"Ich gehöre außer der Burschenschaft Libertas keiner politischen Organisation an"

Der Burschentag (27. bis 30. Mai in Eisenach)

Genau das hatte er eigentlich vermeiden wollen: Daß ein Verbandsbruder sich so aufführte wie der etwas angetrunkene Burschenschafter, der mit leuchtenden Augen einer Polizistin einen funkelnagelneuen Aufkleber unter die Nase hielt. Nicht irgendeinen beliebigen Aufkleber, sondern einen, der ihm besonders gut gefiel, auf dem eine Frau abgebildet war, die – lange Haare, blaue Augen – offensichtlich genau seinem Schönheitsideal entsprach. Am Bildrand prangte unübersehbar der Schriftzug "Junge Nationaldemokraten".

Peinliche Szenen wie diese – noch dazu unter den Augen der Presse – hatte er unbedingt vermeiden wollen. Deshalb hatte der Verhandlungsleiter von der Frankfurt-Leipziger Burschenschaft Arminia am 27. Mai den Burschentag – die jährlich in Eisenach stattfindende Tagung der Deutschen Burschenschaft, des Dachverbandes von ca. 120 Burschenschaften aus der BRD und Österreich – mit einer deutlichen Warnung an die etwa 400 anwesenden Burschenschafter eröffnet: "Provozieren Sie nicht! Ein einziger Ausrutscher kann die gesamte Deutsche Burschenschaft in Verruf bringen."

Natürlich blieb es nicht bei einem einzigen Ausrutscher. Immer wieder sahen sich genervte Burschenschafter genötigt, ihre Verbandsbrüder zur Ordnung zu rufen, um das Ansehen der Deutschen Burschenschaft vor größerem Schaden zu bewahren. Am zweiten Verhandlungstag unterbrach einer die Tagesordnung, um unbekannten Schmißgesichtern einen Anschiß zu verpassen, die einen Hotelflur mit leeren Bierflaschen garniert und Erdnüsse darübergeschüttet hatten. Am dritten Verhandlungstag schimpfte der Verhandlungsleiter, in der Nacht sei ein Waschbecken im Klo der Tagungshalle von einem anonymen Kappenträger zertrümmert worden.

Mochten diese Vorfälle geeignet sein, den Burschenschaftern die Sympathien der Eisenacher BürgerInnen zu verscherzen – welche Hotelangestellte freut sich schon, wenn sie ausgeschüttete Erdnüsse wegputzen muß? – , so gelang es jedoch, größeren politischen Schaden weitgehend abzuwenden. Gedroht hatte der vor allem aufgrund der Aktivitäten von AntifaschistInnen aus Eisenach, die sich schon seit längerem nicht mehr mit der Anwesenheit eines Haufens deutscher Männer mit Schmiß und Band in dem thüringischen Städtchen abfinden wollen. Mit Informationsveranstaltungen und Sprühdosen war die Deutsche Burschenschaft wegen ihrer neofaschistischen Tendenzen kritisiert worden – und sie sah sich genötigt, schon Wochen vor dem Burschentag mit einer PR-Kampagne in Eisenach ausführlich auf die Kritik und die geplante Gegendemonstration zu reagieren.

Der Joker, den die für die Organisation des Burschentages verantwortliche Frankfurt-Leipziger Burschenschaft Arminia zog, um die Deutsche Burschenschaft vom Vorwurf neofaschistischer Umtriebe zu befreien, hieß Helmut Kohl. Ihr Gedankengang mag etwa so gewesen sein: Kohl zieht das Interesse der Medien stärker an als die antikorporierte Demonstration; Kohl gilt nicht als bekennender Rechtsextremer; berichten die Medien über Kohls Anwesenheit auf dem Burschentag, wird der Blick der Öffentlichkeit von der Kritik an neofaschistischen Tendenzen in der Deutschen Burschenschaft abgelenkt; das "Ansehen" des Dachverbandes ist gerettet. Also engagierten die Frankfurter Arminen Deutschlands größte Birne als Festredner für den Festakt auf der Wartburg.

Und Kohl kam. Zwar nicht auf die von ihm so geliebte Wartburg – dort hatte ein Gewitter für rutschigen Boden gesorgt, und die zahlreich anwesenden Sicherheitskräfte fürchteten, GegendemonstrantInnen auf der glatten Fläche nicht rechtzeitig entfernen zu können. Der Ex-Kanzler mußte daher seine Phrasen in der eher kahlen Turnhalle dreschen, in der auch die Verhandlungen des Burschentages stattfanden.

