Weimarer Republik und Nationalsozialismus in der burschenschaftlichen Geschichtsschreibung

Weimarer Republik: "Obwohl die zunehmende Radikalisierung einer Mehrheit der Studenten nach Rechts in den nächsten Jahren sicherlich zu einem guten Teil von diesen selbst zu verantworten war, so ergab sich die Gegnerschaft zur Weimarer Republik auch als zwangsläufige Reaktion. Die Linke war eine geschworene Gegnerin der Korporationen und identifizierte diese auch nach 1918 undifferenziert mit Militarismus und Reaktion. Das Zentrum stand zwar den katholischen Verbänden C.V., K.V. und U.V. nahe, sekundierte den linken Verbänden jedoch gegenüber dem Waffenstudententum, und hierzu bekannte sich damals die große Mehrzahl der studentischen Verbände..." (S. 18 a.a.O.)

Räterepublik: "In München kam es nach der Revolution zu Ausschreitungen gegen Couleurstudenten, und die Räteregierung beabsichtigte, die Korporationshäuser in Altersheime umzuwandeln. Andererseits hatte ein Angehöriger der Münchener Burschenschaft Danubia, Alfons Hauer, den schwerverwundeten Eisner-Attentäter Anton Graf Arco-Valley (entgegen manch falscher Darstellung selbst nicht korporiert) vor der Rache der Linken gerettet und zu Prof. Sauerbruch gebracht, und bei der Niederschlagung der "Räterepublik" Anfang Mai 1919 waren korporierte Freiwillige in großer Zahl beteiligt.

....Sowohl im Inneren wie im Osten konnte sich daher die Weimarer Republik nur mit Hilfe von Freikorps halten. ... Andererseits wurden sie (die Korporierten) von der Linken immer wieder als 'Arbeitermörder' und potentielle Konterrevolutionäre denunziert. Als im Frühjahr 1920 fünfzehn gefangene spartakistische Arbeiter in Thüringen bei einem Fluchtversuch, unter allerdings nicht ganz klaren Umständen, von zeitfreiwilligen Marburger Studenten erschossen worden waren, sprach der sozialdemokratische preußische Kultusminister Haenisch von einem 'feigen Meuchelmord', obwohl die Beteiligten vom Kriegsgericht wie im anschließenden Kasseler Schwurgerichtsverfahren freigesprochen worden waren. Nach dem Rathenau-Mord (1922), an dem einzelne Studenten beteiligt gewesen waren, wurden in großer Zahl Studentenführer, auch dezidiert republikanisch gesinnte, verhaftet. In Jena hatte beispielsweise die nationale Studentenschaft die Ermordung Rathenaus auf das Schärfste mißbilligt. Dennoch kam es dort zu heftiger Polemik und Übergriffen auf Couleurstudenten." (S. 19 f. a.a.O.)

Die Anderen sind schuld! "Auf Seiten der Studenten war man nun ebenfalls bereit, die Schwarz-Weiß-Klassifizierung der Vorkriegszeit zu übernehmen und die gesamte Linke als 'vaterlandslose Gesellen' und 'Internationalisten' zu klassifizieren. Im Zuge einer verhängnisvollen Lagerbildung in Fortführung der Verhältnisse vor dem Weltkrieg fanden sich die Korporationsstudenten schließlich auf der rechten, republik-feindlichen Seite wieder, wohingegen die Entwicklung im Weltkrieg andere, gemeinsame Wege ermöglicht hätten." (S. 22, a.a.O.)

"Mehr und mehr gaben die Studenten den herrschenden republikanischen Kräften die Schuld, mehr und mehr brach sich der Gedanke Bahn, daß nur eine andere Staatsform, ein 'Drittes Reich', wie von Arthur Moeller van den Bruck programmatisch beschworen (Moeller van den Bruck:Das dritte Reich, Berlin 1923), die Rettung bringen könne." (S. 23, a.a.O.)

