LOTTA DURA

 

Nr. 8/97

 Geschichte

Siemens Teil II
(LD 9/97)

Erklärung der Lagergemeinschaft Ravensbrück

 

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Siemens abschalten!

Dieses Jahr feiert die Siemens AG runden Geburtstag: Einer der größten multinationalen Konzerne mit Sitz in Deutschland begeht sein 150jähriges Jubiläum. Am Schnittpunkt von Ökonomie und Politik steht dieses Musterbeispiel eines militärisch-industriellen Komplexes und blickt zurück auf eine Kriminalgeschichte von Aufrüstung, Zwangsarbeit und Atomindustrie.

Während die Anti-Siemens Kampagne in Deutschland dieser Tatsache gerecht wird und an mehreren Punkten ansetzt, konzentrieren sich v.a. ökologisch motivierte Gruppen hierzulande auf die Beteiligung von Siemens am Ausbau der grenznahen Atomkraftwerke in der vormaligen Tschechoslowakei. Mit einem zweiteiligen Beitrag zur Firmengeschichte, die in Österreich vor 139 Jahren begann, wollen wir mithelfen, diese Beschränkung aufzuheben: Im ersten Teil geht es von der Gründung über die staatsmonopolistische Verschmelzung mit dem deutschen Kaiserreich zur ersten Machtentfaltung am Vorabend des Weltkrieges, von der neuerlichen Expansion in der Zwischenkriegszeit zum Bündnis mit der NSDAP und der kriegswirtschaftlichen Umorganisation im faschistischen Staat, von der - in diesem Rahmen nicht vollständig referierbaren! - Ausbeutung jüdischer und ausländischer ZwangsarbeiterInnen bis zu den neuerlichen Versuchen, die Niederlage deutscher Neuordnungspläne für Europa möglichst unbeschadet zu überstehen. Im zweiten Teil soll uns dann mehr Siemens-Österreich interessieren: dessen herausragende Rolle bei der Zerschlagung der Verstaatlichten und der erneuten Auslieferung der Elektroindustrie an das deutsche Kapital, bei der Rekolonialisierung Osteuropas und der Reformulierung faschistischer Konzeptionen in der hauseigenen Siemens-Stiftung (München).

EIN DEUTSCHER KONZERN I

"Brecht was nicht biegen will - denn ohne festes Kommando geht es nunmal nicht in einem so großen und komplizierten Geschäft wie dem unsrigen." (Werner von Siemens an seine Söhne)

Der deutsche Multi wird 1847 in Berlin als Telegraphen Bau Anstalt von Siemens und Halske gegründet. Von Anfang an orientiert sich der Konzern an den Bedürfnissen von Staat und Militär. Der Firmengründer und Erfinder Werner von Siemens personalisiert geradezu die Verschmelzung von Staat und Konzern: Der Beamte und Offizier hat einen Sitz in der preußischen Telegraphenkommission inne, seine ersten Erfindungen haben militärischen Charakter.

Schon ab 1851 expandiert Siemens nach England und Rußland, wo Aufträge zum Auf-/Ausbau des Telegraphennetzes an Land gezogen werden können. Dank der frühen Monopolstellung beim Ausbau von Infrastrukturen setzt Siemens 1854 in Petersburg achtmal soviel um wie in Berlin. In der "gehobene(n) nationale(n) Stimmung" (Bismarck-Anhänger Siemens) produziert Siemens ab 1866 v. a. zur Kriegsvorbereitung: magnetelektrische Minenzünder, automatische Schiffssteuerungen u. v. m. lassen die Konzernkassen klingeln, der deutsch-französische Krieg 1870/71 gerät so zum geschäftlichen Megaerfolg.

1870 steht das Haus Siemens an der Wiege der Deutschen Bank, die von Georg Siemens, dem Cousin des Firmengründers, mitbegründet und 30 Jahre lang angeführt wird. Über seine Verflechtung mit der Deutschen Bank kann der Konzern seine monopolistische Macht weiter ausbauen. Die Festigung der politischen Macht von preußischen Junkern, Militärs, Adel und Bourgeoisie mit der Reichsgründung von 1871 wird im Hause Siemens naturgemäß gefeiert. So schwärmt Wilhelm von Siemens, Sohn und Nachfolger des Firmengründers, über das Deutsche Kaiserreich: "Das lebensfähige Starke darf nicht geopfert werden dem Unlebensfähigen und Unnützen. (...) Die arische Kultur verdrängt die schwarze und hat sich der gelben gegenüber zur Geltung zu bringen. Germanische Entwicklung drängt die romanische zurück."

