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SPÖ-Gemeinderat lehnt Gedenktafel für 200 ermordete Roma ab.

Kemeten, eine kleine Gemeinde im Südburgenland steht beispielgebend für viele Gemeinden des Burgenlands und ganz Österreichs, in denen Roma lebten und an deren Schicksal sich heute niemand mehr erinnern kann oder will.

TATblatt.

Nach Hinweisen auf die 200 Kemeter Roma zu suchen, die vor dem Krieg in Kemeten lebten, ist eine aussichtslose Angelegenheit. Es gibt dort nämlich nicht einmal eine schlichte Tafel – ganz zu schweigen von einem Gedenkstein oder gar Denkmal, die auf die an den Roma begangenen Verbrechen durch das Nationalsozialistische Österreich gemahnen könnte.
Dass selbst so eine kleine Geste des Erinnerns nicht gesetzt wurde und wird, liegt aber nicht allein am Vergessen und Verdrängen, denn es gab im Oktober 2003 erneut einen Antrag auf Anbringung einer Gedenktafel im Kemeter Gemeinderat. Nach einer Abstimmung zu diesem Thema im Jahr 2000, und nach einer geheimen Absprache im April des Jahres, wurde der Antrag diesmal abermals mit großer Mehrheit abgelehnt...

Seit Jahrhunderten waren und sind Roma und Sinti in Österreich Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt. Den Höhepunkt der Verfolgung bildete die NS-Zeit, als ca. 90 Prozent der in Österreich lebenden Roma und Sinti ermordet wurden. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) berichtet zu diesem Thema: ab Herbst 1939 wurden alle "Zigeuner" österreichweit angehalten und registriert. In eigens adaptierten bzw. errichteten "Zigeunerlagern" mussten die Festgesetzten unter Ableistung schwerer Zwangsarbeit ihrem weiteren Schicksal entgegenharren. Das größte dieser Lager entstand im burgenländischen Lackenbach, ein weiteres in Salzburg-Maxglan (oder: Leopoldskron) und ein temporäres im oberösterreichischen Weyer am Inn. Die Lager funktionierten ähnlich wie die großen KZ: Terror und Gewalt sowie Not und Elend prägten den Alltag in den als Familienlager geführten Einrichtungen. […]Der "Auschwitz-Erlass" bedeutete die "Endlösung der Zigeunerfrage". Ab diesem Zeitpunkt rollten die Großtransporte aus allen besetzten europäischen Ländern ins Vernichtungs-KZ Auschwitz-Birkenau. Auch in Österreich wurden Auschwitz-Transporte von "Zigeunern" zusammengestellt. Dabei handelte es sich vor allem um Roma und Sinti, die schon seit Jahren in den österreichischen NS-"Zigeunerlagern" wie Lackenbach eingesperrt waren. Bei dieser Gelegenheit wurde das Lager Salzburg-Maxglan komplett aufgelöst.

Dem Vernichtungsprogramm entkamen fast nur die Arbeitsfähigen. Sie wurden aus den Transporten selektiert und diversen Arbeitskommandos zugeteilt - in Auschwitz, aber auch anderswo. Als "Nichtsesshafte" verfolgt, mussten die "Zigeuner" immer wieder "auf die Reise gehen". Erst der Tod beendete ihr "unstetes Leben". (1)

Jahrzehntelang wurde die Verfolgung der Roma und Sinti in Österreich besonders tabuisiert. Erst in letzter Zeit werden systematische Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt, sodass erste Publikationen erst 50 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus erscheinen. Eine davon entstand im Rahmen eines Projekts, dass sich mit der Geschichte und dem Schicksal der Roma von Kemeten in den Jahren 1938 bis 1945 auseinandersetzt und 1999 erschien (2).

