Zum Stand im radikal- Verfahren und der Situation der Gefangenen

Am 13.12.95 sitzen Andreas, Ralf, Werner und Rainer, die 4 Gefangenen im radikal-verfahren, seit genau einem halben Jahr in Untersuchungshaft.

In der Regel darf eine Untersuchungshaft die Dauer von 6 Monaten nicht überschreiten.

Wenn Beschuldigte in Haft genommen wurden, sind die ermittelnden Behörden angehalten, die Ermittlungen und deren Auswertung möglichst schnell abzuschließen, um auf eine "zügige" Anklageerhebung und den Prozeßbeginn hinzuwirken. Die U-Haft kann aber auch weit über 6 Monate hinaus aufrechterhalten werden, für eine Verlängerung müssen besondere Begründungen geliefert und geprüft werden.

Über die "Verhältnismäßigkeit" der Haft entscheidet dann der 3. Strafsenat des BGH. Zu diesem Halbjahrestermin findet keine mündliche Haftprüfung statt, sondern die AnwältInnen werden ab Mitte Dezember die Anträge auf Haftverschonung einreichen, der BGH kann sich dann bis Mitte Januar Zeit lassen, um darüber zu entscheiden.

Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, daß weder BAW noch BGH eine besondere Eile an den Tag legen, wenn es um Anträge oder Beschwerden der Beschuldigten und ihrer AnwältInnen geht, im Gegenteil, Entscheidungen werden unserer Meinung nach bewußt verschleppt, um die Arbeit der Verteidigung zu erschweren, die Haft der vier weiter zu erschweren/ aufrechtzuerhalten.

Nur ein Beispiel dafür ist die Haftbeschwerde zweier AnwältInnen von Ende Juli, die auf die fehlende Akteneinsicht fußte. Fast drei Monate hüllte sich Karlsruhe in Schweigen, bevor Ermittlungsrichter Beyer sie ablehnte, indem er quasi die Argumentation der BAW fast wörtlich übernahm.

Die Herausgabe des 800-seitigen Abhörprotokolls aus der Eifel vom Oktober 93 ist als Reaktion auf diese Haftbeschwerde zu werten, eine weitere Akteneinsicht hat es bis jetzt nicht gegeben.

Zur Erinnerung: Nach Aussagen der BAW hat im Oktober 93 in einem Haus in der Eifel ein Treffen der angeblichen Radikal-Redaktion stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war das Haus in Baar Wanderath bereits seit Monaten von vorne bis hinten verwanzt. Diese Abhörmaßnahme war im Juni 1993 vom Amtsgericht Mayen genehmigt worden, aufgrund des Verdachts, daß sich in dem Haus "Mitglieder der RAF und/oder andere Personen aus dem linksterroristischen Umfeld" träfen. Das Treffen der angeblichen Radikal RedakteurInnen wird von der BAW als "Zufallsfund" bezeichnet.

Die Abhöraktion zog sich vom 4.Juni 1993 bis zum Januar 1994 hin, zunächst legitimiert durch das rheinland-pfälzische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz. Der Bundesgerichtshof erklärte in einem Beschluß, nach vorläufiger Prüfung sei es im gegenwärtigen Verfahrensstadium zuzulassen, daß die nachrichtendienstlich erlangten Informationen, die bislang nur "präventiv" einen unmittelbaren "Gefahrenabwehr" dienen sollten, auch "repressiv" bei der Strafverfolgung verwendet werden dürften. (siehe ´radikale Zeiten´ Nr. 0 - Seite 15)

Sowohl die Weitergabe der Daten als auch ihre strafprozeßuale Verwertung sind juristisch mehr als zweifelhaft, zumal es der BGH nicht mal mehr für nötig befindet, dieses Vorgehen auf seine "Rechtmäßigkeit" hin zu überprüfen, Entscheidend ist seiner Ansicht nach die "Wirksamkeit" im Zusammenhang mit den von der BAW entworfenen Konstrukten.

Eine große Brisanz hat dieses Vorgehen auch auf politischer Ebene: Seit Monaten wird um den "großen Lauschangriff" im großen politischen Rahmen gestritten und gerungen und währenddessen wird bereits "hintenrum" versucht, ihn als legitimes Mittel durchzusetzen.