Am Vorabend des Ersten Welkrieges stellt Siemens das ökonomische Machtzentrum des Deutschen Reiches dar: der innerste Kern des militärisch-industriellen Komplexes, eng verflochten mit dem Finanzkapital. Das Wirtschaftsimperium sollte mit der 1914 versuchten ersten militärischen Ausbreitung der "arischen Kultur" über Europa zunächst zum größten Kriegsgewinnler werden: kein miltiärisches Gerät, vom Kochgeschirr bis zu den größten Bombern, das nicht aus Siemens-Werken kommt...

KRIEGSZIELE UND KONTER REVOLUTION

Unter der Führung des Finanzberaters der Reichsregierung, Karl Helfferich (Deutsche Bank), rotten sich angesichts der in Aussicht genommenen Beute Bankiers und Unternehmer (v.a. aus der Elektro- und Chemieindustrie) zusammen, um ihre Erwartungen vom Krieg zu formulieren und dem Siemens-Freund, Reichskanzler Bethmann-Hollweg offiziell zu übermitteln. Im Gegensatz zu Positionen der Schwerindustrie, die die Annexion großer Teile Europas verlangt, will mann hier die Hegemonie des deutschen Großkapitals über Europa mehr mittels ökonomischer Durchdringung als territorialer Eroberung erlangen.

Doch beim versuchten Sprung zur Weltmacht fällt mit Deutschland auch Siemens auf die Schnauze: Zahlreiche ausländische Tochterfirmen werden enteignet, was v.a. in England und der nunmehrigen Sowjetunion Millionenverluste bedeutet. Gleichzeitig muß der Konzern aufgrund der im Versailler Vertrag Deutschland auferlegten Rüstungsbeschränkungen umsatteln, bzw. diesen lukrativen Zweig ins europäische Ausland verlegen. Dem deutschen Stammhaus ist bloß die Weiterproduktion von Kriegsschiffelektronik unter alliierter Aufsicht und einem anderen Firmennamen gestattet. Unter diesen widrigen Bedingungen schließt sich Siemens mit dem ruhrindustriellen Stinnes-Konzern zusammen - ein strategisches Bündnis zweier (zunächst ein wenig angeschlagener) Riesen, das 1924 aufgelöst wird. Den raschen Wiederaufstieg nach 1919 verdankt der in einen Schwachstrom- (Siemens & Halske AG) und einen Starkstromsektor (Siemens-Schuckertwerke AG, SSW) aufgeteilte Konzern erneut der staatlichen Nachfrage: der Ausbau des Post- und Telegraphenwesens sowie des Eisenbahnnetzes beschert wieder Millionengewinne.

1919 übernimmt Carl Friedrich von Siemens, der jüngste Sohn Werners, die Firmenleitung. Als Präsident des Verwaltungsrates der Deutschen Reichsbahn sorgt er nicht nur für die vollen Auftragsbücher seines Konzerns, er geht seinen Klassenfreunden auch mit einer 10%igen Lohnkürzung unter den Eisenbahnern mit leuchtendem Beispiel voran. Überhaupt hält sich Carl Friedrich von Siemens an den großväterlichen Rat, zu brechen, "was nicht biegen will": Einerseits erkennt der Parlamentsabgeordnete der Deutsche(n) Demokratische(n) Partei (bis 1924) die Notwendigkeit eines Arrangements mit den reformistischen Gewerkschaften, andererseits organisiert und finanziert er mit Stinnes u. a. Monopolisten gleichzeitig die Konterrevolution. Als am 10. Jänner 1919 der sozialdemokratische "Bluthund" Noske den Befehl zum Angriff auf das revolutionäre Berlin gibt, lauschen die versammelten Großkapitalisten den Ausführungen Eduard Stadtlers über den "Bolschewismus als Weltgefahr". Anschließend beschließen die besorgten Herren, "patriotische" Gruppen wie das Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus (Stadtler) und das Freikorps mit einem Fonds von 500 Mio Mark zu finanzieren.

