Auch in Deutschland muß die PKK zugelassen werden und legal arbeiten können

Anker Jorgensen, ehemaliger Ministerpräsident Dänemarks, hat hohe Funktionen innerhalb der Sozialistischen Internationalen inne. Er gilt als enger persönlicher früherer Freund Willy Brandts.
Hans Branscheidt (medico international; Appell von Hannover) sprach mit Herrn Jorgensen am 6. Juni 1998 in Dortmund am Rande der Großdemonstration ‘Für Einigkeit und Freiheit in Kurdistan’.

 Herr Jorgensen: Es ist ein heißer, schöner Sommertag, der eine friedliche Demonstration von bis zu 100000 Menschen zum Schwitzen bringt. Darf ich Sie etwas fragen? Gerade hören wir von der Bühne Forderungen nach einem Waffenstop gegenüber der Türkei und nach einem Abschiebestop für Flüchtlinge. Diese Forderungen muß man im Anbetracht der Ereignisse in Kurdistan (3000 zerstörte Dörfer) und der Abschiebepraxis einer christdemokratisch-liberalen Koalitionsregierung in der BRD stellen. Vermutlich aber müßte man dasselbe unter einer zukünftigen sozialdemokratischen Regierung in Deutschland fordern. Wie stehen Sie dazu, als ein prominenter dänischer und internationaler Sozialdemokrat?

 Ja, Sie haben meine Rede ja vorhin gelesen, die ich halten werde. Daraus entnehmen Sie auch meine Auffassungen. Ich will der deutschen Regierung nichts vorschreiben, auch nicht meinen sozialdemokratischen Freunden. Aber die bloße Tatsache, daß ich hier bin, auf dieser sehr eindeutigen und überzeugenden Demonstration, spricht für das, was ich gerne hätte: Solange die Rechtsverhältnisse in der Türkei nicht tiefgreifend geändert sind, kann ein jeder Demokrat nur dafür sein, daß Abschiebungen unterbleiben. Das ist eine Frage der Moral. Auch nur ein einziger Fall von Folterung, der möglich wäre gegenüber solchen Menschen, ein einziger – und wir wissen, es gibt Hunderte – wäre ein Argument dagegen. Daher fordern wir, auch meine nordischen Freunde, daß die Türkei uneingeschränkt die Menschenrechte garantiert, die Verfassung ändert und die Sonder – und Separatismusgesetze aufhebt.

Herr Ministerpräsident, Sie waren nicht nur dänischer Staatschef, Sie haben hohe und wichtige Funktionen innerhalb der Sozialistischen Internationale bekleidet, weshalb ich Sie als internationaler Sozialdemokrat frage, ob Sie es Ihren europäischen sozialdemokratischen Freunden empfehlen würden, positiv auf jene mutige Offerte einzugehen, die der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, mehrfach und in aller Verbindlichkeit an die türkische Regierung gerichtet hat. Eine Offerte, die letztlich innerhalb von kürzester Zeit eine dauerhafte Beendigung des schrecklichen Krieges bedeuten würde?

 In einer solchen Situation muß man auf alles hören, was von Seiten derer gesagt wird, die Kriegspartei sind. Auf wen sonst soll man hören, mit wem sonst reden? Und wenn da glaubhaft und zuverlässig vom Frieden die Rede ist, vom Gespräch und Dialog, dann kann man das schlecht für falsch und kontraproduktiv erklären. Ja, ich hatte in meiner Rede auch einen Satz gegen die Gewalt der PKK. Ich habe ihn gestrichen. Trage ich nicht vor. Obwohl ich jede Gewalt verurteile. Aber man muß der PKK und den Kurden ehrlich die Gelegenheit geben, die Waffen auch niederlegen zu können. Eine Chance. In demokratischen Verhältnissen und Umständen. Die Kurden sagen, sie wollen die Waffen niederlegen, wenn Menschenrechte und Demokratie gewährt werden. Wie soll ich als Sozialdemokrat darauf nicht positiv eingehen können? Das sage ich auch als internationaler Sozialdemokrat, das gilt auch meinen deutschen Freunden.

Herr Jorgensen, Sie werden hier in der Öffentlichkeit ihre deutschen Parteifreunde nicht belehren wollen, aber was sagen Sie ihnen denn zu Kurdistan, wenn Sie Ihre Genossinnen und Genossen auf den Sitzungen der SI oder bei internationalen Veranstaltungen treffen, im Rahmen der EU, der OSZE, des Europarats? Der denkbar nächste deutsche Justizminister heißt wahrscheinlich Otto Schily (SPD). Würden Sie ihm empfehlen, das Verbot gegen die PKK aufzuheben?

Ich fahre in wenigen Tagen in die Türkei. Ich handele also international und öffentlich. Dort werde ich mich für Leyla Zana einsetzen und für Folteropfer. Bei meinen Gesprächen mit der türkischen Regierung , der Presse und der Öffentlichkeit werde ich für die Herstellung demokratischer Rahmenbedingungen eintreten. Dazu gehören als aller oberstes immer freie Wahlen. Freie Wahlen für alle Beteiligten, für alle Parteien. Alle heißt alle. Dazu gehört auch die PKK. Diese muß, in welcher Form auch immer, zugelassen werden und legal arbeiten können. Ungehindert. Drüben, und auch in Deutschland. Anders geht es nicht.

Würden Sie das Herrn Schily auch so sagen, bei nächster günstiger Gelegenheit?

Wenn ich ihn treffe, werden wir ein Wörtchen darüber zu reden haben.

Warum ich Sie das so eindrücklich frage, das hat seinen Grund. Wir deutschen Menschenrechtsorganisationen vermissen seit langem in besonderem Maße die Abgeordneten und Vertreter gerade der hiesigen Sozialdemokratie als aktive Teilnehmer eines Friedens – und Demokratieprozesses PRO KURDISTAN. Was würden Sie Ihren deutschen Freundinnen und Freunden empfehlen? Was kann man tun, damit sich das ändert?

Ist das wirklich so? Das wußte ich nicht! Was ist der Grund? Wir haben diese Berührungsängste in den nordischen Ländern nicht. Das sind in Deutschland diese traditionellen Beziehungen zu den kemalistischen Kreisen der türkischen Sozialdemokratie, die hinderlich sind. (Lacht) Die deutschen Sozialdemokraten sollen ruhig einmal ein paar Erfahrungen mit der Türkei machen, wie wir Dänen mit unseren dänischen Abgeordneten, die sie verfolgt haben. Mut muß man schon haben, wenn man Frieden schaffen will. Vielleicht braucht man dafür heute, gerade heute, einen alten Freund von mir, Willy Brandt, der mehr Mut hätte, auf die Kurden in Deutschland offen zuzugehen und für die Kurden in der Türkei ein international gewichtiges Wort einzulegen.