Wasserkrieg im
Mittleren Osten?
Das Südostanatolienprojekt und seine Folgen
Von Karin Leukefeld
Der Zugang von Menschen
zu frischem Wasser wird im kommenden Jahrhundert weltweit eines der dringlichsten
Probleme darstellen. Besonders im Mittleren Osten zeichnet sich schon
jetzt deutlich ab, zu welchem Flächenbrand der Wassermangel einerseits
und machtorientierte Kontrolle über vorhandenes Wasser andererseits
führen kann. Die Konfliktlinien sind vorgezeichnet: die türkisch-israelische
Allianz wird, nach der umfangreichen militärischen Zusammenarbeit
beider Länder, nun durch gemeinsame Wasservereinbarungen verstärkt.
Irak, Syrien, der Libanon und Jordanien müssen zusehen, wie sie den
von ihnen dringend benötigten Zugang zu den vorhandenen, sich unter
türkischer bzw. israelischer Kontrolle befindlichen Wasserressourcen
sichern können.
Das GAP-Projekt in der Türkei wird in den kommenden Ausgaben des
Kurdistan Report aus unterschiedlichen Aspekten betrachtet. Im folgenden
Text gibt Karin Leukefeld einen allgemeinen Überblick über Planung,
Durchführung und Ziel des GAP-Jahrhundertprojekts, sowie Einblicke
in die Haltungen der Anrainerstaaten und europäischer Regierungen
In den weiteren Folgen sollen die KritikerInnen der Staudammpolitik zu
Wort kommen. Weiterhin werden die ökologischen und kulturhistorischen
Aspekte behandelt und die Wasserproblematik soll aus der Sicht von Syrien
und dem Irak dargestellt werden.
Wie
an einer Perlenkette aufgezogen reihen sich die Seen und Gewässer
von Euphrat (Firat) und Tigris (Dicle) um die Ausläufer des mächtigen
südöstlichen Gebirgsmassivs des Taurus aneinander. Die Flüsse
bieten der Region einen unerschöpflichen Reichtum an Wasser, um den
die südlich gelegenen Länder Syrien und Irak ihren nördlichen
Nachbarn Türkei nur beneiden können. Während schon vor
Tausenden von Jahren Euphrat und Tigris auch die Ackergebiete im Süden,
dem legendären Mesopotamien, reichlich mit Wasser versorgten und
damit zur kulturellen Blüte und wirtschaftlichem Reichtum des Zweistromlandes
beitrugen, haben geostrategische Interessen der Türkei und ihrer
westlichen Verbündeten in den letzten zwanzig Jahren aus der Region
ein strategisches Großprojekt geformt. Das Südostanatolienprojekt
(Güneydogu Anadolu Projesi), kurz als GAP international bekannt geworden,
hat die reichen Gewässer nach und nach gezähmt und eingedämmt.
Erste Wasserknappheit hat bereits zu politischen Spannungen zwischen Syrien,
dem Irak und der Türkei geführt. Der Tigris ist 1900 km lang.
1415 km davon fließt er durch den Irak. Die komplette Strom- und
Wasserversorgung in insgesamt 11 Provinzen des Irak ist von der Nutzung
des Tigriswassers abhängig, davon Dohuk, Erbil und Süleymania
in den kurdischen Regionen des Nordirak sowie auch die Provinz Bagdad
und teilweise Basra am Persischen Golf. Der Euphrat ist knapp 3000 km
lang. 1276 km fließt er durch die Türkei, 604 km durch Syrien
und 1160 durch den Irak. Der Zugriff auf die Wasser von Euphrat und Tigris,
ist für die Türkei zu einem wesentlichen Grundpfeiler ihrer
angestrebten regionalen Vormachtstellung geworden. Die Konflikte mit den
Nachbarstaaten sind vorprogrammiert.
Die Bedeutung des Wassers in der Region des Mittleren Ostens wird in den
kommenden Jahren steigen, weil es knapp ist und der Bedarf wächst.
