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Aufruf der Antirassistischen Gruppe Leipzig

:: Unsichtbarer Vorhang Landkreis - die Residenzpflicht schlägt zu ::

Das "Residenzpflichtgesetz" ist nicht mehr als einige Paragraphen des Asylverfahrengesetzes, doch nichts desto trotz ein offensichtliches Zeichen institutionalisierten Rassismus. Offiziell regelt es den Aufenthalt von Flüchtlingen während ihres laufenden Asylantrages, reell spricht es ihnen jedoch das Recht auf Bewegungsfreiheit ab. Es verankert das Verbot, den ihnen als Wohnort kontingentierten Landkreis zu verlassen und verpflichtet sie in den ihnen zugewiesenen Flüchtlingsunterkünften zu leben. Das Verlassen des Landkreises ist nur mit Genehmigung der deutschen Behörden möglich. Nicht nur, dass diese Erlaubnis von der Willkür der jeweiligen SachbearbeiterIn abhängt, sie ist zusätzlich noch kostenpflichtig.
Noch nicht nach Deutschland Geflüchtete sollen im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik abgeschreckt und schon Anwesende kontrolliert werden. Durch die Unterbringung in Heimen und die Begrenzung auf Landkreise werden Flüchtlinge als gesellschaftliche Randgruppe stigmatisiert. Allgemein wird Bewegungsfreiheit als bürgerliches Recht angesehen. Rassistischen Prinzipien folgend werden Flüchtlingen in Deutschland davon ausgenommen. In feudaler Manier wird ImmigrantInnen damit die Grundlage für ein selbstbestimmteres Leben genommen. Noch ist die Residenzpflicht auf Deutschland beschränkt, könnte sich aber durchaus als weiterer Exportschlager erweisen, der auf Drängen der BRD zum EU-Standard avanciert. Residenzpflicht beschneidet natürlich in erster Linie die Bewegungsfreiheit. Dadurch ist ihr kausal eine Einschränkung der Rede-, Meinungs- sowie Versammlungsfreiheit implizit, die sich darüber hinaus auch im Verbot der politischen Betätigung durch die Ausländergesetzgebung äußert. Damit ist eine politische Betätigung von MigranntInnen sicher verhindert. Sie werden demzufolge unsichtbar, beziehungsweise mundtot gemacht.
Um die Einhaltung der Residenzpflicht staatlich abzusichern, kann eine Verletzung eine Reihe weiterer Diskriminierungen nach sich ziehen oder legitimiert diese zumindest im voraus. Ein Verstoß kann für MigrantInnen eine nicht zu bewältigende Geldstrafe von bis zu 2500 Euro bedeuten, wobei die Höhe des Betrages in Bezug zu dem, den Flüchtlingen zustehenden, Bargeldbetrag von etwa 40 Euro pro Monat zu setzen ist. Bei wiederholtem Übertreten der Residenzpflicht droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.
Das Residenzpflichtgesetz liefert die Grundlage beziehungsweise Berechtigung für rassistisch-motivierte, selektive Polizeikontrollen anhand äußerer Kriterien. Die bei Verstößen vollzogene erkennungsdienstliche Behandlung perfektioniert die Stigmatisierung von Flüchtlingen zu Kriminellen, macht sie in der Öffentlichkeit zu Verdächtigen per se. Der Druck und die Verunsicherung, mit denen MigrantInnen zu leben gezwungen sind, wird verstärkt.
Wir sind uns durchaus bewusst, dass der Kampf um die Abschaffung der Residenzpflicht nicht radikal ist, da eine Forderung an den Staat nach bürgerlichen Grundrechten dem widerspricht. Dennoch wird die Problematik im Rahmen des Camps in Thüringen ihren Platz finden, als Forderung nach einer nachholenden Entwicklung, welche eine weitergehende politische Betätigung von Flüchtlingen ermöglicht.
Im Kampf gegen die Residenzpflicht sollte nicht nur skandalisiert werden, sondern diese in einem weiter gefassten Zusammenhang betrachtet werden, stellt das Residenzpflichtgesetz doch einerseits eine Spielart des institutionalisierten, staatlichen Rassismus dar. Andererseits werden Flüchtlinge als Gruppe pauschal nach kapitalistischer Verwertungslogik als nicht nützlich verurteilt und von entsprechenden Privilegien ausgeschlossen.

