NO TOLERANCE FOR LAW & ORDER!

Spätestens seit den Hamburger Bürgerschaftswahlen ist das Schlagwort "Law & Order" in aller Munde, aber was wird damit eigentlich verbunden? Klingt irgendwie englisch und scheint voll im Trend zu liegen. Von SPD über CDU bis hin zur NPD, die es dann vielleicht anders nennen, aber de facto das gleiche Ziel verfolgen.
"Law & Order" ist die Bezeichnung für eine Politik, die sich für einen großen und rigeros durchgreifenden Polizeiapparat inklusive ausgeklügeltem Überwachungssystem sowie die Verschärfung der Strafgesetze usw. einsetzt.

 NEW YORK - DIE STADT DER UNBEGRENZTEN MÖGLICHKEITEN
Dabei wird sich von den BefürworterInnen auf den "lebenden Beweis" New York bezogen. Seit Bill Bratton, ehemaliger Polizeichef von New York, 1994 eine "Law & Order"- Kampagne durchzog, wie es sie hardcoriger nie gegeben hatte, herrscht wieder Recht und Ordnung in der Metropole und alle Menschen haben sich ja so lieb. Das Konzept heißt "Null Tolaranz" und "Wehret den Anfängen", "P statt R" (Prävention statt Reaktion) und das geht so: Aufstockung der Polizei von 39 675 auf 44 494, das sind 593 Cops auf 100 000 EinwohnerInnen (Vergleich Hamburg: 474), Installierung eines Computersystems, das systematische Überwachung garantiert, engere Zusammenarbeit von Polizei und Justiz bzw. Polizei und Behörden (wie z.B. Jugendamt) Verabschiedung neuer Gesetze im Sinne der hochgepriesenen Sicherheit... Auf Biegen und Brechen versuchen die Bullen sich ein neues, heldenhaftes und vor allem respektableres Image zu geben. Draußen auf der Straße kompetent und aufmerksam, wo auch immer die Ungerechtigkeit als nächstes zuschlagen wird- die Supercops sehen alles! Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wie z.B. das massenhafte Abführen von SchwarzfahrerInnen in Handschellen, verschaffen sie sich die nötige Autorität und lassen alle wissen: Wir sind überall- wir greifen durch - mit uns ist nicht zu spaßen! Das gleiche gilt für Alk und öffentliche Rumpisser, dank der, brandneu von Bratton eingeführten "Beer & Piss- Patrols" verbringen erwischte SündigerInnen zukünftig ihre Nacht hinter Gittern.
So richtig ärgerlich wird's, wenn dir sowas dreimal passiert, dann heißt es nämlich "three strikes- you're out!". Dies dank Bill Clinton durchgesetzte Gesetz besagt, daß dreimal als straffällig gewordene Verurteilte und sei es nur aufgrund eines dreimaligen Klaues einer Tüte Bonbons, ihr aufregendes Leben im Knast zuende fristen können. Denn so ist Bill der Meinung, Kriminalität liegt in den Genen. In den Genen, jawohl!!
Dieses Vorgehen, das nicht zufällig an "Big brother is watching you" erinnert, ist kriminaltheoretisch durch die "Broken-windows-Theorie" unterfüttert. Diese sagt über die Entstehung von Gewalt aus, daß es im Kleinen anfängt und zwangsweise in einer Misere endet. Diese Argumentationsschiene läßt sich z.B. mit der Drogenpolitik, die hier in der BRD praktiziert wird, vergleichen: Die kleine Haschischraucherin steht für den Ursprung einer Kette, an deren Ende die Junks vom Hauptbahnhof rumhängen. Die daraus erfolgende Konsequenz: No dope ( dafür umso mehr Alk) und Isolierung der harten Drogenszene durch das Abdrängen in die Illegalität.