DOPPELT HÄLT BESSER

Die Behauptung, der Siemens-Konzern sei früh und geschlossen hinter der NSDAP gestanden, entspricht nicht der historischen Realität. Vielmehr entscheidet sich Carl Friedrich von Siemens und mit ihm der Großteil der Konzernspitze zunächst für eine "weiche Krisenlösung": Präsidialdiktatur per Notverordnung statt faschistischer Staat. Im Gegensatz zur defizitären Schwerindustrie, welche die Nazi-Partei von Anfang an unterstützt, stärkt die kapitalstarke und exportabhängige Elektro- und Chemieindustrie das "Brüning-Lager". Es sind nicht die weniger aggressiven, reaktionären oder imperialistischen Teile des deutschen Großkapitals, die nicht mit der Autarkiepolitik der Nazis mitwollen oder -können, sondern die ökonomisch stärkeren. Die NS-Wirtschaftspolitik, welche die Geldmenge und das Preisniveau in Deutschland anhebt, widerspricht den Interessen auch des Siemenskonzerns. Daneben sorgen die antisemitischen Maßnahmen für jene schlechte Stimmung im Ausland, die Siemens mehr und mehr vom Weltmarkt zu drängen droht. Die angekündigten und tatsächlichen Boykotte gegen Deutschland und nicht - wie in der Rechtfertigungsliteratur dauernd behauptet - grundsätzliche Ablehnung, lassen führende Vertreter des Konzerns vorsichtige Kritik an der antisemitischen Politik üben. Immerhin macht der Auslandsumsatz 1931/32 45 (Siemens & Halske) bzw. 54% (SSW) des Gesamtumsatzes aus.

Neben der interessengeleiteten Parteigängerschaft für die autoritären Kabinette Brüning/Papen/Schleicher will mann aber auch bei Siemens ganz sicher gehen und das zweite Pferd im Stall erhalten. Die Konzernspitze stößt sich zwar am "unberechenbaren"und "plebejischen" Charakter der NSDAP, erkennt aber deren Wirksamkeit bei der Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung. So gibt Carl Friedrich von Siemens 1931 vor US-amerikanischen Industriellen zu erkennen, was er und seinesgleichen an den Nazis hat: "Hitler hat seine wirklichen Anhänger zu starker Disziplin erzogen, um revolutionäre Bewegungen des Kommunismus zu verhindern." Die Spenden für die NSDAP fließen selbstredend auch aus der Siemens-Kassa, und mit Rudolf Bingel gehört ein führendes Vorstandsmitglied schon früh dem Freundeskreis Himmler an.

Auch Karl Burhenne, von 1919 bis zur Pensionierung 1951 Leiter der sozialpolitischen Abteilung, zählt zu den frühen Förderern der NSDAP. Burhennes Kontaktmann zur NSDAP ist Emil Gansser, leitender Angestellter des Siemenskonzerns. Dieser "aktivste und erfolgreichste Geldsammler im In- und Ausland für die junge und noch fast unbekannte NSDAP" (Gossweiler) nützt die weitverzweigten Auslandsbeziehungen von Siemens: Insbesondere in der Schweiz rekrutiert der umtriebige Gansser Millionenbeträge für die Faschistenpartei. Daneben arrangiert er im Frühjahr 1922 Hitlers Auftritte im Berliner "Nationalklub" vor versammelter großindustrieller und -bürgerlicher Prominenz. Burhenne selbst macht es sich schon 1922 zur Aufgabe, der NSDAP bei der Eröffnung einer Berliner Parteistelle unter die Arme zu greifen. Was die beiden Siemens-Herren in ihrem Engagement antreibt, formulierte Gansser in einem Schreiben an Burhenne: "Wie kann die Masse des deutschen Volkes von der Roten Internationale auf den Boden des deutschen Volkstums zurückgeführt werden, oder wie schaffen wir einen deutschen Willensblock?"

