Editorial
Die (Nicht-) Entschädigung
Antifa Infoblatt #58 Editorial Liebe Antifas, FreundInnen und GenossInnen, liebe LeserInnen Auch wenn der drohende Krieg gegen den Irak derzeit die Aufmerksamkeit fast aller fesselt, haben wir uns für einen anderen Schwerpunkt entschieden. Denn zum 70. Jahrestag der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wird in der Öffentlichkeit derzeit am Mythos »Deutsche als Opfer« gestrickt. Damit spitzt sich ein Schlussstrich- Diskurs zu, der mit der vermeintlichen »Lösung« der Entschädigungsfrage und der Entscheidung für den Bau des Holocaust-Mahmals begann. Wir wollen dieser Geschichtspolitik, in der jegliche Abgrenzungen zwischen der bürgerlichen Mitte und dem neonazistischen Revisionismus aufgehoben werden, einen eigenen Schwerpunkt entgegensetzen und die Forderungen der wenigen noch überlebenden Opfer nationalsozialistischer Vernichtungspolitik und Zwangsarbeit in den Mittelpunkt stellen. Auf den Seiten 6 bis 16 findet Ihr Beiträge zur Geschichte und zum aktuellen Stand des langen Kampfes um Entschädigung und Anerkennung für ZwangsarbeiterInnen und andere Opfer des NS.
 
Über den bitteren Kampf der letzten noch lebenden Opfer der Shoa hinaus macht der öffentliche Diskurs auch sehr deutlich, dass die Stimmen der Überlebenden kaum noch Gehör finden. In einem Deutschland, das seine Rolle als europäische Ordnungsmacht immer stärker artikuliert, werden die Erinnerungen an den Holocaust, die Auseinandersetzung um Verantwortung von TäterInnen und MittäterInnen nur noch als störend empfunden. Zum Selbstverständnis antifaschistischer Bewegungen gehört es, diese Themen als Teil der eigenen Arbeit aufzunehmen und öffentlichkeitswirksam an der Seite der Opfer zu agieren. Viele Überlebende sind inzwischen sehr alt; diejenigen, die noch die Kraft haben, öffentlich aufzutreten, betonen in Gesprächen immer wieder, wie wichtig ihnen der Kontakt zu und die Zusammenarbeit mit jüngeren AntifaschistInnen ist. Die Sorge der Überlebenden, dass mit ihrem Tod Geschichtspolitik endgültig zum Spielball nationalistischer und konservativer Interessen wird, ist mehr als berechtigt. Wenn wir unsere Ansprüche als antifaschistische Bewegung ernst nehmen, müssen wir in dieser Auseinandersetzung Verantwortung übernehmen. Im AIB 57 haben die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt ihre Arbeit dargestellt. Im Winter 2002 sollte eine eigene Broschüre dieser Projekte erscheinen. Dazu ist es bislang nicht gekommen: Der Geldgeber Bundesregierung hat allen Projekten, die aus Mitteln des CIVITASProgramms gefördert werden, einen Maulkorb verpaßt. Sie sollen nun ihre Öffentlichkeitsarbeit vorab dem Ministerium und der CIVITAS-Servicestelle vorlegen. In einem Akt der Zensur musste z.B. die Thüringer Opferberatungsinitiative ABAD ein antirassistisches Plakat von der Website nehmen; MOBIT musste einen Link zu einem Artikel der Frankfurter Rundschu über CIVITAS entfernen. Auch ansonsten ist die Lage vieler Initiativen, die seit 2001 öffentliche Mittel erhalten, dramatisch. In Sachsen-Anhalt steht der Verein Miteinander e.V. vor dem Aus, weil die CDU/FDP-Landesregierung die Förderung aus politischen Gründen um 70 Prozent reduzieren will. Das CIVITAS-Programm wird von der apolitischen Stiftung Demokratische Jugend auf Regierungslinie gebracht. Kritische, antifaschistische Projekte sollen abgewickelt und mundtot gemacht werden. Auch wenn wir als Teil der autonomen Antifabewegung das CIVITAS-Programm und die Arbeit mit staatlichen Mitteln vor allem kritisch begleitet haben, halten wir es für wichtig, die bedrohten Projekte zu unterstützen. Schließlich geht es um mehr, als um Geld; nämlich um die Definitionsmacht in der Öffentlichkeit, wie Rechtsextremismus und seine unterschiedlichen Erscheinungsformen wahrgenommen werden und wie man dagegen vorgeht. Deshalb findet Ihr auf den Seiten 18 bis 22 einen Artikel über die Jugendarbeit der Neonazis. In den letzten Jahren haben wir uns mit dem Blick auf »White Noise« mit wachsenden kulturellen Einflüssen der extremen Rechten in Jugendbewegungen auseinandergesetzt. In diesem Heft analysieren wir einen Ansatz der Neonazis, durch organisierte Jugendarbeit rechte Elitenbildung voranzutreiben.
 
Um uns dem entgegenzustellen, vertrauen wir auf die bewährte Mischung aus Öffentlichkeitsarbeit, Recherche und offensivem Selbstschutz. In diesem Sinne wünschen wir Euch und uns ein Frühjahr, in dem wir uns unüberhörbar einmischen. Dank und Hinweise:
 
Ein riesengroßes Dankeschön geht an die Antifa Neckar-Odenwald/Keine Lichterkette und die Bands Peace of Mind, nineyearswar, gl 244 und cruise missiles, die am 31. Januar 2003 in Mannheim ein Solikonzert für das AIB organisierten. Die 580 Euro, die dabei für das AIB zusammenkamen, können wir supergut gebrauchen!
 
NachahmungstäterInnen sind natürlich sehr erwünscht, denn wir brauchen weiterhin dringend Geld. Ein weiterer Dank geht an alle, die den Spendenaufruf für die Holocaust-Gedenkstätte Theresienstadt unterstützt haben. Bisher sind 3.500 Euro zusammen gekommen; die Spendenaktion läuft weiter. Hinweisen wollen wir auf den Kongress »Rock gegen Rechts !?!« am 21. bis 23. März 2003 in Hannover, der sich u.a. mit »Rechtsrock und rechte Tendenzen in Subkulturen« beschäftigt. Infos findet Ihr unter: http://www.ujz-korn.de/rgr.