Interim Nr. 570 Mitte April 2003 [ zurück ]

Lösungen

In der letzten Interim-Ausgabe sind wir über das Vorwort gestolpert. Nach einigen bedenkenswerten Sätzen gegen das von Yankees und Briten im Irak entfesselte Massenmorden, findet sich mit einem Male eine ungewöhnlich sensible Auseinandersetzung mit einem in dieser Ausgabe dokumentierten Text eines sogenannten "Bündnisses gegen Antisemitismus usw". Zweimal weiß die Interim-Redaktion hier den Begriff "spannend" in Anschlag zu bringen: Dabei mag sie es bei jenem Text nicht um die Klassifizierung einer "eigentlich spannenden Analyse" belassen, sondern unterstellt vorsichtshalber beim zweiten Male jenen Bündnis-Autoren auch noch "spannende eigene Thesen". Camoufliert sind diese Verbeugungen der Interim-Redaktion Nr. 569 von ein paar argumentativen Verrenkungen, in der sie glaubt, u.a. Antideutsche darum bitten zu müssen, nicht "permanent Diffamierungen untergeschoben zu bekommen" .Etwas unvermittelt bricht dann der Redaktion im plötzlich viermal ein für sonst stets nörgelnde Autonome ungewöhnliches "Ja" heraus. Und dieses sprach sich - in dieser Reihenfolge - erstens - wenn auch noch nicht "bedingungslos" so aber doch "für das uneingeschränkte Existenzrecht Israels", zweitens "gegen" den lediglich beim Vornamen genannten irakischen Diktator Saddam Hussein und drittens " wenig überraschend - gegen "Deutschland" aus. In dem letzten "Ja" taucht dann mit einem Male auf die vorangegangen drei Ja`s bezogenes "trotzdem" auf, mit dem die Redaktion irgendwie doch noch glaubte sich "gegen diesen Krieg" aussprechen zu müssen. Puuh!

Nimmt man diesen auch grammatikalisch windschief zusammen genagelten Satz für den Inhalt, dann muss gerade das letzte "Ja" für jene Interim-Redaktion eine mühsame Operation gewesen sein. Jedenfalls erklärt sie uns am Schluss ihrer Überlegungen, daß sie jenen Bündniss-Text deshalb abdruckt, weil sie "gerne auch die Debatte führen" will und ruft dabei alle Beteiligten noch dazu auf "auch anderen unvoreingenommen" zuzuhören.

Debatte ohne Verzug

Wir finden, daß wir den Appell an die "Unvoreingenommenheit" bereits mit dieser genauen Beschreibung jenes zunächst etwas verschleiert-verkorkst wirkenden Interim-Editorials eingelöst haben. Auf dieser Grundlage sind auch wir sehr an einer "Debatte" interessiert. Sie soll aber weniger auf die Bündnis-Subjekte als vielmehr direkt auf den Kern des aktuell aus mehreren Redaktionen bestehenden Interim-Gefüges zielen. Darüber hinaus hoffen wir, das diese Debatte nicht einfach bloß eine leere Zeit totschlägt, sondern einen schnellen und präzisen Verlauf nimmt. Wir hoffen dabei, dass das Ende dieser Debatte mit einem unmissverständlich klarem Ende der Tätigkeit der Interim-Redaktion Nr. 569 in der bisherigen Form, Art und Weise zusammenfällt. Dafür müssen wir jetzt in einem kleinen Umweg kostbare Lebenszeit in jenen nun in der Interim dokumentierten Bündnis-Text stecken. Leider.

