LOTTA DURA

 

Nr. 11/97

 Geschichte

 

 

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1815-1848-1933

"Deutsche" Revolutionen

 

Während uns in der LOTTA 10/97 der demagogische Rückgriff der Burschenschafter auf das angebliche Bündnis zwischen ArbeiterInnen und Studenten interessierte, wollen wir hier einen weiteren Aspekt der rechtsextremen Rezeption von 1848 beleuchten: die Selbstdarstellung der national-freiheitlichen Schmissgermanomanen als Erben der Vorkämpfer für die politische Emanzipation der Juden. Damit will ein ganzes Milieu von seinem herausragenden Beitrag an der gesellschaftlichen und politisch-institutionellen Durchsetzung des modernen Antisemitismus ablenken und das "Makel" Auschwitz abstreifen.

 

Der völkische Nationalismus

Wenn Burschenschafter sich heute in die Tradition der bürgerlichen Revolutionäre stellen, welche die politischen Rechte der Männer nicht mehr an die Konfession banden, beziehen sie sich auf jene liberale, bürgerlich-demokratische Position, gegen die gerade die "Urburschenschaft" gegründet wurde. Angesichts derartig dreister Kontinuitätsbezüge wirkt die fundamentalistische Offenheit der "Aula" geradezu erfrischend. Im Zentralorgan der Szene wird die militante Frontstellung der Burschenschaften zum "jakobinisch-freimaurerischen Gedankengut der französischen Revolution" (Aula 1/98) hervorgehoben. Der "Olympe" Thomas Wagner machte 1989 in der Festschrift zum 130jährigen Jubiläum seiner Korporation aus deren antiaufklärerischer und -liberaler Tradition ebenfalls kein Hehl: "Dieser Glaube an die besondere Bestimmung und Bedeutung des Volkstums richtete sich gegen die übersteigerten individualistischen und weltbürgerlichen Tendenzen der Aufklärung. (...) Der westliche Liberalismus (...), dessen Ideal die bloße individuelle Freiheit ist und der daher das menschliche Handeln auf die materielle Daseinsvorsorge beschränken will, zerstört die Gemeinschaft, indem er sie systematisch um ihre Tiefen-Dimension bringt."

Tatsächlich ist die maßgeblich auf Friedrich Ludwig Jahn ("Haß alles Fremden ist des Deutschen Pflicht") zurückgehende Gründung der Burschenschaft 1815 als Reaktion auf den drohenden revolutionären Sturm zu begreifen. Die politische Moderne geriet Jahn zur "Leichenbühne des neuen volkstumslosen, jüdelnden und junkernden Weltbürgertums." Gegen das bürgerliche Konstrukt der "Nation", welche sich als Zusammenschluß der "Gleichen" gegen die adelige und klerikale Obrigkeit erhebt und als Staat konstituiert, setzten Jahn und seine Jünger das "Volk" als geistig-kulturelle, bald auch "rassische" Einheit. Das völkische Verständnis von "Demokratie" ist noch eingeschränkter als das bürgerliche: Neben den Frauen sind hier auch Juden ausgeschlossen. Wer eine Verbindung mit "Fremdvölkischen" (Jüdinnen, Ausländerinnen) eingeht, soll laut Jahn ebenfalls alle politischen Rechte verlieren. "Gleichheit" meint hier Identität der "Artverwandten". Der von seinen Apologeten dauernd behauptete "demokratische" Gehalt in Jahns Schriften ist vielmehr ein volksgemeinschaftlicher Affekt gegen den frankophilen Adel. Herbert Marcuse wies in seiner Kritik an der völkischen Mehrheit in der "Urburschenschaft" darauf hin, daß "in diesen 'demokratischen' Schlagworten die Ideologie der faschistischen Volksgemeinschaft" bereits deutlich durchschimmere.

Noch Jahn verband seine Rede vom "reinen Urvolk" der "Deutschen" mit einer Auffassung von Geschichte als sozialdarwinistischen Kampf zwischen den "Völkern": "Mangvölker" wie die Franzosen "müssen vernichten oder vernichtet werden." Daneben machte er den Frieden für die Gefährdung der inneren Einheit verantwortlich. 1847 schrieb der militante Antirevolutionär, "daß im langen Frieden von außen innerliche Streitigkeiten, Hader und Zwietracht zum Zeitvertreib ausgebrütet werden, um die Staatskraft zu vergiften. Uns fehlt des Krieges Eisenband und der Waffen Stahlkur." Die integrierende und disziplinierende Kraft des (nationalen Befreiungs-) Krieges sollte im Burschenschafter- und Turnerunwesen konserviert werden. Der Apostel der männlichen Körperlichkeit rief jene Formationen ins Leben, die in vielem die Stoßtrupps des Faschismus vorwegnahmen. Von daher entbehrt die Bezeichnung von Jahn als "erster SA-Mann" nicht jeder Grundlage.