Wasser ist Grundlage für alle entwicklungspolitischen Projekte sowohl
in der Türkei, als auch in Syrien und dem Irak. Die Länder sind
bei steigender Bevölkerungszahl auf die Entwicklung der Landwirtschaft
ebenso angewiesen, wie auf zusätzliche Energie, die mit Hilfe der
Wasserkraft erzeugt wird. Da Euphrat und Tigris einerseits für die
kurdischen Gebiete der Türkei, vor allem aber auch für Syrien
und den Irak die zentralen Wasserspender sind, ist die Kontrolle über
diese Flüsse für die türkische Regierung von zentraler
Bedeutung. Mit der Entwicklung des GAP-Projektes verfolgt die Türkei
verschiedene Aspekte, von denen besonders zwei hervorgehoben werden sollen:
Befriedung der kurdischen Gebiete durch Kontrolle über deren Entwicklung
und Einflussnahme auf die Politik der südlichen Anrainerstaaten Syrien
und Irak durch Kontrolle über das Wasser.
Güneydogu Anadolu
Projesi - GAP, das Jahrhundertprojekt
Die ersten Planungen
des Jahrhundertprojekts GAP stammen aus den 30er Jahren und
wurden in den 70er Jahren erweitert. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Türkei
noch mit der finanziellen Unterstützung der Weltbank rechnen. Diese
wurde inzwischen - aus ökologischen und strategischen Gründen
- zurückgezogen, so dass sich die Realisierung des gigantischen Vorhabens
immer weiter verzögert. Mit dem Masterplan für das
GAP-Projekt wurden zunächst systematisch soziale, politische und
religiöse Daten über die in der Region lebende Bevölkerung
erhoben. Ziel des Planes ist, in der von Kurden bewohnten Region mit Hilfe
gigantischer Staudamm- und Bewässerungsprojekte, die Energie- und
Wassergewinnung hochzuschrauben und damit sechs zentrale Industrie- und
Produktionszonen entstehen zu lassen: Diyarbakir-Batman, Sanliurfa, Gaziantep,
Siirt, Adiayaman und Mardin, das Grenzgebiet entlang der syrisch-türkischen
Grenze. Die Agrarproduktion in der Region soll bis auf das Fünffache
wachsen. Vor allem der ehemalige türkische Ministerpräsident
Turgut Özal forcierte die Umsetzung von GAP. Özal wollte nicht
nur die kurdische Region mit Wasser und Energie versorgen, ihm ging es
vor allem darum, einen Zugang zum Agrarmarkt des Mittleren Ostens zu schaffen.
Der Nebeneffekt, die südlich gelegenen Länder Syrien und Irak
gleichzeitig von der Wasserzufuhr abhängig machen zu können,
war ihm willkommen. Um seine friedlichen Absichten zu verdeutlichen, sprach
er gerne von der Friedenspipeline, die Wasser aus der GAP-Region
auf die arabische Halbinsel und vor allem nach Israel schaffen sollte.
Gegen Bezahlung, versteht sich.
Das GAP-Projekt umfasst in der Planung 13 Teilprojekte mit Unterprojekten
in den kurdischen Provinzen Gaziantep, Adiyaman, Urfa, Diyabakir, Mardin
und Siirt. Die Fläche ist so groß wie die Beneluxstaaten zusammen.
21 Staudämme, ein großer Tunnelkomplex bei Urfa und Elektrizitätswerke
gehören ebenso zu dem Projekt, wie die Ansiedlung von Versuchsstationen,
neue Straßen und Flughäfen.1 Finanzierungsprobleme
führten zu einer Verzögerung des Bauvorhabens. Fertiggestellt
mit verschiedenen Unterprojekten wurden bisher der Keban-Staudamm, der
Karakaya Damm, der Atatürk-Stausee und -damm mit dem Urfa-Tunnel
und, im Frühsommer des Jahres 2000, der Birecik-Staudamm. In den
Fluten des Birecik-Stausees versanken die Grundmauern der historischen
Stadt Zeugma, die ca. 300 v. Chr. von einem General Alexanders dem Großen
als Doppelstadt auf beiden Seiten des Ufers vom Euphrat gegründet
worden war. Das, was von den Archäologen gerettet werden konnte,
befindet sich heute im Museum von Gaziantep.2
GAP ist ein Projekt zur agrar- und energiewirtschaftlichen Entwicklung.