Wehrpflichtersatz: "Die Mensur wurde - wie die gleichzeitig intensivierte Sportausbildung - zum Ersatz für die fehlende Wehrpflicht. So hieß es 1924 in der Landsmannschafter-Zeitung:'Seit Aufhebung der Wehrpflicht gibt es keinen besseren Ausdruck der Wehrgedankens als die Mensur' (Landsmannschafter-Zeitung 38/1924/3,33)... Ab 1929 wurden studentische Wehrsportlager in Zusammenarbeit mit der Reichswehr eingerichtet.

Die Vorherrschaft der traditionellen Korporationen, die sich neuen Ideen geöffnet hatten, blieb weitgehend unangetastet. ... Auf der rechten Seite bildeten sich Korporationen mit dezidiert rassisch-völkischer Ausrichtung wie die Akademischen Wehrschaften in der 'Deutschen Wehrschaft im Teutoburger Vertretertag (T.V.T.).'Auch sie waren keine bedeutende Konkurrenz, zumal die alten Korporationen ebenfalls nach Rechts rückten." (S. 25 f. a.a.O.)

Sehnsucht nach dem großdeutschen Reich: "Im ganzen deutschen Volk, besonders aber unter den Studenten bestand die Sehnsucht nach dem großdeutschen Reich, das den Deutschen entgegen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker 1919 verweigert worden war. So vollzogen viele Verbände wenigstens den 'kleinen Anschluß': Die österreichischen Burschenschaften und Corps wurden in der D.B. bzw. dem Kösener S.C.V. aufgenommen. Auch die D.L. und der V.C. nahmen wenngleich in kleinerer Zahl, österreichische Verbindungen auf; eine derartige Entwicklung vollzog sich auch in vielen anderen Verbänden. Damit halten die Korporationen bis heute die großdeutsche Verbundenheit wach." (S. 27 a.a.O.)

Begründung für Antisemitismus:" Konkrete Ereignisse verstärkten den latenten Antisemitismus in der Studentenschaft. Bei den revolutionären Umsturzversuchen seit Ende 1918 waren zahlreiche Juden an führender Stelle beteiligt, so z.B. Rosa Luxemburg, Kurt Eisner, Ernst Toller, Eugen Levinè. Ähnliches konnte man bei der bolschewistischen Revolution in Rußland feststellen. In den Parteien und der Publizistik der Linken in den zwanziger Jahren waren ebenfalls Juden überproportional aktiv." (S. 30 a.a.O.)

Ariernachweis: "Mitte der zwanziger Jahre war bei allen waffenstudentischen Korporationen der Nachweis arischer Abstammung obligat, wie er heute noch bei manchen österreichischen Korporationen praktiziert wird. Teilweise setzte sich sogar das österreichische 'Waidhofener Prinzip' durch, d.h. Juden die Satisfaktion zu verweigern." (S. 31 a.a.O.)

"Radikalisierung": "Das Jahr 1923 sah eine deutliche Radikalisierung der Studentenschaft nach Rechts. ...Neuer Held einer Generation wurde der von den Franzosen hingerichtete Ruhrkämpfer Albert Leo Schlageter, übrigens Mitglied der Katholischen Deutschen Studenten-Verbindung Falkenstein Freiburg i.Br. im C.V. ...

Der 'Hitler-Putsch' von 1923 ist als charakteristische Wendemarke zu sehen ... Die Ereignisse seien hier weitgehend als bekannt vorausgesetzt. ... Von Kahr (bayerischer Generalstaatskommissar) und die Befehlshaber von Militär und Polizei schienen sich zumindest anfänglich dem Unternehmen freiwillig an zuschließen, auch wenn sie sich später auf bloße Erpressung und Scheingefolgschaft beriefen

... Nichtsdestotrotz endete der Putsch, der auch die Sympathien weiter Teile der Münchener Bervölkerung fand, am Mittag des 9. November unweit der Universität an der Feldherrenhalle, wo die bayerische Landespolizei unter den demonstrierenden Anhängern Hitlers ein Blutbad veranstalteten. Dabei fanden 14 Nationalsozialisten und vier Landespolizisten den Tod; Hitler selbst wurde verletzt.