"Befreiungskriege"

An der Wiege des deutschen Nationalismus standen die Heere Napoleons. Diese zertrümmerten zu Beginn der 19. Jahrhunderts das mittelalterliche Deutsche Reich und damit die Ordnung, welche die Juden und Jüdinnen hinter Ghettomauern zwang.[1] In den antinapoleonischen "Befreiungskriegen" (1813/14) verteidigten die Untertanen die alte Ordnung gegen die französische "Fremdherrschaft". Neben dem Christen- und Gottkaisertum stellte die völkische Ideologie jenen Kitt dar, der das antizivilisatorische Bündnis aus Eliten und (bäuerlichen) Massen zusammenhielt. Die gerade aus dem Ghetto befreiten Juden und Jüdinnen wurden als fünfte Kolonne Frankreichs identifiziert. Ernst Moritz Arndt, ein weiterer Chefideologe des völkischen Nationalismus, attestierte bereits 1814 den Juden und Jüdinnen, welche bei ihm als "durchaus fremdes", "entartetes und verdorbenes Volk" erscheinen und bereits mit "Ungeziefer" verglichen werden: Wer sich wie sie "mit Frankreich verbündet und Frankreich um Hilfe anschreit, der meint Tückisches und Verräterisches gegen Deutschland, der ist wie das Schaf, das dem Wolf die Hürde öffnet".

Die weitgehende Rücknahme der jüdischen Emanzipation nach erfolgreicher Restauration der alten Verhältnisse zeigt, daß die "Befreiung" von den Heeren Napoleons für Juden und Jüdinnen keine war. Die nun aufkommende deutsche Idee vom Einheitsstaat, der nicht als Nation politisch hergestellt, sondern einer natürlichen Wesenheit "Volk" erwachse, war also von Anfang an verbunden mit der Abgrenzung von Feinden: im inneren die Juden und Jüdinnen, im äußeren Frankreich, wobei die Grenzen verschwammen.

Gleichzeitig erwuchs insbesondere unter der akademischen Jugend aus der enttäuschten Hoffnung auf staatliche Einigung des "deutschen Volkes" jenes rebellische Ressentiment gegen die adelige Obrigkeit, daß bis heute mit revolutionärem Freiheitsdrang verwechselt wird. Diese kollektive Enttäuschung der Studenten, die in "Freikorps" gegen die französischen Truppen gezogen waren und sich danach in Burschenschaften organisierten, verschaffte sich 1817 am Wartburgfest erstmals Luft. Das Treffen im Andenken an die Schlacht bei Leipzig und die Lutherische Reformation wurde von Jahn initiiert und gipfelte nicht umsonst in der ersten deutschen Bücherverbrennung. Dabei kommt die spezifische Verbindung von romantischem Freiheitsdrang, nationalem Einigungswunsch und völkischem Reinheitswahn zum Ausdruck. Denn verbrannt wurden nicht nur Symbole und Schriften der verhaßten Diktatur, sondern auch das kodifizierte bürgerliche Recht, der Code-Napoleon, und Saul Aschers "Germanomanie". Geradezu mit prophetischem Weitblick warnte Heinrich Heine angesichts dieser symbolischen Ermordung eines jüdischen Autors: "Dies war ein Vorspiel nur; dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen."

Die völkische Traditionslinie, in welcher die Burschenschafter bis heute stehen, führt nicht in die bürgerliche, sondern in die antisemitische "Revolution": "Die Kombination von antifranzösisch und antisemitisch, antirevolutionär und antitraditionell in der deutschtümelnden Ideologie ist der Nukleus der späteren nationalsozialistischen Exzesse." (Detlev Claussen)

Die Endecker des "Volkes"

Als der Begründer des deutschen Nationalismus gilt Johann Gottlieb Fichte. Er gehörte 1811 neben Heinrich von Kleist, Clemens Brentano, Achim von Arnim und anderen zu den Mitgliedern der CHRISTLICH-DEUTSCHEN TISCHGESELLSCHAFT. Diese enthielt in ihren Statuten bereits einen "Arierparagraphen", der nicht nur bekennende Juden ausschloß, sondern auch zum Christentum Konvertierte. Neben diesen Satzungen wiesen auch die Texte der romantischen Schwärmer in den NS-Antisemitismus. So sprach von Arnim vor der versammelten Gelehrten- und Dichterschaft "Über die Kennzeichen des Judentums" und ließ dabei kein Stereotyp aus: Körperliche Stigmatisierung und Behauptung spezifischer Neigungen - etwa zur "Spekulation" und "Verschlagenheit" - von Juden und Jüdinnen paarte sich mit paranoiden Vorstellungen. So mahnte er die Mitglieder der "Tischgesellschaft" darauf zu achten, daß sich "keine heimlichen Juden einschleichen". Ganz dem wissenschaftlichen Geist seiner Zeit verpflichtet, schlug von Arnim zum Zwecke der Abwehr von Infiltration vor, "die chemischen Kennzeichen (der Juden und Jüdinnen, Anm.) in ein zuverlässiges System zu bringen". Dazu sollten diese in ihre "Bestandteile" aufgelöst werden, damit eine jüdische Besonderheit in den kleinsten Teilchen erkannt werden könne. Als zukunftsträchtig sollte sich der reaktionäre Antikapitalismus erweisen, welcher in den antisemitischen Ausfällen mitschwang. So behauptete von Arnim, daß "beinahe das gesamte Vermögen der Nationen wieder in der Juden Hände gekommen" sei, daß sich deren "reiche(s) Geschlecht (...) beinahe allen Staatslasten" entziehe und vom Elend der Völker profitiere, weil es "an kein Vaterland gebunden jedes Landes Vorteile abschöpft".