Kemeten ist eine kleine Gemeinde im Südburgenland. Der nächste größere Ort ist die Nachbargemeine Oberwart. Wir erinnern uns: vor 8 Jahren wurden dort bei einem Bombenanschlag gezielt 4 Roma ermordet. Ende der dreißiger Jahre gab es in Kemeten, das 1939 eine GesamteinwohnerInnenzahl von 1588 Personen hatte, rund 200 Roma. Ihre Deportation begann im Jahre 1938; die letzten wurden 1941 verhaftet und fortgebracht. Der genaue Tag der Verhaftungen und Deportationen bzw. in weiterer Folge ihrer Ermordung lässt sich für die meisten der Roma nicht mehr feststellen, da keine genauen Quellen und Aufzeichnungen existieren. Fest steht aber, dass die Menschen entweder im Lager Lackenbach interniert oder direkt ins Ghetto Lodz transportiert wurden. Anhand von Namenslisten lässt sich weiters rekonstruieren, dass allein in Auschwitz 47 Roma aus Kemeten umgebracht wurden. Von den 200 Menschen kamen 1945 nur 5 wieder nach Kemeten zurück. Die Kinder der fünf Zurückgekehrten schließlich sind in den Sechziger Jahren größtenteils in größere Orte und Städte weggezogen, wo sie im Schutz der Anonymität leben konnten und ihnen bessere Arbeitsmöglichkeiten offenstanden.

Die Abstimmung.

Der Kemeter Gemeinderat setzt sich seit der Gemeinderatswahl 2002 aus 14 SPÖ – und 5 ÖVP-GemeinderätInnen zusammen. Die Abstimmung endete im selben Verhältnis: 14 GemeinderätInnen stimmten gegen die Anbringung einer Gedenktafel. Die bereits seit der ersten Abstimmung 2000 erfolgten Interventionen von verschiedensten Seiten - vom KZ-Verband bis hin zum DÖW veränderten ebenso wenig etwas, wie ein inzwischen vom burgenländischen Landtag gefasster 4-Parteien-Beschluss, wonach den Opfern des Nationalsozialismus und allen Widerstandskämpfern in ihren Heimatgemeinden Gedenkstätten bzw. -tafeln zu errichten seien.

Johann Nussgraber, SPÖ-Bürgermeister von Kemeten, versichert bei der geheimen Abstimmung 2003 für die Gedenktafel gestimmt zu haben. Er müsse sich nun aber an die Entscheidung des Gemeinderates halten. Außerdem meint er, entspreche die Entscheidung im Gemeinderat leider der Stimmung in der Ortschaft. Es habe sogar Bestrebungen gegeben, eine Unterschriftensammlung gegen ein Roma-Denkmal zu starten. Dass kritische Beiträge, die im öffentlichen Webforum der Gemeinde Kemeten gepostet worden waren, von der Gemeinde selbst umgehend zensuriert – also entfernt wurden, fügt sich in den Umgang der PolitikerInnen mit dem Thema: „Dieses Forum ist ein Forum der Gemeinde Kemeten. Daraus resultiert ganz klar, dass die Gemeinde über das Forum verfügen kann und selbstverständlich beleidigende Einträge löschen wird. Bisher herrschte im Forum ein angenehmes und freundliches Klima, weil bisher ausgesprochen nette Menschen darin geschrieben haben. Es ist unverständlich, dass eine ganze Gemeinde beleidigt wird, wenn sich auf Grund eines demokratisch zustande gekommenen Gemeinderatsbeschlusses, eine kleine Minderheit nicht bestätigt fühlt und nun gleich alle Kemeter beleidigt.“

Besonders enttäuscht zeigten sich die bei der Gemeinderatssitzung anwesenden Roma-VertreterInnen: „Es (das Anbringen der Gedenktafel) solle keine Anklage sein, es solle gemahnt werden und eine Erinnerung an die aus Kemeten verschleppten Roma sein.. Man trägt sie im Herzen, aber auch die Öffentlichkeit soll etwas machen, leider sei das nicht passiert.“ Jetzt wird die Möglichkeit erwogen auf Privatgrund eine Gedenktafel zu montieren.“ Und der Volksgruppensprecher der Grünen Burgenland fügt noch folgendes Detail hinzu: „Während sich hochrangige LandespolitikerInnen anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Anerkennung der Roma und Sinti als Volksgruppe bei einem Festakt in Tatzmanndorf auf die Schulter klopfen, wird nur wenige Kilometer weiter in Kemeten die Geschichte der Roma- und Sinti Verfolgung im Nationalsozialismus vertuscht und verdrängt.“