Es geht nicht darum, herauszufinden, aus welchem Grund sich Menschen mit dieser Scheiße zupumpen, um zu einer langfristigen Lösung dieser Problematik zu kommen. Es geht um die Erstellung einer plumpen Theorie, die es erlaubt, mit allem, was sich nicht mehr in die ja so saubere Gesellschaft eingliedern kann, kurzen Prozeß machen zu können.
Die US- Sozialforscher Kelling und Wilson beschreiben in einer Geschichte ihre Theorie so: "Jugendliche treffen sich vor einem Laden. Der Ladenbesitzer fordert sie auf, wegzugehen. Sie weigern sich. Es kommt zu Auseinandersetzungen. Der Müll häuft sich. Die Leute beginnen vor dem Laden zu trinken. Dann stürzt ein Betrunkener, darf liegenbleiben, seinen Rausch ausschlafen. Fußgänger werden von Bettlern angesprochen." Hört sich ja sehr plausibel an. Vor allen Dingen wird die gesellschaftliche Ursache für die Entstehung von Gewalt dabei unauffällig unter den Teppich gekehrt.
Sieht man genauer hin, entpuppt sich diese ominöse Theorie als der Versuch, liberales Verhalten als Bedingung von Gewalt zu erklären. Ziel ist es, einen Lösungsweg zu legitimieren, der die Symptome als vermeintliche Gewaltursache bekämpft, um die tatsächlichen Wurzeln unberührt zu lassen. Ist es nicht möglich, daß die Arbeitslosigkeit, die durch fortwährende Rationalisierung entsteht, die folgende Obdachlosigkeit und die daraus resultierende Armut dazu führt, daß Menschen verwahrlost in einer Straßenecke liegen und "Haste mal ´ne Mark?" fragen? Kann es nicht sein, daß das Ellenbogenprinzip "jeder gegen jeden" und das "haste was, dann biste was"- Schema, welche von kleinauf in die Köpfe der Menschen gehämmert werden und die höchsten Gebote im bestehenden Wirtschaftssystem darstellen, erst die Bedingungen dafür schaffen, daß die Leute abdrehen, sich gegenseitig abziehen und umbringen? Doch die bestehenden Verhältnisse dürfen in der Diskussion um Gewaltbekämpfung nicht in Frage gestellt werden, way it is, way it was and way it always will be - denkt Ihr!
Allen voran der "Spiegel", der dies zum Titelthema in Nummer 28, 7.7.97 ("Aufräumen wie in New York") machte und sich doch sonst immer so endlos linksliberal gibt, lobt und huldigt das neue Prinzip, das dem "Ruf nach Obrigkeit" (Zitat "Spiegel") entspricht. Davon, daß die Vorzeigecops ihre Handlungsfreiheit u.a. dazu benutzen, wahllos Menschen zu mißhandeln ohne dafür Rechenschaft tragen zu müssen, darüber berichtet der "Spiegel" nicht. Diese staatlich legitimierte Gewalt betrifft vor allem Schwarze und andere MigrantInnen, die vor Gericht gegen die Aussage zweier weißer Polizisten nicht den Hauch einer 

