Die Wasserfrage im Mittleren Osten am Beispiel des Ilisu-Staudamms Konfliktpotential wird erheblich erhöht Ercan Ayboğa, Initiative zur Rettung von Hasankeyf Mit dem Bau des geplanten Ilisu-Staudammes am Tigris in Nord-Kurdistan wird die Diskussion um die Bewirtschaftung der Ressource Wasser wieder belebt. Ilisu ist die größte Talsperre (1) am Tigris mit einem riesigen Stauvolumen (10,4 km2). Somit könnte die Türkei neben dem Euphrat auch den Tigris weitgehend kontrollieren. Wasser ist vor allem im Mittleren Osten, aber auch in Nordafrika, in der Sahelzone, in Mittel- und Südasien ein knappes Gut. In den meisten anderen Ländern und Regionen der Welt ist das Wasser zwar auch nicht im Überfluss vorhanden, doch in diesen genannten Regionen ist es für das Leben von Mensch und Natur insgesamt sehr entscheidend. Kennzeichnend für den Mittleren Osten ist dabei, dass die meisten Flüsse im Vorderen Orient grenzüberschreitend fließen, sodass etwa der Bau von Staudämmen und die Entnahme von Flusswasser durch ein Land auch das Nachbarland oder gar mehrere Länder betreffen. In den Vordergrund treten die Flüsse Euphrat, Tigris, Jordan und Nil. Im Mittleren Osten hat die Türkei gegenüber den anderen Staaten deutlich mehr Wasserreserven – sowohl absolut als auch pro Kopf, was vor allem an den beiden Flüssen Euphrat und Tigris liegt. Beide fließen vom Osttaurusgebirge die Grenze zu den Staaten Syrien und Irak überquerend nach Süd-Südosten zum Persischen Golf und geben diesem Land auch den historischen Namen Mesopotamien (Zweistromland). Im niederschlagsarmen Mittel- und Süd-Mesopotamien, das ausschließlich das Wasser dieser beiden Flüsse zur Verfügung hat, bildete sich über Jahrtausende hinweg eine weitflächige und intensive Bewässerungskultur mit hohen landwirtschaftlichen Erträgen aus (2). Nord bzw. Obermesopotamien, das heutige Nord-Kurdistan innerhalb der Grenzen der Türkei, ist zumeist gebirgig, verfügt über ausreichende Niederschläge (400 bis 1 000 mm pro Jahr, entspricht den Raten in den meisten Teilen Europas) und ist reichhaltig an Pflanzenarten, sodass eine intensive Bewässerungskultur sich hier nicht zu entwickeln brauchte; Regenfeldanbau (Anbau ohne künstliche Bewässerung) kann ohne größere Probleme betrieben werden. GAP und Ilisu Der Ilisu-Staudamm ist Teil vom Südostanatolienprojekt GAP, das 1984 von der Türkei in Angriff genommen wurde. Es ist zurzeit auf der Welt das gigantischste Wasserkraftwerks- und Bewässerungsprojekt seiner Art. Das GAP sieht vor, die Flüsse Euphrat und Tigris an insgesamt 22 Dämmen zu stauen und 17 600 km2 Land (1,76 Mill. Hektar) zu bewässern. Insgesamt sollen 19 Kraftwerke an den beiden Flüssen 27 300 GWh Strom erzeugen. Mehr als zwölf der Staudämme sind schon errichtet. Die Gesamtkosten des GAP werden auf 32 Mrd. $ angesetzt. Nach offiziellen Angaben soll GAP die „arme“ südost- und ostanatolische Region (Nord-Kurdistan) mittels Erzeugung von Energie, Bewässerung und Schaffung von Arbeitsplätzen (3,6 Mill. werden angegeben) an den „modernen und technischen Fortschritt“ angebunden werden. Bisher wurden etwa 80 % des ausschließlich dem Westen der Türkei dienenden Wasserkraftpotentials gebaut, jedoch andere Aspekte wie die Bewässerung vernachlässigt. Denn der Staat bekommt ja seinen Strom und das zählt. Die Türkei sträubt sich seit Beginn des GAP, Syrien und Irak in Bezug auf das Euphrat-Tigris-Wasser zu konsultieren. Sie betrachtet das Wasser als den „eigenen Reichtum, so wie das Öl andere Staaten der Region besitzen“. Sie hat z. B. nicht die UN-Konvention über die Nutzung nicht-schiffbarer grenzüberschreitender Wasserwege von 1997 unterzeichnet. Diese enthält die Prinzipien der fairen und angemessenen Nutzung („equitable and reasonable utilization“) grenzüberschreitender Wasserwege, der Partizipation und Konsultation zwischen den Flussanrainerstaaten. Zweifellos wird mittels des GAP viel Strom produziert und nicht unerheblich Land bewässert, dessen Agrarprodukte irgendwann exportiert werden könnten – spürbare regionale Entwicklung hat es nicht herbeigeführt. Doch hintergründig versteht die Türkei GAP jedoch erstens als strategisch-politische Waffe gegen ihre südlichen Nachbarn und im Zusammenhang damit auch als eine Möglichkeit, das gestaute Wasser an andere Staaten im Süden zu verkaufen. Somit werden mit GAP mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt. Bedeutung von Euphrat und Tigris für Irak und Syrien Um zu verstehen, wie sehr Syrien und der Irak vom Wasser des Euphrat und Tigris abhängen, sollten einige Zahlen erwähnt werden. Die Wassermenge des Euphrat, die den Persischen Golf erreicht, kommt zu 92 % aus dem Staat Türkei, d. h. nur zu 8 % speist sich der Fluss von Zuflüssen oder dem Grundwasser in Syrien und Irak. Beim Tigris kommen 55 % des Wassers aus der Türkei. Die restliche Wassermenge ergibt sich aus dem Zulauf mehrerer Flüsse aus dem Zagrosgebirge (verläuft parallel zur irakisch-iranischen Grenze) in den Tigris innerhalb des Iraks. Die schon errichteten Talsperren am Euphrat haben ein Stauvolumen von über 90 km3, was etwa mindestens dem zweieinhalbfachen jährlichen Durchfluss des Euphrats von der Türkei nach Syrien entspricht. Die Durchflussmenge ist von 950 auf 500 Kubikmeter pro Sekunde nach Fertigstellung der Talsperren am Euphrat gefallen. Auf dem Tigris ist ein gesamtes Stauvolumen von über 20,5 km3 geplant, wobei der jährliche Durchfluss in den Irak etwa 17 km3 beträgt. Der Euphrat ist für Syrien lebenswichtig, für den Irak beide, wobei der Tigris für ihn bedeutender ist. Die Menschen im Irak und in Syrien benutzen das Flusswasser hauptsächlich für die Bewässerung ihrer Felder und für die Trinkwasserversorgung. Energieerzeugung durch die Wasserkraft spielt für die beiden Staaten im Hinblick auf die beiden Flüsse keine wichtige Rolle. Faßt die gesamte Ernte im Irak hängt vom Bewässerungswasser ab, da der normale jährliche Niederschlag in nur sehr begrenzten Gebieten einen Regenfeldanbau ermöglicht. Im Irak beziehen große Städte wie Mossul, Dohuk und Bagdad ihr Trinkwasser vom Tigris. Schon jetzt ist die Wasserqualität in keinem guten Zustand (es wird intensiv aufbereitet, was aber keine gute Qualität garantiert); ein Aufstauen und Benutzen des Flusswassers zur Bewässerung innerhalb der türkischen Grenzen wird die Qualität und Quantität deutlich verringern. Im
Konkreten heißt es für die Landwirtschaft, dass die Errichtung von Talsperren
wie Ilisu zur Folge haben wird, dass sie durch die Verringerung des
Tigris-Wassers (um bis zu 40 %), das Ausbleiben der Überschwemmungen,
die verringerte Sedimentfracht (vom Fluss mitgeführte Feststoffe) und
verringerte Wasserqualität erheblich leiden wird. Für die Trinkwasserversorgung
wird es problematisch, weil das Wasser im geplanten Stausee höchstwahrscheinlich
euthropieren (umkippen) wird und die Wasserqualität so dramatisch verschlechtert
wird, dass es kaum noch mit Maßnahmen zu überwinden ist. Hierbei ist
wichtig zu wissen, dass es nach einer Euthrophierung unmöglich ist,
den Ilisu-Stausee zu sanieren. Die aufgeführten Zahlen zeigen, dass die Türkei das Wasser von Euphrat und Tigris regelrecht für viele Monate abdrehen könnte, im Falle des Euphrats problemlos länger als ein Jahr. Aber auch ein Zuviel an Wasser zur falschen Jahreszeit (im Sommer) kann unterhalb des Staudamms Schäden verursachen. Wasser als Waffe – Erhöhung des Konflikpotentials Es wird selbst für einen Staat wie Türkei nicht einfach sein, das Wasser einfach abzudrehen. Selbst wenn sie den Wasserhahn am Tigris und Euphrat nicht zudrehen sollte, reicht allein das Potential dafür aus, es politisch einzusetzen. Seit Jahren ist es so, dass allein ein einfacher politischer Konflikt dazu führen kann, dass die Grenzen zum Irak durch die Türkei geschlossen werden können, was sich vor allem auf die Menschen der Grenzregion auf nördlicher Seite wirtschaftlich sehr negativ auswirkt. Und wenn nun noch eine Möglichkeit des Zudrehens des Wassers hinzukommt, kann die Lage insgesamt instabiler werden. Um ihre politischen Ziele in erhitzten Diskussionen gegenüber dem Irak durchzusetzen, ist es oft nicht nötig, dass die Türkei auf den Tigris nebenbei hinweist. Durch den Ausbau der Staukapazität für das Tigriswasser wird das Konfliktpotential erheblich erhöht. Denn das Kernproblem dabei ist, dass es zwischen diesen drei Staaten kein Abkommen über die Bewirtschaftung des Euphrat- und Tigriswassers gibt. Abkommen heißt, dass alle drei Staaten in Verhandlungen zu einem gemeinsamen Ergebnis über die Benutzung der Wasserkapazitäten kommen und nicht eine Seite alles diktiert, Werte einseitig vorschreibt und die anderen unter Druck