Bemerkenswert ist hierbei die Rolle der Studenten. Schon die frühe NSDAP besaß enge Kontakte zur Studentenschaft. Münchener Studenten waren 1922/23 begeisterte Zuhörer bei den Reden Adolf Hitlers im Zirkus-Krone-Bau. Am Putsch selbst waren zahlreiche aktive Korporationsstudenten beteiligt, als Angehörige der SA-Studentenkompanie, der 'Reichskriegsflagge' oder des 'Bundes Oberland'. So nahm Heinrich Himmler, Mitglied der schwarzen Verbindung Apollo München im Rothenburger Verband Schwarzer Verbindungen (R.V.S.V.), im von Ernst Röhm geführten Wehrverband 'Reichskriegsflagge' am Putsch teil; er gehörte damals der NSDAP noch nicht an. Einer der 'Blutzeugen' vor der Feldherrnhalle war der korporierte Ingenieurstudent Carl Laforce. Das Münchener Corps Palatia war eng in das Unternehmen verwickelt; ihr Haus am Englischen Garten war eines der Hauptwaffenverstecke der Putschisten.

... von Kahr galt als 'Verräter' und meistgehaßter Mann Bayerns. In den Tagen nach der Niederschlagung des Putsches kam es zu regelrechten Studentenunruhen und Schlägereien mit der Polizei. Während die Altherrenschaften zur Mäßigung aufriefen, legten die Aktiven eine radikale Haltung an den Tag.

In den 'Burschenschaftlichen Blättern' und der 'V.C.-Rundschau' waren flammende Sympathieerklärungen von Aktiven zu lesen; man forderte eine Aufhebung des ergangenen Verbotes von SA und anderer Wehrorganisationen. In der darauffolgenden Verbotszeit der NSDAP waren es gerade Tübinger und Erlanger Korporationsstudenten, so z.B. aus der Erlanger Burschenschaft Bubenruthia, die nationalsozialistische Tarnlisten aufstellten oder mittrugen.

... Im darauffolgenden 'Hitler-Prozeß' war übrigens der Würzburger AGVer und Verkehrsgast im Münchener AGV Dr. Hans Ehard, bayer. Ministerpräsident nach 1945, einer der beiden Staatsanwälte. Auf der Anklagebank saß der Münchener AGVer Dr. Wilhelm Frick, der mit den Putschisten verbündet war und als Chef der Politischen Polizei anfangs dafür gesorgt hatte, daß die Münchener Politzei nicht eingriff. Im Jahre 1933 wurde er nationalsozialistischer Innenminister, 1945 dann von den Siegern hingerichtet. Und im Zeugenstand war sein Bundesbruder Ritter v. Kahr, der sich in eine höchst unglückliche Position manövriert hatte. Im Juni 1934 wurde er im Zuge der 'Röhm-Affäre' von SA-Leuten aus Rache erschlagen.(S. 33 ff. a.a.O.)

NS und Hochschule: "Die nationalsozialistische Bewegung traf in den zwanziger Jahren an den Hochschulen ein günstiges Klima an. Die Studentschaft war in ihrer großen Mehrheit national eingestellt: Etwa zwei Drittel der männlichen Studenten waren korporiert...Auch die Professorenschaft war überwiegend national gesinnt und wirkte entsprechend auf ihre Studenten ein."(S. 40 a.a.O.)

"Bemerkenswerterweise gelang dem Nationalsozialismus zuerst an den Hochschulen der Durchbruch: 1927 errang der ein Jahr zuvor in München ins Leben gerufene 'Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund' (N.S.D.St.B.) den Vorsitz im AStA Kiel, 1928 die Mehrheit in Erlangen und Greifswald; in den Jahren 1930/31 eroberte er an elf Hochschulen die absolute Mehrheit und wurde an zehn Hochschulen stärkste Fraktion, und 1931 wurde nach demokratischer Wahl der Nationalsozialist Walter Lienau (Kösener Corps Isaria München) sogar erster Vorsitzender der 'Deutschen Studentenschaft' (D.St.), des Selbstverwaltungsorganes der Studenten. Die hochschulpolitische 'Machtergreifung' ging also der allgemeinpolitischen voran...(S. 41 f. a.a.O.)