Paradoxerweise war nach den Morden von Oberwart kurz die Hoffung aufgekommen, dass es bei Medien, PolitikerInnen und vielleicht sogar in Kreisen der Bevölkerung zu einem Kontinuitätsbruch in der lange Zeit sogenannten „Zigeunerbehandlung“ kommen könnte. Kemeten steht heute aber beispielgebend für viele südburgenländische Gemeinden – und beispielgebend für die österreichische Nachkriegsgeschichte. Eine Linzer Historikerin zählt in ihrer Arbeit „ROMA IN ÖSTERREICH; DISKRIMINIERUNG, AUSGRENZUNG, MORD“ all die Versäumnisse der Nachkriegspolitik auf:

  • Die jahrzehntelange Tabuisierung und Verharmlosung der nationalsozialistischen Verfolgung und damit verknüpft die Verweigerung der ideellen und materiellen "Wiedergutmachung" durch Bundes- und Landesbehörden, durch PolitikerInnen (Finanzministerium, Sozialministerium).
  •  Das In-Frage-Stellen der Verfolgungsmotive: Verweigerung eines "gleichrangigen" Opferstatus (als Opfer der Rassenverfolgung) durch Behördenvertreter, aber auch durch andere "KZ-ler".
  • Die Ausgrenzung und erneute Diskriminierung der Opfer bei paralleler Reintegration der Täter. (Bereits 1951 erfolgte die Begnadigung des 1949 zu fünfzehn Jahren Kerker verurteilten, führend an der "Zigeuner"verfolgung beteiligten Tobias Portschy durch Bundespräsident Körner. In den 70er/80er Jahren pflegten burgenländische Landespolitiker "Kontakte" zu Portschy.)
  • Die Benachteiligung von Verfolgungsopfern gegenüber Kriegsopfern im Rahmen der Opferfürsorge.
  • Die Behandlung österreichischer Sinti als Staatenlose zum Zweck ihrer Abschiebung und zur Einsparung von KZ-Geldern.
  • Die Subventionierung rechtslastiger Organisationen bei gleichzeitiger Verweigerung bescheidenster Opferrenten (Hinauszögern der Novelle bis 1988).
  • Das Festhalten an Opferkategorien auch im Bedenkjahr 1988 und damit Demütigung der Roma durch Zuerkennung der geringsten "Ehrengabe" (des niedrigsten Geldbetrages).
Vor diesem Hintergrund überrascht einen der Beschluss des Kemeter Gemeinderats gar nicht mehr. Und dass es in Kemeten einen aktiven Kameradschaftsbund, eine Organisation der „Gräberfürsorge“ und ein übermannshohes „Kriegerdenkmal“ mitten am Hauptplatz gibt, scheint natürlich auch selbstverständlich.

Wo leben wir denn schließlich?

(1) http://www.doew.at/service/ausstellung/1938/19/19b.html
(2) "Die Roma von Kemeten" von Dieter Mühl, edition lex list 12; erhältlich im Verein Roma, Spitalgasse 4, 7400 Oberwart, Tel.: 03352 - 33059, oder bei edition lex list, Schlainingerstraße 4/1, 7400 Oberwart, Tel.: 03352 - 33940 (zum Preis von ATS 70.- + Versand)
(3) Univ.-Doz. Dr. Erika Thurner, ROMA IN ÖSTERREICH DISKRIMINIERUNG, AUSGRENZUNG, MORD (http://www.mediaweb.at/geschriebenstein/roma/thurner.html)


     

aus TATblatt Nr. +204 November 2003.

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