Der Kant-Schüler Fichte war zunächst Anhänger der französischen Revolution. Während der napoleonischen Expansion rückte er jedoch von deren Idealen ab. Nun gerieten die "Deutschen" zum "Volk" gegen "Franzosen" und "Juden", welches als einziges das Reich der Freiheit zu begründen vermöge. Fichte verband die romantische Idealisierung der gerade absterbenden agrarisch-ständischen Ordnung mit der Ablehnung der neuen Formation, des Konkurrenz-Kapitalismus, als "undeutsch". Gleiches galt für die entsprechende Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft: Bereits 1793 sprach Fichte, dieser "Eisenmenger[2] der Zweite" (Saul Ascher), vom "dummen Geschwätz" über die allgemeinen Menschenrechte. Deren universelle Geltung sei abzulehnen, denn gerade das "deutsche Volk" unterscheide sich durch seine "mystische Seelenerfahrung" von den übrigen Nationen. Bevor die eigentlich individuellen Menschenrechte für ein ganzes "Volk" abgelehnt werden, muß an deren Prämissen herumgefeilt werden. So deutelt Fichte den Rousseau'schen individuellen Naturrechtsbegriff völkisch um. Ein "Allgemeinwille" stellt sich nun nicht mehr gesellschaftlich her, sondern ist durch Tradition und Überlieferung bereits vorgegeben. Die Verbindung Staat-Gesellschaft ist hier keine politische, sondern eine natürliche. Die "Deutschen" sind allein aufgrund ihrer Kollektivseele mit dem Staat verbunden, die Juden und Jüdinnen hingegegen "ein mächtiger, feindelig gesinnter Staat" im Staate. Von daher können diesen nicht die gleichen Rechte zukommen. Im Falle der politischen Emanzipation würden die neuen Staatsbürger die "übrigen Bürger völlig unter die Füße treten". Neben der Vertreibung schlug Fichte als Lösung vor, den Juden und Jüdinnen die "Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei." In seinen berühmten "Reden an die deutsche Nation " (1806-08) radikalisierte Fichte diese Gedanken weiter. Die "Deutschen" als "reines" und "christliches Volk" könnten kein anderes in ihrer Mitte dulden. Schon gar nicht das jüdische, welches hier bereits als "Gegen-Volk" konstruiert wird.

Der deutschen Variante der Aufklärung verpflichtet, argumentierte Fichte säkularisiert: Sein "Judentum" erschien nicht mehr als gottesmörderisch, sondern als Träger aller negativen Eigenschaften, die den "Deutschen" so fremd seien. Eine "Minderwertigkeit" der Juden und Jüdinnen wird hier bereits als anthropologische Konstante behauptet. Auch mit seinen Phantasmaorgien von der "jüdischen Weltverschwörung" weist sich der Philosoph als Ahnherr des modernen Antisemitismus aus.

Kampf gegen die Emanzipation

Der Berliner Geschichtsprofessor Friedrich Rühs setzte in seinem Pamphlet "Über die Ansprüche der Juden auf das deutsche Bürgerecht" (1815) Fichtes Gedankengang im Rückfall hinter die Aufklärung fort: "Ein fremdes Volk kann nicht Rechte erlangen, welche die Deutschen zum Teil nur durch das Christentum genießen." Der zukünftige deutsche Staat wurde wieder zum "christlich-germanischen" erklärt. Daneben verlangte Rühs die Wiedereinführung der mittelalterlichen Kennzeichnung von Juden und Jüdinnen, "damit ein Deutscher, selbst sei er durch Aussehen, Verhalten und Sprache irregeführt, seinen hebräischen Feind erkenne."

Der Vernichtungswunsch richtete sich in akademischen Kreisen zunächst noch gegen das "Judentum" als "Volk" und Denkform. Den milden Charakter des Christentums hervorhebend, verlangt Rühs von den Juden und Jüdinnen, sich die "deutschen Volkseigentümlichkeiten" anzueignen, "um auf diese Arte den Untergang des jüdischen Volks mit der Zeit zu bewirken."

