Diese vierteilige Veranstaltungsreihe des Infoladen „Daneben" in Zusammenarbeit mit allen beteiligten ReferentInnen ist der Versuch einer Diskussion internationalistischer Praxis der radikalen Linken in der BRD. Im Mittelpunkt stehen nicht die Entwicklungen, Vorgänge und Ereignisse verschiedener Trikontländer. Es geht um das Hier, um uns, unsere Motivation, unsere Ziele und unser Handeln und wie und warum sich dies alles verändert hat. Mit dem Blick auf die Geschichte des Internationalismus und der Beleuchtung zweier aktueller Auseinandersetzungen wollen wir zusammen mit allen ReferentInnen über für heute angemessene und brauchbare Strategien internationalistischer Praxis diskutieren.
In der jungen Geschichte des Internationalismus, der für die radikale Linke bedeutsam war, lassen sich verschiedenste Facetten internationalistischer Praxis ausmachen. Aufgrund der sich verändernden äußeren Bedingungen muß diese Praxis überdacht und gegebenenfalls neu bestimmt werden. In den letzten Jahrzehnten haben sich die äußeren Bedingungen inter nationalistischer Politik stark verändert und damit hat sich das Kräfteverhältnis zu unseren Ungunsten verschoben. Diese Veränderungen sind z.B. die weltwirtschaftlichen Veränderungen, die schlagwortartig gerne als Globalisierung bezeichnet werden, die 'erfolgreiche' Nationalstaatenbildung in den ehemaligen Kolonien, der Zusammenbruch des realsozialistischen Lagers und die Restauration Großdeutschlands...
Voraussetzung für eine passende Antwort, eine Strategie, wie angesichts dieser Entwicklungen die in diesem Zusammenhang vielzitierte Krise der Linken überwunden werden kann, bzw. wie trotzdem eine politische Handlungsfähigkeit erlangt werden kann, ist die Reflexion der eigenen Geschichte in Theorie und Praxis. Dazu ist es auch notwendig zu untersuchen, an welchen Stellen und in welchem Maße die (internationalistischen) Praxen der radikalen Linken selbst unzureichend oder gar falsch waren, weil die damit verknüpften Voraussetzungen, Einschätzungen und Annahmen schon nicht stimmten und in diesem Sinne die radikale Linke ihren Teil für den heutigen Zustand beigetragen hat. Hier ginge es um die Wirkung linksradikaler Politik nach außen und innerlinke Konflikte, sich Fehler, (fehlende) Auseinandersetzungen und ‘blinde' Flecken. Also etwa um Revolutionsromantik, falsche Vorstellungen über den realex- istierenden Sozialismus, Moralismus statt Analyse, Nicht- Wahrnehmen bzw. Ignorieren des eigenen Rassismus sowie Ausblenden von Lebensrealitäten, die nicht der weißen und männlich-heterosexuell dominierten, kapitalistisch geprägten Normalität entsprechen...
Mit dieser Veranstaltungsreihe wollen wir einen Teil zu dieser Auseinandersetzung beitragen. Wir verstehen diese Reihe als einen Prozeß gemeinsamer Suchbewegungen. Die erste Veranstaltung soll sich anhand von einzelnen Kampagnen und Bewegungen mit der Geschichte des Internationalismus seit Ende der sechziger Jahre befassen. Geplant sind zwei aufeinander bezugnehmende Referate, eines von Klaus Viehmann, mit dem Schwerpunkt internationalistischer bzw., antiimperialistischer Politik in den siebziger Jahren. Das zweite, von einer ehemaligen Mitarbeiterin des Lateinamerikazentrums Berlin (LAZ), soll näher auf die achtziger Jahre eingehen. Dabei soll versucht werden, keine Aneinanderreihung von Ereignissen zu präsentieren, sondern es sollen Motivationen und Begründungszusammenhänge der jeweiligen politischen Bewegungen herausgearbeitet werden. Die zweite und dritte Veranstaltung hängen eng zusammen. Es ist geplant zwei aktuelle Felder internalionalistischer Praxis zu beleuchten, die die Probleme der radikalen Linken in Deutschland aufgrund ihres spezifischen Internationalismusverständnisses und ihr Scheitern an unliebsamen Widersprüchen, verdeutlichen. Auf der zweiten Veranstaltung soll es um Möglichkeiten kritischer Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbewegung gehen. Die Veranstaltung wird von einem Teil einer Vorbereitungsgruppe der Newroz-Demo 1997 durchgeführt.
