Editorial
Die Geschichte der NS-Prozesse
Antifa Infoblatt #70 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Der Schwerpunkt dieser Ausgabe beschäftigt sich mit der Verfolgung von NS- und Kriegsverbrechern in beiden deutschen Staaten nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Dieses Thema griffen wir auf, da sechzig Jahre nach Kriegsende nur noch wenige Täter leben, und somit zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Beitrag »Tot ermittelt« stellt rückblickend dar, wie schwer sich bundesdeutsche Justiz- und Ermittlungsbehörden mit der Verfolgung von NS-Verbrechern taten. Der Beitrag »Instrumentelle Moral« zieht für die in der DDR geführten NS-Prozesse ein ernüchterndes Fazit. Das und wie sich alte Nazis über Jahrzehnte halfen und vernetzten, um die Verfolgung ihrer Taten abzuwehren, beleuchtet der Gastbeitrag von Andrea Röpke über die »Stille Hilfe«. Im Bereich der NS-Szene widmen wir uns den offensiven Holocaust-Leugnern um das »Collegium Humanum«. Deren Versuch, in Borna eine Kriegsopfer-Gedenkstätte zu errichten stößt mittlerweile auf erste Proteste. Ein Mitarbeiter des Zentralrat der Juden bezeichnete die Vorgänge in Sachsen als einen »schrillen Ausdruck politischen Notstands«. Er wies darauf hin, dass in der Industrieregion um Borna zu Zeiten des Nationalsozialismus tausende jüdische Zwangsarbeiter gequält wurden. »Diese Tatsache ist offenbar nicht genügend im öffentlichen Bewusstsein verankert.« Dass diese Gedenkstätte durch die Behörden vor Ort genehmigt wurde, sage viel über die politischen Zustände im Land aus, erklärte der Ratsmitarbeiter. Die NPD hat derweil zunehmend mit internen Problemen zu kämpfen. Dies wurde anhand einer parteiinternen Auseinandersetzung um geduldete Spitzel innerhalb der Partei deutlich. Auch an anderen Punkten kriselt es. Der Meißener NPD-Abgeordnete Mirko Schmidt trat aus der Partei und ihrer Landtagsfraktion in Dresden aus. Er erklärte, dass ihn die Entwicklung innerhalb der NPD seit dem Einzug in den sächsischen Landtag »menschlich und politisch enttäuscht« habe. Eine Mitgliedschaft in der Partei sei mit seinem Gewissen und seinen Idealen nicht mehr vertretbar.

Wir trauern um neue Opfer von Neonazigewalt in Osteuropa

In der slowakischen Hauptstadt Bratislava wurde am 4. November der 21jährige Student Daniel Tupy auf dem Heimweg von Neonazis erstochen. Er war mit sechs Begleitern unterwegs, als die Gruppe von mehreren Neonazis mit Messern angegriffen wurde. Zwei Freunde Daniels wurden schwer verletzt. Die Mörder entkamen unerkannt. Der Mord war der traurige Höhepunkt einer Serie von Ausschreitungen von Neonazis in mehreren slowakischen Städten anlässlich des Jahrestages der Gründung der Tschechoslowakei am 29. Oktober. An einer Trauerdemonstration für Daniel nahmen auch hochrangige Politiker teil. MenschenrechtsaktivistInnen kritisierten, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für den Mord vor allem der Tatsache geschuldet gewesen sei, dass das Opfer ein Weißer war. Mehrere rassistische Morde an Angehörigen der entrechteten Roma-Minderheit seien hingegen nicht öffentlich thematisiert worden.

Im russischen St. Petersburg wurde am 13. November der 19jährige Hardcore-Musiker und Antifaschist Timur Kacharava ebenfalls auf offener Straße von Neonazis erstochen. Er wartete mit einem Begleiter vor einem Buchladen auf seine Freunde, als die beiden von einer größeren Gruppe Nazischlägern überfallen wurden. Timur erlitt so schwere Verletzungen, dass er nur zehn Minuten nach dem Angriff verstarb, sein Begleiter musste ins Krankenhaus und über seinen Zustand ist uns bis Redaktionsschluss nichts bekannt. Fünf der Angreifer wurden gefasst, bestreiten jedoch, Timur die tödlichen Verletzungen zugefügt zu haben. Timur hatte in den Bands Sandinista und Distress gespielt und war mit ihnen erst vor kurzem durch Skandinavien getourt. Daniel

Timur
Von Neonazis in Osteuropa ermordet: Daniel Tupy (oben) und Timur Kacharava (unten).