Das Konzept, mit Kohl als Festredner das Image der Deutschen Burschenschaft aufzupolieren, ging teilweise auf. Aufmerksamen BeobachterInnen konnte es jedoch nicht entgehen, daß Kohl ganz und gar nicht den Geschmack der anwesenden Kappenträger traf. Die "Thüringische Landeszeitung" erwähnte höflich, daß seine Rede "wohl nicht alle Burschenschafter begeisterte". Man hätte es auch deutlicher formulieren können. Kohls Eintreten für die grundsätzliche Notwendigkeit einer Politik mit friedlichen Mitteln und für die Anerkennung bestehender Grenzen wurden mit Kopfschütteln und Gähnen kommentiert. Ein Burschenschafter schlief ein und fiel vom Stuhl, ein anderer torkelte, Soldatenlieder grölend, durchs Foyer. Zahlreiche hatten überhaupt kein Interesse an der Veranstaltung und vertrieben sich die Zeit mit dem Bierkrug in der Hand im Freien. Offensichtlich waren sie anderes gewöhnt – unter den Festrednern der vergangenen Jahre war ja auch Alfred Dregger derjenige gewesen, der am wenigsten weit rechts gestanden hatte.

Wer freilich nicht wie die bürgerliche Presse auf den Trick der VeranstalterInnen, die öffentliche Aufmerksamkeit allein auf Kohls Festrede zu lenken, hereingefallen war, bekam überdeutlich zu Gesicht, was sich in der Deutschen Burschenschaft gegenwärtig abspielt: Flügelkämpfe, die mit harten Bandagen ausgetragen werden.

Da gibt es auf der einen Seite den konservativen Flügel, der gewisse politische Standards einzuhalten bemüht ist. Hierzu zählt die Anerkennung der bestehenden Staatsgrenzen der BRD. "Für uns ist selbstverständlich, daß völkerrechtlich anerkannte Verträge Gültigkeit haben", formulierte immerhin der "Hambacher Kreis", ein Zusammenschluß konservativer Burschenschaften, im April 1994. Ganz ungern gesehen wird es beim konservativen Flügel der Deutschen Burschenschaft auch, wenn öffentlich auffallende Posten innerhalb des eigenen Dachverbandes mit REPs oder mit Angehörigen anderer im Verfassungsschutzbericht erwähnter Organisationen besetzt werden – das stört die Karriere zahlreicher Verbandsbrüder.

Der konservative Flügel ist inzwischen innerhalb der Deutschen Burschenschaft ganz eindeutig dem rechtsradikalen Flügel unterlegen – nicht zuletzt weil immer mehr konservative Burschenschaften aus ihrem Dachverband aus- und teilweise in die Neue Deutsche Burschenschaft eintreten. Dabei ist auch der konservative Flügel häßlich völkisch orientiert. Dies zeigen die Beschlüsse des diesjährigen Burschentages, die nahezu einstimmig gefällt werden konnten, da auch er ihnen vorbehaltlos zustimmte. So wurde jegliche Form einer doppelten Staatsangehörigkeit abgelehnt, da man sich entscheiden müsse, wen man in Zukunft hier wohnen lassen wolle: "Deutsche, Türken, Ausländer oder was?", so ein Mitglied der Burschenschaft Germania Hamburg. Daneben beschloß der Burschentag, Außenminister Fischer aufzufordern, sich für die Aufhebung der Benesch-Dekrete in Tschechien einzusetzen. Die deutsche Sprache will man als Arbeitssprache in der EU stärken, und die Umbenennung von deutschen Kasernen nach nichtdeutschen Personen lehnt man strikt ab.

Diese Beschlüsse gehen dem rechtsradikalen Flügel der Deutschen Burschenschaft jedoch längst nicht weit genug. Was für eine Politik von ihm angestrebt wird, läßt ein weiterer Beschluß des Burschentages erahnen, der dieses Jahr verabschiedet werden konnte – nach einjähriger Vorarbeit, mit der der Widerstand des konservativen Flügels ausgeschaltet wurde. Man kam überein, sich für eine "Überprüfung" des §130 StGB einzusetzen – des "Volksverhetzungsparagraphen", der unter anderem die rechtliche Grundlage für die Verurteilung von Leugnung der Shoa darstellt. Begründung: Es gehe der Deutschen Burschenschaft "insbesondere darum, daß [...] das von der Verfassung uneingeschränkt garantierte Recht auf Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre gerade um der historischen Wahrheit willen nicht beeinträchtigt wird." Freie Volksverhetzung für freie Bürger?

