»Politik ist ihnen einfach fremd« Dies ist die vollständige Version des im Heft nur gekürzt abgedruckten Artikels. Wir veröffentlichen das Gespräch zeitgleich zusammen mit den Bikers News. Diskussion »Politik ist ihnen einfach fremd« Seit einigen Jahren recherchiert das Antifaschistische Infoblatt (AIB) auch in der Biker-Szene. Immer wieder deckt es wirkliche oder vermeintliche Verbindungen zwischen MCs und Neonazis auf. Und gelegentlich klingen die Recherche-Ergebnisse des AIB so brisant, dass auch die bürgerliche Presse daraus verkaufsträchtige Schlagzeilen backen kann. Einige jüngst im AIB erschienene Artikel sorgten für Verstimmungen beim Gremium MC. Der Club beschwerte sich über falsche Darstellungen und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Ein ursprünglich angedachtes Gespräch zwischen AIB, dem Gremium MC und BIKERS NEWS kam deshalb nicht zustande. BN: Ihr berichtet seit Jahrzehnten regelmäßig über die Neonazi-Szene. Ich bewundere euch, wie gut ihr informiert seid. Wie tief ihr wirklich drin steckt, werdet ihr mir jetzt sicher auch nicht verraten?

Falco: Naja, wir versuchen so dicht dran wie möglich zu sein. Also wir gucken uns die Leute schon an, über die wir schreiben. Wir besuchen Tattoo-Studios, lesen die BIKERS NEWS, und wir fahren auch auf die Treffen.

BN: Aber dafür kriegt ihr doch eigentlich keine Einladung. Spätestens wenn die wissen, dass ihr welche vom AIB seid, gibt es doch Probleme, oder nicht?

Falco: Wir kriegen die Einladungen nicht immer als die, die wir sind. Aber ich muss erstmal was klären: Es kommt hoffentlich nicht so rüber, dass wir ein Problem mit der Rocker-Szene haben. Das haben wir aber überhaupt nicht. Normalerweise waren Rocker nie unser Thema. Da gab es bisher kaum Schnittmengen zwischen Rockern und Nazis. Erst seit Ende der 90er Jahre ist uns aufgefallen, dass da Schnittmengen entstehen.

BN: Schnittmengen in Subkulturen. Das ist doch gleich eine gute Einleitung für unser Gespräch.

Falco: Genauso wenig, wie die Antifa-Szene eine homogene Masse ist, ist es die Biker-Szene. Die Schnittmengen betreffen also nicht mal einzelne MCs, aber einzelne Chapter. Gerade in Ostdeutschland sind in einigen MC-Chaptern anscheinend Berührungsängste gefallen, oder es wurden Leute, die wir aus der Neonaziszene jahrelang kennen, mit einem mal in MC-Chaptern aktiv. Und dann haben wir natürlich versucht, da ranzukommen.

Aber es gibt natürlich auch Clubs, die uns wohlgesonnen sind oder die uns neutral gegenüberstehen, und dann gibt es natürlich auch welche, die wir fragen können, ob wir mal eine Einladung zu dem oder dem Treffen bekommen. Die sagen dann: Ja klar, warum nicht?

BN: Du selbst bist also auch offen auf Bikertreffen unterwegs?

Falco: Gelegentlich sind wir da durchaus unterwegs. Und auf den meisten Treffen, zumindest auf denen ich unterwegs war, habe ich keine Neonazis gesehen. Es gab immer Berührungspunkte oder bestimmte Symbole, bei denen wir hellhörig werden. Aber wenn das ganze Ambiente überhaupt nicht in die Richtung geht, zum Beispiel keine entsprechende Musik läuft, keine entsprechenden Äußerungen zu vernehmen sind, dann stört uns auch kein Symbol.

BN: Trotz eurer ziemlich sauberen Arbeit scheint ihr eher ehrenamtlich unterwegs zu sein?

Falco: Ja, und das seit 20 Jahren. Unsere Redakteure sind hauptberuflich größtenteils in andern Medienprojekten oder Zeitungen unterwegs. Wir haben nur ein kleines Publikum, haben aber eine relativ hohe Verbreitungswirkung. Große Redaktionen von Zeitungen oder Fernsehsendern haben uns abonniert. Mit denen machen wir ziemlich viel zusammen. Was wir sagen, wird gehört, das ist unsere Stärke.

