Editorial
Der rechte Rand
der DDR
Antifa Infoblatt #75 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! vor zwanzig Jahren, am 17. Oktober 1987, überfielen Neonaziskinheads ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche. Schlagartig trat zu Tage, was es im antifaschistischen Selbstverständnis der DDR nicht geben konnte: junge Neonazis. Da der Angriff in einem Zentrum der DDR-Opposition stattfand und nicht in der ostdeutschen Provinz, konnten auch die Medien der DDR dem Thema kaum mehr ausweichen. Rückblickend erweist sich die Causa Zionskirche als Vorspiel für die Entwicklung des ostdeutschen Neonazismus in den Jahren 1989 bis 1994, als sich auf dem Gebiet der heutigen neuen Bundesländer eine bis dahin nicht vorstellbare Welle fremdenfeindlicher Gewalt und öffentlicher Präsenz von Neonazis Bahn brach, der die antifaschistische Linke hilflos gegenüber stand.

Zwar gibt es zur heutigen Situation des Neonazismus im Osten nur im Ausnahmefall strukturelle Kontinuitäten, doch die Wurzeln für das Entstehen eines diskursfähigen ostdeutschen Rechtsextremismus sind in der damaligen Entwicklung zu suchen. Schon frühzeitig berichteten wir über die Gefahr des Neonazismus in der DDR und ließen dabei auch unabhängige AntifaschistInnen zu Wort kommen.

In unserem Schwerpunkt kommen mit Dietmar Wolf und Frank Schumann zwei sehr unterschiedliche damalige Akteure zu Wort. Während Frank Schumann als Redakteur der damaligen FDJ-Zeitung »Junge Welt« die Vorgänge bewertete, gehörte Dietmar Wolf zu einer kleinen Gruppe unabhängiger AntifaschistInnen, die sich um einen öffentlichen Diskurs über die Problematik des Rechtsextremismus in der DDR bemühte. Die sehr verschiedenen Perspektiven auf die Geschehnisse sind von der Redaktion bewusst gewählt und sollen zur Diskussion anregen.

Ein weiterer Artikel über die ehemalige DDR-Blockpartei NDPD will zeigen, wie ambivalent die Integration von NS-Mitläufern in der DDR verlief. Liest man heute die rabiaten nationalistischen Verlautbarungen der NDPD, wird erkennbar, wie selbstverständlich nationalistische Einstellungen auch in der DDR artikuliert wurden.

Eine Artikelreihe zum Themenkomplex Faschismustheorien beginnen wir in dieser Ausgabe. Schon im AIB 68 und 69 setzte sich Alex Busch in einem Zweiteiler mit dem »Begriff des Faschismus« auseinander. In unserer neuen Reihe wollen wir nun die verschiedenen Faschismustheorien detaillierter betrachten und in den folgenden Ausgaben je einen Theorieansatz ausführlich vorstellen. In diesem AIB beginnt Fabian Kunow mit der Bonapartismusthese, die sich auf den »18. Brumaire des Louis Bonaparte« von Karl Marx bezieht und vor allem von dem KPD-Dissidenten August Thalheimer und dem Austromarxisten Otto Bauer entwickelt wurde.

Ein interessantes Gespräch findet sich auf Seite 26. Wir trafen uns mit dem Chefredakteur der Bikers News, Michael Ahlsdorf. Anlass war unsere kontinuierliche Berichterstattung über Schnittmengen zwischen Teilen der Bikerszene und dem Neonazismus, die auch vom inoffiziellen Organ der deutschen Bikerszene aufmerksam verfolgt wurde. Aus Platzgründen passt das Gespräch leider nur in gekürzter Form ins Heft, die vollständige Version findet Ihr auf unserer Webseite und in der Bikers News vom April.

Ein erfreuliches Ereignis fiel in die Produktionsphase dieser Ausgabe: Der Berliner Antifaschist Matthias Z. wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Einen Artikel über die skandalösen Umstände seiner Inhaftierung findet ihr auf Seite 44.

Wir wünschen Euch einen schönen Frühlingsanfang und viel Spaß bei der Lektüre.

Richtigstellung zur Ausgabe 74

Im Artikel »Lager, Lieder, Lebensbund« muss es auf Seite 11 »Bund freier Jugend« statt »Bund freiheitlicher Jugend« heißen. Im Beitrag »Nazikunst in Burschenschaftshäusern« wurde Jürgen Schwab als ehemaliges Mitglied der Burschenschaft Dresdensia-Rugia zu Gießen benannt. Das trifft nicht zu. Vielmehr war er Mitglied der Burschenschaft Thessalia zu Prag in Bayreuth.