Die PKK ist ein wichtiger Teil des kurdischen Widerstandes. Dabei sind ihre theoretischen Konzeptionen, ihre Praxis und Struktur sicherlich kritisierbar und kritisierenswert. Der Schwerpunkt der Veranstaltung soll sein, wie sich die Linke in der BRD zum Krieg in Kurdistan verhalten hat. Auffällig in diesem Falle ist vor allem, daß sich wenig oder nicht verhalten wird, obwohl gerade durch die 500.000 in der BRD lebenden KurdInnen eine Auseinandersetzung mit dem kurdischen Widerstand eine ganz andere Qualität erreichen könnte, als in den meisten anderen Fällen. Wieso ist es größtenteils nicht möglich, eine solidarische Praxis zum kurdischen Widerstand zu finden und warum tut sich diese Linke so schwer, Solidarität zu üben, wenn sich die Positionen derer, mit denen sie sich solidarisieren wollen, nicht zur völligen Identifikation eignen? Hätte die radikale Linke nicht genug Anknüpfungspunkte, um die BRD als Kriegspartei oder als Zensur und Verbot durchsetzende Akteurin anzugreifen, ohne daß sie damit ihre Kritik an der PKK zurückstellen müßte? Wie weit weg bzw. wie nahe vor der eigenen Haustür muß bzw. darf ein Konflikt sein, damit die radikale Linke Position bezieht? Auch in der dritten Veranstaltung, bei der sich die Mexikogruppe aus dem FDCL der Frage widmen wird, was den Widerstand in Chiapas so neu und interessant für gerade diese Linke macht, geht es wiederum um Identifikationen. „Warum,“ so die Frage einer kritischen Beobachterin, "ist der Saal bei einer Chiapas- Veranstaltung gedrängt voll mit deutschen „SympathisantInnen, während auf einer Veranstaltung zu Kurdistan kurdische Gruppen fast unter sich bleiben?" Liegt es wirklich nur an der größeren Medienwirksamkeit von Subcomandante Marcos, daß eine derart euphorische Revolutionsromantik an diesem Thema ausbrach? Gemeinsam mit allen Beteiligten sollen die Ergebnisse, Thesen und Fragen der vorherigen Veranstaltungen aufgegriffen werden und nochmals bei der vierten und letzten Veranstaltung diskutiert werden, um nach einer gemeinsamen Einschätzung der Lage zu erörtern, wie es vielleicht weitergehen könnte. Insbesondere soll es hier nochmals um ein Ausleuchten von „blinden Flecken" im lnternationalismusverständnis der radikalen Linken in Deutschland gehen.
Im Laufe der Vorbereitung ist uns bewußt geworden, daß wir bei der Suche nach „blinden Flecken“ internationalistischer Praxis selbst einem blinden Fleck aufgesessen sind: Wir als Veranstalterlnnen wurden darauf hingewiesen, daß wir dadurch, daß wir 'ganz selbstverständlich' nur weiße Metropolenlinke zur Vorbereitung der Veranstaltungsreihe eingeladen hatten, klassische eurozentristische und rassistische Verhaltensmuster der Linken reproduzieren. Nicht alle in der BRD, die Bezüge zu linksradikaler Politik für sich sehen, haben einen (deutschen) Paß. Gerade die radikale Linke erhebt den Anspruch auf ein Politikverständnis, das internationalistische Aspekte wesentlich mitbeinhaltet. Aus diesem Grunde wird klar, daß die Veranstaltungsreihe in dieser Beziehung unvollständig bleiben wird und die Erweiterung der Diskussion nach wie vor aussteht. Ungeachtet der Bedeutung dieses blinden Flecks finden wir es wichtig, als weiße Metropolen-Linke untereinander zu klären, mit welchem Verständnis von Solidarität wir wann, wo und mit welcher Motivation handeln bzw. handeln sollten.
Termine:
9.11.97 BRD - Vietnam - El Salvador Rückblick: Internationalismus in den 70er und 80er Jahren mit Klaus Viehmann und einer ehemaligen Mitarbeiterin des Lateinamerikazentrums Berlin (LAZ) 16.11.97 Deutsche Waffen nach Kurdistan – deutsche Linke nach Chiapas? Kurdistan-Solidarität zwischen Abgrenzung und Bedeutungslosigkeit mit einer Vorbereitungsgruppe der Newroz- Demo '97 in Berlin 23.11.97 United Colors of Marcos Oder: Trampelpfade im Herzen der Bestie. mit der Mexiko-Gruppe im FDCL 30.11.97 Perspektiven internationalistischer Politik? gemeinsame Diskussion mit allen Referentlnnen Ort : Immer um 19 Uhr, Café Größenwahn, Kinzigstr. 9, Berlin- Friedrichshain (U5 Samariter Str. S-Bahn Warschauer Str.)
Zur Veranstaltung gibt es einen READER der ab 3. Nov. im Infoladen Daneben, im Buchladen Schwarze Risse und bei den Veranstaltungen verkauft wird. (Ca. 66 Seiten Kosten 6 bzw. incl. Porto 7,50 DM)
Anschrift:
Infoladen Daneben
Liebigstr. 34
10247 Berlin
Berlin, 26.10.97
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