BN: Das ist aber auch die Gefahr. Ihr habt einen hohen Multiplikationsfaktor. Eure eigentlich sorgfältigen Recherchen schlagen sich oft sehr vereinfacht in der bürgerlichen Presse nieder. Die sucht nämlich nur verkaufsträchtige Schlagzeilen und prägt damit das Bild der MCs in der Öffentlichkeit. Für uns interessant wäre nun das genauere Ergebnis eurer Recherchen in der Biker-Szene.

Falco: Es gibt zunächst natürlich schon lange MCs am Rande der Szene, bei denen man sich streiten kann, ob die überhaupt zur Biker-Szene gehören. Das sind die Neonazi Rocker-Clubs. Die Berliner Vandalen zum Beispiel fahren zwar keine Motorräder, treten aber mit Rockerhabitus auf. Die bewegen sich im Windschatten der großen Berliner MCs. Aber ich glaube, die haben mit der üblichen Bikerszene nichts zu tun. Bei euch im Heft sind die nie erwähnt worden. Die tragen Colour, tauchen aber in keiner der gängigen Clublisten auf.

Neu ist aber, dass auch einzelne Chapter von großen, echten Biker-Clubs Neonazis aufgenommen haben. Da muss man natürlich auch unterscheiden. Natürlich können die Clubs dann sagen: Der ist kein Neonazi mehr, der ist jetzt Rocker. Wir passen darauf auf, dass er sich so verhält, dass er dem Club nicht schadet. Dann bekommen wir davon auch nie wieder was mit. Wir versuchen nicht, bei jedem Club herauszufinden, wer läuft da ein- und ausgeht.

Trotzdem sehen wir jetzt immer wieder einzelne aktive Neonazis, die wir kennen, und die gleichzeitig auch in irgendeinem MC aktiv sind. Die sagen eben nicht: Wir waren früher Neonazis, das finden wir jetzt blöd, denn jetzt sind wir Biker. Uns geht es um die, die sich niemals distanzieren und die einfach weiter machen, zum Beispiel ihre Konzerte. Das sind die Fälle, mit denen wir uns auseinandersetzen.

BN: Jetzt seid ihr hier in Berlin. Ist das was, das ihr überwiegend hier beobachtet, oder habt ihr das über ganz Deutschland beobachtet?

Falco: Wir sind eine bundesweit erscheinende Zeitung und auch bundesweit tätig. In Ostdeutschland tritt das vermehrt auf, in Berlin ist es auch ausschließlich Ostberlin. Aber es gibt auch in Westdeutschland solche Schnittmengen, zum Beispiel in Mannheim. Da werden in Clubhäusern Neonazi-Konzerte organisiert. Und das waren Neonazi-Konzerte mit ganz normalen Rechtsrockbands, deren Publikum überhaupt nicht aus Bikern bestand.

Wenn man dann in ostdeutschen Städten recherchiert, dann sind das wieder die selben Personen. Zum Beispiel in Dresden, sind es die selben Leute, die auch in Berlin was gemacht haben.

Das ist ein Problem, aber nicht eines, das wir dramatisieren wollen. Wir würden niemals sagen: Die Bikerszene ist unterwandert.

BN: In eurem letzten Artikel hatte ich den Eindruck, dass er ein bisschen in diese Richtung geht. Der Schreiber schien seine fertige Story schon im Kopf zu haben, eine Message, die er loswerden wollte. Und dann hat er alles, was der Gremium MC erklärt hat, nach seinem eigenen Ermessen neu zusammengestellt und aus dem Zusammenhang gerissen.

Falco: Es wurde eigentlich wörtlich zitiert.

BN: Ich kenne ja das journalistische Handwerk, nicht ohne euch jetzt auf den Schlips treten zu wollen. Aber jeder von uns kann Texte gegen den Strich kehren. Das ist der Grund, warum der Gremium MC verstimmt ist und weshalb er keinen Bock mehr hat, noch mal irgendwas mit euch zu machen. Wir hatten den Gremium MC ja zu diesem Gespräch ebenfalls eingeladen. Die Mannheimer Geschichte können wir auch beim Namen nennen. Die Bandidos dort kenne ich persönlich, ich war auch bei der Clubhauseröffnung zu Gast.

