Hanns Martin Schleyer:

"Auslese bedeutet immer zugleich Ausmerze"

Während die Umstände des Todes von Hanns Martin Schleyer allseits bekannt sein dürften, wird über die Vergangenheit von Schleyer noch gerne der Mantel des Schweigens gelegt. "Nationalsozialisten hin, Verbindungsstudenten her, oft ist das eine Personalunion". Dieser vom konservativen Historiker Heiber geprägte Ausspruch traf besonders auch auf Schleyer zu, als er sein Studium in Heidelberg begann. Bereits 1931 war er, geboren 1915, als Schüler in die Hitlerjugend eingetreten, und trug zu Studienbeginn bereits die schwarze Uniform der SS (Mitgliedsnummer 221714) mit dem Goldenen Ehrenzeichen. Bald trat er auch dem Corps Suevia im Kösener SC bei. Zwei Semester lang war er Kameradschaftsführer in seinem Corps, bevor er in der Heidelberger Studentenführung das Wirtschafts- und Sozialamt, sowie das Amt für politische Erziehung übernahm. 1937 faßte er seine Ansprüche an die Heidelberger Studenten in seiner Funktion als Hochschulführer der Uni Heidelberg folgendermaßen zusammen. "Kameradschaft, Disziplin, Ehrenhaftigkeit und höchste politische Einsatzbereitschaft sind die Grundlagen unserer studentischen Kameradschaften und der Wertmesser für die Auslese in ihnen". Außerdem trat er mit den Worten "Auslese bedeutet immer zugleich Ausmerze" für eine stärkere Verfolgung linker Studierender ein. Etwas später trat er dann aus dem Corps Suevia aus, nachdem er zuvor festgestellt hatte, dem Corps fehle ganz einfach "der Wille zur nationalsozialistischen Leistung". Im weiteren Verlauf wurde er studentischer Leiter des Heidelberger Studentenwerkes und Beauftragter des terroristischen Sicherheitsdienstes (SD) der SS für den Universitätsbereich.

Dank des Schriftstellers Bernt Engelmann kamen die Aktivitäten Schleyers am Ende des Zweiten Weltkrieges an das Licht der Öffentlichkeit. Am 5. Mai 45, zwei Tage vor der deutschen Kapitulation, hatten tschechische Aufständische ein Schulgebäude umzingelt, in dem sich eine SS-Einheit verschanzt hatte, die 20 Geiseln in ihrer Gewalt hatte. Gegen Garantien für die SS-Leute kam es zur Freilassung der 20 Geiseln, indem sie gegen die Frau und das Kind des SS-Kampfkommandaten ausgetauscht wurden. Am nächsten Morgen richtete die SS in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes ein Massaker an: 41 Menschen, unbewaffnete alte Männer, Kinder unter drei Jahren und Frauen, darunter zwei Hochschwangere waren die Opfer. Auf Schleyer, der selbst äußerte, der letzte Kampfkommandant von Prag gewesen zu sein, paßte als einzigen SS-Führer die folgende Beschreibung: 30 Jahre alt, verheiratet, sein Sohn sieben Monate alt und das Gesicht geziert mit Mensurnarben. Gegen diese Veröffentlichungen von Engelmann wurden niemals rechtliche Schritte unternommen.

So wie Schleyer im Heidelberger Studentenwerk und SD als Multifunktionär tätig war, so vereinte er zum Zeitpunkt seiner Entführung und Erschießung durch die Rote Armee Fraktion (RAF) 1977 in Personalunion drei entscheidende Funktionen: Vorstandsmitglied von Daimler Benz, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

(Diese Kurzbiographie stammt aus der Broschüre: Stützen der Gesellschaft - Elite der Nation. Studentische Verbindungen in Heidelberg, hrsg. von autonome Antifa HD & Antifa AK an der Uni. Bei dem erwähnten Buch von Bernt Engelmann handelt es sich um: Rechtsverfall, Justizterror und das schwere Erbe. Zur Geschichte der Justiz 1919 bis heute. Die unsichtbare Tradition. Band 2, Köln 1989. Engelmann erwähnt in diesem Zusammenhang zwei weitere Corpsstudenten und Nazis, mit denen Engelmann ein Leben lang verbunden blieb. Der eine Dr. Ries, dessen "Leibfuchs" er im Corps war. Dr. Ries wurde im Faschismus durch "Arisierungen" und "Übernahmen" zum Chef eines Rüstungskonzerns. Er war V-Mann der Gestapo-Leitstelle Dresden. Dr. Ries zählt zu den besonderen Förderern eines des ehemaligen Führers der Jungen Union Ludwigshafen, eines gewissen Helmut Kohl. Dr. Taubert gehörte zum direkten Umfeld von Franz Josef Strauss. Taubert mußte nach der von Strauss eingefädelten Spiegel-Affäre Bonn verlassen. Siehe dazu Bernt Engelmann: Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern, Göttingen 1988.

Von all dem oben geschilderten wußten die Corps anscheinend nichts. Kein Hinweis auf seine SS-Aktivitäten, nicht einmal sein zwischenzeitlicher Austritt aus dem Corps wird in einem Nachruf auf Schleyer in "Der Corpsstudent 3/97" erwähnt. Stattdessen heißt es da: "Der Ermordete hat durch Jahrzehnte die corpsstudentischen Ideale der Freiheit und Toleranz aktiv vertreten." )

© Peter AR!