Zurück zu den Wurzeln

Was immer auch an unterschiedlichen Meinungen zu studentischen Verbindungen geäußert wird, meistens besteht in einem Punkte Einigkeit, Einigkeit nämlich in der Vorstellung, die Anfänge des deutschen Verbindungswesens sei von konsequentester Forderung nach Freiheit und Demokratie für Alle geprägt gewesen.

Wenn ein Protagonist wie Gansäuer (CDU) seine Rede zur Abstimmung der Niedersächsischen Verfassung dazu nutzt, das Verbindungswesen zur "Studentenbewegung des 19. Jahrhunderts" zu erklären und zu Märtyrern zu stilisieren, deren Nachfolger zum Dank dafür 1993 in Göttingen mit Tomaten und Steinen beworfen würden (vgl. Stenographische Berichte des NL 7501 vom 13. Mai 93), ist klar, hier soll das Märchen propagandistisch ausgeschlachtet werden.

Ärgerlicher wird es schon, wenn das Lied der progressiven demokratischen Anfänge auch in einem kritischen Sammelband, wie "Füxe, Burschen Alte Herren" von Ludwig Elm u.a. wiederholt anklingt..

Das beginnende 19. Jahrhundert ist eine Zeit, in der das Bürgertum nach politischer Beteiligung strebt. Mit der Erfahrung der französischen Revolution im Nacken, mit gleichzeitg leeren Kassen, bietet sich für die preußischen Militärreformer die Schaffung eines ideologischen Konstrukts an, das nur geringfügige materielle und machtpoltische Zugeständnisse erfordert.

Auf diesem Hintergrund müssen die Reden Fichtes an die deutsche Nation gelesen werden: es handelt sich um eine Werbeschrift, eine Auftragsarbeit. Sie zeigt bereits Anteile völkischen Denkens, wenn diese auch an geistigen Traditionen (eine besondere Stellung der deutschen Volkes zu Gott) und noch nicht biologisch, an Blut und Boden verortet ist.

Inbegriff der Identifikationsebene Volk und Verfassung ist das "Vaterland".

Erstes Ziel ist es, das Volk für das Vaterland zu mobilisieren. Der Fürst ist dabei der Repräsentant der bürgerlichen Sicherheit. Gewünschtes Feldgeschrei: "Stirb fürs Vaterland". Den zweiten weitergehenden Schritt bildet das Vaterland mit einer Verfassung als sichere Struktur für Beteiligung der Bürger. Letztlich soll das Bündnis: Regierung/Nation/Volk erreicht werden, in dem Vaterland der Begriff dessen ist, für das man sich begeistert.

Einigkeit ist ein Schlüsselwort dieser Zeit. Sinnbildlich für den ersehnten Zusammenschluß der vielen deutschen Kleinstaaten, wollte man in der Studentenschaft den Zusammenschluß der ebenso zersplitterten Studentverbindungen, damals im wesentlichen Landsmannschaften, in Angriff nehmen.

Die Verfassungsurkunde der Jenaer Burschenschaft vom 12. Juni 1815 gilt als das Dokument, das der Zersplitterung und Befehdung der Verbindungen ein Ende bereitet hat. Sie wurde mit wenigen Änderungen während des Wartburgfestes demokratisch abgestimmt und angenommen. Diese Jenaer Burschenschaft lud zum Wartburgfest am 18. und 19. Oktober 1817 nach Eisenach ein. Ein besonders beachtenswertes Element, dürfte die am 2. Tag durchgeführte Bücherverbrennung sein, die in Anlehnung an Luthers Bullenverbrennung durchgeführt wurde. Etwa 30 Buchtitel, ein Korporalsstock und ein preußischer Schnürleib wurden den Flammen übergeben. Bei den Büchern handelte es sich, aus Geldmangel um Makulatur, die mit den verhaßten Titeln versehen worden waren. Dieser Form sich symbolisch von dem zu befreien, was einen am stärksten bedrückte, hatte allerdings "kleine" Fehler. Es befanden sich u.a. unter den verbrannten Schriften der "Code Napoleon", das damals fortschrittlichste Gesetzeswerk überhaupt und die "Germanomanie" des jüdischen Autors Saul Ascher.

