Es handelt sich
hierbei um eine sehr gut organisierte Struktur
Fethullah Gülen und die grüne Ergenekon-Bande
Baki Gül, Journalist
und Soziologe
Der Begriff
„Ergenekon“ erfasst den Hauptansatz des türkischen Rassismus. Ergenekon
ist – wie Gladio innerhalb der NATO – die rassistische Kernorganisation
innerhalb des türkischen Staates, kurz: der tiefe Staat. Die Organisation
Ergenekon wurde nicht erst mit der Machtübernahme der Partei für Gerechtigkeit
und Fortschritt (AKP) ein Thema. Mit der AKP jedoch begann die Liquidation
des nationalistisch-kemalistischen Blocks von Ergenekon innerhalb des
Staates. Im Zuge dieser Liquidationspolitik kam es zu Spannungen und
Konflikten zwischen den herrschenden Blöcken im Staat. Es ging um die
Hegemonie über das Staatsverständnis, sodass hier ein Konflikt zwischen
der weißen Ergenekon, den nationalistisch-kemalistischen Strukturen,
und der grünen Ergenekon, den nationalistisch-islamistischen Strukturen,
entbrannte. Zur grünen Ergenekon gehören die islamistisch-nationalistische
Sekte des Predigers Fethullah Gülen und die Regierungspartei AKP von
Erdoğan.
Die weiße Ergenekon konnte die kurdische Frage militärisch und politisch
nicht lösen. Sie versuchte, durch eine Sonderpolitik ihren Einfluss
innerhalb des Militärs beizubehalten. Die türkischen Streitkräfte unterlagen
aufgrund ihrer militärischen wie auch politischen Erfolglosigkeit gegenüber
der PKK und der immer noch ungelösten kurdischen Frage einem enormen
Verschleiß. AKP und Gülen-Sekte haben dies in eine Politik umdefiniert.
Die AKP nutzte vor allem Widersprüche und Konflikte innerhalb der kemalistisch
dominierten Streitkräfte aus und verwandelte sie in eine Operation.
Unter dem Vorwand eines geplanten Putsches deckten AKP und Gülen-Sekte
geheime Verbindungen zwischen Medien, Armee und Bürokratie auf und verhafteten
hunderte Generäle, Offiziere, Bürokraten und Journalisten. Im Zuge dessen
hat sich der Konflikt um die Hegemonie im Staat zu Gunsten von Tayyip
Erdoğan, Abdullah Gül und Bülent Arinç, ehemaligen Gefolgsleuten Erbakans
und der Gülen-Sekte, verschoben. In dieser Kontroverse war vor allem
die Rolle der Polizei, der Justiz und des türkischen Geheimdienstes
MIT von Interesse. Sie hatten entweder eine AKP-nahe oder eine neutrale
Position eingenommen, da sie von der Gülen-Sekte unterwandert und somit
die kemalistisch-nationalistischen Kräfte aus ihren Strukturen verdrängt
worden waren. An die Stelle der Angehörigen der weißen Ergenekon hatte
Gülen seine Mitglieder der grünen Ergenekon gesetzt. Der Kern des sich
neu formierenden türkischen Staates orientierte sich vom kemalistischen
hin zum islamistischen Nationalismus. Die dafür geeignetste Struktur
war eben die AKP Erdoğans und die sie unterstützende Gülen-Sekte.