Und eines vorweg: Der Bandidos MC hat die »Biker gegen Rechts«-Aktion, die wir zusammen mit Lesern in die Wege geleitet hatten, vor vielen Jahren mitgemacht.

Dass in Mannheim tatsächlich Nazimucke gespielt wurde, möchte ich jetzt mal vorsichtig erklären. Es hatte vielleicht was mit zu viel Ambitionen zu tun. Die Mannheimer Bandidos hatten nämlich sehr große Ambitionen, ihr Clubhaus zu einer Begegnungsstätte für Musikgruppen aller Art zu machen. Aber viele Musikgruppen haben wiederum Berührungsängste mit Rockern. Und so hatten die Bandidos ausgerechnet die genommen, die sich angeboten hatten.

Falco: Spätestens beim zweiten Mal wird das ein heikles Thema. Ich habe ein paar mal Neonazikonzerte besucht. Die versuchen ja auch, sich getarnt irgendwo in Kneipen einzumieten. Selbst, wenn man es vorher nicht weiß - aber wenn das einmal stattgefunden hat, dann sieht wirklich der letzte, worum es da geht. Das sollte dann kein zweites oder drittes Mal stattfinden.

BN: Gut, ein zweites Mal sollte es nicht stattfinden. Meines Wissens hat es auch nur einmal stattgefunden. Und ich weiß, wie viele Schlagzeilen das prompt in der bürgerlichen Presse gemacht hat. Ich kenne die Jungs halt selbst, und ich kann ihnen keine nazistischen Ambitionen unterstellen.

Die Bandidos sind aber auch keine Linken, weil sie bei der Aktion »Biker gegen Rechts« mitgemacht haben. Politik ist ihnen einfach völlig fremd, wie den meisten MCs. Das ist für sie eine ganz andere Baustelle. Die Mannheimer wollten Musikgruppen haben, und da haben welche »Hier« gerufen und dummerweise waren das Nazis.

Kai: Unsere Kritik an solchen Vorfällen sorgt leider für mehr Ärger, als der Vorfall selber. Wenn wir sagen, dass irgendwo was schief läuft, zum Beispiel Neonazi-Konzerte im Clubhaus, dann ist die Aufregung der Clubs über unsere Kritik meist viel größer als darüber, dass Neonazis sich bei ihnen verstecken. Warum ist die eigene Ruhe wichtiger als so ein klares Statement?

BN: Du meinst, die MCs sollten deutlicher sagen, dass sie keine Nazis sind und mit Nazis nichts zu tun haben?

Kai: Das auch. Und sie sollten unsere politische Kritik nicht immer gleich für eine Infragestellung ihrer Lebenskultur halten.

BN: Ich habe es ja schon angedeutet: Politik und politisches Engagement liegen außerhalb ihres Horizonts. So was gibt es nun mal, und deshalb müssen sie nicht dümmer oder uninformierter sein. Auch das Statement »Wir sind keine Rechten« ist ja schon ein politisches Statement. Das aber haben MCs nicht nötig.

Kai: Na gut, aber ein Tattooshop mit Nazi-Logos ist auch ein Statement. Ein Bikertreffen, wo fünf Personen im Neonazilook auftreten, ist auch ein Statement, wenn diese fünf Personen Member eines MCs sind.

BN: Das mit dem Statement hatten sogar wir schon mal probiert. Zur Aktion »Biker gegen Rechts« hatte ich alle großen Clubs angerufen und sie gefragt: »Macht ihr mit?« Am Ende hatte unter den großen Einprozenter-Clubs nur der Bandidos MC mitgemacht. Alle anderen hatten mit gewissen Recht gesagt: »Wenn wir das sagen würden, müssten wir auch sagen: »Biker gegen Links«. Warum wird das von uns nicht gefordert?«

Kai: Das wäre ja fast schon ehrlicher: Wenn sie sagen würden, sie seien konsequent unpolitisch.

BN: Das ist es, was ich gerade rüberbringen will, und wovon ich als deren Anwalt grundsätzlich ausgehe: Wenn die MCs nichts sagen, sind sie weder rechts noch links.

