Dogan Güzels Comic jetzt auch im Kurdistan Report

Qirix: für die Kurden ein Symbol der 90er Jahre

Baris, Journalist

Die Comicserie „Qirix” von Dogan Güzel behandelt humorvoll die Wirkung der mit der kurdischen Befreiungsbewegung entstandenen sozialen Veränderung auf eine Generation in Diyarbakir. Wir möchten unseren Leserinnen und Lesern diesen Comic vorstellen und in den nächsten Ausgaben immer mal wieder ein Beispiel veröffentlichen.

Was ist Qirix oder was ist er nicht?

Eine Frage, die für diejenigen, die nicht in Diyarbakir gelebt haben, schwer verständlich und nicht einfach zu beantworten ist. Um es schlicht darzustellen: Qirix ist jemand, der zwar Verantwortung trägt, die soziale Ordnung innerhalb der Gesellschaft in Diyarbakir nach seiner eigenen Vorstellung zu sichern, aber für andere Verantwortlichkeiten nicht leicht zu bekommen ist. Er ist eine Art Straßenraufbold. Er steht zwischen dem klassisch-kurdischen Familienleben, das geprägt ist vom Dorfleben, und der Stadtkultur. Er besitzt einen Charakter, der sich zwar gegen die kulturellen Gewebe des Stadtlebens wehrt, aber gleichzeitig auch nicht in der Lage ist, die Kontrolle der klassischen Gesellschaftsstrukturen hinzunehmen.

Auch wenn Qirix ein Produkt des kulturellen Wandels ist, verteidigt er die Werte des klassisch-kurdischen Lebens und versucht innerhalb Diyarbakirs seine eigene Ordnung zu errichten. Es ist keine Rolle, die auf ihn zugeschnitten ist. Wegen der Schwierigkeiten, die er bei der Anpassung an die klassischen Gesellschaftsstrukturen erlebt und die ihn lähmen, übernimmt Qirix seine Rolle aus eigener Initiative. Den Respekt innerhalb der Gesellschaft sichert er sich auf diese Weise. Ein tatsächlicher Qirix setzt Gewalt im Vergleich zu den Raufbolden weniger ein. Der Hauptgrund für seine Gewaltbereitschaft besteht darin, dass er sich somit einen Ruf schaffen will, um seine Position dermaßen zu stärken, dass er bei möglichen Problemkonfrontationen ohne Gewaltanwendung eine Lösung erreichen kann. Die Qualität eines Qirixs kann auch nur auf diese Weise gemessen werden.

Das Leben von Qirix ist weniger abenteuerlich, lustig oder merkwürdig, sondern eher wehmütig. Er ist sehr stolz, aber nicht im gleichen Maße stark. Er fordert das Unmögliche. So ist er hinter einer aussichtslosen Liebe her, er möchte noch stärker und effektiver sein, als ihn die Gesellschaft sieht. Alle Bemühungen eines Jugendlichen mit 18 oder 19 Jahren zum „Qirixtum” überzugehen, verlaufen bei ihm im Sande. Das Leben eines Qirix, das von gewissen Freiheitsgedanken beeinflusst ist, normalisiert sich, sobald er das 30. Lebensjahr erreicht hat, und verschmilzt dann mit der Gesellschaft.

Diyarbakir, als historischer Ort des Widerstands der Kurden, ist in den 90er Jahren ein heißes Pflaster. Nachdem 1991 der Provinzvorsitzende der HEP (Arbeiterpartei des Volkes) Vedat Aydin durch einen Angriff der Kontraguerilla des türkischen Staates ermordet worden ist, beginnt für Diyarbakir eine blutige Phase. Die Straßen der Stadt werden von Angst beherrscht; die türkischen Sicherheitskräfte terrorisieren die Bevölkerung. Der kurdische Widerstand weitet sich dagegen mit jedem Tag aus.

Das Leben der furchtlosen Raufbolde, also der Qirixs, beginnt nach 1990 in den Straßen von Diyarbakir. Qirixs, die innerhalb vieler Jahre einen gesellschaftlichen Status innerhalb des Stadtlebens erlangt haben, verlieren mit dem sozialen Wandel durch den kurdischen Befreiungskampf einen Großteil ihrer Lebensgrundlagen. Die begrenzte Macht der Qirixs wird ersetzt durch die revolutionäre Macht. Die neue soziale Realität übersteigt im weiten die Fähigkeiten der Qirixs. Dogan Güzel beginnt genau in dieser Zeit Qirix zu karikaturisieren.

