Hüseyin Aykol

Kampf um Wasser

Der Mittlere Osten ist eine Region, die durch einen ernsthaften Mangel an Wasser gekennzeichnet ist. Wasser wird in zunehmenden Maße zu einem wertvollen Gut. Es ist der Besitz von Wasser, der in Zukunft von großer Bedeutung sein wird und um den zukünftige Konflikte ausgetragen werden können. Wer heute die Wasserquellen und Oberläufe der Flüsse kontrolliert - praktisch durch den Betrieb von Staudämmen -, hat politisch eine wichtige Karte in der Hand. Und dies nicht nur, weil zur Ernergieerzeugung anstelle flüssigen Brennstoffs nun Wasser tritt, sondern weil Wasser als Lebensgrundstoff im Mittleren Osten zum ersten Male diese wichtige und strategische Bedeutung besitzt.

Im Sheraton Hotel in Ankara wurden im Frühjahr 1993 Pressevertreter, deren Arbeitsschwerpunkte im Bereich der internationalen Beziehungen liegen, auf einer ungewöhnlichen Versammlung empfangen. Eingeladen hatte die CDU-nahe Konrad Adenauer Stiftung gemeinsam mit der regierungsnahen Türkischen Demokratiestiftung. Thema der Veranstaltung waren die Wasserressourcen des Mittleren Ostens. Teilgenohmmen haben neben einigen westlichen auch arabische, israelische und türkische Fachkräfte. Diese Tagung unterschied sich von den üblichen Versammlungen auf Staatsebene, die seit Jahren bezüglich der Wasserfrage zwischen der Türkei, Irak und Syrien durchgeführt wurden, durch ihre Vielschichtigkeit. So wurde die gewachsene Krisenproblematik um das Wasser der mesopotamischen Ströme Euphrat und Tigris dargestellt. Mit dem Ende des Kalten Krieges haben sich weltweit, insbesondere auch im Mittleren Osten die Gleichgewichte verändert. Kaum ein Jahr nach dieser Versammlung bestimmte die Frage der Wasserressourcen - in Form des Verkaufs von Trinkwasser aus dem südtürkischen Manavgatfluß an Israel, im Zusammenhang mit der sich entwickelnden Beziehung zwischen diesen beiden Staaten - in beiden Ländern die Tagesordnung. Allgemein wurde dies als eine Wiederaufnahme und erste praktische Umsetzung des von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Turgut Özal entwickelten "Frieden-Wasser-Projektes" angesehen.

Wasser tritt an die Stelle des Öls

Euphrat und Tigris entspringen in Nordwestkurdistan/Osttürkei und durchfließen heute Syrien und den Irak, wo sie sich in der Region von Basra vereinigen und in den Persischen Golf münden. Das Land zwischen diesen beiden Flüssen, in der Antike von den Griechen Mesopotamien genannt, war in der Geschichte Wiege vieler kulturell bedeutender Zivilisationen. Ohne das Wasser dieser Flüsse hätte beispielsweise eines der sieben Weltwunder, das der hängenden Gärten der babylonischen Königin Semiramis, nicht realisiert werden können.

Kurdistan umfaßt einen nicht geringen Teil Mesopotamiens, und die kurdische Frage überschneidet sich mit dem Wasserproblem. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, daß der türkische Professor Dogu Ergül, führendes Mitglied der 'Stiftung zur Erforschung gesellschaftlicher Probleme', außer einen Bericht zur kurdischen Frage, nun auch eine Studie über das Wasserproblem erstellt hat.

Spannungen um das Wasser des Euphrat

In der letzten Zeit gibt es Spannungen um das Wasser in erster Linie zwischen den Anrainerstaaten Syrien und der Türkei. Syrien unternimmt seit langem Bemühungen, den Euphrat unter internationalen Schutz zu stellen. Zur Zeit von Turgut Özal wurden zwei Abkommen zwischen Syrien und der Türkei unterzeichnet. Das erste Protokoll von 1987 legt fest, daß die Türkei 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Syrien hineinfließen läßt und daß Syrien als Gegenleistung von seinem Territorium aus keine Terroraktionen gegen die Türkei zuläßt.

Der irakische Staatschef Saddam Hussein hat gegenüber der Türkei, als diese das Wasser des Tigris drosselte, drohende Stellungnahmen abgegeben. Seine Äußerungen finden jedoch aufgrund der momentanen internationalen Stellung Iraks keine Beachtung. Er besitzt nicht die Kraft, dieses Problem zur Sprache zu bringen. Wenn das UN-Embargo gegen den Irak aufgehoben würde, so käme zweifelsohne dem Wasser - neben dem Öl der wichtigste Konfliktfaktor zwischen der Türkei und dem Irak - eine hohe Bedeutung zu.

