Wasserkrieg im Mittleren Osten?
Das Südostanatolienprojekt und seine Folgen
Von Karin Leukefeld

Der Zugang von Menschen zu frischem Wasser wird im kommenden Jahrhundert weltweit eines der dringlichsten Probleme darstellen. Besonders im Mittleren Osten zeichnet sich schon jetzt deutlich ab, zu welchem Flächenbrand der Wassermangel einerseits und machtorientierte Kontrolle über vorhandenes Wasser andererseits führen kann. Die Konfliktlinien sind vorgezeichnet: die türkisch-israelische Allianz wird, nach der umfangreichen militärischen Zusammenarbeit beider Länder, nun durch gemeinsame Wasservereinbarungen verstärkt. Irak, Syrien, der Libanon und Jordanien müssen zusehen, wie sie den von ihnen dringend benötigten Zugang zu den vorhandenen, sich unter türkischer bzw. israelischer Kontrolle befindlichen Wasserressourcen sichern können.
Das GAP-Projekt in der Türkei wird in den kommenden Ausgaben des Kurdistan Report aus unterschiedlichen Aspekten betrachtet. Im folgenden Text gibt Karin Leukefeld einen allgemeinen Überblick über Planung, Durchführung und Ziel des GAP-Jahrhundertprojekts, sowie Einblicke in die Haltungen der Anrainerstaaten und europäischer Regierungen In den weiteren Folgen sollen die KritikerInnen der Staudammpolitik zu Wort kommen. Weiterhin werden die ökologischen und kulturhistorischen Aspekte behandelt und die Wasserproblematik soll aus der Sicht von Syrien und dem Irak dargestellt werden.

Wie an einer Perlenkette aufgezogen reihen sich die Seen und Gewässer von Euphrat (Firat) und Tigris (Dicle) um die Ausläufer des mächtigen südöstlichen Gebirgsmassivs des Taurus aneinander. Die Flüsse bieten der Region einen unerschöpflichen Reichtum an Wasser, um den die südlich gelegenen Länder Syrien und Irak ihren nördlichen Nachbarn Türkei nur beneiden können. Während schon vor Tausenden von Jahren Euphrat und Tigris auch die Ackergebiete im Süden, dem legendären Mesopotamien, reichlich mit Wasser versorgten und damit zur kulturellen Blüte und wirtschaftlichem Reichtum des Zweistromlandes beitrugen, haben geostrategische Interessen der Türkei und ihrer westlichen Verbündeten in den letzten zwanzig Jahren aus der Region ein strategisches Großprojekt geformt. Das Südostanatolienprojekt (Güneydogu Anadolu Projesi), kurz als GAP international bekannt geworden, hat die reichen Gewässer nach und nach gezähmt und eingedämmt. Erste Wasserknappheit hat bereits zu politischen Spannungen zwischen Syrien, dem Irak und der Türkei geführt. Der Tigris ist 1900 km lang. 1415 km davon fließt er durch den Irak. Die komplette Strom- und Wasserversorgung in insgesamt 11 Provinzen des Irak ist von der Nutzung des Tigriswassers abhängig, davon Dohuk, Erbil und Süleymania in den kurdischen Regionen des Nordirak sowie auch die Provinz Bagdad und teilweise Basra am Persischen Golf. Der Euphrat ist knapp 3000 km lang. 1276 km fließt er durch die Türkei, 604 km durch Syrien und 1160 durch den Irak. Der Zugriff auf die Wasser von Euphrat und Tigris, ist für die Türkei zu einem wesentlichen Grundpfeiler ihrer angestrebten regionalen Vormachtstellung geworden. Die Konflikte mit den Nachbarstaaten sind vorprogrammiert.