Ziel ist die Ansiedlung agroindustrieller Produktionsstätten als
Kern einer weiterverarbeitenden Industrie. Gleichzeitig erfolgt durch
die großflächige Umstrukturierung der Region - Umsiedlungen,
Vertreibungen, Vernichtung historischer Stätten, Neuansiedlung verarbeitender
Industrien - eine Zerstörung traditioneller Wohn- und Kulturgebiete
der dort lebenden Kurden. In der Region um Gaziantep ist das Anwachsen
einer Free Zone3 zu beobachten. Außerdem
ist mit einer unübersehbaren ökologischen und klimatischen Veränderung
durch die riesigen Stauseen zu rechnen. Bis zum Jahr 2010 sollen rund
1,7 Mio ha zusätzlich bewässerte Fläche in der GAP-Region
zur Verfügung stehen, wovon knapp 12% Anfang 2000 fertiggestellt
waren. Zusammen mit US-Agrargesellschaften soll dort in Rinder- und Getreidefarmen
investiert werden. Aus den USA sollen 800 Mio $ in Bewässerungsprojekte
fließen.4 Jeder weitere Hektar Land jedoch, der
zukünftig im GAP-Gebiet bewässert wird, bedeutet einen entsprechenden
Ausschluss von Agrarkultivierung im Irak und in Syrien.
Strategisches Ziel
der Türkei ist der Persische Golf
GAP ist ein Projekt
zur Erlangung regionaler Herrschaft. Mit der Kontrolle über die Wasser
von Euphrat und Tigris will die türkische Regierung ihren Anspruch
als regionale Großmacht unterstreichen und ausbauen. Ihr Ziel, ob
realistisch oder illusionär, ist die strategische Position am Persischen
Golf im Rahmen eines regionalen Sicherheitssystems. Dieses Ansinnen dürfte
sich sowohl mit den Interessen der USA als auch Europas vor allem im Rahmen
der NATO-Strategie bzgl. dem Mittleren Osten decken. Ein solches Sicherheitssystem
könnte die Region befrieden zugunsten ungehinderten Zugangs sowohl
zu den Ölressourcen auf der Arabischen Halbinsel als auch im Kaspischen
Meer. Darüber hinaus würde es den Zugang zu den neuen, weitgehend
noch unerschlossenen Märkten Zentralasiens sichern. Das GAP-Projekt
soll den kurdischen Südosten nach Willen der Zentralregierung in
Ankara zum Obst- und Gemüsekorb des Mittleren Ostens machen. Mit
bis zu fünf Ernten pro Jahr will man die gesamte Arabische Halbinsel
und sogar die Magreb-Staaten als Markt erobern.
Bisher stehen vor allem die irakische Führung unter Saddam Hussein
als auch der Iran einer solchen Konzeption noch im Wege. Welchen Weg der
neue syrische Präsident Bahar al-Asad in dieser Frage einschlagen
wird, bleibt abzuwarten. Durch die israelische Besetzung des Golan, der
als Quellgebiet des Jordan zum zentralen Wasserreservoir Syriens gehört,
ist die Wasserfrage für die syrische Regierung existenzieller Bestandteil
der Nahostfriedensverhandlungen. Das GAP-Projekt verschärft dieses
Problem.
GAP ist ein Projekt zur Aufstandsbekämpfung. Teile des kurdischen
Südostens der Türkei befinden sich nach wie vor im Ausnahmezustand,
so die Provinzen Diyarbakir und Siirt. Nach dem 15jährigen Krieg
(1984-1999) werden weiterhin die sozialen Lebensstrukturen in den Dörfern
und Weilern zerstört, nun durch das GAP-Projekt. Hunderte von Dörfern
sind bereits in den Fluten der Stauseen verschwunden. Auf Landkarten lässt
sich der ehemalige Verlauf von Straßen nachvollziehen, die durch
die neu entstandenen Seen einfach zerschnitten wurden. Wieder sind die
Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und sich neuen Lebensunterhalt
zu suchen. Der kurdische Südosten des Landes wird von der türkischen
Zentralregierung vor allem unter militär-strategischen Aspekten gesehen.
