Editorial
Der Umgang mit rechten Großveranstaltungen
Antifa Infoblatt #68 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Es war ein kurzer Traum, aber lange vor der geplanten Realisierung scheint er bereits wieder ausgeträumt. Nach dem Einzug in den sächsischen Landtag träumte die NPD von einem bundesweiten Einzug in die Parlamente. Sie sah sich plötzlich als Anführerin einer Volksfront von Rechts; in einem Boot mit DVU und den lange Zeit eher feindlich gesinnten Freien Kameradschaften. Doch nur wenige Monate nach dem Fanal von Sachsen bröckelte es an allen Ecken und Enden der NPD. Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wurden mit sehr schlechten Ergebnissen eindeutig verloren, die im Wahlkampf und bei der Strukturbildung vor Ort gemachten Fehler aber nicht benannt, sondern schönzureden versucht. Eine der zentralen Neonazi-Großveranstaltungen dieses Jahres wurde zum Supergau: Am 8. Mai konnte die NPD in Berlin keinen Meter laufen und zog sich durch ihr wenig kämpferisches Verhalten an diesem Tag den Unmut vieler Parteigänger und der Freien Kameradschaften auf sich. Als wäre das nicht schon schlimm genug, stärkte der Parteivorstand durch sein Verhalten ausgerechnet noch Erzfeind Christian Worch den Rücken. Dieser verfehlte bei seinem Aufmarsch am 1. Mai in Leipzig die gesteckten Ziele zwar auch recht deutlich, konnte dieses aber anscheinend besser vermitteln. So ist Worch nach seinem beinahe vollzogenen Abtauchen in die relative Bedeutungslosigkeit im letzten Jahr mittlerweile wieder obenauf und bundesweite Identifikationsfigur für die Opposition zur NPD im Neonazilager geworden.
 
Die nächste geplante Großveranstaltung war das Fest der Völker in Jena. Hier wollte die NPD auch im Lager der eher subkulturell organisierten Kameradschaften Boden gutmachen und verschiedene Rechtsrockbands in der Jenaer Innenstadt aufspielen lassen. Doch auch diese Veranstaltung floppte. Es fanden nur 450 Anhänger den Weg nach Jena und standen sich auf einem für sie größtenteils langweiligen Fest die Beine in den Bauch. Die NPD hatte hier nämlich nichts besseres zu tun, als den anwesenden Neonazis ihre Version von einem zukünftigen Europa zu präsentieren. Nämlich die Idee von einem Europa der Vaterländer, unter Einschluss von Polen, Holland und Russland. Dieser Ethnopluralismus der NPD ist zwar nicht unbedingt neu, stieß aber dennoch bei einem größtenteils aus strammen Neonazis bestehenden Publikum keinerlei Gegenliebe. Dieses wollte sich anscheinend nicht so schnell von den Vorstellungen einer deutschen Herrenrasse verabschieden. Eine dritte anstehende Großveranstaltung, mit der die NPD noch im letzten Jahr quer durch das gesamte Lager der extremen Rechten für Eindruck sorgte, wurde unterdessen gleich ganz abgesagt. Das Deutsche-Stimme-Pressefest fände aus Wahlkampfgründen 2005 nicht statt, verbreitete der Bundesvorstand vor einigen Wochen im Internet. Diese Ankündigung löste endgültig eine Welle der Empörung und des Unverständnisses im Neonazilager aus.
 
Doch nicht nur die Selbstzerfleischung des rechten Lagers schreitet voran, auch Politik und Zivilgesellschaft waren die letzten Monate nicht untätig. So wurde im Schnellschuss das Versammlungsrecht verändert, um Aufmärsche künftig juristisch deutlich zu erschweren. Gegen verschiedene Nazi-Mobilisierungen wie am 8. Mai und zum Fest der Völker gingen im Gedenkjahr 2005 Tausende von Menschen auf die Strassen und behinderten diese Aufzüge erheblich. Auch die Mobilisierungen der Antifa gewannen deutlich an Kraft und Personenpotenzial. Das schleichende Ende des lähmenden Antideutschen-Diskurses scheint sein Übriges dazu beizutragen. In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns ab der Seite 6 mit dem staatlichen Vorgehen gegen rechte Veranstaltungen. Auf den Seiten 16-20 beschreiben wir die Debatte um einen völkischen Kulturbegriff, der weiterhin viel Konfliktpotenzial für die gesamte extreme Rechte birgt. Und auf den Seiten 28 und 29 widmen wir uns schließlich dem letzten verbliebenen rechten Großereignis des Jahres – dem Hess-Marsch in Wunsiedel – und stellen antifaschistische Gegenaktivitäten vor. Bleiben noch die besten Wünsche für einen erholsamen Sommerurlaub oder wenigstens ein paar Stress- und Nazifreie Tage am Baggersee oder im örtlichen Freibad.
 
Richtigstellung
 
In Ausgabe 66 ist uns leider ein Fehler unterlaufen: In der Bildunterschrift zu dem Foto auf Seite 24 haben wir die erste Person von links als Wolfgang Schimmel bezeichnet, es handelt sich allerdings um den sächsischen NPD-Funktionär Frank Rohleder. Wir bitten vielmals um Entschuldigung.