Die Bedeutung des Wassers in der Region des Mittleren Ostens wird in den kommenden Jahren steigen, weil es knapp ist und der Bedarf wächst. Wasser ist Grundlage für alle entwicklungspolitischen Projekte sowohl in der Türkei, als auch in Syrien und dem Irak. Die Länder sind bei steigender Bevölkerungszahl auf die Entwicklung der Landwirtschaft ebenso angewiesen, wie auf zusätzliche Energie, die mit Hilfe der Wasserkraft erzeugt wird. Da Euphrat und Tigris einerseits für die kurdischen Gebiete der Türkei, vor allem aber auch für Syrien und den Irak die zentralen Wasserspender sind, ist die Kontrolle über diese Flüsse für die türkische Regierung von zentraler Bedeutung. Mit der Entwicklung des GAP-Projektes verfolgt die Türkei verschiedene Aspekte, von denen besonders zwei hervorgehoben werden sollen: Befriedung der kurdischen Gebiete durch Kontrolle über deren Entwicklung und Einflussnahme auf die Politik der südlichen Anrainerstaaten Syrien und Irak durch Kontrolle über das Wasser.

Güneydogu Anadolu Projesi - GAP, das Jahrhundertprojekt

Die ersten Planungen des “Jahrhundertprojekts GAP” stammen aus den 30er Jahren und wurden in den 70er Jahren erweitert. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Türkei noch mit der finanziellen Unterstützung der Weltbank rechnen. Diese wurde inzwischen - aus ökologischen und strategischen Gründen - zurückgezogen, so dass sich die Realisierung des gigantischen Vorhabens immer weiter verzögert. Mit dem “Masterplan” für das GAP-Projekt wurden zunächst systematisch soziale, politische und religiöse Daten über die in der Region lebende Bevölkerung erhoben. Ziel des Planes ist, in der von Kurden bewohnten Region mit Hilfe gigantischer Staudamm- und Bewässerungsprojekte, die Energie- und Wassergewinnung hochzuschrauben und damit sechs zentrale Industrie- und Produktionszonen entstehen zu lassen: Diyarbakir-Batman, Sanliurfa, Gaziantep, Siirt, Adiayaman und Mardin, das Grenzgebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze. Die Agrarproduktion in der Region soll bis auf das Fünffache wachsen. Vor allem der ehemalige türkische Ministerpräsident Turgut Özal forcierte die Umsetzung von GAP. Özal wollte nicht nur die kurdische Region mit Wasser und Energie versorgen, ihm ging es vor allem darum, einen Zugang zum Agrarmarkt des Mittleren Ostens zu schaffen. Der Nebeneffekt, die südlich gelegenen Länder Syrien und Irak gleichzeitig von der Wasserzufuhr abhängig machen zu können, war ihm willkommen. Um seine friedlichen Absichten zu verdeutlichen, sprach er gerne von der “Friedenspipeline”, die Wasser aus der GAP-Region auf die arabische Halbinsel und vor allem nach Israel schaffen sollte. Gegen Bezahlung, versteht sich.