VERSCHMELZUNG MIT DEM NS-STAAT

Gegen Ende 1935 gibt auch Siemens alle wirtschaftlichen Bedenken auf und schwenkt zum siegreichen Faschismus. Ein zweites Mal in diesem Jahrhundert wechselt der Konzern fast vollständig auf staatlich nachgefragte Rüstungsproduktion über. Gleichzeitig kann nun der 1930 eingeschlagene Weg der Rationalisierung und Lohnkürzungen ohne drohende Gegenwehr der Arbeiter-Innenschaft radikal weitergegangen werden. Schwankte die Firmenleitung bis dahin zwischen extensiven und intensiven Krisenlösungsstrategien, so verhelfen die politischen Rahmenbedingungen ab 1933 letzteren zum Durchbruch: Die Intensivierung der Ausbeutung v.a. durch die Verlängerung des Arbeitstages bei sinkendem Reallohn sollte dann unter den Bedingungen der Zwangsarbeit weiter verschärft werden. Nun, angesichts des Mangels an FacharbeiterInnen und des steigenden Angebots an versklavter jüdischer bzw. ausländischer Hilfsarbeitskraft, wächst der Anteil der Massenfertigung beständig an. Die durch Überausbeutung bis zum Tod und durch Deportationen in die Vernichtungslager bedingte Fluktuation der Zwangsarbeit-erInnen beschleunigt die Taylorisierung der Produktionsabläufe. Diese werden in immer mehr anforderungslose Einzelschritte zerlegt, um einen raschen Austausch der ZwangsarbeiterInnen zu ermöglichen.

Die NS-Wirtschaftspolitik macht sich bald auch direkt bezahlt: 1936 kommen bereits 50% der Aufträge an die SSW von der öffentlichen Hand. Zwischen 1933 und 45 kann der Siemenskonzern seinen Umsatz mehr als verfünffachen und seine führende Stellung in der europäischen Elektrobranche weiter ausbauen. Mit der gigantischen Aufrüstung boomt der Konzern enorm: bis 1944 kann das Grundkapital aus den Gewinnen verdreifacht (Siemens &Halske) bzw. verdoppelt (SSW) werden.

Der Faschismus an der Macht und damit die Aufrüstung bringt auch in Deutschland eine noch engere Verschmelzung von Staat und Ökonomie. Hitler beruft unmittelbar nach seiner Machteinsetzung 17 führende Industrie- und Parteienvertreter in einen Generalrat der deutschen Wirtschaft, darunter Carl Friedrich von Siemens und die SSW-Aufsichtsräte Albert Vögler vom Stinnes-Konzern und Fritz Thyssen. Zur direkten Unterstützung der Partei wird die "Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft" etabliert, an die auch Siemens etliche Millionen im Jahr abführt.

Der SS-Mann Friedrich Lüschen, seit 1941 stellvertretender Vorstandsvorsitz-ender von Siemens & Halske, steigt zu einem der wichtigsten Männer im Rüstungsbereich auf: Als Leiter der Wirtschaftsgruppe Elektroindustrie wird er zunächst "Reichsleiter" der Reichsstelle für elektrotechnische Erzeugnisse, dann noch "Beauftragter für die Verlagerung der Elektroindustrie" beim Rüstungsminister Speer. Lüschen folgt 1945 seinem "Führer" in den Freitod; das macht auch der mit der Organisation von Zwangsarbeit befaßte Direktor Gustav Leifer, der für Siemens die Verhandlungen über den Einsatz von KZ-Häftlingen geführt hat. Zu den frühen "Parteigenossen" aus der Konzernspitze gehören neben Bingel u. a. der Präsident der Reichswirtschaftskammer Albert Pietzsch, der seit 1936 für die nicht minder verbrecherische Deutsche Bank im SSW-Aufsichtsrat sitzt, Carl Knott, der nach Kriegsende als Leiter des Nürnberger Werkes für die zahlreichen Übergriffe auf Zwangsarbeiter zur Rechenschaft gezogen werden wird, und ab 1938 Hans Benkert, als Direktor der SSW auch für das Siemens-KZ Berlin-Haselhorst verantwortlich. Mehr als 20 Siemens-Führungskräfte dürfen sich daneben mit dem Titel "Wehrwirtschaftsführer" schmücken.