Eine alte Schellack-Schallplatte

Um es gleich vorweg zu sagen: In ihm finden sich weder "spannende Analysen" noch "spannende Thesen". Stattdessen kann man dort ein paar wohl geostrategisch-außenpolitisch gemeinte Beliebigkeiten unter dem etwas zusammenhanglos wirkenden Untertitel "Irak, Israel und Region" nachlesen. Zumindest in jenen Textpassagen scheinen sich jene Bündnis-Autoren ein wenig als kommende Außenpolitiker einüben zu wollen. Und das das Wälzen geostrategischer Blaupausen für die hier tätigen Nachwuchspolitiker so einfach noch nicht ist, kann man an einem kryptischen Satz ablesen, in dem sie erklären, dass eine Befürwortung des Krieges seitens der Linken "allein von den zu erwartenden Resultaten für Israel, den Irak und die gesamte Region" abhänge. Da soll also die Linke nicht hier ihren Kampf gegen Barbarei und Ungerechtigkeit in Bezug auf die ganze Welt reflektieren, sondern sich am militärpolitischen "faites-vous-jeux" in anderen Weltgegenden beteiligen. Eine derartig fein ziselierte Kriegsbefürwortung in Form eines metropolitanten Glücksspiels, die in ihrer logischen Grammatik der des bürgerlichen Staates entspricht, muss man sich erst mal einfallen lassen.

Entscheidender hier ist vielmehr, daß um diese Textpassagen sowohl in Diktion, Form und Inhalt seitens der Bündnis-Autoren alle Stereotypen, Catch-Words und Ikons aus dem seit Jahren bekannten antideutschen Denunziationsarsenal herumgruppiert sind. Und sie glauben sich als Enkel der rhetorischen Liquidierungskultur maoistischer Provenienz aus den 70er Jahren und frei von allen Selbstzweifeln dazu legitimiert, der Friedensbewegung die Leviten lesen zu dürfen. Folgerichtig treten hier dann als klappernde Begriffsmarionetten in ungefährer Reihenfolge auf: friedensbewegtes Ressentiment; halluzinieren von Krieg als dem Schrecklichsten auf Erden; deutscher Sozialcharakter verdrängt eigene Vernichtungstaten, einigendes Band für Linke, pazifistische BürgerInnen und Nazis; Deutschland als pathologische Topologie; deutsche Friedensliebe; Demomob für deutsche Interessen; Gleichung Bagdad - Dresden; Israel neben USA der eigentliche Bösewicht; Friedensbewegungskampftag, Ritualmordvorwürfe.

Wir haben bestimmt nicht alle antideutschen Floskeln aus dem Text aufzählen könnten, und wir hätten uns schon allein als einen ästhetischen Leckerbissen auch einmal die Charakterisierung der "deutschen Friedensbewegung" als "neue NSDAP", ersatzweise "SA" oder "SS" gewünscht. Überraschend ist auch, das der Bündnis-Text keinen Hinweis auf die beiden "Friedensreden" Adolf Hitlers im Jahre 1939 und 1942 enthält. Und warum jene "Analyse" vollständig ausblendet, daß doch wirklich niemand auf der Welt ausschliessen kann, daß eben jene "Friedensbewegung" heimtückisch wie sie nun mal ist, "an Gaskammern" herum bastelt, haben wir auch nicht ganz verstanden. Zumindest hier ist der Rat angebracht, dass unsere antideutschen Texter noch ein wenig nacharbeiten müssen. Aber wer bis jetzt noch nicht die Nerven verloren hat, der kann nach diesem Rot = Braun-Szenario aus der Totalitarismusschule der 50er Jahre nur die Bündniseinschätzung teilen: "Es muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden", so das es an der Zeit sei "gegen diese Friedensbewegung" vorzugehen. Und diese Aussagen werden nun unter der Obhut einer Interim-Redaktion im übertragenden Sinne Millionen von Friedensdemonstrantinnen, und vor allem den zehntausenden von gegen den Krieg hier in Berlin demonstrierenden Schülerinnen direkt ins Gesicht gesagt. So sieht es also aus.