Gülen
bedient sich des Islams für den türkischen Nationalismus
Fethullah Gülen stammt aus Erzîrom (Erzurum) und engagierte sich in
den 1960ern im „Verein gegen den Kommunismus“. Er war die wichtigste
Figur in dieser Struktur. Seine Vergangenheit ist aufgrund seiner Beziehungen
äußerst interessant. Er wurde 1941 in Erzîrom (Erzurum) geboren und
war Mitglied der islamischen Abspaltung der Hanefi. Er behauptet zwar,
Erbe des Nurcu-Ordens zu sein und damit auch dessen Gründers, des kurdischen
Religionsführers Said-i Kürdi, bezeichnet diesen aber aufgrund seiner
türkisch-nationalistischen Gesinnung als Said Nursi, weil er sogar glaubt,
es wäre eine Erniedrigung des Türkentums, eben diesem kurdischstämmigen
Lehrer die Hand zu küssen. Es ist ein Ausdruck fehlender Achtung für
Said-i Kürdi. Gülen äußerte sich einst dazu und meinte, ein Türke, auch
wenn es dabei um den Glauben gehe, sollte niemals die Hand eines Kurden
küssen. Mehmet Kutlular, einst ein Weggefährte Gülens, u. a. Verleger
der Zeitung „Yeni Asya“, äußerte sich in einem Interview mit Ruşen Çakır
über die Beziehungen Fethullah Gülens zum tiefen Staat wie folgt: „Der
sogenannte tiefe Staat lehnt sich an Folgendes an. Im Jahre 1980 hat
sich die Politik des Staates geändert. Zuerst waren Anarchisten und
Marxisten eine Gefahr, nun aber waren es die Gläubigen. Dies bedeutete,
dass Kontakt zu religiösen Gruppen aufgebaut werden musste, um eine
Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das Ziel dabei war, diese Gruppen und
den Staat zueinanderzuführen. Daher haben die vom Staat beauftragten
Vertreter damit begonnen, den Kontakt zu den Führern dieser Glaubensgemeinschaften
herzustellen. Zur Sekte des Fethullah Gülen sind allerdings gesondert
Vertreter des Geheimdienstes (MIT) gekommen. Auch zu mir sind sie gekommen
und haben uns angeboten, im Ausland gemeinsam gegen Glaubensgemeinschaften
der ‚Milli Görüş‘ und ‚Süleymanci‘ vorzugehen. Ich habe dies jedoch
klar abgelehnt ... Der sogenannte tiefe Staat hat mit den meisten islamischen
Gruppen Vereinbarungen getroffen.“
Gülen
verteidigt Militärputsche
Fethullah Gülen ist eine der Persönlichkeiten, die besonders von den
sich ergebenden Möglichkeiten des Militärputsches vom 12. September
1980 profitieren durfte. In der Zeitschrift „Sızıntı“ erklärte er den
Putsch für notwendig. Um zu verhindern, dass sich die gesellschaftlichen
Bewegungen in der Türkei und Kurdistan jeweils zu einer marxistisch-revolutionären
und kurdischen Befreiungsbewegung entwickeln, hatte man Gülen alle Möglichkeiten
zur Gründung von Koran-Kursen, Internaten, privaten Lernanstalten und
Schulen geboten. Die Gülen-Sekte ging anschließend dazu über, eigene
Kader in die Polizeiorganisation, Gouverneurs- und Landratsämter und
Staatsanwaltschaften zu schleusen. In seinen Reden kommt stets die türkisch-nationalistische
Gesinnung zum Ausdruck. Als Sekte unterstützen sie stets die gerade
an der Macht befindliche Partei. Der Putsch vom 12. September 1980 und
die folgende liberal-nationalistische Regierungspartei ANAP von Turgut
Özal wurden offen unterstützt. Ebenso die folgenden Regierungen: 1990
die nationalistisch-konservative Regierung von Süleyman Demirel, 1993
die Kriegstreiberin Tansu Çiller, 1999 die Regierung des sozialdemokratisch-nationalistischen
Politikers Ecevit, die rassistisch-faschistoide Partei der Nationalistischen
Bewegung (MHP). Ab 2002 unterstützt die Gülen-Sekte die Regierung des
Duos Erdoğan/Gül. Deren Partei AKP versteht sich als national, islamisch,
liberal. Erkennbar kooperiert Gülen nur mit Kräften, die über die Macht
im Staat verfügen und das Türkentum vertreten. Als ihn der Einfluss
der kemalistischen Elite innerhalb des Militärs ängstigte, gab er vor,
aufgrund gesundheitlicher Probleme ins Ausland zu müssen, und ließ sich
daraufhin in den USA nieder. Er kaufte sich mit Spenden aus seinen Schulen
für den „heiligen Prediger“ für mehrere Millionen Dollar eine Ranch
in Pennsylvania. Hier gelang es ihm, die Kontakte zu den Mächtigen im
Staat noch reibungsloser aufzubauen. Denn er begann über seine Privatschulen,
mit dem Kapital der Sekte und ihrem Wählerpotential Einfluss auf die
politische Struktur des Staates zu nehmen. Dabei nutzt er seinen Einfluss
in Polizei und Geheimdienst, sodass er politische Gegner per Komplott
aus dem Weg räumen lässt. Er nutzt die von ihm kontrollierten Medien,
um sich als religiösen Gelehrten mit keinerlei Machtambitionen darzustellen.
Weder Journalist noch Schriftsteller, gründet er in seinem Namen eine
Stiftung für Journalisten und Schriftsteller. Obwohl Lobbyisten ihn
im Ausland als Fürsprecher des Islam vorstellen, obliegt es ihm nicht,
den Islam zu verbreiten, sondern Türkentum und türkische Sprache. Um
den Islam für die Interessen der Türken einzunehmen, taktiert er politisch.