Das Streben nach internationalen Sicherheiten

Der Euphrat ist mit seinen 2800 Kilometern Länge ein gewaltiger Strom. Er nimmt unter den größten Flüssen dieses Planeten den 38. Platz ein und ist der 17. größte Fluß in Asien.

Alljährlich zu Beginn des Frühjahrs ist der Wasserstand sehr hoch. Die Durchlaufmenge beträgt dann 5000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Im Monat September erreicht der Wasserspiegel seinen Niedrigststand, wobei die Durchlaufmenge pro Sekunde auf 100 Kubikmeter zurückgeht. Durchschnittlich strömen 900 Kubikmeter Wasser pro Sekunde flußabwärts. Allein auf dem Gebiet der Türkei wurden drei große Staudämme errichtet: der Keban-, der Karakaya- und der Atatürk-Staudamm.

Von türkischer Seite wird behauptet, daß 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach Syrien hineinfließen. Syrische Vertreter erklären dagegen, daß es weniger sei.

Syrien ist beunruhigt durch den Bau immer neuer Staudämme durch die Türkei, die Teil des sogenannten Südostanatolien- (GAP-)Projektes sind. Das aufgestaute Flußwasser soll für die Bewässerung der GAP-Region genutzt werden, wobei nur noch eine geringere Menge Wasser nach Syrien fließt. Wenn das GAP-Projekt beendet sein wird, werden fünfzehn Staudämme und achtzehn Wasserkraft-Stationen errichtet worden sein. Die Türkei läßt heute noch einen Teil des Wassers nach Syrien fließen. Syrien führt diesen Fakt weniger auf die Motivation der Türkei zurück, internationale Normen einzuhalten oder gegenüber dem Nachbarland eine Geste guten Willens zu vollbringen, sondern auf die noch nicht vorhandenen Möglichkeiten, das Wasser ganz zurückzuhalten. Aus diesem Grunde versucht die syrische Regierung, die Kontrolle über das Wasser unter internationale Aufsicht und Schutz zu stellen.

Unmittelbar nach der Fertigstellung des Atatürk-Staudammes wurde das Wasser vom 13. Januar bis zum 12. Februar 1990 aufgestaut. In dieser Zeit floß kein Tropfen Wasser nach Syrien. Als diese Art von Wassersperre mehrmals wiederholt wurde, geriet man in Syrien in Panik; denn der Euphrat ist nicht nur eine unverzichtbare Wasserquelle; darüber hinaus deckt Syrien einen großen Teil seines Strombedarfes durch die Wasserkraftwerke des Tebka-Staudammes.

Auch wenn die Türkei erklärt, daß sie Syrien das Wasser nicht abdrehen werde, ist sie gegen die internationale Kontrolle des Euphrat. In ihren Augen stellt das Fließen des Euphratwassers nach Syrien eine Geste dar, für die die Herrschenden in der Türkei von Syrien natürlich auch eine Gegenleistung erwarten.

Immer wenn die Wasserfrage auf der Tagesordnung steht, spricht sich die Türkei eindeutig gegen ein internationales Schutzabkommen in Bezug auf Euphrat und Tigris aus. Ganz im Gegenteil: Die Berater der türkischen Regierung erinnern diese immer wieder an diesen Trumpf.

Kann es einen Besitzanspruch über das Wasser der Flüsse geben?

Noch existiert kein internationales Abkommen bezüglich grenzüberschreitender Flüsse. Flüsse werden in den jeweiligen Länder eigentlich als allgemeines Gut betrachtet. Auch wenn in einigen Ländern kleinere Bäche als Privateigentum gelten können, so ändert dies nichts an der allgemeinen Regelung.

Wenn die Flüsse also Volkseigentum sind, so ist der Staat Entscheidungsbevollmächtigter. Die Staaten haben aber - wie bereits erwähnt - keine Abkommen bezüglich der Flüsse getroffen, wie sie für die Meere bereits existieren. Bedenkt man, daß die internationale Seerechtskonvention nun fast ein halbes Jahrhundert alt ist, ist ein ähnliches Rechtsabkommen bezüglich der Flüsse in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten.