Diesem illegalen Lauschangriff muß deshalb sowohl auf juristischer als auch auf politischer Ebene entgegengetreten werden. Wir wollen in der nächsten Ausgabe der "radikale Zeiten" diese Thema genauer aufgreifen und beleuchten.

In der letzten Ausgabe haben wir von der Haftprüfung von Andreas berichtet.

Seitdem haben bei zwei weiteren Gefangenen Haftprüfungen stattgefunden, am 16.10. bei Rainer in Bielefeld und am 13.11. bei Werner in Berlin.

Die Argumentation in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Haft hat sich nicht wesentlich verändert, nachwievor bestehe Fluchtgefahr und weiterhin auch noch Verdunklungsgefahr, zumindest nach Aussagen von Staatsanwalt Hoffmann, der erneut ein schwaches Bild abgegeben haben muß. Diesmal hat er sogar ein bißchen Schelte vom Bundes-Beyer bekommen, der offensichtlich, je näher der 6-Monats-Termin rückt, angesicht der dünnen Akten- und Beweislage, die bisher von der BAW präsentiert wurde, zumindest etwas in Legitimationsnöte gerät.

Hoffmann führte Schwierigkeiten bei der Auswertung von am 13.6. beschlagnahmten Materialien an, insbesondere kämpfen seine Combo und inzwischen verschiedenste LKAs mit einigen verschlüsselten Disketten.

Veränderungen gibt es allerdings bei den Haftbedingungen der vier, die zumindest eine teilweise "Entschärfung" bedeuten.

Seit Mitte November ist es den Gefangenen erlaubt am Gemeinschaftssport mit anderen Untersuchungsgefangenen teilzunehmen. Inwieweit das bisher schon umgesetzt wurde ist uns zur Zeit nicht bekannt.

Außerdem wurden vereinzelt Besuchsverbote aufgehoben.

Seit dem 16.11. gibt es einen BGH-Beschluß, daß alle Besuche ab sofort ohne Trennscheibe stattfinden werden.

Allerdings bleiben die Besuche weiterhin überwacht durch das LKA und begrenzt auf alle 2 Wochen.

Nichts verändert hat sich in Bezug auf die Postkontrolle durch den BGH, weiterhin wird massiv zensiert und angehalten.Gerade die politische Diskussion und Information soll verhindert werden.

Allgemeine Infos

Am 13.6.95 kam es auf Anordnung der Bundesanwaltschaft (BAW) bundesweit zu über 50 Durchsuchungen von Privatwohnungen, Arbeitsplätzen und Arbeitsräumen verschiedener linker Einzelpersonen, Gruppen und Projekten.

Begründet wurde diese Aktion mit Vorwürfen auf Grund von Ermittlungsverfahren gemäß §§ 129, 129a, auf Mitgliedschaft oder Unterstützung von AIZ, K.O.M.M.I.T.E.E, RAF und radikal. Vier Männer wurden im Zuge der Durchsuchungen inhaftiert und sitzen seitdem in U-Haft. Ihnen wird eine Beteiligung an der seit Jahren verdeckt hergestellten Zeitschrift radikal vorgeworfen.

Im Zuge der Ermittlungen wurde ein Mann aus Bremen für fünf Monate in Beugehaft genommen, weil er sich geweigert hat, Zeugenaussagen zu machen. Außerdem sind eine Frau und sechs Männer untergetaucht, um sich drohender Haft zu entziehen.

Die Männer, die während der Durchsuchungen festgenommen wurden, sitzen am 13.12.95 bereits seit genau sechs Monaten in U-Haft.

Schreibt den Inhaftierten:

Andreas E.

Ralf M.

Werner K.

Rainer P.

Ulf B. (voraussichtliche Entlassung 4.12.95)

Post jeweils über:

Ermittlungsrichter 1 am BGH - Dr. B.

Herrenstraße 45a

76 133 Karlsruhe

(Für nähere Informationen bezüglich dem 13.6.95 verweisen wir auf die Null-Nummer der "radikale Zeiten".)