Die US-Alliierten werden nach der Zerschlagung des Faschismus nichts zuletzt angesichts dieser engen personellen Verbindungen von Konzern, Partei und Staat zu folgender zusammenfassenden Einschätzung kommen: "The Siemens concern is certainly the most nazified and more germanistic as compared to AEG, which followed a more liberal and democratic tradition."

ZWISCHEN SKLAVENARBEIT UND VERNICHTUNG

In der faschistischen Kriegswirtschaft hebt Siemens die Zahl der ArbeiterInnen von 187000 (1938) auf 246000 (1944), wobei zivile FremdarbeiterInnen, jüdische und ausländische ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge mehr als 30% der Belegschaft ausmachen. In der Rechtfertigungsliteratur taucht immer wieder die Behauptung auf, daß mit der Dauer des Krieges dem Konzern eine steigende Anzahl von ZwangsarbeiterInnen zugewiesen worden wäre. Und um die Produktionsvorgaben erfüllen zu können, habe mann diese eben beschäftigen müssen.

Bei Siemens begann der Einsatz ausländischer ArbeiterInnen gegen Ende 1940. Zunächst werden diese v.a. auf "freiwilliger" Basis von firmeneigenen Keilern in Zusammenarbeit mit den Behörden rekrutiert. Die vorgeschriebene Abtrennung der ausländischen von den deutschen ArbeiterInnen und die Unterbringung ersterer in eigenen Lagern (allein in Berlin sind im Oktober 1943 11500 Menschen in Siemens-Lagern zusammengepfercht) führt zunächst zur von der Konzernleitung dauernd beklagten Verteuerung der Arbeit.

Auch die zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnisse und die dadurch bedingten Entgänge durch ständige Anlernphasen fördern bei Siemens den Wunsch nach vollständig entrechteten und zwangsverpflichteten ArbeiterInnen. Oberingenieur Borchardt bringt dies auf den Punkt, wenn er 1942 von der "ungeheure(n) Zusatzbelastung des dauernden Anlernens der Ersatzkräfte" spricht und deswegen eine verstärkte "Abkehrbekämpf-ung" verlangt. Abschließend hofft er, "daß die neueren Maßnahmen der Arbeitseinsatzverwaltung (generelles Abkehrverbot ohne Zustimmung des AA (Arbeitsamt), Dienstverpflichtung verschiedener Ausländergruppen, Bestrafung und Rückführung der Vertragsbrüchigen) einer Entwicklung Einhalt gebietet, die den Betrieben auf Dauer wirlich kaum mehr zugemutet werden kann." Diese dann zwangsverpflichteten Arbeitskräfte findet mann ab dem Frühjahr 1942 v.a. im besetzten Osteuropa, im Geschäftsjahr 1942/43 sind bei Siemens & Halske 11743, bei den SSW 16454 ZwangsarbeiterInnen eingesetzt.

Der Berliner Personaldirektor Dietrich von Witzleben, der schon 1938 in einem Schreiben an den Berliner Polizeipräsidenten betonte, daß sich das Haus Siemens seit jeher durch seine antijüdische Haltung ausgezeichnet habe, ordnet 1943 per Rundschreiben einen aus überzeugten Nazis zusammengesetzten "Hilfs-Werksschutz" an. Dieser hat laut Witzleben "für ordnungsmäßiges Verhalten der ausländischen Arbeitsräfte zu sorgen und Ausschreitungen jeder Art zu verhindern oder zumindest sofort im Keime zu ersticken." Das terroristische Regiment aus Denunziation, Überwachung und abgestufter Bestrafung wurde mit Kriegsverlauf immer weiter verschärft. Allein 1941 werden fast 400 (v.a. Zwangs-)ArbeiterInnen an die Gestapo ausgeliefert.