Falco: Wir würden auch nie von irgendeinem Club oder gar der ganzen Szene behaupten, dass sie rechts wäre. Das haben wir auch nie so geschrieben. Es geht wirklich nur im einzelne Chapter.

Wir würden uns zum Beispiel niemals ein Urteil über den gesamten Gremium MC anmaßen. Wir hatten uns mit Mike Asboe als deren Pressesprecher auseinandergesetzt, und wir waren halt nicht übereingekommen. Aber wir hatten nie den Eindruck, dass er selber Affinitäten nach rechts hätte.

Aber, wenn ich mir einzelne Chapter ansehe, habe ich einen ganz anderen Eindruck. Und dann wir gleich immer eine Mauer gegen uns. Dort, wo wir mal unter vier Augen sprachen, wird meistens auch ganz klar gesagt: »Ja, das ist wirklich einer der Rechten, da kümmern wir uns noch drum.« Warum mauert man? Warum klammert man sich äußerlich mit aller Macht an diese vielleicht 20 Personen? Sind die so wichtig? Oder ist es einfach nur so ein generelles Ding, zu sagen: »Wir lassen uns da von von außen nicht reinpfuschen. Wir regeln das auf unsere Weise, und wir sind so eine geschlossene Gemeinschaft, dass wir das von innen regeln.« Das ist ja auch okay, aber dann müssen wir es so schreiben wie wir es sehen.

BN: Wie Du es eben schilderst, ist es grundsätzlich richtig. Nach außen übt jeder MC immer erst den Schulterschluss. Das nennt man »Bruderschaft«, und andere halten das für »mauern«.

Also gut, in einigen Chaptern des Gremium MC mag es durchaus ehemalige Rechte geben, wohlgemerkt unter der Voraussetzung, dass sie dann politisch nicht mehr aktiv sind. Dieser Vergangenheit haben sie abzuschwören. Wenn dann trotzdem noch welche aktiv sein sollten, und ihr meint, die hätten auch noch »Schlüsselpositionen«, dann wäre ich damit ein bisschen vorsichtig. Gerade der Begriff »Schlüsselpositionen« ist ideologisch, der kommt genau aus dem Drahtzieher-Denken der paranoiden Rechten: Dort waren es immer Bösewichter des Weltjudentums, die die Drähte zogen.

Wie gesagt, hier geht es um Bruderschaften, und die Bruderschaft steht immer an erster Stelle. Ihr dürft nicht allen Ernstes erwarten, dass ein MC sich von euch sagen lässt, wen er rauszuschmeißen hat.

Aber immerhin seid ihr schon ein bisschen klüger als die bürgerliche Presse. Ihr seht wenigstens, dass äußerliche Embleme und Etiketten in der MC-Szene nicht zwingend was mit neonazistischer Unterwanderung zu tun haben.

Falco: Ich hab auch gar nicht die Wahrnehmung, dass in der Biker-Szene Nazisymbole inflationär gebraucht würden. Hast denn du den Eindruck, dass wir in unseren Artikeln auf der Symbolschiene argumentieren? Und dass wir sagen, wer die benutzt, der ist auf jeden Fall Neonazi?

BN: Oh, vielleicht ist es der Rest der bürgerlichen Presse, der meinen Eindruck verfälscht. Denn dort ist man in dieser Hinsicht sehr wach, sehr schnell und manchmal zu schnell. Gerade der Gremium MC bedient sich sehr vieler Embleme und Begriffe, die auch schon anders belegt sind: Das Eiserne Kreuz im Colour, oder die Wendungen »Stolz«, »Ehre« und »Treue«.

Bei politisch korrekten Hysterikern schrillen da vielleicht alle Alarmglocken. Aber Außenstehende verkennen völlig, wo das eigentlich herkommt.

Ich habe euch deshalb was sehr anschauliches mitgebracht, das gibt es beim Verlag »Zweitausendeins«. Es ist ein Bildband über die Juden in den USA. Und hier ist ein Bild mit jüdischen Bikern vor ihrer Synagoge. Die Hälfte von ihnen trägt Wehrmachtstahlhelme. Was für eine Ironie!