"In den Korporationen bremsten insbesondere die Alten Herren, da ihnen die Methoden und Ziele des NS-Studentenbundes zu radikal erschienen und sie dessen Alleinvertretungsanspruch sowie eine Einengung der Meinungsvielfalt, auch innerhalb des nationalen Lagers, fürchteten. So vollzog die Würzburger Burschenschaft Arminia einen Unvereinbarkeitsbeschluß, da durch den NS-Studentenbund 'der Burschenschaft Leute entzogen' würden und 'der NSDStB sich im Laufe der Zeit zwangsläufig zu einer Verbindung auswachsen müßte' (nach Spitznagel, Peter: Studentenschaft unc Nationalsozialismus in Würzburg 1927-1936. In: Studentenschaft und Korporationswesen an der Uni. Würzburg 1982, 91)

Aufgeweicht wurde diese Haltung dadurch, daß bereits viele Korporierte, vor allem innerhalb der Aktivitas, Mitglieder des NS-Studentenbundes waren ... Außerdem hatten viele Angehörige von Korporationen, zumindest der waffenstudentischen, Sympathien mit den Zielen Hitlers bzw. dem Nationalsozialismus als Idee." (S. 50 a.a.O.)

Machtergreifung: "Trotz vorangegangener Differenzen kamen bei vielen Korporierten am 30 Januar 1933 Hoffnungen auf, auch bezüglich der Rolle der Verbindung im zukünftigen nationalsozialistischen Staat. Man pochte auf die eigenen Verdienste (schließlich habe man bereits nationalsozialistische Ziele vertreten, als es die NSDAP noch gar nicht gegeben habe!) und berief sich auf gemeinsame Märtyrer: die katholischen Verbände auf den Freiburger CVer Albert Leo Schlageter, die waffenstudentischen auf Horst Wessel, der den Kösener Corps Normannia Berlin und Allemannia Wien angehört hatte.

Auch richtete man seine Hoffnungen auf prominente Nationalsozialisten, die gleichzeitig korporiert waren: den Reichsführer der SS Heinrich Himmler (schwarze Verbindung im R.V.S.V., dann DB-Burschenschaft Apollo München), den Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick (AGV München im S.V.), den Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichskommissar für die Luftfahrt Hermann Göring (Ehrenmitglied der Wehrschaft Markomannia Berlin in der Deutschen Wehrschaft), den Führer der Deutschen Arbeits-Front Dr. Robert Ley (Sängerschaft St. Pauli Jena in der Deutschen Sängerschaft) oder den Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP Alfred Rosenberg (Corps Curonia Riga)." (Reichspropagandaminister Joseph Goebbels war aktiv in katholischen U.V. - Verbindungen in Bonn und Freiburg i. Br. gewesen, jedoch nicht mehr Mitglied ...)(S. 52 a.a.O.)

Der Kampf um die Fleischtöpfe: "Die eigentümliche Passivität der Korporationen in den Jahren 1933-35 erstaunt. ...Die Verbände veröffentlichten zahlreiche Ergebenheitserklärungen. Der Kyffhäuser-Verband der Vereine Deutschen Studenten änderte nun seinen Wahlspruch ... in 'Mit Gott für Adolf Hitler und den deutschen nationalen Sozialismus!' "(S. 56 a.a.O.)

"Die Studenten sollten in Wohnkameradschaften einer gewissen Disziplin unterworfen und sowohl politisch, körperlich wie wissenschaftlich erzogen werden ... Das gemeinsame Wohnen auf dem Haus, heute vielfach bei den Korporationen die Regel und als "Keilmittel" (Werbemittel) unverzichtbar, war vor 1933 übrigens noch unüblich.( S. 62 a.a.O.)