Das GAP-Projekt umfasst in der Planung 13 Teilprojekte mit Unterprojekten in den kurdischen Provinzen Gaziantep, Adiyaman, Urfa, Diyabakir, Mardin und Siirt. Die Fläche ist so groß wie die Beneluxstaaten zusammen. 21 Staudämme, ein großer Tunnelkomplex bei Urfa und Elektrizitätswerke gehören ebenso zu dem Projekt, wie die Ansiedlung von Versuchsstationen, neue Straßen und Flughäfen.1 Finanzierungsprobleme führten zu einer Verzögerung des Bauvorhabens. Fertiggestellt mit verschiedenen Unterprojekten wurden bisher der Keban-Staudamm, der Karakaya Damm, der Atatürk-Stausee und -damm mit dem Urfa-Tunnel und, im Frühsommer des Jahres 2000, der Birecik-Staudamm. In den Fluten des Birecik-Stausees versanken die Grundmauern der historischen Stadt Zeugma, die ca. 300 v. Chr. von einem General Alexanders dem Großen als Doppelstadt auf beiden Seiten des Ufers vom Euphrat gegründet worden war. Das, was von den Archäologen gerettet werden konnte, befindet sich heute im Museum von Gaziantep.2
GAP ist ein Projekt zur agrar- und energiewirtschaftlichen Entwicklung. Ziel ist die Ansiedlung agroindustrieller Produktionsstätten als Kern einer weiterverarbeitenden Industrie. Gleichzeitig erfolgt durch die großflächige Umstrukturierung der Region - Umsiedlungen, Vertreibungen, Vernichtung historischer Stätten, Neuansiedlung verarbeitender Industrien - eine Zerstörung traditioneller Wohn- und Kulturgebiete der dort lebenden Kurden. In der Region um Gaziantep ist das Anwachsen einer “Free Zone”3 zu beobachten. Außerdem ist mit einer unübersehbaren ökologischen und klimatischen Veränderung durch die riesigen Stauseen zu rechnen. Bis zum Jahr 2010 sollen rund 1,7 Mio ha zusätzlich bewässerte Fläche in der GAP-Region zur Verfügung stehen, wovon knapp 12% Anfang 2000 fertiggestellt waren. Zusammen mit US-Agrargesellschaften soll dort in Rinder- und Getreidefarmen investiert werden. Aus den USA sollen 800 Mio $ in Bewässerungsprojekte fließen.4 Jeder weitere Hektar Land jedoch, der zukünftig im GAP-Gebiet bewässert wird, bedeutet einen entsprechenden Ausschluss von Agrarkultivierung im Irak und in Syrien.

Strategisches Ziel der Türkei ist der Persische Golf

GAP ist ein Projekt zur Erlangung regionaler Herrschaft. Mit der Kontrolle über die Wasser von Euphrat und Tigris will die türkische Regierung ihren Anspruch als regionale Großmacht unterstreichen und ausbauen. Ihr Ziel, ob realistisch oder illusionär, ist die strategische Position am Persischen Golf im Rahmen eines regionalen Sicherheitssystems. Dieses Ansinnen dürfte sich sowohl mit den Interessen der USA als auch Europas vor allem im Rahmen der NATO-Strategie bzgl. dem Mittleren Osten decken. Ein solches Sicherheitssystem könnte die Region befrieden zugunsten ungehinderten Zugangs sowohl zu den Ölressourcen auf der Arabischen Halbinsel als auch im Kaspischen Meer. Darüber hinaus würde es den Zugang zu den neuen, weitgehend noch unerschlossenen Märkten Zentralasiens sichern. Das GAP-Projekt soll den kurdischen Südosten nach Willen der Zentralregierung in Ankara zum Obst- und Gemüsekorb des Mittleren Ostens machen. Mit bis zu fünf Ernten pro Jahr will man die gesamte Arabische Halbinsel und sogar die Magreb-Staaten als Markt erobern.
Bisher stehen vor allem die irakische Führung unter Saddam Hussein als auch der Iran einer solchen Konzeption noch im Wege. Welchen Weg der neue syrische Präsident Bahar al-Asad in dieser Frage einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Durch die israelische Besetzung des Golan, der als Quellgebiet des Jordan zum zentralen Wasserreservoir Syriens gehört, ist die Wasserfrage für die syrische Regierung existenzieller Bestandteil der Nahostfriedensverhandlungen. Das GAP-Projekt verschärft dieses Problem.