Die Gebrüder Follen gehörten zu den "Ultraradikalen" "Unbedingten", einem Geheimbund innerhalb der "Gießener Schwarzen", die ihrerseits schon als nicht gemäßigt galten. Ihre "Grundzüge für eine künftige Teutsche Verfassung" von 1819 bedürfen der besonderen Beachtung. Bereits in diesem Schriftstück wird eine Selektion nach biologischen Merkmalen vorgenommen. D.h. von Anbeginn der Aktivitäten wird von den "fortschrittlichsten" Kreisen der Ausschluß bestimmter Gruppen als legitim angesehen. Eine Ausgrenzung, die zahlenmäßig die Mehrheit der Bevölkerung betroffen hätte. Nach Auffassung der Geheimbündler sollten an der "Gleichheit" Frauen, Jüdinnen und Juden, weibliche und männliche Behinderte keinen Anteil haben. An dieser Stelle wird deutlich, welchen tätsächlichen Stellenwert die "Freiheit" und das "demokratische" Prozedre innerhalb der Urburschenschaft tatsächlich hat: Es ist die Freiheit Weniger auf Kosten der Mehrheit, die nie gemeint war!

Als weiterer Meilenstein auf dem Wege der Verbindungen gilt das Hambacher Fest, das am 25. Mai 1832 in der damals noch zu Bayern gehörenden Pfalz stattfand. Auf dem Hintergrund der 1831 in Frankreich stattgefundenen Arbeiteraufstände machte die Landesregierung die Genehmigung von einem der Landeshauptstadt möglichst weit entfernt liegenden Veranstaltungsort abhängig. Da außerdem die Auflage gemacht wurde, daß keine demagogischen Reden gehalten werden durften, wurden die führenden Redner nach dem Fest verhaftet und verurteilt.

Hintergrund: In Deutschland und dort besonders in Bayern griff die Verelendung, bedingt durch eine ungeheure Verteuerung immer weiter um sich. Die Landbevölkerung stellte als Signal, daß etwas geschehen müsse, "Freiheitsbäume" auf. Die Hambacher Bewegung fand ebenfalls nicht nur in intellektuellen Kreisen Anhänger.

Am Tage nach dem Hambacher Fest kam es zu einer Versammlung einiger Beteiligter, die zur Gründung eines Preßvereins führte. Eine Vertretung dieses Vereins, zusammengesetzt aus politischen Flüchtlingen ließ sich in Paris nieder, der damals größten deutschen Ansiedlung. Auch die Franzosen duldeten ihre Aktivitäten nicht lange und verboten sie als aufrührerische Vereinigung ein Jahr später. Dies brachte die Nachfolgeorganisation, den "Bund der Geächteten" hervor. Die sich herausbildende kleinbürgerliche Dominanz in diesem Verein führte zu Spannungen zwischen Handwerkern und Arbeitern, die schließlich zur Spaltung führte. Der daraus hervorgehende "Bund der Gerechten" löste sich von den Kleinbürgern und erhob die Erlangung sozialer Gerechtigkeit zum Programm. Der Rest trat nicht mehr in Erscheinung. Auch der B.d.G. wurde alsbald von der Polizei verfolgt und übersiedelte deshalb nach London. Mit der Übersiedlung kam es auch zu einer Namensänderung. Der "Deutsche Arbeiterbildungsverein" ist der Vorläufer des 1847 gegründeten "Bund der Kommunisten", der das Umfeld für die Verfassung des "Kommunistischen Manifestes" durch Marx und Engels bildete.

Es läßt sich leicht nachvollziehen, das die fortschrittlichen Elemente innerhalb der Verbindungen sich dort weder lange halten konnten (wohl auch nicht wollten), noch einen nennenswerten Einfluß besaßen. Sie wurden immer so frühzeitig vertrieben, daß der alte Mief sich bis in die Gegenwart ungebrochen reproduzieren kann.

 

"Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,

Die altdeutschen Narren verdarben,

Mir schon in der Burschenschaft die Lust

An den schwarz-rot-goldenen Farben" Heinrich Heine

 

Quellen: Protokolle der Veranstaltung von Prof. Martin Bennhold "Deutschtumstheorien und Wartburg-Traditionen 1817-1992" SS 92/WS 92/93. Außerdem siehe Literaturliste