Schon zur Zeit des Osmanischen Reiches dienten die kurdischen Gebiete
als Pufferzone zum Persischen Reich. Die kurdischen Clans wurden zu taktischen
Bündnispartnern. Die Ressourcen der kurdischen Gebiete dienen im
wesentlichen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des türkischen
Westens, wo sich heute auch die industriellen Kernzonen des Landes befinden.
Mit der Änderung der türkischen Wirtschaft von traditioneller
Agrarwirtschaft zu einer Agroindustrie wird die ganze Produktionsweise
des bäuerlichen Lebens umstrukturiert. Welchen Nutzen das Projekt
für die verbliebene kurdische Bevölkerung in der Region bringen
wird, muss sich erst noch erweisen. Schon heute ist klar, dass die landlosen
Flüchtlinge und Bauern, die, vom Militär aus ihren Heimatdörfern
vertrieben, heute teilweise als Wanderarbeiter ihr Leben fristen, keinen
Nutzen haben werden. Sichere Gewinner sind die kurdischen Großgrundbesitzer,
die für den Verlust ihres Landes großzügige Abfindungen
vom türkischen Staat erhalten. Ein großer Teil dieser Großgrundbesitzer
stellte in den letzten 15 Jahren das Heer der Dorfschützer,
die gegen Bezahlung auf der Seite der türkischen Armee die Guerilla
der PKK und deren Familien bekämpfte.
Wasser als Waffe
Militärstrategische
Interessen, Kriege, Embargo, anhaltende Unterentwicklung bei gleichzeitigem
Bevölkerungswachstum und ineffiziente Nutzung haben aus dem Reichtum
Wasser in der Region eine Waffe gemacht, die geradezu schamlos je nach
Interessenslage eingesetzt wird. Die Türkei sitzt am Wasserhahn.
Wie die arabischen Staaten die Kontrolle über ihren Rohstoff Öl
hätten, so der ehemalige türkische Ministerpräsident Süleyman
Demirel, so werde die Türkei ihren Rohstoff Wasser kontrollieren
und zum Wohle der Region als auch des eigenen Landes einsetzen.
Bereits 1974 kam es während des Baus des Asad-Staudammes in Syrien
zu ersten Konflikten zwischen Syrien und dem Irak. Während der Stausee
aufgefüllt wurde, sank innerhalb kürzester Zeit die Durchflussmenge
des Euphrat für den Irak von 920m³ pro Sekunde auf 197m³
pro Sekunde. Zwischen 1974 und 1992 kam es zu verschiedenen Gesprächsrunden
zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak, um die Nutzung des Wassers
der beiden Flüsse zu regeln. Trotz nahezu 20 Treffen kam es zu keiner
Einigung.5
1987 besuchte der damalige türkische Staatspräsident Turgut
Özal Damaskus, um die bevorstehende Füllung von Stauseen im
Rahmen des GAP-Projekts zu verhandeln. Konkret ging es um die Auffüllung
des Atatürk-Stausees, dem bis dahin größten innerhalb
des GAP-Projekts. Die Türkei verpflichtete sich damals, mindestens
500m³ pro Sekunde an Durchflussmenge nach Syrien zu garantieren.
Diese Menge war keineswegs ausreichend für Syrien, das eine Mindestdurchflussmenge
von 700m³ pro Sekunde gefordert hatte. Folge war, dass noch weniger
Euphratwasser für den Irak übrig blieb. Dieses Problem zu verhandeln
überließ die Türkei jedoch der syrischen Regierung. Als
der Atatürk-Stausee schließlich 1990 aufgefüllt werden
sollte, hatte Syrien eine schwere Dürrezeit hinter sich, die verminderte
Wasserdurchflussmenge traf das Land besonders schwer. Der Irak protestierte
offiziell in Ankara und forderte eine Vereinbarung, vergeblich. Eine Konferenz
der drei Anrainerstaaten kurz vor Ausbruch des 2. Golfkrieges6,
blieb ebenfalls ohne Ergebnis. Zwischen Syrien und dem Irak wurde allerdings
vereinbart, das verbliebene Wasser zu teilen (42% für Syrien, 58%
für den Irak). Seit 1992 wiederholte die Türkei gegenüber
Syrien die Drohung, den Durchfluss des Euphratwassers ganz einzustellen,
sollte das Land nicht seine vermeintliche Unterstützung für
die PKK einstellen.