Bereits Anfang 1940 werden v.a. in Berlin auch deutsche Juden und Jüdinnen ausgebeutet. Im Oktober 1940 müssen bereits 2200 jüdische ZwangsarbeiterInnen für Siemens schuften - eine Zahl die im Herbst 1941 auf 3535 ansteigt. Die ständig angedrohte Entlassung und somit die Deportation und Ermordung vor Augen, produzieren die streng von den arischen Gefolgschaftsmitgliedern separierten Juden und Jüdinnen um ihr Leben. In der Sprache der Ausbeuter liest sich das dann so: "Die jüdischen Arbeiter und Arbeiterinnen gaben sich im Allgemeinen große Mühe, zufriedenstellende Leistungen zu erzielen. Auch Kräfte, die bisher keine Handarbeit geleistet hatten, bewährten sich bei Maschinen- oder Handarbeit recht gut. (... ) Es sprach dabei natürlich auch mit, daß die Juden großes Interesse daran hatten, ihre Eignung und Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, um von den Werken nicht als ungeeignet abgewiesen zu werden, da sie offenbar den Einsatz in unseren Betrieben als beste Gewähr für ihren Verbleib in Berlin ansahen."

Anfang 1943 werden die jüdischen Siemens-SklavInnen in die Vernichtungslager deportiert. Siemens wird nach 1945 versuchen, sich quasi als ein zweiter "Schindler" darzustellen: Mann habe nichts unversucht gelassen, um die Deportation der Juden und Jüdinnen zu verhindern. Dieser Behauptung stehen die spätestens 1942 einsetzenden Vorbereitungen der Siemens-Manager entgegen, eine Störung der Produktion durch die Verschleppung jüdischer ZwangsarbeiterInnen zu vermeiden. Im Falle dieser "aus staatspolitischen Gründen notwendigen Entfernung der betreffenden Nation" (Oberingenieur Mohr) wollte mann eben gewappnet sein: So müssen viele Juden ab Winter 1942 neue, v.a. polnische Zwangsarbeiter anlernen.

AUSBEUTUNG VON KZ-HäFTLINGEN

Siemens liefert und baut nicht nur die elektrischen Installationen in den KZ und Vernichtungslagern, sondern beutet ab 1942 auch die Arbeitskraft von KZ-Häftlingen aus. Schon 1938 nahm der Siemens-Vorständler Bingel an einer Besichtigung des KZ Dachau teil, bei der bereits besprochen wurde, Häftlinge in der Kriegsgüterproduktion einzusetzen.

Zum einen werden KZ-Kommandos in Siemens-Standorten eingerichtet: 1200 Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen arbeiten 1943 in Berlin, ein Jahr später sind es bereits 3200. Sie sind im berüchtigten Firmen-KZ Haselhorst untergebracht, das von Siemens 1943 errichtet wurde. Die Aufsicht über die Häftlinge obliegt SS-Wachmannschaften, die sich zum Großteil aus ehemaligen Siemens-Arbeitern zusammensetzen. Jeden Monat verhungern hier weit über 100 Häftlinge oder werden zurück nach Sachsenhausen - also in den sicheren Tod - deportiert. 1944 werden 550 ungarische Jüdinnen aus Auschwitz bei den Nürnberger SSW ausgebeutet, 500 Häftlinge bei den SSW in Neustadt-Coburg. Die von Karl Heinz Roth für die Wiener Siemenswerke angeführte Zahl von 400 Häftlingen (1944) aus dem KZ-Mauthausen kann hingegen hier nicht verifiziert werden. Bei jenem von Roth angeführten jüdischen Zwangsarbeiterlager in "Niederdonau" handelt es sich um das im Juni 1944 errichtete Lager in Pischelsdorf bei Zwentendorf. Hier müssen ungarische Juden und Jüdinnen für die SSW Schaltanlagen produzieren.

Daneben verlegt Siemens Produktionsstätten in die Nähe von KZ, bis 1945 entstehen 34 derartige Außenkommandos: 1943 müssen 1200 Frauen aus Auschwitz im acht Kilometer entfernten Bobrek für die SSW arbeiten, 1944 folgen nochmals 1500. Der Auschwitz-Kommandant Höß sagt 1947 aus, daß jeden Monat rund ein Fünftel der Häftlinge, welche für die zahlreichen Industriebetriebe in/beim Lager arbeiten mußten, starb oder "wegen Arbeitsunfähigkeit zur Vernichtung von den Betrieben an die Lager zurückgeschickt" wurde. Bei den KZ Buchenwald, Flossenbürg und Groß-Rosen werden von Siemens insgesamt 2150 Häftlinge ausgebeutet.