Und unsere Biker-Szene und ihre Emblematik kommt ja aus Amerika. Aber dort ist das nazistische ganz anders belegt, da heißt das ganz was anderes. In den USA sind das Siegertrophäen und Provokationsgesten, die dann hier mit der gleichen Unbedarftheit getragen werden, wie die Südstaatenfahnen.

Die nationalsozialistische Emblematik hat darüber hinaus natürlich was faszinierendes für Biker. Mit der Idee der Männerbünde treffen Gemeinsamkeiten, die weniger politisch sind, aufeinander. Der Begriff des »Faschismus« kommt ja vom Begriff des »Bundes«. Und die Linke hat in dieser Hinsicht wenig zu bieten. Deshalb tragen deutsche Biker vielleicht Thor Steinar-Sachen. Das ist eine ähnliche Verkehrung wie die Wehrmachtstahlhelme der jüdischen Biker.

Kai: Aber glaubst du, dass es in der Biker-Szene noch eine Schmerzgrenze gibt? Dass es einfach zu viel wird mit dem Neonazikram?

BN: Also ich glaube, es ist längst nicht soweit, dass eine Schmerzgrenze definiert werden müsste.

Falco: Auch beim Berliner Chapter vom Gremium nicht?

BN: Ich bin schlichtweg nicht autorisiert, darüber zu sprechen. Und die Gründe, warum der Gremium MC darüber mit euch nicht spricht, haben wir schon genannt.

Ich weiß, dass im Osten einige MC-Mitglieder aus der Neonazi-Szene kommen. Die bringen ihre Emblematik möglicherweise auch noch mit, kahlgeschoren sind sie sowieso, aber das sind auch viele Biker im Westen, und ich war es auch. Ich habe jedenfalls noch nicht erlebt, dass diese Ehemaligen in den MCs noch politisch aktiv gewesen wären.

Falco: Darum geht es uns ja in Berlin beispielsweise gar nicht. Aber wir kennen einen Club der seit Jahren Treffpunkt der rechten Szene ist, dass wurde auch im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Da spielten neben "Grauzonen Bands", auch Neonazi-Bands, da gingen fast ausschließlich Neonazis hin. Ohne Einladung aus der Szene kommt man nicht rein. Den Klub beobachteten wir seit Jahren. Ein MC eröffnet nun ein Chapter in Berlin und ausgerechnet der Club, wird deren Clubhaus, es behält den Namen und die gleichen Betreiber. Da lassen wir auch nicht mit uns reden, dass das kein Neonaziclub wäre.

Ein MC eröffnet nun ein Chapter in Berlin, und ausgerechnet das Lokal wird deren Clubhaus, es behält sogar den Namen und die gleichen Betreiber. Da lassen wir auch nicht mit uns reden, dass das kein Neonazi-Lokal wäre. Einer von denen eröffnet ein Tattoo-Studio, was die gleiche Symbolik aufgreift. Man geht hin und fragt: »Würdest du mir Nazi-Symbole tätowieren?« Und der sagt: »Na klar, alles geht hier!«

Sind die jetzt plötzlich Rocker geworden und haben mit der Neonaziszene nichts mehr zu tun? Oder nutzen sie die Rocker-Szene, denn so können sie politisches und Business unter einen Hut bringen? Die Rocker-Szene bietet dann natürlich auch Schutz.

BN: Ihr seht also die Gefahr, dass Nazis danach trachten, in MCs Mitglieder zu werden, um die Struktur und die Manpower der MCs für ihre politischen Aktivitäten zu nutzen?

Kai: Oder sich zumindest unangreifbar zu machen und einfach zu sagen: «Wir mache jetzt ein Konzert, und zwar in unserem Clubhaus.« Denn dann traut sich keiner ran, die Clubmember erklären später, das sei nur eine Geburtstagsfeier gewesen, und »Frontalkraft« sei nur eine Schülerband. Und wenn dazu was im Verfassungsschutzbericht Brandenburg, dann ist euch das egal, weil das nur eine bürgerliche Quelle ist.

Es gibt Leute, die machen was, und es gibt Leute, die lassen was mit sich machen. Sind die einfach naiv, oder ist es ihnen egal? Oder sagen sie, das sei zwar Scheiße, aber Mitglied ist Mitglied, und das zählt mehr, als alles andere. Da ist unsere Frage: Wo ist da eigentlich Schluss, wo ist die Schmerzgrenze?

