Der Film ist ein einziges Gedicht Der letzte Tag im Leben von Beritan Reimar Heider Beritan
war eine Guerillakommandantin, die zur Legende wurde. Jetzt hat ihr
die Guerilla ein Denkmal gesetzt – mit einem einzigartigen Film. Beritan, die aus Dersim/Karakocan stammt, schloss sich 1991 der Befreiungsbewegung an, während sie an der Universität Istanbul studierte. Bei der Guerilla machte sie sich schnell einen Namen, weil sie Missstände offen anprangerte, anging und sich mit traditionell denkenden Kommandanten und Kommandantinnen anlegte, die den Frauen in der Bewegung nur minderwertige Hilfsaufgaben übertragen wollten. Beritan war es auch, die als Erste die Tradition des Guerillagedichts begründete – eine Tradition, deren Produkte heute Dutzende von Monografien und Anthologien füllen.
Der Film erzählt den letzten Tag im Leben von Beritan, in immer neuen Rückblenden wird dessen Vorgeschichte fassbar: Beritan als Lehrerin im Alphabetisierungskurs bei der Guerilla, Beritan und ihr Verlobter, mit dem sie sich gemeinsam anschließt und von dem sie durch den Krieg getrennt wird, Beritan, die gegen das Kopftuch kämpft, auf dem auch Frauen bestehen. Beritan, die nicht kochen, sondern kämpfen will. Während in der Rahmenhandlung Tag und Nacht gekämpft wird, sind es diese Rückblenden, die das Menschliche im Krieg fassbar machen. Überraschend intensiv beispielsweise die platonische Liebesszene zwischen Beritan und Hüseyin, die praktisch ohne eine Berührung der beiden auskommt. Doch auch der Krieg kennt viele Gefühle. Widerwillen, einen Gegner aus nächster Nähe töten zu müssen, Angst, Sorge, Trauer und Verantwortung. Während der oberste Kommandant des Frontabschnitts, der von Ömer Harran hervorragend gespielte Osman Öcalan, mit dem Verrat mehr als nur liebäugelt, fallen nach und nach die Genossinnen und Genossen Beritans, die als umsichtige Kommandantin immer das Wohl der Gruppe im Blick hat. Zuletzt bleibt sie allein – umzingelt von Peschmergas der KDP, die es auf sie abgesehen haben. Bis zur letzten Kugel kämpft sie, zerstört ihre Waffe und opfert sich zuletzt selbst, um sich auf keinen Fall zu ergeben, ihre Träume niemals zu verraten. Leider ist gerade diese letzte Szene, auf die alles im Film hinauslaufen muss, da das Ende ja allgemein bekannt ist, eher misslungen. Während der Dreharbeiten an Originalschauplätzen wurde das bisher unbekannte Grab Beritans entdeckt. Die Exhumierung und Überführung ihrer sterblichen Überreste in ein neues Grab rahmen die Spielfilmhandlung ein und verleihen „Beritan“ einen noch authentischeren Charakter. Die enge Verzahnung von Realität und Fiktion macht es den ZuschauerInnen ohnehin schwer, sich emotional zu distanzieren. Die enorme Detailtreue sowohl der Kampfszenen als auch der Rückblenden sowie die schauspielerische Leistung der DarstellerInnen lassen die drei Stunden des Films wie im Flug vergehen. Beritan setzt neue Maßstäbe für den kurdischen Film überhaupt und ist ohne Zweifel die bisherige Krönung des theatralischen und cineastischen Schaffens der Befreiungsbewegung. Technische Mängel wie gelegentlich unverständlicher Ton und die misslungene Schlussszene schränken diesen Eindruck kaum ein. Verwirrend wirkt lediglich, dass die ZuschauerInnen wenig über die Umstände des Krieges erfahren. Kämpfende Bewegungen neigen gelegentlich zum Pompösen und Monumentalen, um die Größe ihrer revolutionären Ideen oder der erlittenen Torturen auszudrücken. Manche errichten dazu Denkmäler oder Monumente. Auch „Beritan“ ist ein Monument – aber nicht grob und klotzig, sondern eher fein und poetisch. Beritans bekannte Gedichte kommen im Film nicht vor – aber der Film ist selbst ein einziges Gedicht. Eines in dem es donnert und knallt, in dem gekämpft, getötet und gestorben wird. Aber eben auch eines, in dem geliebt, gelacht und gehofft wird. Die Heldinnen und Helden in „Beritan“ sind keine Übermenschen, sondern im Gegenteil ganz besonders menschlich. Absurd schön der Dialog zwischen Beritan und ihrer türkischen Genossin Ruken: „Weißt Du, Heval Ruken, dieser Krieg ist bald zu Ende. Morgen ist der letzte Tag.“ „Woher weißt Du das?“ „Ich weiß es nicht – ich fühle es.“ Das war vor 14 Jahren. Doch noch immer wird getötet und gestorben, gehofft und geliebt. Beritan
Kurdistan 2006
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