NS-Studentenbund-Führer Dr. Stäbel vor Berliner Studenten:

" 'Und gerade deshalb lehne ich es ab, diese Korporationen zu zerschlagen, weil ich von ihrer Schädlichkeit nicht überzeugt bin, sondern nur vor ihrer Güte ... Deshalb hat heute die deutsche Korporation zu ihrer bisherigen Aufgabe Erziehungsgemeinschaft zu sein, nur eine weitere, sehr, sehr wichtige Aufgabe hinzubekommen, nationalsozialistische Schulungsgemeinschaft zu sein. Ich bin überzeugt, daß die deutsche Korporation diese ihre Aufgabe restlos erfüllen wird.' " ( S. 64, a.a.O.)

Aus den Machtkämpfen zwischen D. St. und NS-Studentenbund geht letzterer siegreich hervor nicht zuletzt weil "... einzelne Vorkommnisse aufgebauscht (wurden) wie z. B. der berühmte 'Fall Saxo-Borussia' im Mai 1935, als Angehörige dieses 'Weißen' (d.h. rein adligen) Heidelberger Corps sich mehrmals abfällig über den Führer geäußert hatten..." (S. 69 a.a.O.)

Bis März 1936 erfolgen Unvereinbarkeitsbeschlüssen für SA, NS-Studentenbund, NSDAP.

"Durch die Unvereinbarkeitsbeschlüsse wurden die Korporationen quasi in eine oppositionelle Ecke gedrängt, und damit wurde ihnen vor allem der Nachwuchs wirkungsvoll entzogen, denn ohne Mitgliedschaft in einer Parteigliederung blieben viele Positionen verschlossen.

Bis zum Sommersemester 1936 erfolgte daher die Selbstauflösung der Verbände auf Aktivebene. Hervorzuheben ist, daß die Korporationen in aller Regel nicht verboten, sondern lediglich 'ausgetrocknet' wurden." (S. 70 a.a.O.)

"Selbstauflösung" und Auferstehung: "In Fortsetzung ihrer bisherigen Linie suchte hingegen die Deutsche Burschenschaft für sich besondere Bedingungen auszuhandeln ... Am 6. Oktober 1935 schloß sie mit dem NS-Studentenbund das 'Plauener Abkommen', wonach die Burschenschaften als 'Korporationskameradschaften' unter Beibehaltung der alten Namen, mancher Traditionen und des Lebensbundes mit den Altherrenschaften weiterleben sollte

Mit einer feierlichen Zeremonie auf der Wartburg am 18. Oktober 1935 beging die D.B. ihr Aufgehen im NS-Studentenbund, dem dort die Urburschenschafterfahne übergeben wurde. Auch einige andere Dachverbände liebäugelten mit einer derartigen Lösung; so hatte der NS-Studentenbund der D.L. in Aussicht gestellt, etwa fünfzig Landsmannschaften als Korporationskameradschaften unter ähnlichen Bedingungen zu übernehmen.

... am 30. Januar 1936 bezeichnete Derichsweiler das Plauener Abkommen als hinfällig. ... Mit Wirkung zum 24. Februar 1936 wurden alle 'Korporationskameradschaften' aufgelöst. ...(Golücke, Friedhelm a.a.O. S. 142) Rudolf Heß beschloß daher im November 1936 eine erneute Reorganisation des studentischen Bereichs. In München wurde eine 'Reichsstudentenführung' als Hauptamt innerhalb der Reichsleitung der NSDAP eingerichtet, unter deren Dach NS-Studentenbund und D.St. vereint wurden. Erster Reichstudentenführer wurde der SS-Führer Dr. med. Gustav Adolf Scheel.(siehe Franz-Willing, Georg: "Bin ich schuldig", Leoni 1987, 10f., 26-40) Er war Heidelberger VDSter und verheiratet mit der Tochter eines Burschenschafters. Als überzeugter Waffenstudent ... suchte er die studentischen Traditionen mit dem Nationalsozialismus in Einklang zu bringen."(S. 72f. a.a.O.)

