Die neuen §129a-Verfahren gegen Kurdinnen und Kurden

Hans-Eberhard Schulz zu der neuen Prozeßwelle gegen Kurdinnen und Kurden vor den Oberlandesgerichten in Frankfurt, Hamburd, Suttgart-Stammheim und München. H.-E. Schulz ist der Rechtsanwalt u.a. von Kani Yilmaz.

Mehr als zwei Dutzend KurdInnen sind derzeit nach 129a inhaftiert, Haftbefehle gegen mehr als 50 existieren laut Generalbundesanwalt Nehm, einer davon gegen den bekannten politischen Exil-Politiker, Kani Yilmaz, der seit Oktober 1994 in London deswegen in Auslieferungshaft sitzt. Diese 129a-Verfahren sind die Spitze einer fast flächendeckenden Kriminalisierung von PKK nahen Kurden, die die "konsequente Durchsetzung des sogenannten PKK-Verbots" von Bundesinnenminister Kanther im November 1993 ergänzen: Mehrere hundert kurdische politische Gefangene (wegen Demonstrationsdelikten, Anschlägen auf türkische Einrichtungen und sogenannten "Schutzgelderpressungen" u.a.) tausende von Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung der PKK und ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) nach 20 Vereinsgesetz, die ganzen Staatsschutzkammern bei den Landgerichten verschiedener Bundesländer lahmlegen.
Ähnlich wie in den 50er und 60er Jahren zur Hochzeit der Kommunistenverfolgung das Tragen einer roten Nelke in der Öffentlichkeit die Strafverfolgung nach sich ziehen konnte, reicht heute ein T-Shirt mit einem PKK-Aufdruck, ja die auf das Zifferblatt einer Armbanduhr eingeprägte kurdische Fahne mit einem roten Stern für die Einleitung von Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchung und Beschlagnahme kurdischer Publikationen, die Aufnahme in den Polizeicomputer, Ausländer-Zentralregister und (über NATO-Geheimdienstkanäle) in die Dateien der türkischen Sicherheitsbehörden.
Dabei werden die Widersprüche immer deutlicher: Während die Kurdenverfolgung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, die zur ersten Reihe von 129a-Verfahren gegen KurdInnen führten, insbesondere gegen die PKK-Führung mit dem - per Haftbefehl des GBA gesuchten - "Chefterroristen" Öcalan als "gefährlichsten Terroristen Europas" gerichtet waren (der als "Stalinist" "Diktator" usw. zusätzlich stigmatisiert wurde), wird eben dieser heute von namhaften Politikern und Vertretern der Geheimdienste zu Gesprächen aufgesucht und ausgerechnet vom BND als "gemäßigter" Führer bezeichnet ("SPIEGEL" 34/1996, S. 16), dem man durch Auflockerung des PKK-Verbots "den Rücken stärken" müsse. Trotzdem hält der GBA bisher eisern in seiner Prozeßwelle an dem Anklagekonstrukt einer angeblichen "terroristischen Vereinigung" fest, die aus der Europaführung der PKK/ERNK bestehen soll, und die Befehle des PKK-Vorsitzenden Öcalan grundsätzlich im blinden Gehorsam ausführe.

BAW: Schaffen wir "2, 3, viele (kleine) Düsseldorfer PKK-Prozesse"!


"Ein solcher Strafprozeß darf sich nicht wiederholen!" verkündete der Vorsitzende Richter zu Beginn der Urteilsverkündung nach 4 1/2 Jahren Hauptverhandlung in Düsseldorfer PKK-Prozeß, dem "größten Terroristen-Prozeß in der Geschichte der BRD" (so der frühere Generalbundesanwalt Rebmann) gegen ursprünglich 20 kurdische Angeklagte.
Das Fazit des Vorsitzenden wurde erhört. Schon am darauffolgenden Wochenende meldete die Springer-Presse:
"Kanzler Kohl machte sich die Schelte des Düsseldorfer Richters zu eigen. Der Prozeß sei ein Mißbrauch rechtsstaatlicher Entwicklungen gewesen, der sich nicht wiederholen dürfe. ... Zwischen dem Bundesjustizministerium und dem Generalbundesanwalt Kay Nehm ist in dieser Woche vereinbart worden, den sogenannten großen Kurdenprozeß von Düsseldorf auszuwerten. Mit der Auswertung sind die Mitarbeiter des Generalbundesanwalt derzeit beschäftigt. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte der Bild am Sonntag, es werde u.a. die Frage der Beschränkung eines Beweisantragsrechts geprüft. Dadurch solle ein Mißbrauch durch Verteidiger verhindert werden ..."
Ein weiteres Ergebnis der Auswertung können wir jetzt konstatieren: die Aufsplitterung der Prozesse gegen Kurden in Verfahren mit wenigen Angeklagten quer durch die Bundesländer. Auch der massive Abbau der Verteidigerrechte für Beschuldigte im Strafverfahren wird seitdem verstärkt fortgesetzt. Nicht ausgewertet wurde dagegen offensichtlich die Kritik von Verteidigung und Teilen der Öffentlichkeit an dem Düsseldorfer Verfahren und seinem Ergebnis, die schon in der Berichterstattung über das Urteil gegen die verbliebenen vier Angeklagten unter den Teppich gekehrt worden war:

Damit ist das Szenario, das der Inhaftierung von mehr als 20 KurdInnen und der Anklageschrift aus dem Jahre 1988 zugrunde lag, endgültig zusammengebrochen. Waren doch Ausgangspunkt hierfür die Angaben zweier Hauptbelastungszeugen im Februar 1988, die behauptet hatten, soeben mit knapper Not dem Todesurteil durch die PKK im Rahmen eines "Volksgerichts" entkommen zu sein. Die Verteidigung stellte hierzu fest:
"Der Versuch der Bundesanwaltschaft, die nationale Befreiungsbewegung PKK in einem Mammutschauprozeß über den 129a als "Terroristen" zu kriminalisieren, ist gescheitert.
Als "Beweis" für die mittlerweile völlig unverfroren vom Bundesminister des Innern in seiner Verbotsverfügung gegen 35 kurdische Organisationen und der von der Bundesanwaltschaft im Einklang mit dem türkischen Regime betriebene Abstemplung der gesamten PKK als "terroristisch" kann das Urteil gerade nicht dienen.
Und auch im Sinne einer Ausweitung der Rechtsprechung zur terroristischen Vereinigung auf Auslands- und Massenorganisationen ist die Bundesanwaltschaft nicht sehr viel weiter gekommen, auch wenn die jetzt vom 5. Strafsenat des OLG Düsseldorf kreierte Konstruktion einer zeitlich begrenzten kleinen "terroristischen Vereinigung" innerhalb der PKK in der BRD in ihrem rechtspolitischen Folgen schlimm genug ist."

Überblick über die laufenden Verfahren

Auf der Grundlage eines ähnlichen Konstrukts hatte die BAW (Bundesanwaltschaft) schon 1993 mit der Einleitung weiterer oder neuer Ermittlungsverfahren begonnen, die seit März 1994 zu den ersten Verhaftungen angeblicher "Terroristen" geführt haben. Der Reigen der öffentlichen Hauptverhandlung vor den Staatschutzsenaten begann in Frankfurt:

Zu den Anklagekonstrukten


Die Anklagekonstrukte ähneln dem des Düsseldorfer Verfahrens. Die angebliche Europaführung von PKK/ERNK bis hinunter zu sogenannten Gebietsverantwortlichen bilde seit 1993 die "terroristische Vereinigung", die zwei Ziele habe: Anschläge auf türkische Einrichtungen und Bestrafungsaktionen gegen Parteifeinde der BRD. Hierzu Zitate aus der Presseerklärung der Verteidigung zu Beginn des Verfahrens vor dem OLG Hamburg:
"Den beiden angeklagten Frauen wird vorgeworfen, als Rädelsführerin bzw. als Mitglied einer innerhalb der 'Europäischen Frontzentrale (türkisch: Avrupa Cephe Merkezi - ACM') bestehenden Vereinigung, eine 'aktionistische Aktivitäten' Mordversuche in Bremen und Hamburg sowie eine Bedrohung in Bremen veranlaßt und zu verantworten zu haben. Die Taten hätten sich gegen Personen gerichtet, die sich von der PKK abgewandt hätten und dienten der Disziplinierung von PKK-Anhängern. Die angeklagten Frauen seien Regions- bzw. Gebietsverantwortliche der ACM bzw. eines 'Funktionärskörpers der PKK'. Dem Mitangeklagten Sait B. wird Tatbeteiligung in Bremen und Unterstützung der erwähnten 'Funktionärskörper' angelastet. Die inhaftierten KurdInnen bestreiten die Vorwürfe; auch die BAW behauptet nicht, die unmittelbaren Täter der Mordversuche zu kennen. Die 98-seitige Anklageschrift erfüllt noch nicht einmal die dürftigen Anforderungen der Rechtsprechung zum Beleg der Voraussetzungen des umstrittenen 129a StGB.
Die bundesdeutsche Strafjustiz sieht formal bislang nicht die Partei PKK als 'terroristische Vereinigung' gem. 129a StGB an, sondern versucht, Funktionärseliten zu definieren und zu bestrafen ..."
In dem Hamburger Strafverfahren sieht die Verteidigung eine dünne Beweislage für die Behauptungen der BAW; vieles stützt sich auf Angaben von Kronzeugen, deren Glaubwürdigkeit zweifelhaft ist. Tatwaffe eines Mordversuches soll ein Gummihammer (!) sein.
Die Anklageschrift ist konturenlos: so ist die angebliche "terroristische Vereinigung" innerhalb der PKK, der die Angeklagten angehört haben sollen, überhaupt nicht konkret benannt (wohl, weil es sie nicht gibt). Der Generalbundesanwalt hat dies in einer Stellungnahme gegenüber dem OLG vom 22.2.1996 teilweise eingeräumt und erklärt, dann müsse eben in der Hauptverhandlung eine "ausreichend scharfe Bestimmung und Abgrenzung von Personen, Zusammenschluß, Struktur, Organisation und Art der Willensbildung" erfolgen. Dies ist das Eingeständnis, daß die Anklage die angebliche "terroristische Vereinigung" innerhalb der PKK selbst nicht belegen kann. Das Vorgehen der BAW ist juristisch obskur.

Wichtigstes Beweismittel: Kronzeugen

Wie schon im Düsseldorfer PKK-Prozeß ist auch in den neuen 129a-Verfahren das wichtigste Beweismittel der sogenannte Kronzeuge. Hierzu ein kurzer Rückblick:
Maßgeblich auf Initiative des Generalbundesanwalts wurde die schon in den siebziger Jahren massiv geforderte und im ersten Anlauf 1989 noch parlamentarisch gescheiterte "Kronzeugenregelung" in 129a-Verfahren mit dem Artikel-Gesetz ("Vermummungsverbot" usw.) inzwischen durchgebracht und ist seit Juni 1989 in Kraft. Diese Regelung, die nur bis 1992 gelten sollte,wird erstmals in der Geschichte der BRD von einem kurdischen Kronzeugen, Ali C., in Anspruch genommen. Der Sachbearbeiter der BAW hatte diesem Kronzeugen im September 1989 persönlich zugesichert, er werde sich in dem Berliner Verfahren für eine erhebliche Strafmilderung einsetzen, vorausgesetzt, daß dieser "auch in der Hauptverhandlung vor dem OLG Düsseldorf durch seine Zeugenaussagen an der Aufklärung der von ihm bereits genannten Straftaten mitwirke", denn erst seine Aussagen (im Jahr nach Erhebung der Anklage!) hätten die Anklage "rundgemacht", die sich vorher lediglich auf eine mutige "Indizenkette" (taz vom 9.3.1990) gestützt hätte - ausgerechnet dieser Zeuge hatte in Schweden 1988 vergeblich versucht, die PKK-Spur im Palme-Mord-Verfahren durch neue "Beweise" wieder aufzuwärmen; nach seinem Scheitern in Schweden - begleitet vom Rücktritt der auf ihn setzenden Justizministerin - wurde er Anfang 1988 auf Anforderung der BAW in die BRD ausgeliefert, wo ihm offenbar "mutige" Bundesanwälte eine glänzende Karriere bereitet haben.
Ohne die Aussage dieses Kronzeugen wäre eine Verurteilung im Düsseldorfer PKK-Verfahren ebenso wenig möglich gewesen, wie in einer Reihe von anderen damaligen Verfahren. Trotz erheblicher Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben und Glaubwürdigkeit des Kronzeugen - der Angeklagte und die Verteidigung hatte ihm als dubiosen, gekauften und manipulierten Zeugen und mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes bezeichnet und zurückgewiesen - haben Bundesanwaltschaft und Gericht sich im wesentlichen Punkten auf ihn gestützt. Inzwischen hört man, daß die BAW nach neuen Erkenntnissen mit diesem Kronzeugen nicht sehr glücklich sein sollen.
Trotzdem stützt sich die BAW auch in den neuen Verfahren im wesentlichen auf weitere Kronzeugen, die allerdings nicht aus der angeblichen Führungsebene stammen, so daß sie auch nicht über die Kenntnisse und den erforderlichen Einblick verfügen.
Zu einer endgültigen Einschätzung dieses neuen Kronzeugen aus Verteidigersicht ist es zu früh, auffällig ist jedoch u.a. :Er stellte sich der Polizei kurz vor Ablauf seines Aufenthaltes in der BRD und erhielt, nachdem er monatelang beim Bundeskriminalamt Aussagen gemacht hatte, plötzlich überraschender Weise Asyl: Der Zeugenschutzbeamte des BKA hatte sich an die Asyl- und Ausländerbeh"rden gewandt, die BAW dem Verwaltungsgericht geschrieben, daß er "als Kronzeuge auftreten soll" - ohne Durchführung einer gerichtlichen Verhandlung wurde er im Februar 1995 vom Bundesamt anerkannt.