Schließlich nimmt Siemens die Fertigung direkt in den Lagern auf: In Buchenwald und Groß-Rosen produzieren 1944 700 Häftlinge für den Konzern. Im Frauenlager Ravensbrück läßt Siemens bereits ab 1942 Güter herstellen. Seit 1944 werden dort auch rund 100 Häftlinge aus dem nahegelegenen "Jugendschutzlager" Uckermark eingesetzt. Die durchschnittlich 2000 bis 2300 von Siemens-Managern ausgewählten Häftlinge müssen in 20 eigens errichteten Baracken unter der arbeitsteiligen Aufsicht von firmeneigenen AntreiberInnen und SS-Personal elektronische Kleingeräte herstellten. Bei gerade noch zum Überleben ausreichender Verpflegung müssen die Frauen durchschnittlich mehr als 62 Stunden in der Woche arbeiten. Mit der permanenten Morddrohung werden die Häftlinge zu Höchstleistungen angetrieben. In den "Monatsberichten der Fertigungsstelle Ravensbrück" wird im trockenen Technokratendeutsch monatlich penibelst Bilanz gezogen und angeführt, wie viele Häftlinge durch Tod "abgeschaltet" wurden.

Während Siemens nach 1945 sich stets bemühen wird, die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen als nicht erwünscht darzustellen und in ihrer ökonomischen Bedeutung für den Konzern herunterzuspielen, stellt Direktor Mühlbauer noch am 9. Jänner 1945 fest, "daß der Häftlingseinsatz in der Fertigung (...) sehr befriedigend läuft." Und von wegen "Zuweisungen": "Die benötigten Frauen", so Mühlbauer weiter, "können, wenn Unterbringung sichergestellt und Einsatz ohne zusätzliche Wachmannschaften möglich ist, jederzeit in Ravensbrück über Sachsenhausen angefordert und an Ort und Stelle ausgesucht werden."

Einer "Vernichtung durch Arbeit" kommen insbesondere die Bedingungen bei den Untertageverlagerungen und Bunkerwerken nahe. An der Produktion von Lenkwaffen, die 1943 in Stollen nahe Nordhausen verlegt wird, ist Siemens ebenfalls beteiligt. Insgesamt fast 15000 Häftlinge des KZ Dora Mittelbau werden v.a. im Berg bei der Produktion von V1 und V2-Raketen ausgebeutet. Die genaue Anzahl der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, die für die Siemens-Bauunion (SBU) schuften mußten, ist nicht bekannt. Zwischen April 1942 und dem Frühjahr 1943 werden insgesamt an die 3000 Männer aus dem Getto Plaszow bei Krakau im Eisenbahn- und Brückenbau ausgebeutet. Ab 1942 müssen über 1000 Männer aus mindestens 13 verschiedenen Lagern für die SBU im jugoslawischen Bor Stollen in den Berg jagen.

Im Herbst 1943 wird ein Nebenlager des KZ Mauthausen in Ebensee eröffnet: Bis zur Befreiung am 6. Mai 1945 sterben hier 8745 Menschen, zusätzlich werden kranke bzw. arbeitsunfähige Häftlinge bis Ende 1944 nach Mauthausen rücküberstellt und dort ermordet. Die Häftlinge des KZ Ebensee, wo im April 1945 18509 Menschen gefangen sind, müssen v.a. Stollen für die beabsichtigte Rüstungsproduktion graben - diese mörderischen Arbeiten dauern bis zum 4. Mai an. Unter den Baufirmen, die in Ebensee Sklavenarbeit verrichten lassen, finden wir ebenfalls die SBU: Die Siemens-Tochter (ver)nutzt hier die Arbeitskraft von fast 500 männlichen Häftlingen.