Die Lücke, die der weiße Ergenekon-Bund hinterlassen hat, füllt Gülen
mit seinen Mitgliedern aus Polizei, Geheimdienst und Justiz. Auch über
Erdoğan gewinnt er auf diesem Wege Einfluss. Kurz gesagt, Ergenekon
hat in der Türkei lediglich die Farbe gewechselt. Denn zwischen der
türkisch-rassistisch-nationalistischen weißen Ergenekon und der islamistisch-nationalistischen
grünen Ergenekon gibt es keinen Unterschied. Denn in beiden Ergenekon-Strukturen
wird in zentralen Fragen wie den zu den Armeniern, Kurden, zu Zypern,
Syrien, Irak, Iran ähnlich gedacht. In beiden ist die extremistische
türkische Idee des Turanismus existent. Die eine Struktur betont den
laizistischen und die andere den islamischen Aspekt. Aber als Ergebnis
kann festgehalten werden, dass beide für ihr jeweiliges politisches
Modell die gleiche Politik gebrauchen.
Weil das Buch „Die Armee
des Imams“ [vgl. S. 32] die Gülen-Sekte beschreibt, wurde es noch vor
Veröffentlichung verboten. Darin sind folgende Schilderungen gut geeignet,
um Fethullah Gülen zu charakterisieren: Es war Prof. Dr. Ahmet Insel
von der Marmara-Universität, der in einem Interview mit Neşe Düzel von
der Zeitung Taraf auf die Frage, ob „bewusst nationalistische Kader
im Staat installiert“ würden, antwortete: „Sie sind bereits installiert
worden. Im Moment sind die Führungs- und Auswahlkader welche. Wir können
gerade sehr gut verfolgen, wie das Bildungsministerium auf missionarische
Art und Weise versucht, die Aleviten innerhalb des Islam aufzulösen
[sie zum Konvertieren zu bewegen]. Im Innenministerium haben wir dieselbe
Kaderstruktur. Innerhalb der Polizei gibt es eine klare Kaderstruktur
Gülens und im Justizapparat ist sie gerade im Aufbau. Als die Militärs
bemerkt hatten, dass ihnen die Kontrolle entgleitet, versuchten sie
sich dieser Struktur am 28. Februar [1997; s. Anm. S. 15] zu entledigen.
Denn sie bekamen nun Angst vor der ‚Kreatur‘, die sie selbst erzeugt
hatten.“ Auf diese Äußerung hin hakte Neşe Düzel nach und fragte, ob
die „Kreatur die Fethullah-Gülen-Sekte“ sei. Daraufhin Insel: „Ja, sie
wurden sehr offen ab 1970 unterstützt, und ab 1980 unternahm man gezielte
Anstrengungen, um sie weiter zu stärken. Unter den Unterstützten waren
nicht nur die von Gülen, sondern alle, die eine türkisch-islamische
Synthese verfolgten. Weil aber diese Kräfte nun begonnen hatten, sich
für eigene Interessen einzusetzen, kam es zum Konflikt mit den Militärs.
Diese sind alle nationalistisch gesinnt. Fethullah Gülen ist ein Nationalist,
der in Organisationen, die sich dem Kampf gegen den Kommunismus verschrieben
hatten, heranreifte. Der tiefe Staat empfindet vieles als legitim, solange
es unter seiner Kontrolle steht. Sobald sich aber etwas seinem Einfluss
entzieht, stellt es für ihn eine Gefahr dar. Gülen hat die Behauptung
aufgestellt, dass sie in seinen Schulen eine goldene Generation heranziehen
wollen. Dass sie eine unglaublich starke türkisch-islamische Elite wie
die Jesuiten heranziehen werden, die dann die Welt beherrschen wird.“
Die Fehlinterpretation der
BRD
in Bezug auf Gülen
Die Europäer, allen voran die BRD, sind mit der Gülen-Sekte im Einklang.
Doch scheinen sie nicht ganz zu wissen, was hinter den Kulissen los
ist. Die Gülen-Sekte hat eine rechtsgerichtete nationalistische türkische
Gesinnung. Ihr Ziel ist es, die Türken und das Türkentum zur Weltherrschaft
zu führen. In all ihren Schulen und Moscheen werden diese Ideen verbreitet.
Sie lehnen es vor allem ab, andere Bücher zu lesen und sich mit anderen
Kulturen auszutauschen. Sie haben eine geschlossene, autoritär aufgebaute
Organisationsstruktur. Unter dem Vorwand, die Bildungsprobleme von Jugendlichen
lösen zu wollen, werden Instanzen der „Älteren Brüder und Schwestern“
installiert, die die Jugend blockieren. Mit der Instanz des „heiligen
Mentors“ wird Fethullah Gülen als Erlöser stilisiert. Da sie ein liberales
Wirtschaftssystem befürworten, betrachten sie die Wirtschaft als Existenzberechtigung.
