Tag der Heimat 1997

Auch in diesem Jahr werden der Einladung des Bundes der Vertriebenen (BdV) zum "Tag der Heimat" in Berlin am 6./ 7. September 1997 wieder revanchistische Verbände und Gruppen folgen. Sie werden diesen Anlaß nutzen, um lautstark die Ziele des BdV zu artikulieren:

Durchsetzung von "Volksgruppen- und Minderheitenrechten" für Menschen "deutscher Abstammung" in aller Welt

Rückgabe ehemals deutscher Immobilien

Ansiedlungsrecht und Entschädigungszahlungen für ehemals "Vertriebene" und /oder deren Nachkommen in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches

Das Ziel dieser Politik ist die Revidierung der deutschen Ostgrenzen. So formulierte Herbert Hupka als Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien 1984: "Das deutsche Reich existiert fort. (...) Ostdeutschland um- faßt nicht nur Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße, (...) sondern auch das Sudetenland und die deutschen Siedlungsgebiete zwischen Ostsee und Schwarzem Meer." Von dieser Position ist Hupka bis heute keinen Millimeter abgewichen. Wie in jedem Jahr werden auch bei diesem "Tag der Heimat" wieder kon- servative Politiker von der CDU/CSU bis hin zu faschistischen und neu- rechten Gruppierungen aller Couleur dabei sein, um ihre reaktionäre Pro- paganda öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Zur Durchsetzung der obengenannten Ziele wird die Umsiedlung als Völkermord dargestellt, der Holocaust und andere Verbrechen der deutschen Täter werden verharmlost und die deut- sche Verantwortung für den 2. Weltkrieg und die daraus resultierenden Konsequenzen nicht akzeptiert.

6. september, berlin,

voraueelchtllch humboldtuniversität:

tag ohne heimat

tagung des komitee tag ohne heimat

revanchismus und deutsche gro8machtpolitik oder wie lange braucht der volkswagen bis zum ural? Damit waren und sind die Vertriebenenverbände (bzw. deren Repräsentanten) neben den Neurechten A la Zitelmann und Mechtersheimer Vorreiter in der derzeitigen rechten Ideologiebildung und ein Sprachrohr der deutschnationalen Fraktionen innerhalb der CDU und der FDP.

Der Einfluß dieser Fraktion innerhalb der deutschen Eliten wächst seit der Niederlage der realsozialistischen Staaten im Kalten Krieg stetig. Vor dem Hintergrund der strukturellen Krise des Kapitalismus seit dem Ende der 70er Jahre sind auch SPD und Teile der Grünen auf den "wirtschafts-nationalen" Karren aufgesprungen, den die rechten Eliten angeschoben haben. Die sogenannte Staatsräson wird dem Individualrecht wieder zunehmend übergeordnet. So wird der Einfluß dieser Verfechter der nationalen Formierung auch innenpolitisch spürbar: Abbau bürgerlicher Grundrechte, Einschränkungen in der sozialen Sicherung einzelner BürgerInnen und Ausgrenzung und Kriminalisierung von Nichtdeutschen in der BRD wird mit den übergeordneten Interessen der Nation (Standort Deutschland) begründet.

Europäische Integration war das oflizielle deutsche Politik- konzept, das im Schatten der militärischen Niederlage nach 1945 entstanden ist. Nach außen hin wird immer noch die Politik der Integration Deutschlands in Europa vorangetrieben und die enge Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich als tragende Achse des europäischen Einigungsprozesses propagiert. Mit dem Verblassen der Niederlage Nazideutschlands scheinen sich jedoch die alten geopolitischen Vorstellungen von einem Europa unter deutscher Führung immer mehr durchzusetzen. In Osteuropa sollen nun nicht zuletzt die ökonomischen Voraussetzungen geschaffen werden zur Verbesserung der Gewinnspannen deutscher Konzerne. Polen, Ungarn, Tschechien und Slowenien sollen als neue, östliche Peripherie an die EG angebunden werden, um soziale und Ökonomische Puffer f0r das hochindustrialisierte europäische Zentrum zu bilden. Dabei ist absehbar, daß eine tatsächliche Mitgliedschaft in der EU noch Jahre oder Jahrzehnte auf sich warten lassen wird - durch langandauernde Verhandlungen innen diese Staaten gefügig gemacht werden. Das Bestreben der BRD, innerhalb Europas Hegemonialmacht zu werden, wird nun immer deutlicher sichtbar - auch wenn es unterschwellig schon seit Jahrzehnten betrieben wurde.