Ab 1944 wird in Mühldorf am Inn das Projekt "Weingut I" forciert: Zwangsarbeiter und mehr als 4500 Häftlinge bauen hier einen riesigen Bunker, der zahlreichen deutschen Industriebetrieben - darunter natürlich wieder Siemens - Schutz vor alliierten Bombenangriffen bieten soll. Für die Produktion von kriegswichtigen Gütern unter Tag waren 30000 Häftlinge vorgesehen. Am 7. Dezember 1944 treffen sich die führenden Köpfe der zur "Kriegsbetreibergemeinschaft" zusammengeschlossenen Firmen, darunter für Siemens der bereits erwähnte Friedrich Lüschen. Über dieses Treffen schreibt Rainer Fröbe: "Wohl nur noch in Auschwitz sind Spitzen der deutschen Industrie so direkt mit dem Massensterben konfrontiert worden wie bei jenem beispielslosen Ortstermin in Mühldorf". Beim Projekt "Weingut I" ging es den beteiligten Firmen aber weniger um sichere Rüstungsproduktionsstätten als um unterirdische Lagerhallen für Maschinen, die vor der näherrückenden Roten Armee in Sicherheit gebracht werden sollen.

Angesichts der drohenden Einnahme durch die sowjetische Armee zieht mann es bei Siemens vor, die Komandoebene von Berlin nach München zu verlegen, Ende 1944 zieht der Sohn von Carl Friedrich von Siemens, Ernst von Siemens, samt Stab dorthin. Dieser übernahm (inoffiziell) rechtzeitig die Geschäfte, sodaß die kurzfristige Internierung von dessen Bruder Hermann, der aufgrund seiner führenden Funktion in der Deutschen Bank von den USA auf die Kriegsverbrecherliste gesetzt wird, nicht weiter schmerzt. Schon 1951/52 war der (fast) von jeder Schuld freigesprochene Siemenskonzern wieder mit 11,7 Mrd. DM zu 22,3% am BRD-Gesamtindustrieumsatz beteiligt.

Zu Beginn der 60er Jahre gelingt es der Jewish Claims Conference, gegenüber Siemens eine einmalige Entschädingungzahlung von etwas mehr als sieben Millionen DM durchzusetzten. Insgesamt 2203 Überlebende erhalten jeweils höchstens 3300 DM, wobei sich die Konzernleitung beeilt, mitzuteilen, daß dies nicht einer Anerkennung "rechtlicher oder moralischer Verpflichtungen" gleichkomme. Daß diese lächerlichen "Entschädigungen" kein Schuldein-geständnis von Siemens bedeuten und daß kein Rechtsanspruch der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen besteht, wird 1989 erneut deutlich: Die ehemalige Zwangsarbeiterin Waltraud Blaas verliert einen Musterprozeß um finanzielle Abgeltung ihrer Arbeit und eine Entschädigungszahlung gegen das neuerlich zum Weltkonzern aufgestiegene Haus Siemens.

Literatur:

Delius, F. C.: Unsere Siemens-Welt. Eine Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Hauses. Berlin 1972

Feldenkirchen, Wilfried: Siemens 1918-1945. München 1995

Ferencz, Benjamin B.: Lohn des Grauens. Die Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter - Ein offenes Kapitel deutscher Nachskriegsgeschichte. Frankfurt/M. 1981

Fröbe, Rainer: Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen und die Perspekktive der Industrie, 1943-1945. In: Herbert, Ulrich (Hg.): Europa und der "Reichseinsatz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945. Essen 1991

Gossweiler, Kurt: Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924. Köln 1982

Roth, Karl Heinz: Zwangsarbeit im Siemens-Konzern (198-1945). Fakten - Kontroversen - Probleme. In: Kaienburg, Hermann (Hg.): Konzentrationslager und deutsche Wirtschaft 1939-1945. Opladen 1996

Sachse, Carola: Zwangsarbeit jüdischer und nichtjüdischer Frauen und Männer bei der Firma Siemens 1940 bis 1945. In: IWK 1/91

Siegel, Tilla: Die doppelte Rationalisierung des "Ausländereinsatzes" bei Siemens. In: ebd.

Sohn-Rethel, Alfred: Industrie und Nationalsozialismus. Aufzeichnungen aus dem "Mitteleuropäischen Wirtschaftstag". Mit einer Einleitung von Carl Freytag. Berlin 1992

 

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