Der Irak, selber geübt im Gebrauch der Waffe Wasser7,
ist heute aufgrund der UN-Sanktionen, die seit Beginn des 2. Golfkrieges
mittlerweile 10 Jahre in Kraft sind, wirtschaftlich stark geschwächt.
Die Wasserproblematik verschärft die Situation. Vor allem die hohe
Kindersterblichkeit ist auf mangelndes und unsauberes Wasser zurückzuführen.
Die Bereitschaft der türkischen Regierung auf die Regierungen Syriens
und des Irak in der Wasserfrage zuzugehen ist gleich Null. Ankara weigert
sich, die Wasseransprüche der beiden Länder durch Unterzeichnung
der UN-Konvention über nicht schiffbare Nutzung grenzüberschreitender
Wasserwege anzuerkennen.
Intensiver allerdings ist die Zusammenarbeit in dieser Frage mit Israel,
das seine Wasserprobleme durch den Kauf von Süßwasser in der
Türkei lösen will. Zwar wurde die von Özal seinerzeit geplante
Friedens-Pipeline nicht gebaut, doch stellte die türkische
Wasserbehörde vor kurzem einen neuen Plan vor. Nun soll das Lebenselixier
in großen Wasserschläuchen per Schiff nach Israel transportiert
werden. Das Manavgat-Projekt in der Nähe der Stadt Antalya wurde
im Sommer stolz der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Waffe Wasser:
Lunte am Pulverfass der Region
Der Internationale
Währungsfonds, IWF, begrüßte das gigantische GAP-Projekt
seinerzeit als Verbesserung für Investitionsgrundlagen in der wirtschaftlich
zurückgebliebenen Region. Auch die Weltbank unterstützte anfangs
das Projekt und sagte großzügige finanzielle Darlehen zu. Von
dieser Position ist die Weltbank mittlerweile zurückgetreten. Die
Skepsis über mögliche regionale Wasserkonflikte überwog
bei dieser Entscheidung. Ausschlaggebend war auch die ablehnende Haltung
der türkischen Regierung, internationale Konventionen zu unterzeichnen.
Wie bereits erwähnt, betrachtet Ankara das Wasser als seine eigene,
nationale natürliche Bodenressource, so, wie der
Irak das Öl hat. Die Weigerung der türkischen Regierung,
mit den Anrainerstaaten von Euphrat und Tigris, Syrien und Irak, ein völkerrechtlich
bindendes Abkommen über die Nutzung des Wassers zu schließen,
wird international scharf kritisiert. Einwände gegen das Projekt
wurden aus ökologischer Sicht auch von der Internationalen Dammkommission
vorgebracht. Interessant ist auch die Ansicht von Daniel Berau, dem ehemaligen
Leiter einer US-Behörde, die sich mit den Folgekosten gebauter Staudämme
befasst, dem Bureau of Reclamation. Berau vergleicht dabei die finanziellen
Folgeprobleme großer Staudämme mit denen von Atomkraftwerken.
Die Kosten, die durch Umsiedlungen, durch Verschlammung, Veränderung
bzw. Zerstörung von Flora und Fauna, durch Versalzung und Klimaveränderung
eintreten, betragen demnach heute Milliarden-Dollarsummen. Fließende
Gewässer haben eine ungleich größere Selbstreinigungskraft
als stehende Gewässer, Verschlammung und Versalzung der stehenden
Gewässer führt auch zu erhöhtem Anstieg der Malariagefahr.