Das Prinzip der staatlichen Souveränität wird, zumindest dar, wo es opportun erscheint, fallengelassen zugunsten eines "Selbstbestlmmungsrechts" von nach Bedarf konstruierten Völkern. Die daraus abgeleiteten Staatsgebilde werden reibungslos anerkannt wie z.B. im Falle Kroatiens. Andererseits bereitet es der BRD keine Probleme, daß in der baltischen Republik Estland 40% der Bevölkerung die demokratischen Rechte entzogen bekamen, weil sie Russlnnen sind. Solche Beispiele offenbaren nicht nur

den veränderten Charakter der deutschen Außenpolitik; so werden auch nach Osten gerichtete Neuordnungsvorstellungen vorangetrieben. Offensichtliches Ziel dieser Politik ist die Machterweiterung der BRD durch die Zerstückelung der Macht anderer - je kleiner die Nachbarstaaten, desto geringer ihr Einfluß.

"Mit dem klaren Bezug auf alte deutsche Ideologien, wie dem völkischen Prinzip, wird unverhohlen an alte Konzepte und Überlegungen aus dem wilhelminischen DeW sehen Reich, der Weimarer Republik und dem Nationalsozialistischen Regime angeknüpft. Nach 1990 ist der osteuropäische Raum wieder zu einem zentralen, politisch-strategischen Betätigungsfeld deutscher Außenpolitik geworden. Osteuropa ist heute eindeutig deutsches Einüflußgebiet. Bonn als selbsternannter, entschiedener Anwalt Osteuropas, gibt vor, daß ihnen das Wohl und die Stabilität der osteuropäischen Staaten sehr am Herzen liegt." (Kohr 1996, S.92/93)

An der Schnittstelle zwischen ideologischer Vorbereitung der Ostexpansion und praktischer Invasionsarbeit vor Ort arbeiten die Vertriebenenverbände gemeinsam mit dem Verein f0r das Deutschtum im Ausland (VDA) und rechtsextremen Organisationen wie z.B. dem 'Deutschen Schulverein'.

Mit finanzieller Unterst0tzung des Innenministeriums und dem Wissen der Bundesregierung werden in ganz Osteuropa von den Vertriebenenverbänden Projekte verwaltet und gefördert, die dem Erhalt und Ausbau des "Deutschtums" im Ausland dienen sollen. Es werden deutsche Kindergärten, deutsche Schulen, deutsche Kirchen, deutsche Sport- und Traditionsvereine finanziert. In Rußland wird sogar der Aufbau von deutschen Verwaltungen in vorwiegend von "Deutschstämmigen" bewohnten Rayons (vergleichbar mit Kreisverwaltungen) unterst0tzt. All diese Maßnahmen dienen nicht nur dazu, die "Deutschstämmigen" von der Fahrt ins Reich abzuhalten. Vielmehr sollen Territorien entstehen, ausgestattet mit Sonderrechten gegenüber der sonstigen Bevölkerung, die später wieder als Faustpfand zur Durchsetzung deutscher außenpolitischer Interessen dienen können. Die deutsche Regierung unterstützt Gruppierungen wie den VDA mit Millionenbeträgen, deren Ziele und Politik gegen völkerrechtlich bindende Verträge wie zum Beispiel das Potsdamer Abkommen oder die Zwei-plus-Vier-Verträge verstoßen.

Indirekte Unterstützung gab es beispielsweise jahrelang für die in Nordrhein-Wesfahlen ansässige Her-mann-Niermann-Stiftung; Ober diese bzw. deren 'Berater' Norbert Burger (Bundessprecher der österreichischen NPD) wurden Millionenbeträge an deutsch-se-paratistische Gruppierungen wie die Gruppe "Ein Tirol" (der ca 40 Bomben- u.a. Anschläge zur Last gelegt werden) oder die "Partei der deutschsprachigen Belgier" weitergeleitet Auch die "Stille Hilfe Südtirol" und der "Bund der Nordschleswiger" in Dänemark profitierten von der anerkannt gemeinnützigen Stiftung und ihren guten Kontakten ins Bonner Innenministerium durch den Beamten Stiemke. (Vgl AIB 33, S.28g

Diese Strategie der Einflußnahme durch die Konstruktion von deutschen Minderheiten ist eine Kopie bzw. Fortführung völkischer Politik vor und während des Dritten Reiches.

Das gemeinsame Ziel aller genannter Gruppierungen ist die Verwirklichung des Traumes von einem Deutschland an Führungsmacht in Europa. Die ökonomische und militärische Macht der BRD soll genutzt werden, um die völkischen und nationalistischen Ziele dieser Gruppierungen durchzusetzen.

Was von deutschen Minderheiten erwartet wird, kann z.B. an den Wahlergebnissen der Sudetendeutschen 1937 abgelesen werden: damals wählten 704k Deutschland, also Hitler und den Nationalsozialismus.