Der Fall des kurdischen Exilpolitikers Kani Yilmaz

Kein Fall verdeutlicht die aktuellen politischen Zusammenhänge der Kriminalisierung des kurdischen Freiheitskampfes in Westeuropa unter dem Vorwand der "Terrorismus-Bekämpfung" besser als das Verfahren gegen den früheren Europasprecher der ERNK, Kani Yilmaz. Er hatte auf der ersten internationalen Konferenz zu Nord-West-Kurdistan/Türkei 1994 in Brüssel teilgenommen und dort eine Rede in Namen der Europa-Vertretung der ERNK gehalten, die in der Verlesung einer Erklärung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan gipfelte. Darin bot dieser einen biliteraren Waffenstillstand unter internationaler Aufsicht an mit der Verpflichtung, "alle Resultionen der Konferenz, die auf eine Lösung des Konflikts abzielen, anzuerkennen".
Ein halbes Jahr nach dieser wichtigen Konferenz, die weite Beachtung fand, wurde Kani Yilmaz vor dem U-Bahn-Ausgang "Westminster" auf den Weg ins britische Parlament verhaftet, wo er mit den Vorsitzenden des Menschenrechtsausschuß Lord Avebury, dem Labour-Abgeordneten J.A. Walker und anderen Abgeordneten des Ober- und Unterhauses zu politischen Gesprächen verabredet war. Seitdem sitzt er in London unter Isolationsbedingungen in Auslieferungshaft auf Antrag der Bundesregierung (auch auf der Grundlage eines Haftbefehls des GBA), die ihn als "Europas Top-Terroristen" vor dem Staatsschutzsenat eines OLG anklagen will.
So schwer die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Kani Yilmaz sind (ihm droht eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Rädelsführerschaft in der angeblichen "terroristischen Vereinigung" sowie besonders schwerer Brandstiftung und der angeblichen Mittäterschaft bei mehr als 150 Brandanschlägen), so gering sind die Beweise: seine Verantwortlichkeit für die (Brand-) Anschläge, Besetzungen von türkischen Einrichtungen in Deutschland, die Kurden angelasten werden, wird ebenso wie die Rädelsführerschaft einzig und allein aus seiner Stellung als Europa-Repräsentant der ERNK abgeleitet. Und so entpuppt sich dieses Konstrukt ganz deutlich als ein Angriff auf den legitimen Kampf für das Selbstbestimmungsrecht des Volkes Kurdistans gegen den drohenden Völkermord des türkischen Militärregimes mit den Mitteln des Straf- und Auslieferungsrechts und hierbei vor allem des berüchtigten 129a StGB. Gerade deshalb muß ein solches Anklagekonstrukt ernst genommen werden, hat es doch in dem eingangs erwähnten Düsseldorfer PKK-Verfahren, einem politischen Mammutschauprozeß, zu sechs Jahren Untersuchungshaft geführt!
Das Auslieferungsverfahren, geht jetzt in die 3. Runde: Das Berufungsgericht hat zwar die Berufung gegen den Beschluß zurückgewiesen, mit dem die Auslieferung für zulässig erklärt wurde. Dies jedoch mit einer Begründung, die die Beschwerde zur höchsten Instanz des Gerichts, das beim "House of Lords" angesiedelt ist, eröffnet. Dieses wird sich frühestens im Oktober mit den Argumenten seiner Londoner Rechtsanwälte und der Verteidigung im Ermittlungsverfahren befassen müssen. Danach ist die Auslieferung unzulässig, weil es sich bei den meinem Mandanten vorgeworfenen Straftaten in Wahrheit um politische Delikte handelt, eine politische Auseinandersetzung zwischen der PKK/ERNK und der Bundesregierung stattfindet, und dem Mandanten aus politischen Gründen eine Schlechterbehandlung in der Bundesrepublik droht.
Dieses Verfahren vor dem "House of Lords" wird nicht nur in der britischen Öffentlichkeit interessiert verfolgt werden, sondern erstmals die Möglichkeit eröffnen, das dunkle Kapitel der Verfolgung kurdischer Exilpolitiker mit den Mitteln des berüchtigten 129a StGB unter dem Vorwand der "Terroristen-Verfolgung" im Einklang mit den türkischen Sicherheitsbehörden vor dieser "ehrwürdigen" obersten Instanz des britischen Parlaments aufzudecken.