Der rechtsradikale Flügel dominiert inzwischen – das wurde auf dem Burschentag deutlich – das Geschehen innerhalb der Deutschen Burschenschaft ganz klar. Keine Abstimmung, bei der seine Stimmen nicht ausschlaggebend wären; kaum ein innerverbandlicher Posten, der ohne seine Zustimmung vergeben wird. Die nächsten beiden Vorsitzenden Burschenschaften der Deutschen Burschenschaft kommen vom rechten Flügel. Die Burschenschaft Oberösterreicher Germanen zu Wien, die seit dem 1. Juni die Amtsgeschäfte führt, gehört der "Burschenschaftlichen Gemeinschaft" an – einer innerverbandlichen Gruppierung, die seit ihrer Gründung am 15. Juli 1961 den rechten Rand der Deutschen Burschenschaft umfaßt. Im Juni 2000 wird die Burschenschaft Rheinfranken Marburg die Arbeit der Oberösterreicher Germanen weiterführen – wohl ganz in deren Sinn, denn die Rheinfranken sind seit einigen Jahren unaufhaltsam auf dem Weg nach rechts. Im Jahr 2001 könnte dann nach internem Proporz sogar wieder eine Burschenschaft der "Burschenschaftlichen Gemeinschaft" die Leitung des Dachverbandes übernehmen.

Zeit genug also, um die Deutsche Burschenschaft auf Linie zu bringen. Dies jedenfalls ist das ausdrückliche Ziel der Burschenschaft Rheinfranken Marburg. Die nächsten Jahre müßten genutzt werden, um eine grundsätzliche Positionierung des Dachverbandes zu erreichen, äußerte einer ihrer Vertreter auf dem Burschentag. Pionierarbeit, nicht Lobbyismus sei dabei das Gebot der Stunde. Was er damit meinte, drückte unmißverständlich der Anti-PC-Aufkleber der "Jungen Freiheit" aus, den die Rheinfranken auf dem Aktenordner mit ihren Tagungsunterlagen angebracht hatten: Die letzten politischen Standards, die vom konservativen Flügel der Deutschen Burschenschaft noch eingehalten werden, sollen fallen.

Die Marburger Rheinfranken entwickeln überhaupt bemerkenswerte Aktivitäten. So ließ sich einer ihrer Vertreter (gemeinsam mit einem Vertreter der Burschenschaft Libertas Brünn zu Aachen) in den Hochschulpolitischen Ausschuß der Deutschen Burschenschaft wählen – mit dem ausdrücklichen Ziel, einen Beschluß des letztjährigen Burschentages umzusetzen. Dieser Beschluß bekräftigt den Willen der Deutschen Burschenschaft, bis zum Jahr 2003 an allen Hochschulen in der BRD und Österreich in den Selbstverwaltungsorganen vertreten zu sein. Erste Ansätze dafür gibt es bereits: In Aachen etwa ist seit zwei Jahren die Burschenschafterliste "Aktiv" im Studierendenparlament vertreten, in Marburg ebensolange der REP-Hochschulverband, der ausschließlich von Mitgliedern der Deutschen Burschenschaft getragen wird. Das Miteinander eines Aachener Liberten und eines Marburger Rheinfranken macht eine Arbeitsteilung beim Aufbau von Hochschulgruppen der Deutschen Burschenschaft denkbar: Je nach den lokalen Gegebenheiten könnte einer REP-Hochschulgruppe oder einer scheinbar unabhängigen Liste der Vorzug gegeben werden; die Koordination wäre problemlos über den Hochschulpolitischen Ausschuß der Deutschen Burschenschaft möglich.

Verwundern sollte das nicht. Schließlich versteht sich die Deutsche Burschenschaft als sowohl politischer als auch ausdrücklich überparteilicher Verband. "Ich gehöre außer der Burschenschaft Libertas keiner politischen Organisation an", bemerkte einer auf dem Burschentag und erntete zustimmendes Gelächter für die Formulierung. Worauf es für den Dachverband ankommt, ist nur, daß seine Mitglieder die politische Linie vertreten, die auf den Burschentagen beschlossen wird. Ob das innerhalb einer politischen Partei (und wenn ja, in welcher) oder über parteiunabhängige Medien geschieht, vielleicht sogar mit einer nur lokal tätigen Gruppe (womöglich auch nur mit der eigenen Burschenschaft) – das soll – so will es der völkische Pluralismus der Deutschen Burschenschaft – der Einschätzung des einzelnen Mitglieds vorbehalten sein.

Günther Mauser