Am Wartburgfest wurde unter anderem eine Schrift von Jacob Friedrich Fries verlesen. Der Heidelberger Professor forderte 1816 in seiner Hetzschrift "Über die Gefährdung des Wohlstandes und des Charakters der Deutschen durch die Juden", daß diese "Kaste mit Stumpf und Stiel ausgerottet" werde. Die Rede von der Ausrottung der Juden und Jüdinnen hat nicht länger metaphorischen Charakter, der Vernichtungswunsch bezieht sich nicht mehr nur auf deren "Volkstum", das durch die Taufe überwunden werden könne. Insbesondere im vulgären Antisemitismus wurden zunehmend offene Mord- und Vertreibungsgelüste gegenüber den einzelnen Juden und Jüdinnen laut. Der Mob verband die gelehrige Rede vom "Untergang des Judentums" mit seinen disparaten Stimmungen angesichts der restaurativen Diktatur und der Krisenerfahrung - er schritt zur antisemitischen Tat. In den maßgeblich von studentischen Einpeitschern und christlichen Kaufleuten organisierten und als "Hep-Hep-Krawalle" in die Geschichte eingegangenen Pogromen von 1819 verband sich der Kampf gegen die fürstliche Willkür mit völkischem Ressentiment: "Wer damals Metternich haßte, haßte auch die Rothschilds." (Wanda Kampmann) Auch während der Aufstände von 1848 kam es vielerorts zu antisemitischen Ausschreitungen, so z.B. im März und April in Preßburg, wo deutschsprachige Händler und Handwerker gegen Juden und Jüdinnen wüteten.

Daß sich der Haß auf die Obrigkeit an den Juden und Jüdinnen austobt, weist auf die religiösen Wurzeln des Antisemitismus[3]: Seit jenen Tagen als die junge ChristInnengemeinde für die Ermordung ihres "Erlösers" nicht die römische Herrschaft, sondern eine "jüdische Verschwörung" verantwortlich machte, werden Juden und Jüdinnen auch als Ersatzobjekte verfolgt und ermordet. Von daher läßt sich die doppelt mörderische Dynamik erfassen, wie sie aus der Verbindung von "Christentum" und "Deutschtum" erwuchs.

Die in der burschenschaftlichen Literatur dauernd als Reaktion auf die Ermordung Kotzebues und den Freiheitsdrang der Studenten dargestellten "Karlsbader Beschlüsse" vom Herbst 1819 waren auch eine Reaktion auf die tagelangen Ausschreitungen gegen Juden und Jüdinnen. Mit dem Verbot des Korporationsunwesens und der Verfolgung der deuschtümelnden Demagogen konnte dem pogromistischen Mob zumindest die Führung genommen werden.

Heine, der zunächst an die Vereinbarkeit von Deutschnationalismus und Demokratie glaubte, gehörte zu den wenigen, welche die deutsche Fusion von nationaler Revolution und antisemitischem Pogrom früh erkannten. Schon 1823 schrieb er an seinen Schwager, daß er überall ein Revolutionär wäre, nur nicht in Deutschland, wo bei deren Sieg "einige tausend jüdische Hälse" abgeschnitten werden würden.

Antisemitische Wegbereiter

Entgegen aller korporierten Legenden war der Antisemitismus von Anfang an fixer Bestandteil burschenschaftlichen Lebens. Bereits die "Urburschenschaft" bestimmte, daß "nur ein Deutscher und Christ" Mitglied werden dürfe. Die Heidelberger TEUTONEN verbanden die antisemitische mit der antifranzösischen Haltung und verweigerten auch all denjenigen Zutritt, die "dem Fremden freiwillig und freudig angehangen" und "französische Grundsätze geübt, nach ihnen gehandelt" haben.

Bei der Vereinigung der bereits bestehenden Burschenschaften zur ALLGEMEINEN DEUTSCHEN BURSCHENSCHAFT (1818) stritt mann um den "Arierparagraphen". Dieser fand 1820 am geheimen Burschentag in Dresden eine Mehrheit, wobei sich zunächst nicht alle Burschenschaften an diesen Beschluß hielten. Daß er 1831 wieder zurückgenommen wurde[4], ist Ausdruck einer Kräfteverschiebung.

Denn neben der völkischen Gruppe existierten tatsächlich demokratisch-jakobinische Strömungen. Diese erhielten unter dem Eindruck der Pariser Julirevolution von 1830 Aufwind. Jahn und seine Germanomanen sahen darin zurecht ein Abrücken von den Idealen der "Urburschenschaft". Sie wetterten gegen die "Verjudung" und "Verwälschung" der Bewegung, die am Vorabend der 48er Revolution tief gespalten war.

Nach dem Scheitern der Revolution, das gleichbedeutend ist mit der endgültigen Niederlage demokratischer Positionen innerhalb der Burschenschaften, gewann die völkische Richtung, die 1848 im Abseits war, wieder Oberhand. Nun stimmte mann ein in den Chor der Reaktion, welche die Revolution von Anfang an als "jüdisch" und das Werk "ausländischer Rädelsführer" denunziert hatte. Mit der Übernahme dieser Verschwörungstheorie konnten sich vormalige Revolutionäre leicht der alten Herrschaft unterwerfen.