Gülens Genozid-Plan für Kurdistan
Die jüngsten Bestrebungen Fethullah Gülens gehen dahin, die türkische
Besatzung in Kurdistan zu erneuern. Als die kurdische Freiheitsbewegung
die Politik des türkischen Staates der letzten Jahrzehnte entlarvt und
neutralisiert hatte, kam die Gülen-Sekte auf die Agenda. Vor kurzem
sprach Gülen in einer Rede eine Kriegs-Fatwa über die Kurden aus. An
dieser Fatwa sind einige Aspekte sehr außergewöhnlich. Gülen-Sekte und
AKP-Regierung transportieren das neue Verständnis von der Besatzung
über den Gesundheitsbereich, Schulen, Moscheen und Hilfsstiftungen nach
Kurdistan. Ziel ist dabei, die Kurden durch eine sensiblere Assimilationspolitik
und Repression für sich einzunehmen und erneut auszubeuten. Gülen hat
seit seiner letzten Rede diesen Plan dargelegt und spricht diese Punkte
offen an. Sie gehen jede zu liquidierende Person und Institution Namen
für Namen durch und praktizieren eine Politik der polizeilichen Verhaftungen
und der militärischen Vernichtung. Gülen empfiehlt die Lehrkräfte zum
Zwecke der Assimilation einzusetzen. Er macht klar, dass der islamische
Glaube in Kurdistan angewendet und die Zahl der Sittenwächter erhöht
werden muss. Er scheint sich in die Assimilationspläne derart vertieft
zu haben, dass er anbringt, man müsse die gesundheitlichen Probleme
der Menschen in Kurdistan ausnutzen, um bis ins Innere vorzudringen.
Um Assimilation und Kollaboration zu erreichen, ist es nach Gülen notwendig,
bis ins gesellschaftliche Gewebe vorzustoßen. Inzwischen beeinflusst
Gülen auch den Justizbereich sehr stark. Er überhäuft bereits Richter,
Staatsanwälte und Justizpersonal mit Anordnungen. Auffällig waren auch
die Devisen aus seiner Rede zum politischen Genozid. Damit empfiehlt
er quasi Polizei, Geheimdienst und Militär ein Massaker an 50 000 Menschen,
wenn dies der erneuten Errichtung der staatlichen Hoheit über Kurdistan
dient.
Die Warnung der KCK an Gülen
Die kurdischen Organisationen verfolgen aus nächster Nähe die von Fethullah
Gülen neu definierte Staatspolitik. Die Gemeinschaft der Gesellschaften
Kurdistan (KCK) betrachtet Gülen und seine Sekte als die neue Ergenekon
und als Vertretung des Staates in Kurdistan mit der Mission zur Umsetzung
seiner neuen Politik. Der KCK-Exekutivratsvorsitzende Murat Karayılan
meint dazu, die Gladio-Truppe der NATO, welche hier Ergenekon ist, habe
in der Türkei sehr lange eine Rolle gespielt.
Ergenekon habe sich im Krieg gegen die Kurden eingekapselt und mafiöse
Strukturen gebildet, sodass sie innerhalb des Staates zur Belastung
wurden. Daher habe man sie heute außer Kraft gesetzt. „Gladio wechselt
die Kluft“, so Karayılan, „an die Stelle der bekannten tritt nun die
grüne Ergenekon, die Gülen-Sekte.“
„Ihre Mitglieder haben sich
in Bezirkskomitees organisiert und bestimmen darüber, wie staatliche
Beschlüsse durch die Sicherheitsorgane und Gouverneure umzusetzen sind,
sodass sie mittlerweile zu den wahren Machtzentren geworden sind. Das
ist sowohl in Kurdistan als auch in der Türkei der Fall. Natürlich gibt
es noch nicht im System aufgegangene Kreise, aber auch die können sie
nach Bedarf lenken. Es handelt sich hierbei um eine auf zentraler Ebene
wie auch auf Bezirksebene sehr gut organisierte Struktur“, so Karayılan.
Er weist darauf hin, dass diese Struktur mittlerweile eins sei mit der
AKP. Anstelle der militärischen Vormundschaft über den Staat sei nun
eine andere Form der Vormundschaft installiert worden. Auch der Krieg
gegen die Kurden werde, so Karayılan, unter Aktivierung aller Ressourcen
von der grünen Ergenekon-Bande geführt.