Bis heute wurden die Probleme in Bezug auf Flüsse, die mehrere Länder durchfließen, mittels Abkommen zwischen den betreffenden Staaten geregelt. Zwischen der Türkei und Syrien gibt es ein solches Abkommen noch nicht. Syrien befürwortet auch kein Abkommen nur mit der Türkei allein, sondern fordert eine internationale Konferenz unter Beteiligung der regionalen Staaten.

Die Türkei kommt mit Israel ins Geschäft

Einerseits unternimmt die türkische Regierung in der Wasserfrage bezüglich der Besorgnis und Unsicherheit Syriens nichts, anderseits ist sie bemüht, mit Israel Beziehungen in einer entgegengesetzten Richtung zu entwickeln. Israel strebt vor allem in der Trinkwasserfrage nach Unabhängigkeit. So gibt es Einrichtungen, die Meerwasser zu Trinkwasser aufarbeiten. Diese sind in Entwicklung und Unterhalt jedoch sehr teuer. Daher gibt es Überlegungen, Wasser des türkischen Flusses Manavgat, der in der Nähe von Antalya fließt, mit Tankschiffen nach Israel zu transportieren. Dieses Projekt scheint etwas in den Hintergrund getreten zu sein angesichts der Möglichkeiten, die sich durch das GAP-Projekt auftun. Israel hat damit begonnen - wenn es schon nicht das Wasser selbst besitzt oder kontrolliert -, Nutzen aus der Mehrproduktion des Wassers, die in der GAP-Region erzeugt wird, zu ziehen. Israel ist bei der Bodenverteilung in der GAP-Region auf indirektem Wege beteiligt. Es gibt Statements, in denen davon die Rede ist, daß Israel von türkischen Monopolen Boden gekauft habe. Die Koc- und Sabanci-Gruppen, die zu den größten türkischen Monopolkapitalisten zu rechnen sind, erwerben unter der Hand zahlreiche Grundstücke, die dann durch japanische und israelische Aufkäufer internationalisiert werden.

Die Friedensverhandlungen zwischen Israel und Syrien sind schon seit geraumer Zeit ins Stocken geraten. Hauptstreitpunkt ist die Rückgabe der von Israel besetzten Golan-Höhen. Dabei spielen bei der Haltung Israels unter anderem auch die in dieser Region vorhandenen Wasserquellen eine Rolle. Wenn auch einige Experten die Meinung vertreten, es handele sich nicht um große und wichtige Quellen, so ist es doch Realität, daß von Israel seit nunmehr annähernd dreißig Jahren diese Wasserquellen genutzt werden.

Ein Friedenswasserprojekt?

In der Ära von Turgut Özal wurde eine weitere Initiative bezüglich des Verkaufs von Wasser unternommen und versucht, Wasser aus den Flüssen Seyhan und Ceyhan, noch bevor diese in den Golf von Iskenderun münden, an Staaten des Mittleren Ostens zu verkaufen und durch Pipelines dorthin zu transportieren. Zu diesem Projekt war im Herbst 1991 in Istanbul eine Konferenz geplant, zu der neben den arabischen Ländern auch Israel eingeladen werden sollte.

Neben vielen europäischen Staaten zeigten auch die USA Interesse, und seitens der arabischen Staaten gab es positive Reaktionen. Damals waren die Beziehungen der arabischen Staaten zu Israel noch nicht so "gut" wie heute und eine palästinensisch-israelische Lösung nicht in Sicht. Aufgrund der Unstimmigkeiten wurde die Konferenz später unter dem Vorwand der Wahlen in der Türkei verschoben. Schließlich geriet sie in Vergessenheit.

Wasser gegen PKK

Während die türkische Regierung in dieser Angelegenheit einen Weg der Zusammenarbeit mit Israel zu finden versucht, tritt das eigentliche Problem zwischen Syrien und der Türkei in den Vordergrund.

Es wird behauptet, daß der Hauptwiderspruch dieser beiden Staaten aus ihrer Stellung zur PKK resultiert. Die Türkei behauptet, daß Syrien die PKK protegiere. Diese Behauptung führte dazu, daß die Türkei eine Politik entwickelte, die ein türkischer Kolumnist folgendermaßen umschrieb: "Gib mir die PKK beziehungsweise Abdullah Öcalan, und du erhältst Wasser!"

