 läßt sich derselbe Demirel mit einer Kappe der „Alevitischen Föderation" auf dem Haupt in alevitischer Gebetspose und beim alevitischen Semah-Tanz ablichten. Er läßt sich sogar öffentlich zum „Ehrendede" der Aleviten küren, was einem religiösen Führertitel entspricht. Man bedenke, daß laut dieser Schulbücher auch die "Dede" unbekannte Väter haben sollen.
Eine andere Qualität zeigt sich bei dem jetzigen Koalitionsjunior Bülent Ecevit, einem erklärten "Linksnationalisten", dem amtierenden Vizeministerpräsidenten der neuen "antiislamistischen" Minderheitenregierung. Unter seiner Ministerpräsidentenschaft im Jahre 1978 fand das bislang schlimmste Massaker der türkischen Republik an Aleviten in der ostanatolischen Stadt Maras statt, bei dem mehrere hundert Aleviten ihr Leben lassen mußten, als faschistische Mordkommandos ihre Stadtteile von der Polizei und der Armee unbehelligt mit Macheten, Gewehren, Äxten und Knüppeln durchkämmt haben. Bis heute ignoriert Ecevit dieses Massaker. Es hat für ihn offensichtlich nicht stattgefunden. Auch die späteren Pogrome in Corum, Sivas, Gaziosmanpasa/Istanbul und Dersim haben für ihn nicht stattgefunden.
Nun bemüht er sich jedoch um die Stimmen und die Unterstützung der "Hüter der türkischen Demokratie". Er lädt die Vorsitzenden der alevitischen Organisationen einzeln zu sich ein, bietet ihnen Listenplätze in seiner Partei für die kommenden Parlamentswahlen an und umgarnt sie nach bester orientalischer Manier. Auf der anderen Seite wird der Vorsitzende der "Alevitischen Föderation" nicht in seine Heimatstadt Dersim hineingelassen, weil dort seit Jahrzehnten Kriegsrecht herrscht. Dersim wird in der Türkei auch als größtes open-air-Gefängnis der Welt bezeichnet, weil die Menschen praktisch rechtlos wie Tiere in einem Wildgehege gehalten werden.
Zu der jetzigen sog. Annäherung zwischen Staat und Aleviten bedarf es jedoch zweier Parteien. Ist der eine Partner zu keiner Annäherung bereit, kann diese nicht zustande kommen. Leider finden sich jedoch auch auf der alevitischen Seite einige selbsternannte Führer mit persönlichen Ambitionen, charakterlicher Anfälligkeit für Schmeicheleien und Offenheit gegenüber verschiedene Formen des Bakschisch. Einem ehemaligen Vorsitzenden einer alevitischen Organisation wird ein Abgeordnetenposten in Aussicht gestellt. Ein anderer Alevit erhält das Versprechen über finanzielle Mittel zur Gründung eines Alevitischen Institutes in Holland. Ein Dritter erhält gar eine eigene Organisation (C.E.M.-Stiftung) und die Möglichkeit, sein Gesicht in den Staatsmedien tagtäglich ablichten zu lassen.
Damit diese Führer auch das Volk hinter sich bekommen, verspricht man die Sterne vom Himmel. Da ist die Rede von einer alevitischen Universität in Haci Bektas, einem alev. Wallfahrtsort. Man spricht von der Einführung von alevitischem Religionsunterricht und der Ausbildung alevitischer Religionsgelehrter, die zur Krönung auch ein staatliches Gehalt erhalten sollen.
Bisher wurde keine dieser Versprechen realisiert. Das Ziel ist ein anderes. Ist die Konfrontation zwischen Aleviten und Islamisten erst einmal hergestellt, wird keiner mehr nach diesen Versprechen fragen. Dann stünde der Staat als lachender Dritter neben den Kampfhähnen, bei denen bereits vorher bekannt ist, daß sie nur verlieren können.


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