"Dr Scheel vollzog daher eine Umkehr um 180 Grad. ... Gewisse verbindungsstudentische Formen wurden wieder in vorsichtiger Form eingeführt (z.B. Bezeichnung 'Jung-', 'Alt-', 'Gastkameraden', mehrsemestrige Bewährungszeit mit anschließender Übernahmeprüfung, ab 1941 sogar Einführung einer Art Leibverhältnis und eines beratenden 'Kameradschaftsrates') Zur Wahrung studentischer Bräuche waren innerhalb der Kameradschaften 'Arbeitskreise Studentengeschichte und studentisches Brauchtum' vorgesehen. (Landsmannschafter-Zeitung 51/1937/7,85 f.)

An der unbedingten Satisfaktion mit der Waffe hielt Dr. Scheel ausdrücklich fest; die Bestimmungsmensur wurde allerdings 'vorläufig' verboten, wohl auch weil Dr. Scheel eine unschöne Aufspaltung der Kameradschaften in schlagende und nichtschlagende vermeiden wollte. Eine 'sorgfältige Prüfung' der möglichen Wiedereinführung einer Bestimmungsmensur wurde den Verbänden allerdings zugesichert. (a.a.O., 88)

... HJ, SA und SS wurden von Dr. Scheel aus der Studentenerziehung wieder hinausgedrängt. Eine Fortführung der Tradition früherer Verbindungen durch bestimmte NS-Studentenbund-Kameradschaften sollte nun wieder möglich sein; so erhielt beispielsweise die NS-Studentenbund-Kameradschaft 'Wolfram von Eschenbach', Marburg, Nachfolgerin der Verbindung Frideriviana im S.V., bei ihrer Gründung 1938 ausdrücklich das Recht eingeräumt, am musikalischen Prinzip festzuhalten. ( 1889, 1989. 100 Jahre Fridericiana Marburg, Marburg 1989, Eigenverlag, 114) Allgemein wurden den Kameradschaften nun wieder Namen anstelle der unschönen Ziffern verliehen, nun allerdings nach berühmten Personen der deutschen Geschichte ... anstatt der früheren lateinischen Namen.

Auch sollte das Lebensbundprinzip wieder gewahrt werden, indem die Studenten nach Ausscheiden aus der Kameradschaft geschlossen in die Altakademikerorganisation 'NS-Studentenkampfhilfe' überführt würden.

Dr. Scheel appellierte an die noch bestehenden Altherrenschaften, bei der reformierten Kameradschaftserziehung mitzuwirken. Sie konnten als eingetragene Vereine fortbestehen und sollten bestimmte Kameradschaften betreuen und diesen möglichst ihre Häuser zur Verfügung stellen, die sie dann behalten durften. Zwar war in der 'NS-Studenten-Kampfhilfe' (ab 1938 'NS-Altherrenbund') nur eine individuelle, keine korporative Mitgliedschaft möglich; er versprach jedoch den Altherrenschaften, daß sie jeweils einer bestimmten Kameradschaft geschlossen zugeordnet werden würden. (Im Jahre 1941 erhielten die Altherrenschaften dann auch offiziell die korporative Mitgliedschaft im NS-Altherrenbund zugestanden; wenn sie nicht eintraten, drohte dann allerdings der Verlust ihrer Häuser!)

Nach einer Besprechung mit den Führern der waffenstudentischen Altherrenverbände sagten diese ihre Mitarbeit zu, lösten sich selbst auf und empfahlen ihren einzelnen Mitgliedern, der NS-Studenten-Kampfhilfe gemäß den vereinbarten Bedingungen beizutreten, was von der Mehrzahl auch befolgt wurde."(S. 74 ff. a.a.O.)