Aktuelle Perspektiven

Vor dem Hintergrund der stürmischen Ereignisse in Kurdistan - kriegerische Auseinandersetzungen in Südkurdistan mit offener Einmischung nicht nur Saddam Husseins, sondern auch der türkischen Militärregierung, die in Südkurdistan/Irak eine "tote Zone" einrichten will, neuen ökonomischen und Militärbündnissen usw. - scheinen sich die Zeiten aber auch bei uns zu ändern: Erinnern wir uns, vor einem halben Jahr hätte ein "Friedensfestival Kurdistan" mit 100.000 Kurdinnen und Kurden weder in Köln noch sonstwo in Deutschland stattfinden können. Die Pogromhetze gegen Kurdinnen und Kurden im Zusammenhang mit den sogenannten "Kurden-Krawallen" und dem Dortmunder Demonstrationsverbot, die geheimdienstliche Desinformationskampagne mit der Behauptung eines angeblichen Schießbefehls der PKK-Führung auf deutsche Polizisten, ja von Mordanschlägen auf den Bundeskanzler und den Außenminister hatte ihren Höhepunkt erreicht. Inzwischen hat sich die Situation geändert: Nicht nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Türkei zum ersten Mal wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden verurteilt, das Europaparlament hat die Türkei erneut verurteilt und finanzielle Konsequenzen beschlossen - nein, auch in Deutschland sind Anzeichen dafür vorhanden, daß die Linie der Vernunft, der "Deeskalation" sich durchsetzen könnte. Demonstrationen werden nicht mehr generell verboten, Sympathiekundgebungen für die PKK rigoros unterbunden, sondern: Das Bundesinnenministerium, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst haben die Devise ausgegeben, man müsse die PKK-Führung unter Abdullah Öcalan als "gemäßigten Führer" - wer hätte das nach mehr als 10 Jahren Hetze gegen den "schlimmsten Terroristen und Diktator" für möglich gehalten?! - stärken, vorbereitete Vereinsverbote werden nicht durchgesetzt, es finden wieder Gespräche mit Kurden statt.
Noch ist unklar, wie weit das geht und was dahintersteckt. Klar ist aber auf jeden Fall: Diese positiven Schritte sind auch das Ergebnis einer klugen und verantwortungsbewußten Politik der PKK-Führung. Sie hat eindeutig erklärt, in Deutschland keinen Krieg führen zu wollen, ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, Kurden von spontanen Anschlägen u.a. gewaltsamen Aktionen abzuhalten, sondern zu versuchen, Deutschland in den Friedensprozeß in eine politische Lösung mit einzubinden. Vor allem aber ist es den Innenministern und der politischen Justiz trotz der flächendeckenden Kriminalisierung der Kurden unter dem Vorwand der "Terrorismusbekämpfung" nicht gelungen, den Einfluß der PKK/ERNK bei uns zu brechen. Im Gegenteil: Nach Angaben der Dienste soll ihr Einfluß sich erheblich ausgeweitet haben, wofür ja auch die Teilnahme an diesem Festival sprechen könnte.
Wenn wir also das PKK-Verbot wegen seiner politischen und historischen Dimension mit dem KPD-Verbot der fünfziger Jahre verglichen haben, so müssen wir feststellen: Im Gegensatz zur Kommunistenverfolgung der fünfziger und sechziger Jahre, die zu einem fast völligen Verschwinden ihres Einflusses geführt hat, hat die bisherige "konsequente Durchsetzung des PKK-Verbots" ihr Ziel offenbar nicht erreicht! Genauso wie es dem türkischen Militärregime nicht gelungen ist, die Bewegung für nationale und soziale Befreiung unter Führung der PKK in Kurdistan zu zerschlagen.