BN: Die eine Antwort hattest du schon selbst gegeben, und ich wiederhole mich: Ein Mitglied ist ein Bruder, und der zählt mehr als alles andere.

Aber du hast recht, es gibt natürlich eine Schmerzgrenze, und die bestimmen die Medien. Hier ist natürlich zwischen seriöser Berichterstattung und schlagzeilenträchtigen Rufmorden zu unterscheiden. Das ist dann vielleicht auch eure Aufgabe, und vielleicht verrichtet ihr sie in der Hinsicht sogar ganz richtig. Sobald irgendwas dieser Art nämlich Schlagzeilen macht, dann reagieren auch die Clubs, denn das bringt ihnen womöglich weitere Polizeikontrollen und Razzien ein.

Kai: Das ist natürlich traurig, wenn die »Sieg Heil«-Rufe beim Konzert weniger schlimm sind, als die Kurzmeldung in der Presse.

BN: Ihr zeichnet schon wieder so ein düsteres Bild. Lasst mich noch mal Anlauf nehmen, bei der Gelegenheit hätten wir auch noch einen dritten Club genannt.

SS-Runen zum Beispiel werden in den USA bei jeder Gelegenheit gerne verbraten, ich erinnere nur an die ehemalige Band »Kiss«, deren Plattencover für Deutschland neu gedruckt werden mussten.

Auch die Hells Angels hatten einst, wie gesagt unter ganz anderen Vorzeichen, mit dieser Nazi-Emblematik angefangen. In den USA tragen sie immer noch Abzeichen und Auszeichnungen mit SS-Runen. Und sie waren nicht nur in der Hinsicht stilprägend für die ganze Biker-Szene. Aber die deutschen Hells Angels achten sehr darauf, dass sowas bei ihnen nicht unterkommt. Das geht so weit, dass viele von ihnen auch Uniformierungen oder militärisches Outfit ablehnen. Und das wohlgemerkt nicht, weil sie Angst vor einer schlechten Presse hätten. Ich kenne einen wichtigen Stuttgarter Hells Angel, der sich in Kulturprojekten und Gedenkaktionen engagiert. Jüngst hat er eine Fotoaustellung über Deportationen am Stuttgarter Bahnhof gemacht. Selbst, wenn die deutschen Hells Angels nicht bei »Biker gegen Rechts« mitgemacht hatten, so haben sie doch durchaus ein Gespür für Geschichte und historischen Ballast.

Und noch was: Alle großen MCs in Deutschland haben Ausländer in ihren Reihen, im Gegensatz zur amerikanischen Szene, wo Schwarze unter Einprozentern gar nicht denkbar wären. Die unterscheiden da drüben ja so fein, dass sie zwar Mexikaner nehmen, aber keine »Monkeys«... In Deutschland aber findet ihr Schwarze genauso wie zum Beispiel Zigeuner. Auch der Gremium MC hat schwarze, asiatische, muslimische und jüdische Member. Dieses Phänomen halte ich für bemerkenswert.

Falco: Wir glauben ja auch nicht, dass der Gremium MC ein rassistisches oder neonazistisches Projekt ist, und die anderen Clubs schon gar nicht. Wir wissen auch, dass bei den Hells Angels schon immer ausländische Member dabei waren.

Aber wenn man auf die Geschichte des Gremium MC schaut: War es nicht auch so, dass der Gremium MC eine Gegenbewegung zu den anderen grossen Einprozenter-Clubs sein wollte, die zu sehr von Ausländern geprägt gewesen sei? Sollte der Gremium MC nicht ein rein deutscher Club sein, der sich erst mit der Beteiligung im Business geöffnet hat?

BN: Die Intention des Gremium MC war es nicht, einen rein deutschen Club haben zu wollen. Der Gremium MC war aber sehr wohl angetreten, wie schon am Namen zu erkennen, sich von amerikanischen Einflüssen zu lösen. Dass in der Biker- und Rocker-Szene nicht alles amerikanisch sein muss, das fordern auch andere bei uns. Aus diesem Grund besteht beim Gremium MC, im Gegensatz zu vielen anderen großen Clubs, nur in ganz wenigen Chaptern die Pflicht, eine Harley zu fahren. Der Gremium MC bedient sich auch vieler deutscher Begriffe und deutscher Embleme. Das ist vielleicht national, aber nicht nationalistisch.