Doch würgen wir jetzt einfach das Quentchen Galle nach der Lektüre dieses Pamphletes herunter und schieben auch den Spass beiseite, den es bereitet, den herrschenden antideutschen Sound einfach zu verdoppeln, um daraus wohlklingenden Punk zu machen. Was um aller Welt soll bitte an diesem Traktakt, das - um es mit den Worten von Gudrun, Holger, Andreas und Jan zu sagen - nichts anderes ist als Hetze, Lüge, Dreck, "spannend" sein? Und nun schlagen uns jene Interimistas Nr. 569 genau darauf bezug nehmend allen Ernstes vor, in dieser Zeitung auch noch eine "Debatte" zu führen. Worüber bitteschön? Wird von uns etwa erwartet zu dem gewohnt profunden antideutschen Diskurs, ob denn nun die Friedensbewegung "nationalsozialistisch, nationalsozialistischer oder vielleicht am nationalsozialistischsten" ist, den idiotischen Subtext abzugeben" Es ist doch als bekannt vorauszusetzen, daß sich die Antideutschen, ähnlich wie die Antisemiten ein hermetisch abgeriegeltes Wahnssystem konstruieren, das immanent betrachtet überhaupt nicht zu durchbrechen ist. Ebenso wenig wie man der Argumentation der Antisemiten argumentativ widersprechen kann, genauwenig kann der Argumentation der Antideutschen widersprechen. Wer versucht sich hier auf eine Debatte oder gar Argumentation einzulassen, ist schon verloren. Richtig hier kann doch nur sein, von vornherein jeden argumentativen Bezug abzubrechen, was allerdings nicht bedeuten muss, auf eine Auseinandersetzung zu verzichten.

Ob jene Interimistas Nr. 569 uns damit einfach nur deshalb reingelegen wollen, weil sie nicht richtig lesen können? Ach, was würden wir dafür geben, wenn wir sie als zwar ahnungslose gleichwohl betreuungsfähige Trottel ansehen könnten. Doch wer politisch denkt, weiß: Es ist nicht so.

Diskursverschiebungen

Die Dokumentation jenes Bündnis-Textes durch die Interim-Redaktion Nr. 569 muss als Versuch verstanden werden, aus autonomer Perspektive zurecht verachtete antideutsche Positionen, zu deren Argumentationsarsenal zwischenzeitlich auch die offene Affirmation von Massenmord gehört, innerhalb der Interim zu integrieren. Die Selbstetikettierung der Interim-Redaktion Nr. 569 als "antinational" ist dabei nichts anderes als ein in diesem Zusammenhang notwendiger Trick der Maskierung. Und fadenscheinig ist auch die in Form einer treuherzig verpackten Frage gekleidete Distanzierung zu dem Kurzschluss im Bündnis-Text, die aktuelle Friedensbewegung als "Demomob für deutsche Interessen." zu bezeichnen. Sowohl der Inhalt als auch die logische Struktur des Editorials machen unmissverständlich deutlich, dass die Loyalitäten und intellektuellen Bezüge jener Interim-Redaktion Nr. 569 nicht der Idee autonomer Bewegung, geschweige denn einer Idee eines Kampfes gegen Antisemitismus hier gehören. Denn sonst hätten sie jenen Text nicht irgendwie "spannend" finden können, weil sie sich durch ihn selbst in unerträglicher Weise gemeint und angegriffen gefühlt hätten. Die Loyalitäten dieser Interim-Redaktion gehören, wie sie selbst schreiben, zu aller erst dem Nationalstaat Israel. Dafür mag es weniger aus der Geschichte der radikalen Linken aber aus der dieses Landes verständliche Gründe geben. Ob diese fulminante Solidaritätsgeste den im Staat Israel lebenden Juden und Palästinensern aktuell ein mehr an wünschenswerter Sicherheit zu verschaffen vermag, wagen wir allerdings nicht zu beurteilen, Jedenfalls ist die Nationalstaatssolidaritäts-Position Teil der Staatsreligion der Bundesrepublik und findet aus vielschichtigen Interessen- und Motivlagen auch ihre überreichliche Repräsentation in einer Publizistik, die sich noch glaubt als linksradikal etikettieren zu müssen. In den einschlägigen Gazetten wird aber nun seit einiger Zeit offenkundig, dass das in diesem Land nach 1945 wohlbegründete Junktim zwischen Massenvernichtung und Krieg zugunsten einer Dampfplauderei im Sinne von "Massenmord durch Kriege ja, aber ..." aufgegeben wird. Hiervon handelt sowohl der Bündnistext als die z. B. von der Jungle World einberufenen poppig-quirligen "Pro- und Contra-Kriegsratsrunden", auf denen sich, so R. Kurz treffend, "neoimperiale Elendssubjekte" in neudeutscher Unbefangenheit, Eitelkeit, Konkurrenzinteresse, Dummheit und nacktem Geschäftsinteresse die Hand reichen. Klar, das denen jede noch so harmlose Friedensbewegung in diesem Land im Weg steht.