Die 1848er Revolution, bei der die Enthauptung des Kaisers nie auf der Tagesordnung stand, war als typisch "deutsche" Revolution von Ambivalenz geprägt: Der Mythos der guten Herrschaft verband sich mit dem der Volkssouveränität. Die bürgerlichen Revolutionäre erschraken nicht nur vor der revoltierenden ArbeiterInnenschaft (vgl. LOTTA DURA 10/97), sondern auch vor ihrer eigenen Aufmümpfigkeit. Das Frankfurter Paulskirchenparlament, dem ja sogar Antirevolutionäre vom Kaliber eines Jahn angehörten, kann in seiner schrulligen Abgehobenheit und ängstlichen Unentschlossenheit als institutionalisierte Lösung dieses Ambivalenzkonfliktes angesehen werden. Die Tatsache, daß mit Erzherzog Johann ein Vertreter der alten Herrschaftsschicht von diesem Honoratiorenparlament zum "Reichsverweser" ernannt wurde, weist ebenfalls in diese Richtung.

Der jakobinische Traditionsstrang

Ganz ungehört verhallte das "Schmettern des gallischen Hahns" (Karl Marx) in den "deutschen" Ländern jedoch nicht. Insbesondere in Süddeutschland und den an Frankreich grenzenden Gebieten bildeten sich jakobinisch-demokratische Zirkel. Innerhalb der Burschenschafterbewegung scharrte sich eine Gruppe um Georg W. F. Hegel und dessen Schüler. Diese grenzten sich vehement von den Deutschdümmlern ab und sahen mit ihrem Lehrer in Napoleon einen Verkünder des Weltgeistes, des zivilisatorischen Fortschritts.

Aber auch viele Parteigänger der bürgerlichen Revolution waren nicht frei von antijüdischen Ressentiments. Ihre Haltung gegenüber dem "Judentum" war geprägt von Ablehnung angesichts eines unterstellten inhärenten Konservativismus und Traditionalismus der mosaischen Religion. Mehr noch als die Christen wurden die Juden angehalten, ihre Religion zu überwinden, um der bürgerlichen Gesellschaft beitreten zu können. Das Wohl des modernen, bürgerlichen Staates stehe im Gegensatz zur talmudisch-rabbinischen Tradition. Daß diese seit jeher vielschichtig und zudem gerade enormen Reformschüben ausgesetzt war, wurde oft übersehen. Vielmehr schien es, als ob auch die "deutschen" Aufklärer mit Eisenmenger ein "Judentum" in dessen von Antisemiten mystifizierten Gesetzen "entdecken" würden. Die historische Realität der Diaspora und der jahrhundertelangen Fluchtgeschichte wurde in die "Natur" der Juden und Jüdinnen verlegt. Ahasver, der "ewige" und "wandernde Jude", entsprang bereits im Mittelalter der antisemitischen Phantasie.

Beispielhaft für diese Position steht der Hamburger Jakobiner und Autor Heinrich C. Albrecht, der 1792 meinte: "Die Juden sind eine Nation, die kein Vaterland hat, und sich in allen den Ländern, wohin ihr reisendes Leben sie führt, mit ihrer belastendsten Bürde schleppt, die allenthalben wohin sie kommt, das schlimmste was sie hat, mitbringt, ihre eigene Verfassung; eine Verfassung, die der Kultur Trotz bietet, Veredelung ausschließt, und Knechtschaft an die Stelle der Moral und der Humanität setzt."

Ganz dem Zeitgeist verpflichtet, sah ein Großteil der Aufklärer und Demokraten in der schrittweisen Emanzipation der Juden ein Mittel, diese zu erziehen. Zunächst waren nur wenige bereit, an die politischen Rechte weder Vorbedingungen noch missionarische Hoffnungen zu knüpfen. Sie erklärten konsequent die Religion zur Privatsache und kämpften auch für die Gleichberechtigung des christlichen und mosaischen Glaubens. Diese liberal-revolutionäre Konzeption setzte sich 1848 kurzfristig durch.

Im SS13 des Verfassungsentwurfes wurde vom Paulskirchenparlament die Unabhängigkeit der staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntnis festgelegt. Der Abgeordnete Moritz Mohl brachte im August 1848 einen Zusatzantrag ein: "Die eigentümlichen Verhältnisse des israelitischen Volksstammes sind Gegenstand besonderer Gesetzgebung und können vom Reiche geordnet werden. Den israelitischen Angehörigen Deutschlands werden die aktiven und passiven Wahlrechte gewährleistet." Dieser Versuch, die Juden erneut unter ein Sonderrecht zu stellen und wieder vom Wohlwollen eines Herrschers abhängig zu machen, wurde zunächst noch abgewehrt. Der Grundrechtskatalog vom Dezember 1848 bestimmte im Artikel V: "Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt."

Die Niederschlagung der Revolution war gleichbedeutend einerseits mit der partiellen Rücknahme der Emanzipation, andererseits mit der Rückkehr zu aufgeklärt-etatistischen Konzepten. Der Staat übernahm die Aufgaben, die nach gelungener Revolution der bürgerlichen Gesellschaft hätten zukommen sollen. Nun wurden politische Rechte nicht mehr erkämpft, sondern wieder nur gewährt. Das machte sie tendenziell leichter widerrufbar. Die Tatsache, daß in Deutschland und Österreich nicht die Bourgeoise, sondern ein auf Adel, Militär und Bürokratie gestützter Staat die bürgerliche Gesellschaft verwirklichte, kennzeichnet den vielzitierten "Sonderweg" in den Faschismus.