GAP ist ein Projekt zur Aufstandsbekämpfung. Teile des kurdischen Südostens der Türkei befinden sich nach wie vor im Ausnahmezustand, so die Provinzen Diyarbakir und Siirt. Nach dem 15jährigen Krieg (1984-1999) werden weiterhin die sozialen Lebensstrukturen in den Dörfern und Weilern zerstört, nun durch das GAP-Projekt. Hunderte von Dörfern sind bereits in den Fluten der Stauseen verschwunden. Auf Landkarten lässt sich der ehemalige Verlauf von Straßen nachvollziehen, die durch die neu entstandenen Seen einfach zerschnitten wurden. Wieder sind die Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und sich neuen Lebensunterhalt zu suchen. Der kurdische Südosten des Landes wird von der türkischen Zentralregierung vor allem unter militär-strategischen Aspekten gesehen. Schon zur Zeit des Osmanischen Reiches dienten die kurdischen Gebiete als Pufferzone zum Persischen Reich. Die kurdischen Clans wurden zu taktischen Bündnispartnern. Die Ressourcen der kurdischen Gebiete dienen im wesentlichen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des türkischen Westens, wo sich heute auch die industriellen Kernzonen des Landes befinden. Mit der Änderung der türkischen Wirtschaft von traditioneller Agrarwirtschaft zu einer Agroindustrie wird die ganze Produktionsweise des bäuerlichen Lebens umstrukturiert. Welchen Nutzen das Projekt für die verbliebene kurdische Bevölkerung in der Region bringen wird, muss sich erst noch erweisen. Schon heute ist klar, dass die landlosen Flüchtlinge und Bauern, die, vom Militär aus ihren Heimatdörfern vertrieben, heute teilweise als Wanderarbeiter ihr Leben fristen, keinen Nutzen haben werden. Sichere Gewinner sind die kurdischen Großgrundbesitzer, die für den Verlust ihres Landes großzügige Abfindungen vom türkischen Staat erhalten. Ein großer Teil dieser Großgrundbesitzer stellte in den letzten 15 Jahren das Heer der “Dorfschützer”, die gegen Bezahlung auf der Seite der türkischen Armee die Guerilla der PKK und deren Familien bekämpfte.

Wasser als Waffe

Militärstrategische Interessen, Kriege, Embargo, anhaltende Unterentwicklung bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum und ineffiziente Nutzung haben aus dem Reichtum Wasser in der Region eine Waffe gemacht, die geradezu schamlos je nach Interessenslage eingesetzt wird. Die Türkei sitzt am Wasserhahn. Wie die arabischen Staaten die Kontrolle über ihren Rohstoff Öl hätten, so der ehemalige türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel, so werde die Türkei ihren “Rohstoff Wasser” kontrollieren und zum Wohle der Region als auch des eigenen Landes einsetzen.
Bereits 1974 kam es während des Baus des Asad-Staudammes in Syrien zu ersten Konflikten zwischen Syrien und dem Irak. Während der Stausee aufgefüllt wurde, sank innerhalb kürzester Zeit die Durchflussmenge des Euphrat für den Irak von 920m³ pro Sekunde auf 197m³ pro Sekunde. Zwischen 1974 und 1992 kam es zu verschiedenen Gesprächsrunden zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak, um die Nutzung des Wassers der beiden Flüsse zu regeln. Trotz nahezu 20 Treffen kam es zu keiner Einigung.5
1987 besuchte der damalige türkische Staatspräsident Turgut Özal Damaskus, um die bevorstehende Füllung von Stauseen im Rahmen des GAP-Projekts zu verhandeln. Konkret ging es um die Auffüllung des Atatürk-Stausees, dem bis dahin größten innerhalb des GAP-Projekts. Die Türkei verpflichtete sich damals, mindestens 500m³ pro Sekunde an Durchflussmenge nach Syrien zu garantieren. Diese Menge war keineswegs ausreichend für Syrien, das eine Mindestdurchflussmenge von 700m³ pro Sekunde gefordert hatte. Folge war, dass noch weniger Euphratwasser für den Irak übrig blieb. Dieses Problem zu verhandeln überließ die Türkei jedoch der syrischen Regierung. Als der Atatürk-Stausee schließlich 1990 aufgefüllt werden sollte, hatte Syrien eine schwere Dürrezeit hinter sich, die verminderte Wasserdurchflussmenge traf das Land besonders schwer. Der Irak protestierte offiziell in Ankara und forderte eine Vereinbarung, vergeblich. Eine Konferenz der drei Anrainerstaaten kurz vor Ausbruch des 2. Golfkrieges6, blieb ebenfalls ohne Ergebnis. Zwischen Syrien und dem Irak wurde allerdings vereinbart, das verbliebene Wasser zu teilen (42% für Syrien, 58% für den Irak). Seit 1992 wiederholte die Türkei gegenüber Syrien die Drohung, den Durchfluss des Euphratwassers ganz einzustellen, sollte das Land nicht seine vermeintliche Unterstützung für die PKK einstellen.