Wäre das Problem wirklich so einfach gewesen, hätte man es längst gelöst. Syrien unterhält - wie fast alle arabischen Staaten - zur Türkei keine freundschaftlichen Beziehungen. Zu tief sitzen bei den arabischen Staaten noch die Erinnerungen an die Zeit der osmanischen Besetzung. Abgesehen von der Ausbeutung und Unterdrückung der arabischen Völker hat das Osmanische Reich unter anderem dazu beigetragen, daß sich in Syrien heute zunehmend die Wüste ausbreitet. Vor einigen hundert Jahren noch besaß Syrien waldreiche Regionen. Unter der Herrschaft der Osmanen wurden diese Gebiete abgeholzt und das Holz in andere Reichsteile verbracht. Die Folge ist eine weiter versteppung, und damit verbunden die gestiegene Abhängigkeit von den Wassern des Euphrat.

Doch syrisch-türkische Spannungen existieren seit Jahrzehnten auch um die Provinz Hatay, die auf der offiziellen syrischen Landkarte als ein Teil des Landes eingetragen ist. Die Syrisch-Arabische Republik sieht Hatay als eine arabische Region an, die von der Türkei in den 40er-Jahren okkupiert wurde. Als diese Landkarte vor einigen Jahren auf einer Messe in Izmir erschien, hatte dies zwischen beiden Ländern eine ernsthafte diplomatische Krise zur Folge.

Syrien und die Kurden

Warum spricht sich der syrische Staatspräsident Hafiz al-Assad, der sich, wenn auch ungewollt, gegenüber den Kurden im eigenen Land gemäßigt verhält, gegen ein unabhängiges Kurdistan in Nordirak aus? Warum befürwortet er keine Situation, die für das kurdische Volk vorteilhaft wäre? Assad fürchtet - wie auch andere Staatsmänner im Mittleren Osten -, daß die Grenzen des von ihm beherrschten Landes verändert werden könnten.

Ein Blick auf die Landkarte des Mittleren Ostens zeigt, daß es zehn arabische und einen jüdischen Staat gibt. Die arabischen Völker wurden unter diversen künstlich geschaffenen Vorwänden in unterschiedliche Länder aufgeteilt und die Grenzen dieser Staaten von den Kolonialmächten mit einem Lineal willkürlich festgelegt. Dieser künstlichen Grenzziehungen sind sich vor allem die Staatsmänner bewußt Deshalb verstetzt sie alleine die Vorstellung einer Grenzveränderung oder -verschiebung in Panik. Aus diesem Grunde ist auch Hafiz al-Assad gegen einen eigenständigen Kurdenstaat.

Ist das Wasserproblem lösbar?

Um es vornweg zu sagen: Man rechnet in absehbarer Zeit nicht mit einer Lösung des Problems. Denn es handelt sich hierbei nicht nur um die Verteilung des Wassers einiger Flüsse.

So wie ein Abkommen zwischen Israel und Syrien die wichtigste Komponente für den Frieden im Mittleren Osten und zugleich ein Prüfstein für die Lösung der Wasserfrage darstellt, so wird klar, daß die PKK nicht nur in der Öl-, sondern auch bei der Lösung der Wasserfrage eine der wichtigsten dynamischen Kräfte darstellt. Vor diesem Hintergrund ist ohne eine Lösung der kurdischen Frage im Mittleren Osten kein dauerhafter Frieden in dieser Region zu erwarten. Und ohne einen Frieden im Mittleren Osten gibt es auch keine Lösung der Wasserfrage.

Anmerkung:

Die Großstaudämme und Bewässerungsvorhaben besitzen jenseits ihrer politischen Dimension eine soziale und ökologische Seite, die in diesem Beitrag nicht thematisiert wird, auf die die Redaktion an dieser Stelle jedoch hinweisen möchte. Viele Länder, in denen Großstaudämme errichtet wurden, sind heute mit den ökologischen Folgen dieser massiven Eingriffe in den Naturhaushalt konfrontiert. So beschreibt der deutsche Wissenschaftler Dr. K. Schmidt die ökologische Situation am Keban-Stausee, dem nordöstlichsten Euphrat-Stausee, folgendermaßen: "Der stetig schwankende Wasserspiegel der Stauseen läßt außerdem kaum neue Lebenszonen entstehen, oft sind tote Wasserflächen inmitten kahler Felslandschaften das Ergebnis." (K. Schmidt, Norsuntepe, Mainz 1996, S. 2.)

Zur Vertiefung in die Problematik sei auf das von Heidi Hinz-Karadeniz und Rainer Stoodt herausgegebenen Buch: Die Wasserfalle. Vom Krieg um Öl zum Krieg um Wasser: Aufstieg und Fall eines Großprojektes in Kurdistan. Focus Verlag, Gießen 1994, verwiesen.