Der Hauptcharakter von Dogan Güzel ist Keko, ein Qirix-Typ, der versucht weiterhin an dem Leben von Diyarbakir vor 1990 festzuhalten. Er wechselt ständig zwischen den sich entwickelnden patriotischen Eigenschaften und Gefühlen und der Qirix-Kultur. Er ist rebellisch, und weil er nicht so weit gezähmt ist, dass er einem Job nachgeht und Geld verdient, ist er total von der Familie abhängig. Gegen Ungerechtigkeiten versucht er im Rahmen seiner Möglichkeiten zu kämpfen, aber gegen die Praktiken der türkischen Sicherheitskräfte und Soldaten ist er nicht im Stande, etwas zu tun.
Diese Machtlosigkeit richtet ihn zu Grunde. Er ist sich zwar bewusst, dass er seine Machtlosigkeit nur durch einen organisierten Kampf überwinden kann, aber sein Beharren auf seinem Lebensstil hält ihn davon zurück, sich aktiv am Kampf zu beteiligen. Die Situation seines besten Freundes Ceto ist nicht anders.

Kekos Familie ist sehr trefflich charakterisiert und vertritt eine bestimmte Schicht innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Obwohl der Vater sich vieler Dingen bewusst ist, ist er in seiner Einstellung festgefahren, dass für die Befreiung der Kurden nicht gekämpft werden kann. Er vertritt den feudalen kurdischen Mann, der in seinen Grundzügen zum größten Teil assimiliert ist. Die Mutter hingegen ist sehr aufmerksam. Sie konnte, aufgrund des in sich geschlossenen kurdischen Familienlebens, nicht assimiliert werden. Sie handelt instinktiv als Beschützerin ihrer Kinder. Die Mutter, die die Trägerin der gesellschaftlichen Geschichte ist, trägt den Bruch, den die bisherigen zerschlagenen 29 Aufstände erzeugt haben, in ihrem Gedächtnis mit sich. Aber ebenso trägt sie die Hoffnungen, dass der 30. Aufstand Erfolg haben wird.

Kekos kleine Geschwister sind während des Befreiungskampfes auf die Welt gekommen. Für sie ist der Kampf der Ausdruck ihres Lebens. Die Reaktionen auf die Repressionen, denen die Älteren ausgesetzt sind, macht sie furchtlos. Wie viele Kinder in Diyarbakir sind sie fortschrittlicher als ihre Eltern. In der Zeit, als viele Menschen ihr Leben beim Verteilen kurdischer Zeitungen verloren haben, treten Kinder in Diyarbakir als Zeitungsverteiler in den Vordergrund. Die Kinder verteilen die Zeitung trotz Verbot und trotz aller Repressionen bis in die abgelegensten Winkel der Stadt. Die Charaktere der Geschwister symbolisieren die entschlossenen und aufständischen kurdischen Kinder. Der Bruder in Mersin, der zwar nie in den Karikaturen abgebildet wird, aber immer wieder mal Thema ist, ist einer von den Hunderttausenden, die in den 90er Jahren von Kurdistan in die Metropolen vertrieben wurden. Kekos „politischer Bruder“ aber, der in seinem Leben eine bedeutende Rolle spielt, vertritt hingegen Tausende von kurdischen Patrioten, die versuchen zur kurdischen Aufklärung beizutragen.

Keko führt zudem – wie bei den Qirixs im Allgemeinen üblich – eine platonische Liebe. Sein „Fall“ (so wird in Diyarbakir die Person bezeichnet, in die eine andere verschossen ist) ist ein Mädchen, das zur Schule geht und revolutionäre Gedanken hegt. Sie symbolisiert die neue Generation von Frauen, die sich von der repressiven Gesellschaftsrealität entfernen und sich auf der Basis des kurdischen Kampfes politisieren.

Dogan Güzel hat mit seinem Scharfsinn und seinem Stil einen Charakter-Typ geschaffen, der die Lebensrealität Diyarbakirs mit den Errungenschaften des kurdischen Kampfes verbindet. Qirix ist für die Kurden ein Symbol der 90er Jahre. Güzel, der mit seinen Zeichnungen alle Züge der blutigen Phase wiedergibt, bietet für die Leser/innen zwischen den von Kriegsnachrichten beherrschten Zeitungsspalten eine Basis zum Lachen. Somit nehmen die Qirixs innerhalb der kurdischen Presse einen unvergesslichen Platz ein.

Dogan Güzel musste aufgrund zahlreicher gerichtlicher Verfahren die Türkei verlassen. Heute lebt er in Spanien. Seit Januar 2006 zeichnet Güzel erneut für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Seine Zeichnungen erscheinen einmal wöchentlich.