Editorial
Wahlerfolge der NPD - Neonazis im Schweriner Landtag
Antifa Infoblatt #73 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Mecklenburg-Vorpommern und Berlin hatten die Wahl – und sie haben jeweils die NPD in die Parlamente gewählt. In Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag und in Berlin in vier Bezirksverordnetenversammlungen. Überrascht hat der Wahlerfolg wirklich niemanden, dennoch war die Bestürzung am Wahlabend groß und »neue« Strategien wurden auf allen Kanälen gesucht. Sogar die olle Kamelle NPD-Verbot war auf einmal wieder im Gespräch. Da die V-Mann-Problematik jedoch weiterhin existiert, forderten findige Politiker, dass man einfach die juristischen Anforderungen senken müsse. Fast im gleichen Atemzug wurde das Aus der Bundesprogramme gegen Rechts verkündet. Ein neues Programm für die Kommunen sollte ab Mitte 2007 aufgelegt werden. Ein Programm für genau die Kommunen, die bis zum Schluss jedes Vorkommen rechter Alltagskultur in ihren Grenzen leugnen.

Nicht, dass wir einem Programm wie Civitas, das Publikationen zensiert und Projekte mit dem Wort »antifaschistisch« im Namen gar nicht erst fördert, groß nachtrauern würden. Schade wäre es allerdings um die Initiativen die von diesem Programm abhängig sind und vor Ort Menschen betreuen und beraten: Netzwerkstellen, mobile Beratungsteams und Opferberatungsstellen. Sind es doch genau diese Projekte, die eben nicht an der NPD ansetzen, sondern auch zwischen den Wahlen versuchen, der rechten Alltagskultur das Wasser abzugraben, oder zumindest deren Opfer betreuen.

Was wirklich gebraucht wird, ist aber ein Programm, das keine Feuerwehrpolitik gegen die schlimmsten Auswüchse des Neonazismus praktiziert, sondern langfristig präventiv tätig wird, um der nächsten Generation von Jugendlichen eine Alltagskultur jenseits von Rassismus und Sozialdarwinismus zu ermöglichen.

Das Themenfeld Neonazismus und Parlamentarismus wollen wir in dieser Ausgabe aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: In dem Beitrag »Fleißig, aber konzeptlos« wird ein Rückblick auf sieben Jahre DVU im brandenburgischen Landtag geworfen. Für Sachsen untersucht der Artikel »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich« die Zusammenarbeit zwischen der NPD und den »Freien Kameradschaften« seit dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag. Der Text »Es braucht hier schon etwas mehr als Alarmismus« beschreibt die Ausgangsbedingungen der NPD in Thüringen für die nächsten Landtagswahlen. Neben den Wahlerfolgen der NPD widmen wir uns in dieser Ausgabe auch wieder den Schnittstellen zwischen Neonazis und anderen Milieus. Im Artikel »Von der Partei ins Business« wird eine Mischszene aus Rockern, Tattoo-Läden und früheren Neonazis in Berlin beschrieben. In dem Text »Sport als Deckmantel« ist die zunehmende Einflussnahme rechter Fans auf den Fußballclub BFC das Thema. Neu ist das Ressort Kultur, welches sich in dieser Ausgabe dem Wirken Gottfried Benns widmet. Im Ressort Gesellschaft nimmt Marc Czichy historische Ausstellungen zum Thema Einwanderung in die BRD als Anlass für eine Beschreibung der Geschichtspolitik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Aufgrund der Debatte um die Breker-Ausstellung in Schwerin führten wir ein Interview mit Prof. Dr. Silke Wenk über das Wirken und die Wirkung des NS-Bildhauers.

Am 12. September 2006 starb der Publizist und Historiker Joachim Fest. Der langjährige Feuilletonchef und Mitherausgeber der FAZ veröffentlichte 1973 eine Biographie Adolf Hitlers, deren Deutungsansatz des Nationalsozialismus stark auf die Person fokussierte, sozial- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte des Nationalsozialismus jedoch weitgehend ausblendete. Fests Fragestellung kreiste vielfach um die individuelle Disposition exemplarischer Akteure des NS-Regimes. Dies erwies sich bei seiner Zusammenarbeit mit Albert Speer an dessen Biographie als historiographischer blinder Fleck in Bezug auf Speers Wissen über den Holocaust, wie Fest später eingestand.

Joachim Fest stammte aus einer bürgerlichen antinazistischen Familie. Seine Laufbahn als Publizist begann er beim Berliner RIAS. Anfang der 1970er Jahre wurde er in das Herausgebergremium der FAZ berufen. Unter Fests Leitung wurde das Feuilleton der FAZ zum diskursbestimmenden Medium des westdeutschen Kulturbetriebs. Dies bedeutete auch, dass explizit linken Positionen im FAZ-Feuilleton Raum eingeräumt wurde. Unter Fests redaktioneller Verantwortung veröffentliche die FAZ im Juni 1986 einen Aufsatz Ernst Noltes, der heute als Auslöser des sogenannten Historikerstreites gilt. Fest distanzierte sich jedoch in einem Essay von Noltes Position des »kausalen Nexus«. Die Fixierung seiner historiographischen Grundannahmen auf die Rolle Großer Männer in der Geschichte bewies Fest noch einmal mit einem seiner letzten Bücher: Der Untergang. In dem vielkritisierten Buch akzentuiert Fest den Untergang des NS-Staates auf die im Führerbunker herrschende Agonie. Mit Joachim Fest verliert die westdeutsche Publizistik einen ihrer prägenden konservativen Akteure.