Der Irak, selber geübt im Gebrauch der Waffe Wasser7, ist heute aufgrund der UN-Sanktionen, die seit Beginn des 2. Golfkrieges mittlerweile 10 Jahre in Kraft sind, wirtschaftlich stark geschwächt. Die Wasserproblematik verschärft die Situation. Vor allem die hohe Kindersterblichkeit ist auf mangelndes und unsauberes Wasser zurückzuführen. Die Bereitschaft der türkischen Regierung auf die Regierungen Syriens und des Irak in der Wasserfrage zuzugehen ist gleich Null. Ankara weigert sich, die Wasseransprüche der beiden Länder durch Unterzeichnung der “UN-Konvention über nicht schiffbare Nutzung grenzüberschreitender Wasserwege” anzuerkennen.
Intensiver allerdings ist die Zusammenarbeit in dieser Frage mit Israel, das seine Wasserprobleme durch den Kauf von Süßwasser in der Türkei lösen will. Zwar wurde die von Özal seinerzeit geplante “Friedens-Pipeline” nicht gebaut, doch stellte die türkische Wasserbehörde vor kurzem einen neuen Plan vor. Nun soll das Lebenselixier in großen Wasserschläuchen per Schiff nach Israel transportiert werden. Das Manavgat-Projekt in der Nähe der Stadt Antalya wurde im Sommer stolz der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Waffe Wasser: Lunte am Pulverfass der Region

Der Internationale Währungsfonds, IWF, begrüßte das gigantische GAP-Projekt seinerzeit als Verbesserung für Investitionsgrundlagen in der wirtschaftlich zurückgebliebenen Region. Auch die Weltbank unterstützte anfangs das Projekt und sagte großzügige finanzielle Darlehen zu. Von dieser Position ist die Weltbank mittlerweile zurückgetreten. Die Skepsis über mögliche regionale Wasserkonflikte überwog bei dieser Entscheidung. Ausschlaggebend war auch die ablehnende Haltung der türkischen Regierung, internationale Konventionen zu unterzeichnen. Wie bereits erwähnt, betrachtet Ankara das Wasser als seine eigene, nationale “natürliche Bodenressource”, so, wie “der Irak das Öl hat”. Die Weigerung der türkischen Regierung, mit den Anrainerstaaten von Euphrat und Tigris, Syrien und Irak, ein völkerrechtlich bindendes Abkommen über die Nutzung des Wassers zu schließen, wird international scharf kritisiert. Einwände gegen das Projekt wurden aus ökologischer Sicht auch von der Internationalen Dammkommission vorgebracht. Interessant ist auch die Ansicht von Daniel Berau, dem ehemaligen Leiter einer US-Behörde, die sich mit den Folgekosten gebauter Staudämme befasst, dem Bureau of Reclamation. Berau vergleicht dabei die finanziellen Folgeprobleme großer Staudämme mit denen von Atomkraftwerken. Die Kosten, die durch Umsiedlungen, durch Verschlammung, Veränderung bzw. Zerstörung von Flora und Fauna, durch Versalzung und Klimaveränderung eintreten, betragen demnach heute Milliarden-Dollarsummen. Fließende Gewässer haben eine ungleich größere Selbstreinigungskraft als stehende Gewässer, Verschlammung und Versalzung der stehenden Gewässer führt auch zu erhöhtem Anstieg der Malariagefahr. Der Atatürk-Stausee ist durch fehlerhafte Berechnungen heute schon zu 30% verschlammt.8
Seit die Weltbank sich aus der Finanzierung des Projekts zurückgezogen hat, werden Teilabschnitte, die jeweils von internationalen Firmenkonsortien gebaut werden, vor allem durch Kreditzusicherungen nationaler Kreditprogramme abgesichert. Die deutsch-österreichische Firma Sulzer Hydro, jetzt VA Technologie AG, führend im Bereich hydraulischer Energietechnik, hat bei der Bundesregierung eine Hermes-Kreditbürgschaft beantragt, um sich am Bau des letzten großen Teilstücks, dem Ilisu-Staudamm nahe dem syrisch-irakisch-türkischen Länderdreieck beteiligen zu können. Die