Editorial
Der Nazis neue Kleider - Zwischen Mainstream und politischem Bekenntnis
Antifa Infoblatt #55 Editorial Liebe Antifas, FreundInnen und GenossInnen, liebe LeserInnen Zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren wurde auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg ein Sprengstoffanschlag verübt. Das Attentat ist Ausdruck eines eliminatorischen Antisemitismus und der Existenz von neonazistischen Terrorstrukturen, die nach wie vor von den Sicherheitsbehörden geleugnet werden. Dementsprechend sieht die Bilanz bei der Aufklärung aus. Bislang wurden weder die »Nationale Bewegung«, die in den Jahren 2000 und 2001 für zwölf antisemitische und rassistische Anschläge in Brandenburg verantwortlich war, noch die Täter der beiden Sprengstoffanschläge auf das Grab von Heinz Galinksi, dem ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Berlin, im Jahr 1998, oder die Verantwortlichen für den Brandanschlag auf die Ausstellung »Jüdisches Leben in Berlin« 1999 gefunden. Dies verwundert umso mehr, da seit den 70er Jahren eine »Berliner Schule« von Neonaziterroristen um Ekkehard Weil sowie das Ehepaar Pia und Günther Bernburg für antisemitische Anschläge und entsprechende »Nachwuchsschulungen« bekannt ist. Angesichts einer erneut zunehmenden Salonfähigkeit von Antisemitismus und unzähligen Schändungen jüdischer Friedhöfe ist es umso wichtiger, dass AntifaschistInnen ihrer Solidarität mit den jüdischen Gemeinden Ausdruck verleihen.
 
In den nächsten Monaten will die Bundesregierung eine Bilanz über ihre Maßnahmen gegen Rechtsextremismus vorlegen. Man muss nicht hellsehen können, um das Ergebnis vorauszusagen: Zufriedenes Schulterklopfen, ein paar mahnende Worte und dann zum Alltag übergehen. Der sieht aus antifaschistischer und antirassistischer Perspektive kaum anders aus als vor dem »Sommer der Aufständigen«. Im Vorwahlkampf profilieren sich PolitikerInnen aller Parteien mit rassistischer Hetze. Gleichzeitig verweisen sie auf die staatliche Förderung von Alibi-Projekten à la »Multikulti-Kochen«, während in den Kommunen die Hetze gegen diejenigen zunimmt, die darauf beharren, dass rechte Hegemonie und Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft einander bedingen und entsprechend dagegen aktiv werden.
 
Begünstigt wird diese Entwicklung durch ein Phänomen, das AntifaschistInnen seit einiger Zeit beobachten. Dort, wo rechte Gewalttaten scheinbar abnehmen, die Naziskins ihre Haare 5 cm wachsen lassen und ihre Springerstiefel mit Turnschuhen tauschen, erklären politisch Verantwortliche das »Problem« für erledigt. Angesichts der zunehmenden Stilveränderungen in der extremen Rechten und ihres gleichzeitigen Vordringens in bis vor kurzem scheinbar gegen rechte Einflüsse resistente Jugendkulturen haben wir uns entschieden, dieses Thema auf den Seiten 14 - 24 zum Schwerpunkt zu machen. Eines zumindest müsste auch denjenigen, die der »Aufstand der Anständigen« in Verwirrung und Sinnkrisen gestürzt hat, inzwischen klar sein: Wer staatliche Maßnahmen gegen Rechtsextremismus mit antifaschistischem Engagement verwechselt, macht den Bock zum Gärtner. Das, was wir wollen - eine gleichberechtigte, solidarische und offene Gesellschaft - werden wir nur im Widerstand gegen die herrschende Politik durchsetzen können.
 
In diesem Sinne wünschen wie Euch ein erfolgreiches Frühjahr.