"Linker" Antisemitismus

1848 gilt auch als Geburtsstunde der modernen ArbeiterInnenbewegung. Daß diese ebenfalls nicht frei war vom völkischen Wahn, ist nicht nur dem Einfluß deutschdümmelnder Studenten und Akademiker zuzuschreiben.[5] Der "linke" Antisemitismus entspricht einem bestimmten, frühen Bewußtseinsstand der ArbeiterInnen, insbesondere der Handwerker in zünftlerischer Produktion. Auch die Maschinenstürmer von 1848 waren nicht frei von reaktionärer und personalisierender Kapitalismuskritik, die ein Hauptmerkmal des modernen Antisemitismus darstellt. So beschloß eine Versammlung Wiener Zunfthandwerker am 27. März 1848, "daß kein Arbeiter mehr bei einem jüdischen Fabriksbesitzer in Arbeit treten dürfe; jeder dawider Handelnde wird von der Innung ausgeschlossen. Der Grund liegt darin, daß der israelitische Fabrikant soviel als möglich drückt und schlecht bezahlt."

Karl Marx selbst verfügte zum Zeitpunkt der Abfassung seiner umstrittenen Schrift "Zur Judenfrage" (1843) noch nicht über das analytische und begriffliche Rüstzeug, um den Kapitalismus vollständig zu erfassen. Er vermochte nicht "hinter den Schein der bürgerlichen Gesellschaft, der Zirkulation, zu schauen." (Claussen) So setzte er Kapitalismus mit Geldherrschaft und diese mit dem "Judentum" gleich. Der "Schacher" erscheint ihm als "der weltliche Kultus des Juden" und als "empirische(s) Wesen des Judentums", das "Geld" als dessen "weltlicher Gott". Dem "Judentum" dichtet Marx ein "antisoziales Element" an. Seine Lösung der "Judenfrage" gipfelt in der Formulierung: "Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum."

Die anti-marxistische Linke konservierte diesen frühen Bewußtseinsstand und verband ihn mit gerade aufkommenden rassistischen Konstruktionen. Pierre-Joseph Proudhon etwa schrieb: "Der Jude besitzt ein gegen die Produktion eingestelltes Temperament; er ist weder Ackerbauer noch Gewerbetreibender, nicht einmal wirklicher Kaufmann. Er ist stets betrügerischer und parasitärer Vermittler (...). Seine Politik in der Wirtschaft ist völlig negativ; er ist das böse Prinzip, nämlich Satan und Ahriman, der in der Rasse Sems Gestalt angenommen hat."

Der Antisemitismus eines Michael Bakunin weist bereits in den NS: "Nun, diese ganze jüdische Welt, die eine ausbeuterische Sekte, ein Blutegelvolk, einen einzigen fressenden Parasiten bildet, eng und intim nicht nur über Staatsgrenzen hinweg - diese jüdische Welt steht heute zum großen Teil einerseits Marx, andererseits Rothschild zur Verfügung. Ich bin sicher, daß die Rothschilds auf der einen Seite die Verdienste von Marx schätzen und daß Marx auf der anderen Seite instinktive Anziehung und großen Respekt für die Rothschilds empfindet."

Ein Beispiel dafür, wie sich der antibürgerliche Affekt und ein romantischer, personalisierender Antikapitalismus zum Antisemitismus auswachsen, lieferte 1848 der Wien-Korrespondent der "Neuen Rheinischen Zeitung", Eduard von Müller-Tellering: "Das Judentum hat sich der demokratischen Leitung bemächtigt und ist noch zehnmal niederträchtiger als das westeuropäische Bourgeoistum, weil es die Völker unter der erheuchelten, börsengestempelten Maske der Demokratie betrügt, um sie direkt in den Despotismus des Schachers zu führen. (...) Wenn wir siegen, werden wiederum nur gemeine Juden, deren feiges Spekulantentum der Demokratie im Volke alles Ansehen beraubt, den Gewinn davontragen." Müller-Tellerings damaliger Chefredakteur Karl Marx fand übrigens nichts an dessen Ausfällen, erst 1850 distanzierte er sich von seinem vormaligen Lieblingskorrespondenten.

Der marxistischen Linken in Deutschland und Österreich muß es - neben ihrer Teilnahme am antisemitischen Diskurs - zum Vorwurf gemacht werden, daß sie im Kampf gegen den Antisemitismus höchstens einen Nebenschauplatz sah. Im deutschen "Sozialdemokrat" hieß es etwa 1881, daß die SozialdemokratInnen "im Großen und Ganzen prinzipielle Gegner des ganzen Antisemitenrummels" seien, sich jedoch im Kampf gegen diesen zurückhielten: "Fortschrittler, Sezessionisten, Nationalliberale und Juden mögen mit den Antisemiten fertig werden, jeder wehre sich seiner eigenen Haut, und die Sozialdemokraten haben sich unter dem Belagerungszustand der Polizei zu erwehren."