Kai: Aber seht ihr denn eine Gefahr, dass sich das irgendwann umdreht? Und das wenn dann von außen jemand darauf hinweist, wiegelt ihr das ab und meint, das seien die gebetsmühlenartige Vorwürfe der bürgerlichen Seite ...

BN: ... gebetsmühlenartig läuft’s bei den anderen. Wir wollen das nicht, deshalb sitzen wir zusammen, um darüber zu reden, nicht aber um uns zu wiederholen. Gefahren drohen aus allen Richtungen. Ich sehe keinen dringenden Handlungsbedarf, aber ich sehe ein Thema, über das man reden sollte.

Falco: Bundesweit würde ich das vielleicht ähnlich sehen, aber in Berlin zum Beispiel haben wir im letzten Jahr auf einer Biker-Veranstaltung eine Sondereinheit gegen Rechtsextremismus der Berliner Polizei gesehen. Wenn die Polizei das mit ihren Möglichkeiten politisch so einschätzt, kann das ja nicht nur unsere oder eine falsche Einschätzung der bürgerlichen Presse sein.

BN: Naja, auch die Polizei leidet unter Personalknappheit. Dann holt sie aus anderen Abteilungen vielleicht nur Verstärkung ein. Ich warne vor Paranoia.

Wenn MCs ehemalige Nazis aufnehmen, dann hat das meinen Segen. Embleme und Strukturen der Biker-Szene mögen denen der Nazi-Szene manchmal ähnlich sein, aber als Biker ziehen sie nicht los, um Ausländer zu klatschen.

Eine Randkultur hat Leute aus einer anderen Randkultur integriert. Die machen jetzt was anderes. Ob es vernünftiger ist, kann man in den Raum stellen ...

Falco: Naja, es gibt zum Beispiel einen bedeutsamen Neonazi-Versandhändler, der wegen solcher Geschäfte gerade in Dresden vor Gericht stand. Und der trat bei seinem Prozess in Kutte an. Der sagte nirgends, das sei Vergangenheit und er sei jetzt lieber Rocker. Es gibt sicher einige Neonazis, die über die Rocker-Szene aussteigen. Aber bei den Einzelfällen, die wir thematisieren, sehen wir auch einen aktuellen Handlungsbedarf. Da entstehen Netzwerke, zum Beispiel wieder in Berlin, in einen bestimmten MC. Der hat eigene Läden, Versände, Kontakte zu einem Fussballclub, das haben wir ja auch schon -zig mal geschrieben.

BN: Na gut, mit der Nennung von Ausnahmen drehen wir uns im Kreis. Ich kenne nicht die ganze Biker-Szene persönlich. Wenn ihr gegebenenfalls Alarm schlagt, ist auch das okay.

Falco: Und diese Einzelnen nutzen die Rocker-Szene für sich, den Schutz und die Kontakte zum Business, und machen weiter, was sie schon immer gemacht haben. Warum tut ihr da nichts? Wir meinen auch euch von der BIKERS NEWS?

BN: Auf Drogen, Rotlicht und Waffenschiebereien ist die Boulevardpresse scharf. Wir sind klüger und sollten den MCs nicht ständig »Business« unterstellen. Einzelne Fälle kann und muss man sicher hinterfragen, dafür sind aber nicht wir als BIKERS NEWS da. Wir greifen nicht Einzelne aus der Szene raus und prangern sie an. Schon gar nicht stellen wir einzelne MCs bloß. Das kann die bürgerliche Presse machen, oder auch ihr, aber nicht wir.