Antideutsche pflegen und zu Ende bringen

Die Integration von Antideutschen in das Projekt Interim kann nicht einfach durch eine bessere Ressourcenmängelverwaltung rechtfertigen. Ihre Präsenz innerhalb dieses Projektes setzt es auf das Spiel. Die anderen Interim-Redaktionen muten ihren potentiellen Schreiberinnen zu, sich nicht nur an bewusst falsch gestellten Fragen abarbeiten, sondern auch noch in die logistische Abhängigkeit von Leuten begeben zu sollen, die eine implizit klare Absage an die autonome Bewegung formulieren. Zudem steht eben diese Interim-Redaktion im intellektuellen Bunde mit Leuten, die erklärtermaßen geschworene Feinde der radikalen Linken sind. Wie soll das bitte schön für das Projekt Interim weiter gehen" Ein gewisses Maß an Toleranz, die dafür notwendig ist, um einen breiten Korridor von Meinungsfreiheit in dieser Zeitung zu gewährleisten, kann doch wohl nicht bedeuten, dass danach alles Wurst und egal wird.

Wir plädieren dafür, die innerhalb der Interim nach der Israel-Nationalstaats-Flaggen-Solidaritätsnummer 550 vom Mai 2002 versackte Debatte erneut aufzunehmen. Frei von Alarmismus müssen dabei sowohl der damals in Anschlag gebrachte leere Formalismus von "Mehrheit" und "Minderheit" als auch die außenpolitischen Beliebigkeiten in irgendwelchen Weltregionen gemieden werden. In dieser Debatte muss die mindestens von einer Redaktion eingenommene Position der Anerkennung eines Nationalstaates direkt bei den Hörnern genommen werden. Es kann nicht angehen, hier auf Nachfrage ausweichend zu erklären, dass das eigentlich nichts bedeutet, was - und der Abdruck jenes Bündnis-Textes beweist es schlagend - einfach glatt gelogen wäre. Am besten wäre es, die Nationalstaatsfans zur Aufgabe ihrer in bezug auf Glück, Befreiung und gerechter Assoziation aller Menschen auf der Welt philosophisch nicht akzeptablen Position zu bewegen und für eine andere, bessere sprich autonome Perspektive zu gewinnen. Sehr wahrscheinlich ist das nicht, aber es muss auch gegen Unlust und der begründeten Furcht vor sektiererischen Formen der Auseinandersetzung versucht werden. Für den Fall des Misslingens sollen die Antideutschen aus diesem Projekt selbst um den Preis herausgehen oder herausgedrängt werden, das es danach mit dem Gesamtprojekt nicht mehr weiter geht. Eine antideutsche Interim ist ohnehin schnell überflüssig. Richtig ist aber auch: Keine Interim ist besser, als eine die versucht die Leute zu verhöhnen, zu denunzieren und zu bespucken, die in diesem Land gegen das seit einiger Zeit verhängte globale Kriegsregime protestieren. Dafür besitzt die Interim vor dem Hintergrund ihrer eigenen Tradition auch nicht den Hauch einer Legitimation. Das ist dann die gute Lösung einer alten Geschichte, die immer noch vom Maulwurf handelt.

Timur und sein Trupp