Die Vertriebenenverbände greifen auch aktiv in die aktuelle Außenpolitik der BRD ein: Ihre Forderungen an die Abschlußerklärung mit Tschechien trugen mit dazu bei, daß sich deren Beschluß Ober Jahre hinzog und darin kein Verzicht auf ehemals deutsches Privat-Eigentum erklärt wird. Bezeichnend war die Forderung der "Vertriebenen" nach einer Entschuldigung von tschechischer Seite vor Unterzeichnung der Erklärung. Die endlosen Debatten im Vorfeld sowie der endg0ltige Text der Erklärung, in der sich nun auch keine eindeutigen Regelungen zu Wiedergutmachungszahlungen an tschechische Opfer des NS finden lassen, f0hrten dazu, daß diese Abschlußerklärung in Tschechien nur mit sehr starker Kritik und nur in einer äußerst knappen Parlamentsentscheidung durchgesetzt werden konnte. Die Kommentare des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zur deutsch-tschechischen Erklärung auf dem 48. Sudetendeutschen Tag (Mai 1997, München) sprechen f0r sich: diese Erklärung sei kein völkerrechtliücher Vertrag; noch im Sommer müßten Gespräche zwischen Tschechien und der Sudetendeutschen Lands-mannschaft stattfinden.

Mit dem beständigen Hinweis der deutschen Regierung auf das 'Selbstbestimmungsrecht der Völker', als deren

mächtiger Anwalt sich Deutschland aufspielt, finden die Forderungen der Vertriebenenverbände Eingang in die Verhandlungen um die Osterweiterung der EU und der NATO.

"Bei der Gesamtbetrachtung der seit 1989 wieder neu betriebenen Volksgruppenpolitik (...) läßt sich feststellen, daß sich eine neue Minderheitenschutzpolitik der Bundesregierung formiert. Mit rechtlich abgesicherten militärischen Eingrtffsmöglichkeiten via KSZE kristalllisiert sich eine neue Rolle der Bundesregierung gegen0ber den 'Deutschstämmigen' in Osteuropa und Rußland heraus: Weg von einer Fluchtburg, hin zu einer Schutzmacht." (Kohr 1996, S. 25)

Wenn Vertriebenenverbände und VDA in Kaliningrad mit Unterstüzung des Innenministeriums im großen Stil Land kaufen, Kultur- und Wirtschaftsf5rderung dort am liebsten an Deutschstämmige verteilt wird, die Errichtung einer Sonderwirtschaftszone von der Deutschen Bank enthusiastisch gefeiert wird ..... , so stellt sich die Frage, ob da nicht tatsächlich mit aktiver Beteiligung der BRD Regierung an einer längerfristigen Strategie zur Revidierung der deutschen Grenzen gebastelt wird.

Die "Vertriebenen" sind in der deutschen Gesellschaft fest verankert. Sie sind unseres Erachtens Instrumente, um die revanchistische Politik des wiedererstarkten imperialistischen Deutschlands gegen0ber den Staaten Osteuropas voranzutreiben. Opfer dieser Politik werden die Menschen in den osteuropäischen Ländern sein.

Doch in der Linken in Berlin interessierte dieses Thema bisher nur wenige.

Wir denken, daß eine langfristige inhaltliche Informationsarbeit und Diskussionsanstöße notwendig sind, um gegen die "Vertriebenen"-Verbände und die völkisch motivierte BRD-Politik wirkungsvoller vorzugehen. Unsere Tagung soll ein Beitrag dazu sein.

Die bisherige Teilnahme an Gegenveranstattungen und Demonstrationen zum "Tag der Heimat" in Berlin war trotz zahlreicher Flugblätter, Plakate und Presseveröffentlichun-gen nur sehr gering. Im September 1995 wurde die Gegendemonstration von der Polizei nur mit erheblichen Auflagen genehmigt. Ein Beschallen der Sömmeringhalle (Tagungsort des BdV) mit dem Lautsprecherwagen ge-hang aus diesem Grunde nicht.

Zuletzt wurde die Demonstration auseinandergepr0gelt. Es gab Verhaftungen und Verletzte. 1996 wurde Roman Herzog in der Halle von seinen eigenen Leuten ah Vaterlandsverräter beschimpft. Vor der Halle passierte nichts.

Wir wollen diese Peinlichkeiten nicht wiederholen. Und denken, mit einer Tagung und anschließendem Konzert an diesem Tag in Berlin ein politisches und kulturelles Gegengewicht zum völkisch dumpfen "Tag der Heimat" zu setzen.

Davon versprechen wird uns nicht nur inhaltlich spannende Diskussionen und fundierte Erkenntnisse Ober unsere Gegner, sondern auch einen Motivationsschub f0r etwaige Aktionen am nächsten Tag.

Für den bürgerlichvpikureischen Teil der Bewegung haben wir vorgesehen, den Abend mit einem bunten Potpourri zeitgenössischer osteuropäischer Kultur in der köpi ausklingen zu lassen.

(vorbaltlich änderungen) voraussichtlich findet die veranstalteng in der Humboldt Uni statt

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