Der Atatürk-Stausee ist durch fehlerhafte Berechnungen heute schon
zu 30% verschlammt.8
Seit die Weltbank sich aus der Finanzierung des Projekts zurückgezogen
hat, werden Teilabschnitte, die jeweils von internationalen Firmenkonsortien
gebaut werden, vor allem durch Kreditzusicherungen nationaler Kreditprogramme
abgesichert. Die deutsch-österreichische Firma Sulzer Hydro, jetzt
VA Technologie AG, führend im Bereich hydraulischer Energietechnik,
hat bei der Bundesregierung eine Hermes-Kreditbürgschaft beantragt,
um sich am Bau des letzten großen Teilstücks, dem Ilisu-Staudamm
nahe dem syrisch-irakisch-türkischen Länderdreieck beteiligen
zu können. Die Hermesbürgschaften der Bundesrepublik Deutschland
dienen ausschließlich der Förderung wirtschaftlicher Exportpolitik.
Die Entscheidung darüber trifft nicht das Parlament, sondern ein
interministerieller Ausschuss. Diesem Ausschuss gehören das Wirtschaftsministerium,
das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Außenministerium,
das Verteidigungsministerium sowie der Bundeskanzler an. Die im rot-grünen
Koalitionsvertrag vereinbarte Reform der Hermes-Kreditbürgschaften
nach sozial- und menschenrechtsverträglichen Kriterien, steht nach
Ansicht des Wirtschaftsministeriums nicht auf der Tagesordnung.
Vor allem das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ)
steht der Kreditzusage an Sulzer skeptisch gegenüber. Eine vom BMZ
in Auftrag gegebene Studie soll Aufschluss darüber geben, welche
politische, soziale und ökologische Gefährdung von dem Riesenprojekt
Ilisu-Staudamm für die Region ausgehen würde. Das Wirtschaftsministerium
sieht die Sache weniger kritisch. Anlässlich einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses
(1.Dezember 1999) erklärte der Vertreter der Bundesregierung, der
Staudamm in der Türkei (Ilisu-Damm) sei in einem Stadium, in dem
man ihn verantwortlich mit Hermes begleiten kann. Und Wirtschaftsminister
Müller erklärte im Ausschuss am 22.März 2000, dass das
türkische Vorhaben allgemein unumstritten sei.9
Der Ilisu-Damm in der Nähe der Stadt Diyarbakir, soll von einem internationalen
Konsortium aus neun Ländern realisiert werden: Großbritannien,
Schweiz, Deutschland, Japan, USA, Italien, Österreich, Schweden,
Portugal. Das Konsortium hat sich darauf geeinigt, das Projekt nur zu
bauen, wenn alle beteiligten Länder zustimmen. Nun hat die Schweiz
bereits ihre Zustimmung erteilt, Großbritannien allerdings, wo derzeit
die wohl aktivste Kampagne gegen den Staudammbau zu beobachten ist, ist
skeptisch. Verschiedene Delegationen, die die Lage vor Ort erkundeten,
kamen zu äußerst negativen Ergebnissen. Das britische Unterhaus
lehnte nach einer Anhörung die Kreditzusage an die Firma Belfour
Beatty ab.
Nicht nur der US-amerikanische Geheimdienst CIA vertritt die Ansicht,
der nächste Krieg in der Region des Mittleren Ostens werde ein Krieg
um die Wasserressourcen sein. Auch wenn man sich bei den Prognosen der
CIA zu Recht fragen muss, welche Interessen hinter den Analysen stecken,
hilft alle angebrachte Skepsis wenig: die Realität weist tatsächlich
auf diese Gefahr hin. Sollte es wegen des Wassers tatsächlich zu
einem Krieg in der Region, die ohnehin ein Pulverfass ist, kommen, die
Folgen wären verheerend. Hier schließt sich ein fataler Kreis
zwischen der Waffe Wasser und den herkömmlichen Waffen.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Wohlleben, Mitglied im Verteidigungsausschuss
im Deutschen Bundestag, brachte es in der Debatte um die Lieferung von
Leopard II-Panzern an die Türkei mit der zynischen Bemerkung auf
den Punkt: Die zukünftigen Kriege in dieser Region werden Kriege
ums Wasser sein. Mir ist es lieber, wenn wir die Türkei ordentlich
mit Panzern ausgerüstet haben, als dass wir im NATO-Fall pflichtgemäß
unsere Soldaten dorthin schicken.10
1: GAP,
Staudamm- und Bewässerungsprojekt an Euphrat und Tigris, Freundinnen
und Freunde des kurdischen Volkes Gießen, Kurdistan Komitee Köln
e.V., Gießen/ Köln 1990
2: FAZ 19.6.2000
3: Free Zone bezeichnet ein Gebiet, in dem
ausländische Investoren sich zu Produktionszwecken niederlassen können,
ohne an die nationale Rechtsprechung gebunden zu sein. Vor allem Konzerne
der Textilbranche nutzen das Angebot..