Chance haben - und das wissen die sich gegenseitig deckenden Cops genau. Rassistische Gewalttätigkeiten der weißen NYPD- Helden haben seitdem diese "Law & Order"- Politik gefahren wird, ihren brutalen Höhepunkt erreicht. Doch das wird in den sonst so gern zitierten und viel aussagenden Statistiken lieber totgeschwiegen- das weiße Saubermannimage darf keine braune Flecken haben

BACK IN GERMANY
Nach dieser brutalen und einfachen Symptombekämpfung schreien auch immer mehr deutsche PolitikerInnen, natürlich nicht ohne feedback in der Bevölkerung. Denn Gewalt existiert offensichtlich, draußen auf der Straße wie drinnen im trauten Familienheim und das nicht erst seit gestern. Als Wahlkampfthema optimal geeignet, etwas in den Medien hochgepuscht und schon hat man den Eindruck, als sei die Gewalttatenquote zu den Wahlen nochmal um 50 % gestiegen. De facto hat es in letzter Zeit kein bemerkenswerten Anstieg gegeben, der Zustand der vermeintlichen Gewalteskalation zieht sich jetzt schon über Jahre hinweg.
Doch nun schwappt der platte Ruf nach "Zucht und Ordnung", welcher seit eh und je im Wahlprogramm faschistischer Parteien zu finden ist, auch mehr und mehr zu den sogenannten Volksparteien SPD und CDU über. Klar wird hier salopper formuliert, das Modell vom Bilderbuchkriminellen nicht ganz so plump mit dem "Scheinasylanten" ansich gleichgesetzt. Doch Forderungen wie "Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt´s nur eins: Und zwar raus aber schnell!" sprechen in diesem Zusammenhang für sich und waren von Seiten der SPD vor Jahren noch undenkbar. Genauso lassen die Aussagen Voscheraus, Strafprozeßrecht, Ausländerrecht und Asylrecht seien "zu gutwillig, zu lau, zu langsam" angesichts der "heraufziehenden Schlechtwetterfront" ("Spiegel" Nummer 28, Seite 52) wenig Interpretationsraum. Ja, jetzt im Nachhinein werden Stimmen laut in der SPD, "Law & Order" als Wahlkampfthema zu propagieren sei der Fehler gewesen und hätte den Stimmenverlust gekostet. Das Argument, dieses Thema wäre ihnen von der Bevölkerung aufgezwungen worden, erweist sich im Nachhinein demzufolge als schlichtweg falsch. Diskussionsthemen wie "Law & Order" kommen also offensichtlich nicht in erster Linie aus der Bevölkerung, sondern werden in den herrschenden politischen Kreisen aus taktischen Motiven ausgeklügelt. Daraufhin wird bei den WählerInnen erst ein Bewußtsein für die gefundenen Probleme inklusive dem entsprechenden Lösungsvorschlag geschaffen- das ist Demokratie! Und wenn die SPD diese Themenwahl jetzt als fehlerhaft abtut, dann nicht, weil sie den Umgang mit diesem gesellschaftlichen Problem als verwerflich und grundlegend falsch auffassen, sondern weil es bei ihrem bisherigen Zielpublikum nicht zieht.
Neben den "kriminellen Ausländern" sind es vor allem Obdachlose, Junkies, Sprayer und ähnliche "kriminelle Elemente", denen die Aufrüstung des Sicherheitsapparates gilt. Parteien geben sich dadurch bürgernah, sie tun was für ihre WählerInnen. Sie sorgen dafür, daß gegen alle die, die nicht ins Straßenbild passen mit rabiaten Methoden vorgegangen wird.

 DIE JUGEND VON HEUTE...
Wenn sie sich nicht gerade mit Computerspielen zuknallt oder bei H&M shoppen geht, ist sie "kriminell engagiert". Denn laut Statistik sind "annähernd die Hälfte aller Gewalttäter Jugendliche unter 21, der Anteil der Strafmündigen unter 14 hat sich seit 1989 verdoppelt" ("Spiegel"-Zitat) - und nun? CDU-Politiker sprechen sich für die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre aus, andere bevorzugen die aus Amiland abgeguckten nächtlichen Ausgangssperren für Jugendliche, die übrigens als Pilotprojekt auch in England und Polen getestet werden sollen, mit einer Ausgangssperre ab 18.00 Uhr. Für SchülerInnen, die lieber mal einen Kaffee trinken gehen, statt sich in der Schule zublahen zu lassen, wird auch gesorgt. Mit der Streife bis ins Klassenzimmer, auch dafür sind die 44.494 harten Jungs gerne zu haben. Diese umsorgende Allroundkontrolle wird teilweise, wenngleich nicht so systematisch, bereits in der BRD durchgeführt.
Zum krönenden Absschluß: Bundesminister Edzard Schmidt-Jorzig (FDP) plädiert für die Wiedereinführung geschlossener Heime, hört sich doch echt vielversprechend an, oder?

 1+1=2, 2+2=4,...
Langfristig gedacht, verfolgt die Forderung nach "Law & Order" aber noch ganz andere Ziele: Je größer die Schritt für Schritt aufgebaute Sicherheitsfabrik, je perfekter die Überwachung der Bevölkerung, desto besser funktioniert die Kontrolle über die Bevölkerung, desto schwieriger wird es für fortschrittlich subversive Kräfte werden, in die Öffentlichkeit zu treten. Oppostionelle Impulse werden noch offensiver bekämpft, kriminalisiert und sollen dann im Keim erstickt werden, damit eins für alle Fälle bleibt: Die kapitalistische Gesellschaft, deren unangenehmer Nebeneffekt die absolute Endsolidarisierung und Reduzierung des menschlichen Daseins auf "Aufstehen - Arbeiten - Fernsehen" ist, so daß die Menschen sich gegenseitig die Schuld für ihre Lage in die Schuhe schieben, abziehen und für Geld sogar umbringen. Um das zu unterbinden - "Null Toleranz" und noch mehr Polizei, noch Fragen?