Es geht auch ohne Bündnis:

"Marburger Marktfrühschoppen" soll nach dem Willen der Veranstalter nicht mehr stattfinden.

Völlig überraschend beschloß Ende November der Veranstalter des "Traditionellen Marburger Marktfrühschoppens", das alljährlich am ersten Sonntag im Juli stattfindende "kürzeste Volksfest Deutschlands" nicht mehr auszurichten. Grund für den ausrichtenden Stadtteilverein (Oberstadtgemeinde): Der Frühschoppen 1998 sei wegen der Proteste und wegen des großen Polizeiaufgebotes ein Flop gewesen.

Ebenso traditionell wie der Frühschoppen selbst ist traditionell seine Korporierte Ausrichtung. Bis 1997 wurden Korporationen bevorzugt behandelt, d.h. extra eingeladen, hatten reservierte Plätze und wurden jeweils extra begrüßt. Der Form nach glich das Fest für angeblich alle Studenten und Bürger einem burschenschaftlichem Festkommers. Dies war es tatsächlich auch. Die extra wegen des Festes von überall hergereisten "Alten Herren" und die Marburger Korporierten feierten mit einheimischen anständigen Deutschen sich selbst und ihre deutsche Volksseele. Ein Abziehbild des sonst so abstrakten Begriffs des völkischen Konsenses.

Wegen des zunehmenden Protestes in den letzten Jahren wurde von Seiten der Veranstalter versucht, den GegnerInnen dieses Festes den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem 1997 formal auf Bevorzugungen der Korporierten verzichtet werden sollte. Im Vorfeld des Festes 1997 wurde ein scheinbarer Kompromiß zwischen Veranstalter und GegenerInnen erzielt. Es sollte ein Frühschoppen "light" geben, mit Afrikanischer Trommelgruppe, Flamenco und dumpfdeutscher Blechmusik. "Multikulti" halt. Teile der GegnerInnen ließen sich auf diesen Spaltungsversuch ein und wollten die Warnungen der bzgl. eines Frühschoppen "light" kompromißlosen GegnerInnen nicht wahrhaben, daß dies 1. an dem Charakter des Festes nichts ändert, 2. die auftretenden nichtdeutschen Gruppen nur vorgeführt würden und 3. dieser Vorstoß ganz klar ein Spaltungsversuch darstellt.

So kam es auch. Während Teile der GegnerInnen sich weiter auf die Überzeugungsarbeit auf dem Fest konzentrierten, planten andere weitere Proteste. Wegen der Ankündigung dieser Proteste hatte sich 1997 die Oberstadtgemeinde 14 Tage vor dem Fest zurückgezogen. An deren Stelle riß nun der CDU- Oberbürgermeister, samt Magistrat (Rot-Grün) und anderer Stadteilvereine das Fest an sich. Trotz einer Demo und eines Gegenfestes in unmittelbarer Nähe blieb es - so die Polizei - ruhig.

Grund also für die Oberstadtgemeinde, 1998 das Fest wieder selbst auszurichten. Von linker Seite aus wurde 1998 schon weit im Vorfeld mobilisiert. Verbal-radikale Flugblätter kursierten. Geplant war eine Demo und ein großes Gegenfest, was dann auch so durchgeführt wurde.

Wenige Tage vor dem "Marktfrühschoppen" gaben die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Grüne eine Presseerklärung ab, in der sie sich positiv auf den Frühschoppen bezogen und die Proteste denunzierten. In der unveröffentlichten Rohfassung war u.a. der Satz enthalten: "Gewalt gegen Teilnehmer eines Festes entspricht dem Vorgehen der SA gegen Gewerkschaftsfeste vor der Machtergreifung." Die Fraktionen gaben der Polizei also freie Hand.

Interessant ist das Verhalten der im Marburger Stadtparlament vertretenen PDS. Hatte sie diese Erklärung noch mit herausgegeben, zog sie ihre Unterzeichnung nach Vorhalten seitens linker Gruppen kurz vor dem Abdruck in den Lokalzeitungen zurück.

Nach der Veröffentlichung dieser Presseerklärung wurde es noch spannender. Eine Neonazigruppe mit der Bezeichnung "Nationaler Widerstand Hessen" hatte eine Gegen-Gegen-Demo angemeldet, um für den Erhalt des Festes zu demonstrieren. Einer der Redner der rechten Demo sollte Thomas Wulf, Nazi-Kader aus Hamburg, sein. Die Rechten boten sich auch als Ordner für den Frühschoppen an. Dies war dann den Behörden zu viel Streß an einem Tag. Das Ordnungsamt verbot drei Tage vor dem Besäufnis auf dem Markt die Neonazi-Demo mit der Begründung "Störung der öffentlichen Ordnung durch die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes". Die Linke Demo wurde unter Auflagen genehmigt.

Am 5. Juli war es dann soweit. Eine für Marburger Verhältnisse militant auftretende Demo schlängelte sich durch die engen Gassen bis kurz vor den Marktplatz, eskortiert von Bullerei, die an diesem Tag in der Stadt nicht zu übersehen war.

Ein enges Spalier an Bullerei samt polizeilichen Hilfsmitteln Hund hinderte die Demo am Betreten des Marktplatzes. Auf dem Weg zum Ort des Gegenfestes kam es zu einer unnötigen Festnahme auf unserer Seite.

Beim anschließenden, mehrere Stunden andauernden Gegenfest wurde versucht, einen politisch-kulturellen Gegenpunkt zu setzen. Mit Reden, drei Bands, Kabarett, Burschenfarben-Büchsen-Werfen,... und klar was zu futtern und zu trinken.

Ob es geklappt hat Kontrapunkte zu setzen....???... Auf jeden Fall hat dieses Fest allen so viel Spaß gemacht, daß es für nachahmens- und empfehlenswert gehalten wurde.

Von den Neonazis war an diesem Tag nichts zu sehen. Aber da waren sie. Kleine Flugzettelchen lagen in den Straßen.

"Marktfrühschoppen bleibt!! Jetzt erst recht!!

Wir lassen uns nichts von sogenannten "Linken " verbieten!!! Nationaler Widerstand Hessen."

Ob das Engagement der Rechten für das Verbrüderungsfest der deutschen Volksseele mit ein Grund war für die Oberstadtgemeinde, jetzt endgültig dieses Fest aufzugeben, ist spekulativ.

Jedoch die Tatsache, daß die Oberstadtgemeinde das Ende des Festes angekündigt hat, ist ein kleiner Erfolg in dem Bestreben, völkische dumpfdeutsche Verbrüderungsfeiern von Studenten und Bürgern unangenehm zu machen, zu behindern oder vielleicht sogar langfristig zu verhindern.

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß die Entscheidung der Oberstadtgemeinde nicht auf inhaltlicher Einsicht beruht, daß nicht (nur) Informations -und Aufklärungsarbeit etwas bewirken, sondern daß es wichtig ist, die Forderungen -hier zum Beispiel nach einem Ende des Festes- auch offensiv zu stellen und dafür, wenn es nötig ist, auch auf nicht tragfähige Bündnisse ins bürgerliche Lager hinein zu verzichten.

Und sollte 1999 wieder jemand auf die Idee kommen, das reaktionäre Besäufnis an Stelle der Oberstadtgemeinde zu veranstalten, werden wir natürlich keine Ruhe geben! Haltet als die Ohren offen und Euch den 4. Juli 1999 frei.

AntifaschistInnen aus Marburg