4: Wirtschaftstrends Türkei 2000, Bundesstelle für
Außenhandelsinformationen (bfai)
5: Udo Steinbach, Die Türkei im 20. Jahrhundert, 1996
6: 2. Golfkrieg, zwischen westlichen Alliierten und dem
Irak, dauerte vom 17. Januar 1991 bis 28. Februar 1991. Der 1. Golfkrieg,
zwischen Iran und Irak, dauerte von September 1980 bis August 1988
7: Im Süden des Irak vereinigen beide Flüsse
sich zum Schatt al-Arab, der als Grenzfluss zum Iran vorbei an der irakischen
Stadt Basra und den iranischen Städten Khorrammshar und Abadan schließlich
in den Persischen Golf fließt. Der Schatt al-Arab war und ist umgeben
von einer fruchtbaren Sumpflandschaft, die den Menschen der Region, meist
Schiiten, bis zum 1. Golfkrieg ihr Auskommen sicherte. Während des
1. Golfkrieges wurde das Gebiet militärische Front zwischen den irakischen
und iranischen Truppen und ist es seitdem geblieben. Nach dem 2. Golfkrieg
sicherte Saddam Hussein seine Macht gegen oppositionelle Schiiten in den
südirakischen Sümpfen dadurch ab, dass er die Gegend trockenlegen
ließ. Ermuntert von Zusagen der US-Amerikaner hatten sich schiitische
Gruppen zum Aufstand gegen die Zentralmacht in Bagdad verleiten lassen.
Ähnlich wie die kurdischen Parteien im Norden des Landes wurden sie
nach dem Ende des Krieges sich selbst überlassen. Die Einrichtung sogenannter
UN-Sicherheitszonen im Norden und Süden des Landes dienten weniger
dem Schutz der dort lebenden Menschen, als vielmehr den ungehinderten Luftangriffen
der alliierten Streitkräfte, die sie nach Belieben seit nunmehr zehn
Jahren einsetzen, um die irakische Führung in die Schranken zu weisen.
Leidtragende der Angriffe, das ist hinlänglich bekannt und dokumentiert,
ist die Bevölkerung, die zusätzlich unter dem UN-Embargo leidet.
Das Austrocknen der Sümpfe wird von staatlicher irakischer Seite als
Entwicklungsprojekt bezeichnet. Man habe den Menschen Straßen
gegeben und ihnen damit die Verbindung zur Zivilisation ermöglicht.
Aus Sicht der südirakischen Schiiten wird die Maßnahme als Projekt
der Aufstandsbekämpfung bezeichnet, das den Menschen langfristig
ihre Lebensgrundlage entzieht. Die traditionellen Wohngebiete der Sumpfbewohner
werden zerstört, ihr Zugang zu frischem Wasser ist nahezu versiegt.
Der Lebensunterhalt, den die Fischer in den Sümpfen fanden, nimmt mit
dem Stand des Wassers ab. Immer mehr Menschen müssen ihre Dörfer
verlassen und suchen Zuflucht in Basra, wo ein Liter Wasser mittlerweile
50 mal soviel kostet, wie ein Liter Benzin.
8: Wasser als Waffe, Ute Abraham, JW 29.6.2000
9: hib, Heute im Bundestag
10: Junge Welt vom 29.6.2000 |