:: summer:camp:action yesterday & today ::

Das antirassistische Grenzcamp wurde von Beginn an durch ”kein mensch ist illegal” getragen, einer Kampagne, die 1997 von mehr als 30 Organisationen und Gruppen aus dem kirchlichen, gewerkschaftlichen und autonomen Spektrum ins Leben gerufen wurde.
Die TeilnehmerInnen der Camps waren und sind eine bunte Mischung aus Jung-, Alt-, Ex- Autonomen, Antifas, KampagnenaktivistInnen und Kulturlinken. Ihre Zahl stieg dabei über die Jahre kontinuierlich an. Kollektives Zusammenleben wurde erprobt, neue Aktionsformen getestet und linke Freiräume geschaffen. Das Camp war der Versuch der praktischen Verbindung von Antira und Antifa und steht auch aktuell noch für den Anspruch sowie die Schwierigkeit gemeinsamen politischen Handelns.
Aufgegriffen wurden Themen wie Festung Europa, Grenzen und deren Verlagerung nach innen und außen, die Entstaatlichung der Überwachung, Fluchthilfe, Denunziation, Abschiebung, Zuwanderungsgesetz, der Zusammenhang zwischen Weltwirtschaft und Migration.
Immer versuchte das Camp sich mit allen erdenklichen Mitteln einzumischen. Doch Aktionen waren nie der alleinige Schwerpunkt des Camps: inhaltliche Auseinandersetzungen um Sexismus und Rassismus, Strategiediskussionen für Antira und Antifa, später Debatten um Antiglobalisierung und Zuwanderungspolitik gaben und geben dem Camp ein theoretisches Fundament.
Im Sommer 1998 fand das erste Aktionscamp noch unter dem Kohl - Kabinett an der deutsch-polnischen Grenze in der Nähe von Görlitz statt. Schon allein das Stattfinden in dieser Region hatte einen großen Provokationseffekt, welcher durch oftmals nicht polizeilich angemeldete Happenings gesteigert wurde. Schwerpunkt bildeten Aktionen gegen die BetreiberInnen unmenschlicher Flüchtlingslager, die Kriminalisierung von TaxifahrerInnen und regionale (neo-)faschistische Strukturen.
Ein Jahr später wurden vereinzelt existierende Hoffnungen auf Veränderungen in Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, die sich an den Regierungswechsel knüpften, enttäuscht. Nicht nur deshalb kamen zum Camp in Zittau dreimal so viele Menschen wie im Vorjahr. Sie blockierten die BGS-Kaserne, brachten Nazi-Kader ans Licht der Öffentlichkeit und thematisierten den Begriff des Fluchthelfers.
Im Nachhinein gab es teilweise Enttäuschung über die zu kurz greifende inhaltliche Auseinandersetzungen zu bestimmten Themen. In Zukunft sollte der Schwerpunkt auch auf der Vernetzung der in- und ausländischen Gruppen und der breiten Diskussionen antirassistischer Themen liegen. Diese Forderung erfüllte sich 2000 in Forst (Brandenburg). Neben Aktionen gegen Residenzpflicht, ZAST, Nazistrukturen und rassistischen Alltag gab es verschiedene workshops, etwa zu Sexismus und Antisemitismus. Problematisch für das Camp war die partielle Vereinnahmung für ein ”besseres Deutschland” im Zuge des Antifa-Sommers.
Nach drei Campjahren direkt an der ostdeutschen Außengrenze wurde 2001 als Ort das Rhein-Main-Gebiet und der Frankfurter Flughafen gewählt. Fokussiert wurde damit auf die ”inneren Grenzen” des nationalen Grenzregimes. Mit mehr als 1000 TeilnehmerInnen und Aktionen an Orten wie Börse, Flughafen und Hauptbahnhof wurden Flughafenverfahren, Internierungslager am Airport, Abschiebung, Zwangsarbeit und nazistische Strukturen thematisiert.
Trotz aller Vorsätze war das vierte Camp, wie seine Vorgängerinnen auch, ein überwiegend weißes, deutsches Camp. So findet in diesem Jahr bei der Vorbereitung des fünften antirassistischen Grenzcamps erstmalig eine wirkliche Zusammenarbeit mit selbstorganisierten MigrantInnen statt.
Ein Erfolg der antirassistischen Grenzcamps ist ihre Internationalisierung. Nachdem im vergangenen Jahr in verschiedenen Ländern, wie Spanien, Slowenien, Polen und Mexiko die Zelte aufgeschlagen wurden, schließt sich an Thüringen das europaweite Camp mit antirassistischer und antikapitalistischer Ausrichtung bei Strasbourg vom 19. - 28. Juli an. Eine Karawane wird die beiden Camps verbinden. Das vom europaweiten noborder Netzwerk organisierte Camp soll Entwicklungen im Bereich Innere Sicherheit, eine am Arbeitsmarkt orientierte Migrations- und Asylpolitik, sowie den Gegensatz zwischen Bewegungsfreiheit und Grenzen aufgreifen. Ein Interventionspunkt des noborder-actioncamps ist das Schengen Informationssystem, in dem die Sondererfassung unerwünscher Menschen auf Europaebene vorgenommen wird. Dagegen ist für den 27. Juli eine über die TeilnehmerInnen des Camps hinausgehende Demonstration geplant.
Für das fünfte antirassistische Camp stellte sich die Frage, wie es an den Erfolg des vergangenen Jahres anknüpfen will und kann. Die Entscheidung des bundesweiten Vorbereitungskreis fiel auf Jena. Zweifel an der unbedingten Zusammenarbeit mit Flüchtlingsgruppen, weil diese nicht per se linksradikal ist, und die vermeintlich alleinige Fokussierung auf Antirassismus führten dazu, dass die KritikerInnen zu den ”Land in Sicht - ordnungswidrige Aktionstage” vom 16. August in Hamburg anrufen. Diese sollen nicht nur ein antirassistisches Event, sondern auch der Kampf für eine glückliche und befreite Gesellschaft sein. Angelehnt an die Entwicklungen um Schill soll kurz vor der Bundestagswahl der als Anti-Kriminalitätsdiskurs getarnte Rechtsextremismus einen tragenden Inhalt darstellen.
Auf den antirassistischen Camps fanden immer inhaltliche Auseinandersetzungen statt. Dabei konnte das vorhandene Bedürfnis nach Vertiefung teilweise nicht befriedigt werden. Anknüpfend an die crossover-Konferenzen in Bremen und Berlin sollen diese Diskussionen, wie zum Beispiel jene über die Verschränkung von Herrschaftsverhältnissen, weitergeführt werden. Gruppen aus verschiedenen Ländern organisieren in diesem Zusammenhang das crossover summer camp vom 03. - 10. August bei Cottbus. Das Programm für das Camp umfasst politische Aktionen, Performances, Diskussionen, Theorieworkshops...

