An ihren Liedern sollt ihr sie erkennen...

Sangesfreudige Burschen in Osnabrück

Osnabrücks schlagende Verbindungen scheinen nicht nur gemeinsame konservative Prinzipien zu verbinden. Sangesfreudig, wie die Herren nun mal sind, erklingt bei offiziellen und halboffiziellen Anlässen aus ihren Kehlen so manches Lied. Hatte die Burschenschaft Arkadia Mittweida im Frühjahr mit ihrer Version des Horst-Wessel-Liedes für bundesweite Schlagzeilen gesorgt, konnte die Landsmannschaft Marchia Berlin mit dem "Lied der Deutschen" in allen drei Strophen bis jetzt nur örtliche Reaktionen einfahren. Und wie immer war alles ganz anders gemeint gewesen, in der Öffentlichkeit würden von interessierter Seite die Tatsachen verdreht.

Ende März hatten einige Mitglieder von Arkadia-Mittweida ihren Studienabschluß gefeiert. Aus diesem Grunde wurde eine "Kneipe geschlagen", wie sie es nennen. Nach dem die Herren mit ihren Gästen den offiziellen Teil der Feier abgeschlossen hatten, erklang zu mitternächtlicher Stunde das Horst-Wessel-Lied. Eine zufällig anwesende Bekannte eines Arkaden brachte die Sache vor die Öffentlichkeit und erstattete Anzeige. Und die Öffentlichkeit konnte erleben, wie die Reihen der Arkaden, wie im Liedtext angedeutet, fest geschlossen wurden. Bei dem Vorkommnis habe es sich um eine private Aktion gehandelt, und die sei nicht strafbar. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück, Norbert Meyer erklärte im September, 5 Monate nach dem Vorfall: "Der Vorgang ist noch bei der Polizei und dort wird derzeit ganz gründlich ermittelt, ob während der fraglichen Veranstaltung Öffentlichkeit vorhanden war". Dies sei die juristische Wunde, denn "momentan sieht es so aus, als ob es sich um eine geschlossene Gesellschaft gehandelt habe, aber die Ermittlungen laufen weiterhin auf Hochtouren". Bis Ende Oktober war immer noch nicht klar, ob die Angelegenheit überhaupt vor Gericht verhandelt werden wird.

Fast genau 6 Monate später feiert die Landsmannschaft Marchia Berlin ihr 125 Stiftungsfest. Die Verbindung läßt sich im Friedenssaal der Stadt empfangen, in ihrer Festschrift sind Grußworte von Ministerpräsident Gerhard Schröder und Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip enthalten (über den Inhalt siehe den Artikel). Ein Vertreter von Arkadia Mittweida nimmt als offizieller Vertreter am Festkommers als geladener Gast teil. Hier verkünden die Herren, das ihr Deutschland immer noch "von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt" reicht. Nationalistische Inhalte würden damit jedoch, so erklären die Alten Herren der presse, natürlich nicht vertreten. Zufällig ist die Sangeseinlage nicht geschehen. In der Auseinandersetzung um das öffentliche Singen des "Deutschlandliedes" in allen drei Strophen innerhalb des Coburger Convents (CC) hat Marchia 1995 im Verbandsblatt des CC klar Stellung genommen. Gegen den Beschluß, nur die dritte Strophe zu singen, wurde ausgiebig polemisiert. Nach Meinung der Marchia zeige ein solches Verhalten, wie auch im CC dem Zeitgeist Tribut gezollt werde. Sie warnt vor der Entwicklung: "Heute das Deutschlandlied, ... bald auch die Mensur und die waffenstudentische Idee...?" Für sie bilden Mensur und Deutschlandlied in allen drei Strophen eine Einheit!

Zur Mensur erklärte Marchia in einem 1990 an der Universität Osnabrück verteilten Flugblatt, sie habe "sich durch nahezu zwei Jahrhunderte bewährt; sie erfüllt auch weiter ihren Sinn", der in dem "Erlebnis für die Gemeinschaft der Bundesbrüder 'gestanden' zu haben", besteht. Für den Lebensbund sei die Mensur so wichtig, dass nicht auf sie verzichtet werden könne.

Mit Sport hat das nichts zu tun, eher schon mit den bekannten Mutproben aus Jugendbanden! Nur wer den Kopf für den Bund hinhält, gehört dazu.

Was den Waffenstudenten nicht auszeichnet, beschreibt Hanno Borchert in der CC-Zeitung: "Wer mithilft, unsere Gesellschaft ... in eine kollektivistische, multikulturelle Gesellschaft zu transformieren, ist ... fehl am Platze im Kreise deutscher Waffenstudenten."

Einer, der da den Kopf für seinen Bund hingehalten hat, heißt Jost Berstermann. 1979 gründet er in Osnabrück den Unabhängigen Schülerbund, eine NPD-nahe Organisation. In der damaligen Nazi-Postille MUT verkündet er, der "marxistischen Zersetzung der Schule den Kampf angesagt" zu haben. "Wir werden den Linken sicher bald ein Dorn im Auge sein", so Berstermann in Mut. Während seiner aktiven Zeit bei Marchia war er anscheinend in der NPD organisiert, in den späten 80gern versucht er es kurzfristig bei den Republikanern.

Die alten brauen Verbindungen sind es auch wohl, die die für Kandidatur der Brunner-Partei "Bund Freier Bürger", einem Ableger der rechtsextremen österreichischen FPÖ des Burschenschafters Jörg Haider, bei der Osnabrücker Kommunalwahl 96 nötigen 270 Unterschriften für die Kandidatur ermöglichen. Die Alten Herren werden es auch gewesen sein, die den teuren Wahlkampf (Postwurfsendung an alle Haushalte, Anzeige in der Tagespresse für mehrere tausend Mark) ermöglichen. Es versteht sich von selbst, dass die Kandidatur von Mitgliedern von Marchia und Arkadia gemeinsam organisiert wurde.

Kritik gegenüber den Sangeseinlagen begegnen die Burschen mit einem "juristischen" Argument. Solange die Burschen von Arkadia nicht verurteilt wären, distanziere sich die Landsmannschaft nicht von den Vorfällen bei der Burschenschaft. Und das Singen des Deutschlandliedes in allen drei Strophen sei nicht verboten, mithin in Ordnung. Inhaltliche Distanz zu solchem Liedgut kommt ihnen nicht in den Sinn!

Als die Fachschaft Jura zu Beginn des Wintersemesters die Mitglieder der Burschenschaft Arkadia Mittweida wegen ihrer rechtsextremen Positionen von der Erstsemestereinführung ausschließt, wirft Arkadia der Fachschaft öffentlich Nazi-Methoden (!) vor und fordert den Rücktritt der Fachschaft. Ansonsten befindet sie sich anscheinend auf Tauchstation.

Inzwischen hat das StuPa (siehe Abdruck) die anderen Osnabrücker Verbindungen aufgefordert, sich wegen der Vorfälle von beiden schlagenden Verbindungen zu distanzieren. Lassen wir uns überraschen, ob sie klare Worte finden oder versteckt hinter Worthülsen versuchen, ihre guten Beziehungen untereinander weiter zu pflegen. Denn bereits eine Woche nach den Vorkommnissen bei Marchia feierte Mann fröhlich einen gemeinsamen Kommers im Kaffeehaus Osterhaus. Das Deutschlandlied erklang wieder einmal mit allen drei Strophen. Alles wie gehabt.