Editorial
Nahaufnahmen - Reportageblicke nach Rechts
Antifa Infoblatt #60 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Zum Doppeljubiläum des Antifaschistische Infoblatts - fünfzehn Jahre AIB und sechzig Ausgaben - haben wir uns dazu entschieden, ein Heft zu produzieren, das vom üblichen Stil des AIB erheblich abweicht. Wir haben bekannte und unbekannte AutorInnen, JournalistInnen und Gruppen gebeten, die Themen im Bereich Rechtsextremismus, die ihnen derzeit am Herzen liegen oder in den letzten Monaten besonders aufgefallen sind, als Reportagen aufzuschreiben. Und wir haben die AutorInnen gebeten, ihre Texte namentlich zu kennzeichnen. Fürdiese Entscheidung gibt es mehrere Gründe. Zum einen die Erfahrung vieler JournalistInnen, dass Rechtsextremismus in den Medien erneut - oder schon wieder - ungeliebte Nebensache geworden ist. Ein Thema, das in den Redaktionen bürgerlicher Zeitungen allenfalls noch am Rand interessiert - weil es eben keinen »Nachrichtenwert« mehr hat, das zu beschreiben, was den Alltag vielerorts immer noch und schon wieder - trotz aller Sonntagsreden - ausmacht: Rechtsextreme Gewalttaten und rechte Dominanz. Unser Ziel ist es jedoch nicht nur, mit »Nahaufnahmen« deutlich zu machen, dass der schon fast in Vergessenheit geratenen »Aufstand der Anständigen« kaum Konsequenzen hatte. Sondern auch denjenigen, die allen Absagen aus den Redaktionen zum Trotz, weiterhin den rechten Alltag und rassistische Politik und Alltagsdiskriminierungen beschreiben, einen Platz und eine Öffentlichkeit für die Ergebnisse ihrer Recherchen zu bieten.
 
Dass wir erstmals in der Geschichte des AIB eine gesamte Ausgabe mit namentlich gekennzeichneten Beiträgen veröffentlichen, ist uns nicht leicht gefallen. Schließlich gibt es viele Gründe, an denenen wir auch in Zukunft festhalten werden, Texte als Ergebnis der Arbeit unserer KorrespondentInnen und des Redaktionskollektivs nicht durch eine Namensnennung zu privatisieren: Um aktive AntifaschistInnen nicht der Bedrohung durch Neonazis auszusetzen; um Schutz vor allzuneugierigen staatlichen Repressions- und Einschüchterungsversuchen zu gewähren und um einem Trend innerhalb linker Medien zum »Namedropping« entgegenzuwirken, der aus unserer Sicht den politischen Ansprüchen des AIB entgegensteht: Die meisten AIB-Artikel sind das Ergebnis kollektiver Recherchearbeit - von AktivistInnen aus der unabhängigen Antifabewegung für eben diese Bewegung - und natürlich alle andere Interessierten - geschrieben. Dass wir mit dem Jubiläumsheft von diesem Prinzip abweichen, hat einen einfachen Grund: Deutlich zu machen, wie vielfältig und breit der Kreis derjenigen ist, die die Arbeit des AIB unterstützen.
 
Als die erste Ausgabe des AIB vor 15 Jahren erschien, war der Anspruch des damaligen Redaktionskollektivs zunächst - als Reaktion auf zunehmende rechtsextreme Aktivitäten im damaligen West-Berlin - eine Öffentlichkeit herzustellen und der wachsenden unabhängigen autonomen Antifabewegung gut recherchierte Informationen zur Verfügung zu stellen, aber auch ein Diskussionsforum für diese Bewegung zu sein. Daraus entwickelte sich - vor allem nach dem Wahlerfolg der Republikaner 1989 und der ansteigenden Welle neonazistischer Gewalt - dann eine bundesweite Zeitung mit einem ehrenamtlichen Redaktionskollektiv und einem Netz von KorrespondentInnen in West- und Osteuropa sowie den USA. Seitdem schwankt die gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit für - und der Umgang mit - Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus erheblich. Das gilt auch für den Teilbereich »Antifa« innerhalb einer linken und linksradikalen Bewegung, in der antifaschistisches Engagement zur Zeit mal wieder keine Konjunktur hat. Das bekommen auch wir als unabhängiges und ehrenamtliches Redaktionskollektiv zu spüren. Trotzdem - oder gerade deshalb - hoffen wir, mit dem AIB denjenigen den Rücken zu stärken, die sich weiterhin gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wehren und für eine offene, solidarische Gesellschaft aktiv sind. In diesem Sinne wünschen wir Euch viel Spaß beim Lesen.
 
Wir danken dem Netzwerk Selbsthilfe e.V. und einigen FreundInnen des Blatts für die finanzielle Unterstützung des Drucks dieser Ausgabe.