Hermesbürgschaften der Bundesrepublik Deutschland dienen ausschließlich der Förderung wirtschaftlicher Exportpolitik. Die Entscheidung darüber trifft nicht das Parlament, sondern ein interministerieller Ausschuss. Diesem Ausschuss gehören das Wirtschaftsministerium, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Außenministerium, das Verteidigungsministerium sowie der Bundeskanzler an. Die im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarte Reform der Hermes-Kreditbürgschaften nach sozial- und menschenrechtsverträglichen Kriterien, steht nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums nicht auf der Tagesordnung.
Vor allem das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) steht der Kreditzusage an Sulzer skeptisch gegenüber. Eine vom BMZ in Auftrag gegebene Studie soll Aufschluss darüber geben, welche politische, soziale und ökologische Gefährdung von dem Riesenprojekt Ilisu-Staudamm für die Region ausgehen würde. Das Wirtschaftsministerium sieht die Sache weniger kritisch. Anlässlich einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses (1.Dezember 1999) erklärte der Vertreter der Bundesregierung, der Staudamm in der Türkei (Ilisu-Damm) sei in einem Stadium, in dem man ihn “verantwortlich mit Hermes begleiten kann”. Und Wirtschaftsminister Müller erklärte im Ausschuss am 22.März 2000, dass das “türkische Vorhaben allgemein unumstritten sei”.9
Der Ilisu-Damm in der Nähe der Stadt Diyarbakir, soll von einem internationalen Konsortium aus neun Ländern realisiert werden: Großbritannien, Schweiz, Deutschland, Japan, USA, Italien, Österreich, Schweden, Portugal. Das Konsortium hat sich darauf geeinigt, das Projekt nur zu bauen, wenn alle beteiligten Länder zustimmen. Nun hat die Schweiz bereits ihre Zustimmung erteilt, Großbritannien allerdings, wo derzeit die wohl aktivste Kampagne gegen den Staudammbau zu beobachten ist, ist skeptisch. Verschiedene Delegationen, die die Lage vor Ort erkundeten, kamen zu äußerst negativen Ergebnissen. Das britische Unterhaus lehnte nach einer Anhörung die Kreditzusage an die Firma Belfour Beatty ab.
Nicht nur der US-amerikanische Geheimdienst CIA vertritt die Ansicht, der nächste Krieg in der Region des Mittleren Ostens werde ein Krieg um die Wasserressourcen sein. Auch wenn man sich bei den Prognosen der CIA zu Recht fragen muss, welche Interessen hinter den Analysen stecken, hilft alle angebrachte Skepsis wenig: die Realität weist tatsächlich auf diese Gefahr hin. Sollte es wegen des Wassers tatsächlich zu einem Krieg in der Region, die ohnehin ein Pulverfass ist, kommen, die Folgen wären verheerend. Hier schließt sich ein fataler Kreis zwischen der “Waffe Wasser” und den herkömmlichen Waffen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Wohlleben, Mitglied im Verteidigungsausschuss im Deutschen Bundestag, brachte es in der Debatte um die Lieferung von Leopard II-Panzern an die Türkei mit der zynischen Bemerkung auf den Punkt: “Die zukünftigen Kriege in dieser Region werden Kriege ums Wasser sein. Mir ist es lieber, wenn wir die Türkei ordentlich mit Panzern ausgerüstet haben, als dass wir im NATO-Fall pflichtgemäß unsere Soldaten dorthin schicken.”10


1: GAP, Staudamm- und Bewässerungsprojekt an Euphrat und Tigris, Freundinnen und Freunde des kurdischen Volkes Gießen, Kurdistan Komitee Köln e.V., Gießen/ Köln 1990
2: FAZ 19.6.2000
3: “Free Zone” bezeichnet ein Gebiet, in dem ausländische Investoren sich zu Produktionszwecken niederlassen können, ohne an die nationale Rechtsprechung gebunden zu sein. Vor allem Konzerne der Textilbranche nutzen das Angebot..