Damit wollen wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen, aber hier bewegen wir uns in der Schnittmenge zwischen den Ethiken der bürgerlichen Kultur und den Subkulturen. Und da heißt die Antwort für uns: Alles, was sich in der Szene bewegt, ist gut. Alles, was sie von außen gefährdet, ist schlecht. Dazu ein Beispiel aus einem anderen Bereich. Schließlich fordern uns auch immer wieder einzelne Leser auf, uns zu Richtern aufzuspielen und sogenannte »schlechte« MCs beim Namen zu nennen. Zum Beispiel, wenn ein Club von einem anderen aufgelöst wird. Nun gehört aber das gegenseitige Auflösen, das oft sogar ganz ohne Gewalt erfolgt, ohnehin zu den alltäglichen Gesetzlichkeiten Biker-Kultur. Was sollen wir daran bemängeln? Darüber hinaus würden wir mit einer Berichterstattung nur allen Beteiligten schaden, den Aufgelösten genauso wie den Auflösenden. Das wissen beide Seiten auch, weshalb es immer nur Außenstehende und Unbeteiligte sind, die uns auffordern, für jemanden in die Bresche zu springen.

Falco: Aber hier wird doch von einzelnen Chaptern die ganze Szene beschmutzt. Und ihr sprecht für die ganze Szene.

BN: In solchen Fällen bleiben wir hermetisch. Wir »mauern« also, wie ihr das nennt, denn das gehört zur Rocker-Kultur. Wir sind für die ganze Szene da, und wir werden deswegen nicht einzelne Clubs in die Pfanne hauen.

Kai: Keiner sagt ja: Trennt euch von euren Symbolen, kommt zur Antifa! Das wär ja Quatsch und nicht die Aufgabe eines Szene-Magazins. Unser Appell wäre es, die Scheuklappen abzulegen, genau hinzuschauen und auch mal Leute direkt anzusprechen.

BN: Ihr werdet’s nicht glauben, wie oft ich schon wegen der Artikel in eurer Zeitschrift telefoniert habe ... Intern und am Telefon läuft natürlich einiges, aber nach außen benehmen auch wir uns wie Einprozenter. Ich werde das Vertrauen der Clubs jedenfalls nicht verspielen.

Falco: Spricht man unter vier Augen mit vielen, merkt man ja auch, dass die Szene weiss, wo genau es Probleme mit Neonazis gibt. Und bei vielen Subkulturen war es mitunter schlimmer als in der Bikerszene. Die haben aber wenigstens öffentlich gesagt »Wir bleiben unpolitisch. Die Faschos können uns mal!«

BN: Tja, in unserer Szene herrscht eben eine andere Ethik. Selbst wenn ein MC mal intern zurückrudert, wird er nicht laut sagen: »Hier wurde was falsch gemacht.« Das entspricht nicht unserem Stil.

Aber wie gesagt: Wir reden hier über ein ganz marginales Problem. Politik steht in den meisten Fällen jenseits jeder Biker-Ideologie. Aber die Linke hat im Gegensatz zu Rechten nicht die Etiketten zu bieten, die für Biker interessant sind: Der harte Lifestyle, die verschworenen Männerbünde, das martialische Auftreten.

Kai: Finde ich nicht schlimm für die Linke, wenn Biker die attraktiven Muster bei rechten Vorstellungen finden.

BN: ... und vergessen wir nicht die Gründe, die oft genug nicht politisch sind, sondern bei denen es um Provokation geht. Bekannt sind bei unseren Lesern die Bilder aus den 80er Jahren, als beim Bones MC jemand mit Irokesenschnitt und Hakenkreuzarmbinde unterwegs ist. Das kennen wir auch aus der damaligen Punk-Szene, mit der es Berührungspunkte gab. Obendrein waren Rocker und MCs damals oft gemeinsam in der Hausbesetzerszene unterwegs. Das ist eine vielschichtige Angelegenheit, und so enden wir wieder bei den Schnittmengen in Subkulturen.

Falco: Klar, vielleicht ist die Biker-Szene weder links noch rechts, und es gab oder gibt doch unausgesprochene Standards, die verhindern, dass sie in eine falsche Richtung marschiert. Wir haben ja auch eine gemeinsame Basis, um uns mit den meisten gemeinsam an einen Tisch zu setzen.

BN: ... und nun haben auch wir an einem Tisch gesessen. Es ist besser, miteinander, als übereinander zu reden. Michael Ahlsdorf beim Gespräch mit dem Antifaschistischen Infoblatt
Michael Ahlsdorf von der Bikers News im Gespräch mit dem Antifaschistischen Infoblatt.