Der Antisemitismus wurde als bürgerliche und reaktionäre Ideologie abgetan - Friedrich Engels nannte ihn "nichts anderes als eine Reaktion mittelalterlicher, untergehender Gesellschaftschichten gegen die moderne Gesellschaft". Von daher sei das Proletariat immun gegen Antisemitsmus.

Die Annahme, der Antisemitismus sei prinzipiell auf die reaktionären Kräfte und mittelalterlichen Formationen beschränkt, führte zu drastischen Fehleinschätzungen: "Der Antisemitismus, der nach seinem Wesen nur auf die niedrigsten Triebe und Instinkte einer rückständigen Gesellschaftsschicht sich stützen kann, repräsentiert die moralische Verlumpung der ihm anhängenden Schichten. Tröstlich ist, daß er in Deutschland nie Aussicht hat, irgend einen maßgebenden Einfluß auf das staatliche und soziale Leben auszuüben." (August Bebel)

Daneben zeichnete sich die sozialistische ArbeiterInnenbewegung mehrheitlich durch eine Ignoranz gegenüber den konkreten Erfahrungen und Bedürfnissen der Juden und Jüdinnen aus. Ganz in der Tradition der bürgerlichen Aufklärer erhofften und verlangten sie deren Untergehen in der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Karl Kautsky schrieb 1914: "Wir sind nicht völlig aus dem Mittelalter heraus, solange das Judentum noch unter uns existiert. Je eher es verschwindet, desto besser für die Gesellschaft und die Juden selbst." Auch Otto Bauer verlangte ausgehend von der Einschätzung, daß die Abneigung des "christlichen Arbeiters" gegenüber dem "jüdischen Arbeitskollegen (...) dem naiven Instinkt gegen die fremde Art des nichtassimilierten Juden" entspringe, das vollständige Aufgehen des jüdischen Proletariats im nationalsozialen Kollektiv.

Die Angriffe der Rechten, welche die Sozialdemokratie als "verjudet" darstellte, wehrten die besseren Antisemiten mit dem Hinweis auf die Kooperation der Christlichsozialen und Deutschnationalen mit dem "jüdischen Kapital" ab. Auch vor dem Nachweis "jüdischer Elemente" in den feindlichen Reihen schreckten sie nicht zurück. So heißt es in der sozialdemokratischen Hetzbroschüre "Der Judenschwindel" (Wien 1923): "Welcher Schwindel der Antisemitismus ist, geht vor allem daraus hervor, daß die christlichsoziale Partei selbst durchaus verjudet ist. (...) Wen stellten die Christlichsozialen als Kandidaten auf? Den Judenstämmling Dr. Kienböck."

Vor allem in Deutschland war der Antisemitismus als antiliberale Bewegung bei aller Konkurrenz gleichzeitig potentieller Bündnispartner. Ruth Fischer, Mitglied des ZK der KPD, hob die Gemeinsamkeit 1923 in einer Rede vor rechtsextremen Studenten hervor: "Das deutsche Reich, die deutsche Kulturgemeinschaft, die Einheit der Nation können nur gerettet werden, wenn Sie, meine Herren von der deutschvölkischen Seite, erkennen, daß Sie gemeinsam kämpfen müssen mit den Massen, die in der Kommunistischen Partei organisiert sind (...). Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß (...). Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner...?"

Schon 1893 schrieb Bebel in einer Partei-Resolution: "Die Sozialdemokratie bekämpft den Antisemitismus als eine gegen die natürliche Entwicklung der Gesellschaft gerichtete Bewegung, die jedoch trotz ihres reaktionären Charakters und wider ihren Willen schließlich revolutionär wirkt, weil die von dem Antisemitismus gegen die jüdischen Kapitalisten aufgehetzten kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Schichten zu der Erkenntnis kommen müssen, daß nicht bloß der jüdische Kapitalist, sondern die Kapitalistenklasse überhaupt ihr Feind ist und daß nur die Verwirklichung des Sozialismus sie aus ihrem Elende befreien kann." Auch Wilhelm Liebknecht betrachtete den Antisemitismus 1893 als Durchlauferhitzer des Sozialismus: "Ja, die Herren Antisemiten ackern und säen, und wir Sozialdemokraten werden ernten. Ihre Erfolge sind uns also keineswegs unwillkommen."

Nachdem 40 Jahre später die NSDAP die Ernte eingefahren hatte, konnten sich die deutschen SozialdemokratInnen noch immer keinen Begriff von der drohenden Katastrophe machen: Am 19. Juni 1933 versammelten sich die noch nicht verhafteten oder geflohenen Mitglieder des SPD-Parteivorstandes, um sich vor den GenossInnen im Exil zu distanzieren und "die Angriffe von Emigranten auf das neue Deutschland zurückzuweisen." Ein "judenreines" Führungsgremium wurde mit der Leitung der Partei beauftragt. Undankbare Nazis: Drei Tage später wurde die SPD verboten...