Zum Schluß noch einmal ein Zitat des Anklagevertreters aus dem Düsseldorfer Prozeß, Bundesanwalt G. Völz, aus einem Referat auf einer Tagung mit dem bezeichnenden Titel "Eine neue Dimension der strafrechtlichen Terrorismus-Bekämpfung am Beispiel der ... PKK" aus dem Jahre 1990, das verdeutlicht, wie widersprüchlich die Politische Justiz gerade auf dem Feld der "Terrorismus"-Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung agiert. Unter dem Stichwort "Alternativen und Schlußbetrachtungen" wird ausgeführt:
"Nun hört man immer wieder die Frage, warum führt die BAW einen solchen Mammutprozeß, der nicht nur unbekannte Gefahren in sich birgt, sondern auch Unsummen kostet. Wäre es - ... nicht besser, mehrere kleine Verfahren durchzuführen? Dazu ist folgendes zu sagen: der Tatbestand des 129a StGB kann allen Angeklagten gegenüber nur einheitlich festgestellt werden. Der Nachweis der Verantwortlichkeit einer Organisation, für der einzelne Täter handelt, ist das entscheidende an dem Verfahren überhaupt. So können nicht drei Prozesse vor einem oder mehreren Gerichten zur gleichen Zeit geführt werden. ... Dem Recht muß also in der Bundesrepublik ohne Rücksicht auf Kosten und Gefahren genüge getan werden. Dabei wissen wir alle, daß das Strafrecht ultima ratio ist. Es verhindert keine Straftaten von Fanatikern und bringt die Täter selten zur besseren Einsicht. Was im konkreten Fall den Straftäter zum friedlichen Bürger machen könnte, wäre eine politische Lösung, die dem kurdischen Volk die staatliche und kulturelle Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sicherte. Denn das, was in der Türkei mit den Kurden geschieht, läßt sich nach heutigem Verständnis von Selbstbestimmungsrecht der Völker mit den Grundsätzen der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündeten allgemeinen Erklärung der Menschenrechte schwerlich in Einklang bringen."
(Diesen goldenen Worten ist entgegen zu halten, was die Verteidigung seinerzeit anläßlich des Urteils formulierte: "Urteilsbegründung und Berichterstattung erweckten den Eindruck, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, daß die deutsche Justiz mit der Verfolgung eines Organisationsdelikts sich in interne Vorgänge einer legitimen nationalen Befreiungsbewegung gegen Kolonialismus, kolonialistische und rassistische Unterdrückung einmischt, und aus ihrer Führungsstruktur eine angebliche "terroristische Organisation" konstruiert, statt sich auf die Verfolgung von Tötungen im Rahmen eines Schwurgerichtsprozesses unter rechtsstaatlichen Verfahrensbedingungen zu beschränken." (Presseerklärung der Verteidigung vom 11.3.1994)
So bleibt also Forderung für die alten und neuen 129a-Vefahren aktueller den je:

Beendigung der flächendeckenden Kriminalisierung der Kurdinnen unter dem Vorwand der "Terrorismusbekämpfung"!
Einstellung der Verfahren nach dem berüchtigten 129a StGB!
Freiheit für Kani Yilmaz und die anderen politischen kurdischen Gefangenen!

V.i.S.d.P.: R. Lötzer -- Der Kurdistan-Rundbrief erscheint 14-täglich im GNN-Verlag, Dieffen- bachstr. 33, D-10967 Berlin, Tel.: 030-69401039, Fax: 030-69401041