setzt. Da die Türkei sich zurzeit weigert, solch ein Abkommen überhaupt zu diskutieren und das Wasser als „grenzüberschreitend“ und nicht „international“ betrachtet, wird es in den nächsten Jahren auch nicht dazu kommen. Die Türkei versucht momentan aus zwei ganz spezifischen Gründen, das Ilisu-Projekt schnell durchzupeitschen. Zunächst ist die irakische Regierung sehr schwach und sie wird es nicht wagen, sich offen wegen des Projektes gegen die Türkei zu stellen. Zum Zweiten verhandelt die Türkei mit der EU noch nicht die Wasserthemen, was aber in wenigen Jahren der Fall sein kann, wenn der EU-Prozess weitergeht. Nach EU-Recht muss es das besagte Abkommen mit Anrainerstaaten geben, bevor ein Projekt wie Ilisu verwirklicht werden könnte. Der Druck durch Kampagnen der vom Ilisuprojekt Betroffenen und von Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Europa hat die drei Regierungen von Deutschland, Österreich und Schweiz aufgrund der beantragten Exportkreditbürgschaften dazu gebracht (denn die Kriterien für Exportkreditversicherungen verlangen es), von der Türkei Konsultationen mit Irak und Syrien über das Ilisuprojekt zu verlangen. So haben im Mai 2006 erste Gespräche über das Ilisuprojekt begonnen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Täuschung seitens der Türkei, denn die bisher durchgeführten drei Treffen haben Syrien und Irak keine neuen wichtigen Informationen erbracht. Ein Treffen Ende März 2007 von Ministern der drei Staaten, bei dem vereinbart wurde, einen Zeitplan über Gespräche zu erstellen, wurde von der türkischen Regierung bzw. türkischen Presse so dargestellt, als ob Syrien und Irak mit dem Ilisuprojekt einverstanden wären. Dies stellte sich als eine bewusste Desinformation dar. Der Türkei geht es vielmehr darum, den Regierungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz zu zeigen, dass sie sich bewegt und Syrien und Irak konsultiert, damit sie die für das Ilisuprojekt wichtigen Exportkreditversicherungen genehmigen. Kennzeichnend für die Türkei ist, dass sie in sich viele Konflikte birgt und auch keine guten Beziehungen zu Nachbarstaaten pflegt. Sie will langfristig die Kontrolle über die in andere Staaten fließenden Flüsse ausüben, um damit politischen Druck ausüben zu können und auch, um mit dem Wasser mit anderen Staaten Handel treiben zu können. Im neuen Staat Irak wird teilweise eine Politik verfolgt, die der Türkei nicht passt. Die Türkei versucht zu verhindern, dass die KurdInnen im Irak ihre Rechte und ihren berechtigten Einfluss im Staat bekommen. So sollen sie z. B. nicht das erdölreiche Kerkuk in ihre föderale Struktur einbinden. In diesem Sinne könnte der Ilisu-Staudamm ein Mittel zur Verhinderung sein. Momentan hat die Türkei keine Möglichkeiten, irgendwelchen politischen oder wirtschaftlichen Druck auf den Irak auszuüben. Wasser als Ware? Ein anderer langfristig gedachter Aspekt bei den vielen geplanten und durchgeführten Talsperrenprojekten in der Türkei ist es, das Wasser als Handelsware an die südlichen Staaten wie Saudi-Arabien, Jordanien oder Israel zu verkaufen. Schon der frühere türkische Staatspräsident Özal hatte Vorschläge, tausende Kilometer lange Wasser-Pipelines zu bauen, was jedoch an der politischen Instabilität und der Ablehnung Syriens (im Hinblick auf Israel) scheiterte. Zeitweise verkaufte die Türkei Wasser des Flusses Manavgat (Provinz Antalya), was mittels großer Tanks über das Mittelmeer transportiert wurde, an Israel. Dies wurde u. a. wegen des hohen Verkaufspreises gestoppt. Vor zwei Monaten haben die Türkei und Israel über große Pipelines konkret verhandelt, die neben Gas, Öl, Strom auch Wasser von der Türkei nach Israel transportieren sollen, wovon ebenfalls auch Palästina und Jordanien profitieren könnten. Eine endgültige Entscheidung ist in nächster Zeit zu erwarten.
Dieser Aspekt des Verkaufs von Wasser ist zwar heute kein sehr großes
Thema, aber mit dem anhaltenden hohen Bevölkerungswachstum, der Verschmutzung
der Wasserreserven und der zu erwartenden Erhitzung des Klimas kann
sich hier schon in mehreren Jahren die Situation ändern. Es bedarf einer grundlegenden Veränderung in der Einstellung gegenüber der Bewässerung in der Landwirtschaft, der Energiepolitik/Wasserkraftwerkpolitik, dem Stellenwert der Flüsse als erhaltenswerte Ökosysteme.
Fußnoten: |