"Ende der dreißiger Jahre hatte Dr. Scheel sogar weitergehende Pläne für eine Wiederbelebung des Korporationswesens entwickelt: Wiederzulassung von Farben (einheitliche rote Mütze, die Farben der früheren Korporation an der Mütze und im Band), Wiederzulassung der Bestimmungsmensur in Form der leichten Säbelmensur ... Schaffung eines einheitlichen waffenstudentischen Dachverbandes... Der Beginn des Zweiten Weltkrieges beendete letztendlich das Experiment einer Symbiose aus nationalsozialistischen Zielen und waffenstudentischen Formen... "(S. 76 a.a.O.)

Widerstand ?
"Beim '20. Juli 1944' waren eine ganze Reihe von Corpsstudenten beteiligt, daneben auch Angehörige anderer Verbände. ... Daß hochgestellte Militärs und Staatsbeamte damals korporiert waren, war die Regel; insofern überrascht es nicht, unter den Beteiligten des '20. Juli' Verbindungsstudenten zu finden.

... Eine grundsätzliche Verbindung von Widerstand und Korporationszugehörigkeit kann jedoch nicht einfach postuliert werden, und viele Korporationen betreiben heutzutage eine eher peinliche Legendenbildung bezüglich ihres vorgeblichen 'Verbotes' und 'Widerstandes' im Dritten Reich. Eine derartige Argumentation hatte natürlich auch der Selbstlegitimation bei der versuchten Wiedergründung Ende der vierziger Jahre gedient.

Die große Mehrheit der Korporationsstudenten, entsprechend der Haltung der gesamten deutschen Bevölkerung , dürfte indes den 20. Juli seinerzeit aus innerer Überzeugung abgelehnt haben, und Widerstand war meist nur gegen korporationsfeindliche Akte, nicht gegen das nationalsozialistische System als solches geleistet worden." (S. 78 f. a.a.O.)

 

Anmerkungen: Aus der Rechtslastigkeit der Verbindungen in der Weimarer Rep. wird bei Pabst eine zwangsläufigen Reaktion auf das Verhalten der Linken.

In bezug auf die Arbeitermorde von Bad Thal, zieht er sich auf eine formaljuristische Linie zurück, die bereits Gumbel, in "Vier Jahre politischer Mord", Berlin-Fichtenau, 1922/Reprint Heidelberg 1980, folgendermaßen enlarvt Hat: das "Kriegsgericht" war besetzt mit Kameraden der Mörder, im Wiederaufnahmeverfahren vor dem Schwurgericht hielt der Staatsanwalt eine Entlastungsrede, während Belastungszeugen vorsichtshalber nicht gehört wurden. (a.a.O. S. 56 ff.)

Seine Antisemitismus-Begründung benutzt eine ähnliche "Argumentation", wie Hitler in "Mein Kampf", während bei Adolf Linkspresse=Judenpresse und Marxismus=jüdisch ist, reicht für Pabst bereits ein "überproportionaler" jüdischer Anteil an der Linkspresse und an den Ereignissen von 1918.

Die danach folgenden Ausführungen erhellen den Verbindungsalltag in der NS-Zeit als inhaltliche Einigkeit mit dem Nationalsozialismus bei gleichzeitiger Uneinigkeit in der Machtfrage. Unterdrückung und Widerstand bleiben rudiementär eher auf Zufälligkeiten beschränkt. Austrocknung ist allein deshalb möglich, weil im Seilschaftssystem nicht mehr die Verbindungen, sondern die Parteiorganisationen die Pfründe garantieren. Insgesamt aber bietet der NS ausreichend Nieschen an, in denen die Altherrenschaften unbehelligt "überwintern" konnten.

Quelle: Burschenschaftliche Geschichtsschreibung am Beispiel der Veröffentlichung: "Couleur und Braunhemd" von Martin Pabst, Verlagsgemeinschaft Anarche Nr. 86, München 1993
Der Autor hat nach eigenen Angaben vor allem die zeitgenössische Korporationspublizistik ausgewertet (vgl. S. 4, a.a.O.). Er ist (Jg. 1959) Alter Herr im Sondershäuser Verband (S.V.) und Reserveoffizier.