Die Verleihung des Friedenspreises an Yasar Kemal

Rengin Dersim

" Ein Friedenspreis wird vergeben. Wenn diese einen Schriftsteller von Rang und Namen zu recht trägt, wenn der Ort dieser Feier, die Paulskirche, nicht bloß Kulisse sein soll, wenn Literatur, wie die von mir gepriesene, noch einen Anstoß geben kann, dann sind alle hier heute versammelten Autoren, Verleger, Buchhändler, ein jeder, der sich politischer Verantwortung bewußt ist, ermahnt und aufgerufen, Yasar Kemals Appell zu folgen, ihn weiterzutragen und mit ihm dafür zu sorgen, daß in seinem Land endlich die Menschenrechte geachtet werden, keine Waffengewalt mehr wütet, sondern bis in die letzten Dörfer Frieden einkehrt." (Günter Grass)

Am 19.10.1997 wurde der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an den kurdischen Dichter Yasar Kemal verliehen. Die Feierlichkeiten fanden in der Paulskirche in Frankfurt am Main statt; jenem Ort, an dem in den Jahren 1848/49 nach der Märzrevolution, die Nationalversammlung bis zum Scheitern der Revolution tagte.

Zahlreiche Politiker der Regierung aber auch der Opposition wohnten der Feier bei.

Pünktlich um 11.00 Uhr wurden die Feierlichkeiten mit einer Rede des Vorsitzenden des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Herrn Cluse(?), eröffnet.

Dieser erklärte in seiner Rede u.a., daß Yasar Kemal diesen Preis erhalte, weil er sich mit seinen Werken als Anwalt der Menschenrechte ausgezeichnet habe. Überdies erklärte er, -sich der Absurdität seiner Aussage offensichtlich nicht bewußt-, daß sich Yasar Kemal in seinem Wirken in der verfassungstreuen Tradition des Mustafa Kemal Atatürks sehe. Herr Cluse schien offensichtlich nicht zu wissen, daß eben die Ideologie des Mustafa Kemal einen Grundpfeiler des türkischen Nationalismus, und der Unterdrückung der Kurden und anderer Minderheiten darstellte und heute noch darstellt. Weiterhin schien es ihm äußerst wichtig zu sein, die kurdische Identität des Preisträgers unter die türkische zu subsumieren, um sich schließlich und endlich für die Aufnahme der Verfolgten des Nazi-Faschismus in der Türkei zu bedanken; eine Behauptung, die angesichts der Tatsache, daß der türkische Staat mit den Deutschen zusammenarbeitete, doch sehr verwunderte.

Die Rede wurde mit Gratulationen und Dank beendet.

Als nächste sprach die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, Petra Roth, zu dem Publikum. Nach Bekundungen der Freude und der Gratulationen, ließ sich die CDU-Politikerin nicht entgehen, Herrn Kemal dafür zu loben, daß er sich für die Verständigung zwischen Türken und Kurden einsetze, und überdies auf die Unterdrückung der Kurden in der Türkei aufmerksam mache. Scheinbar hatte sie jedoch vergessen, daß die besagte Unterdrückung der kurdischen Menschen nicht nur in der Türkei von statten geht, sondern auch in diesem Land mit absoluter Genauigkeit betrieben wird, wobei ihre eigene Partei dabei mit Abschiebungen, Organisationsverboten und Repression federführend ist. Außerdem schien Frau Roth auch entfallen zu sein, daß sie persönlich die Verantwortung für die brutale Auflösung eines friedlichen Hungerstreiks von Kurden im Juli 1995 an der Hauptwache in Frankfurt trug, bei der zahlreiche Personen, darunter auch Kinder verletzt wurden. Weder ihr, noch ihren zahlreich anwesenden Parteikollegen, noch den die Kurdenpolitik der Bundesregierung unterstützenden Kräften der Opposition schien der Widerspruch der eigenen Anwesenheit auf ausgerechnet dieser Veranstaltung bewußt zu sein. Geplant war wohl in üblicher Manier ein wenig die Menschenrechtssituation in der Türkei zu beklagen, und sich selbst für die hervorragende Verteidigung der Menschenrechte auf die Schulter zu klopfen.

Diese Absicht wurde aber durch die anschließende Rede von Günter Grass, welchen sich Yasar Kemal als Laudator ausgewählt hatte, zerstört. In einer Rede, in der er sich vor allem als guter Kenner der Werke Kemals auszeichnete, verwies Günter Grass auch auf die Unterstützung des Krieges gegen die kurdische Bevölkerung seitens der Bundesregierung mittels Waffenlieferungen an die Türkei. Überdies kritisierte er die Abschiebungen von Kurden in die Türkei. Außerdem war Günter Grass der einzige, der in seiner Rede Yasar Kemal einen Kurden sein ließ. Alles in allem war diese Rede, getragen von sehr deutlichen Worten, die einzige, die die Mitverantwortung der Bundesregierung an dem Krieg in Kurdistan benannte. Entsprechend verhalten war auch der Applaus der politischen Prominenz auf seine Rede.

Die harten Reaktionen nach der Veranstaltung auf die Rede von Günter Grass, beweisen nun einmal mehr, daß es nicht gestattet ist, auf die Rolle der Bundesregierung in dem Krieg gegen die Kurden hinzuweisen. Vielmehr soll stetig das Bild aufrechterhalten werden, daß die Bundesrepublik die Verteidigerin der Menschenrechte weltweit ist und stets eine reine Weste trägt.

Zum Schluß hielt Yasar Kemal seine Dankesrede.

In ihr wies er auf die Unterdrückung der Kurden und anderer Minderheiten in der Türkei hin, und beklagte den seit 13 Jahren andauernden Krieg in Kurdistan. Immer wieder wies er darauf hin, daß er, genauso wie zahlreiche andere Intellektuelle in der Türkei, auf der Seite des Friedens stehe und hoffe, daß jeder Mensch, der seine Bücher liest, ebenfalls niemals Kriege wollen werde.

Im folgenden veröffentlichen wir auszugsmäßig die Rede von Yasar Kemal und Günter Grass vom 19.10.1997 in der Paulskirche wieder