4: Wirtschaftstrends Türkei 2000, Bundesstelle für Außenhandelsinformationen (bfai)
5: Udo Steinbach, Die Türkei im 20. Jahrhundert, 1996
6: 2. Golfkrieg, zwischen westlichen Alliierten und dem Irak, dauerte vom 17. Januar 1991 bis 28. Februar 1991. Der 1. Golfkrieg, zwischen Iran und Irak, dauerte von September 1980 bis August 1988
7: Im Süden des Irak vereinigen beide Flüsse sich zum Schatt al-Arab, der als Grenzfluss zum Iran vorbei an der irakischen Stadt Basra und den iranischen Städten Khorrammshar und Abadan schließlich in den Persischen Golf fließt. Der Schatt al-Arab war und ist umgeben von einer fruchtbaren Sumpflandschaft, die den Menschen der Region, meist Schiiten, bis zum 1. Golfkrieg ihr Auskommen sicherte. Während des 1. Golfkrieges wurde das Gebiet militärische Front zwischen den irakischen und iranischen Truppen und ist es seitdem geblieben. Nach dem 2. Golfkrieg sicherte Saddam Hussein seine Macht gegen oppositionelle Schiiten in den südirakischen Sümpfen dadurch ab, dass er die Gegend trockenlegen ließ. Ermuntert von Zusagen der US-Amerikaner hatten sich schiitische Gruppen zum Aufstand gegen die Zentralmacht in Bagdad verleiten lassen. Ähnlich wie die kurdischen Parteien im Norden des Landes wurden sie nach dem Ende des Krieges sich selbst überlassen. Die Einrichtung sogenannter UN-Sicherheitszonen im Norden und Süden des Landes dienten weniger dem Schutz der dort lebenden Menschen, als vielmehr den ungehinderten Luftangriffen der alliierten Streitkräfte, die sie nach Belieben seit nunmehr zehn Jahren einsetzen, um die irakische Führung in die Schranken zu weisen. Leidtragende der Angriffe, das ist hinlänglich bekannt und dokumentiert, ist die Bevölkerung, die zusätzlich unter dem UN-Embargo leidet.
Das Austrocknen der Sümpfe wird von staatlicher irakischer Seite als “Entwicklungsprojekt” bezeichnet. Man habe den Menschen Straßen gegeben und ihnen damit die Verbindung zur Zivilisation ermöglicht. Aus Sicht der südirakischen Schiiten wird die Maßnahme als “Projekt der Aufstandsbekämpfung” bezeichnet, das den Menschen langfristig ihre Lebensgrundlage entzieht. Die traditionellen Wohngebiete der Sumpfbewohner werden zerstört, ihr Zugang zu frischem Wasser ist nahezu versiegt. Der Lebensunterhalt, den die Fischer in den Sümpfen fanden, nimmt mit dem Stand des Wassers ab. Immer mehr Menschen müssen ihre Dörfer verlassen und suchen Zuflucht in Basra, wo ein Liter Wasser mittlerweile 50 mal soviel kostet, wie ein Liter Benzin.
8: Wasser als Waffe, Ute Abraham, JW 29.6.2000
9: hib, Heute im Bundestag
10: Junge Welt vom 29.6.2000