Editorial
Pro und Contra
Antifa Infoblatt #81 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Wertet man die letzten aufsehenerregenden Anschläge von Neonazis bezüglich der bei Regierungsmitgliedern hervorgerufenen Reaktionen aus, kann man schnell zu folgenden zwei Schlüssen kommen. Erstens: Sprechen Regierungsmitglieder von Einzelfällen, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht um solche, sondern vielmehr um Ereignisse, die gerade nicht ins politische Tagesgeschäft passen oder um welche, die nach einem Richtungswechsel im Umgang mit der gesamten Problematik schreien. Zweitens: Fordern Regierungsmitglieder ein sofortiges Handeln und sehen im schlimmsten Fall gar eine »braune Armeefraktion« am Werk, dann ist Skepsis geboten, da es in der Regel um Gesetzesänderungen geht, die sehr wohl auf die politische Agenda passen, oder es besteht absolut keine Gefahr sich allgemein mit Themen wie Rassismus oder deren wirksamer Bekämpfung beschäftigen zu müssen.
 
Jüngstes Beispiel ist der Mordanschlag eines Neonazis auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl. Bereits einen Tag nach der Attacke sieht CSU Chef Seehofer »Phänomene wie bei der RAF in den Siebzigern« (Spiegel) und die Bundesregierung lässt über einen Sprecher verkünden, dass aufgrund der »unglaublichen Direktheit« eine »neue Qualität« rechter Gewalt erreicht sei. Doch worin diese neue Qualität bestehen soll und ob es sich bei einem Angriff auf einen Polizisten in seiner Privatsphäre eventuell schlicht um einen Einzelfall handelt, bleibt in den Verlautbarungen offen. Für engagierte JournalistInnen, GewerkschafterInnen, LokalpolitikerInnen oder einfach alle Menschen, die aus beliebigen Motiven Opfer von neonazistischer Gewalt geworden sind und sich täglich mit dieser Angst konfrontiert sehen, dürfte die neue Qualität ausschließlich in der medialen Rezeption und schnellstmöglichen Verurteilung des Falles durch die Bundespolitik – sogar noch vor den sonst strengstens zuerst abgewarteten Ermittlungsergebnissen – liegen, nicht aber in der Erkenntnis das Neonazis brutal und mörderisch gegen ihre Gegner vorgehen. Da passt es auch ins Bild, dass sich die Gewerkschaft der Polizei einen Tag nach dem Anschlag zu Wort meldet und eine neue Strategie der Neonazis im Kampf gegen den Rechtsstaat sieht und besseren Schutz von Polizeibeamten einfordert. Forderungen nach einem wirksamen Kampf gegen Rechts und gegen Rassismus – vielleicht sogar in Bayern – sind folgerichtig eher Randerscheinungen. Einen besseren Schutz von MigrantInnen – immer noch die Haupt-Opfergruppe neonazistischen Terrors – fordern immer noch nur jene, die das ohnehin schon tun.
 
Noch zynischer wird es, wenn man in der Betrachtung der zurückliegenden Ereignisse die Uhr um einen Einzelfall weiter zurückdreht. Ebenfalls im Dezember sprach das Dessauer Landgericht zwei Polizisten frei, die nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh angeklagt waren (siehe Kurzmeldung). Nun sind leider weder Rassismus unter Polizeibeamten noch durch deren Korpsgeist und Falschaussagen gesprengte Gerichtsverhandlungen in Deutschland Einzelfälle, wirklich bemerkenswert und bisher ein echter Einzelfall ist allein die Deutlichkeit, mit der diese Missstände durch den Vorsitzenden Richter angeprangert wurden. So bleibt zu hoffen – auch wenn es mehr als unrealistisch erscheint –, dass diese beiden einschneidenden Ereignisse auch in der Politik zu folgenden Erkenntnissen führen: Der Kampf gegen Rassismus muss kontinuierlich und ehrlich auf allen Ebenen – auch im Polizeiapparat – forciert werden. Das grausame an rechter Gewalt ist nicht, dass auch Polizisten von ihr betroffen sind, sondern der Fakt, dass sie überhaupt existiert.
 
Bedanken möchten wir uns noch bei den vielen Gästen unserer AIB- & Lotta-Gala, die so ausdauernd mit uns gefeiert haben. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass in der letzten Ausgabe bei dem Artikel zum »Institut für Staatspolitik« die Fussnoten verlorengegangen sind. Bei dem langen Zitat in der Mitte des Artikels ist der zitierte Vordenker aus dem letzten Jahrhundert Arthur Moeller van den Bruck.
 
Für den 14. Februar 2009 ist in Dresden erneut der jährliche Neonazi-Großaufmarsch angekündigt. Gegen den Aufmarsch hat sich ein antifaschistisches Bündnis gebildet, das unter dem Motto »No Pasarán« (sie werden nicht durchkommen) eine Demonstration ankündigt. Am 9. Mai 2009 gibt es eine neuen Termin zur Wiederholung des »Anti-Islamisierungskongresses« von Pro Köln und ihren euopäischen Verbündeten. Wir sehen uns... David (1974-2008)