 

Literatur:

Brumlik, Micha; Kiesel, Doron; Reisch, Linda (Hg.): Der Antisemitismus und die Linke. Frankfurt/M. 1991

Claussen, Detlev: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Frankfurt/M. 1994

Elbogen, Ismar; Sterling, Eleonore: Die Geschichte der Juden in Deutschland. Frankfurt/M. 1988

Grab, Walter: Der deutsche Weg der Judenemanzipation 1789-1938. München, Zürich 1991

Häusler, Wolfgang: Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848. Wien 1979

Heither, Dietrich et al.: Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften. Frankfurt/M. 1997

Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen. Wien 1995

Kampmann, Wanda: Deutsche und Juden. Die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Frankfurt/M. 1994

Marcuse, Herbert: Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Darmstadt, Neuwied 1972

Poliakov, Léon: Geschichte der Antisemitismus. Bd. VI: Emanzipation und Rassenwahn. Worms 1987

Rürup, Reinhard: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur "Judenfrage" der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1987

Sterling, Eleonore: Er ist wie du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland (1815-1850). München 1956

Verein "Österreichisches Jüdisches Museum in Eisentadt" (Hg.): Studia Judaica Austriaca. Bd. 1. Das Judentum im Revolutionsjahr 1848. Wien 1974

 

Fußnoten:

[1]Das französische Emanzipationsmodell blieb jedoch selbst widersprüchlich. Zunächst wurde 1791 allen französischen Juden die sofortige und uneingeschränkte Gleichstellung per Gesetz garantiert. Doch wurde die liberal-revolutionäre Konzeption nicht durchgehalten: 1808 legte Napoleon per Dekret neuerlich Ausnahmebestimmungen (Handelsbeschränkungen) für die Juden der ostfranzösischen Departements fest.

[2]Der Heidelberger Theologe Johann Andreas Eisenmenger nannte in seinem 1711 veröffentlichten Machwerk "Entdecktes Judentum" die Juden und Jüdinnen ein "Teufelsvolk", das von Gott verflucht worden sei.

[3]Die Hetze von 1819 weist auch unmittelbar auf die christlichen Wurzeln des Antisemitismus. In einem Flugblatt heißt es etwa: "Brüder in Christo! Auf, auf, sammelt euch, rüstet euch mit Muth und Kraft gegen die Feinde unseres Glaubens, es ist Zeit, das Geschlecht der Christusmörder zu unterdrücken, damit sie nicht Herrscher werden über euch und unsere Nachkommen, denn stolz erhebt schon die Juden Rotte ihre Häupter und spotten unserer Ehrfurcht, daß wir unsere Knie beugen für den, den sie gewürgt, darum nieder! nieder mit ihnen, ehe sie unsere Priester kreutzigen (...). Diese Juden, die hier unter uns leben, die sich wie verzehrende Heuschrecken unter uns verbreiten, und die das ganze preußische Christenthum dem Umsturz drohen, das sind die Kinder derer, die da schrien: kreutzige, kreutzige. Nun auf zur Rache! unser Kampfgschrei sei Hepp! Hepp!! Hepp!!! Aller Juden Tod und Verderben. Ihr müßt fliehen oder sterben."

[4]In Österreich wurde der "Arierparagraph" zunächst 1878 von der Wiener B! LIBERTAS eingeführt, die übrigen Burschenschaften folgten im Laufe der nächsten Jahre. 1896 wurde der Ausschluß von Juden am "Waidhofener Verbandstag" der Burschenschaften zum Prinzip erhoben: "In vollster Würdigung der Tatsache, daß zwischen Ariern und Juden ein so tiefer moralischer und psychischer Unterschied besteht, und daß durch jüdisches Unwesen unsere Eigenart schon so viel gelitten, in Anbetracht der vielen Beweise, die auch der jüdische Student von seiner Ehrlosigkeit und Charakterlosigkeit gegeben und da er der Ehre nach unseren deutschen Begriffen völlig bar ist, faßt die heutige Versammlung deutscher wehrhafter Studentenverbindungen den Beschluß: 'Dem Juden auf keine Waffe mehr Genugtuung zu geben, da er deren unwürdig ist.'" Die Wiener B! SILESIA wies damals bereits über die Grenzen des "deutschen" Ehrbegriffs hinaus: Der Ausschluß wurde nicht nur mit der "angeborenen Feigheit der Juden" begründet, sondern auch schon mit der die "nationale Existenz und germanische Moral gefährdende(n) Rasse". Noch 1960 verteidigte die Innsbrucker B! SUEVIA stellvertretend für das korporierte "Ostmarkkartell" den "Arierparagraphen" gegenüber gemäßigteren deutschen Burschenschaften: "Wir wollen und können es von Nichtdeutschen gar nicht verlangen, daß sie sich zum Deutschtum bekennen und stehen auf dem allein burschenschaftlichen Standpunkt, daß somit auch der Jude in der Burschenschaft keinen Platz hat."

[5]Daß in Österreich mit Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer zwei Burschenschafter und (bis 1885) Kampfgefährten des völkischen Gurus Georg Ritter von Schönerer an der Wiege der Sozialdemokratie standen, prägt diese bis heute.

 

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