Antiracist action and discussion? Camp02!

Mittlerweile zum fünften Mal findet diesen Sommer das antirassistische Grenzcamp unter dem Logo "kein mensch ist illegal" statt. Wie in den vorangegangenen Jahren richtet sich der Fokus, eingebettet in eine allumfassende Gesellschaftskritik, auf das Grenzregime Deutschlands und Europas. Nach drei Jahren direkt an der Grenze zu Polen und Tschechien und dem Camp am Frankfurter Flughafen wurde als Austragungsort für diesen Sommer Thüringen gewählt. Anknüpfend an den Schwerpunkt "Innere Grenzen" des letzten Jahres will das fünfte Anti-Grenzcamp sich auf unterschiedlichen Ebenen und einer Bandbreite von Aktionen unter anderem in die Diskussionen um Grenzen für MigrantInnen und Flüchtlinge, Residenzpflicht, Einwanderungsgesetz und Terrorismusbekämpfung einmischen. Dabei wollen wir an das letzte Anti-Grenzcamp anknüpfen und dort begonnene inhaltliche Auseinandersetzungen weiterführen.

:: Kapitalismus & Rassismus ::

Wir beschränken uns an dieser Stelle im wesentlichen auf das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus zum Kapitalismus, da wir hier ein Theoriedefizit innerhalb der antirassistischen Bewegung konstatieren. Es ist uns wichtig, diesen Inhalt stark zumachen für die Diskussion innerhalb der antirassistischen Linken und die Positionierung bei Aktionen des Anti-Grenzcamp. Die bedeutende Rolle von Nationalismus und Patriarchat im Verhältnis zu Kapitalismus und Rassismus stellen wir damit nicht in Frage, schätzen jedoch ein, dass es bereits eine stärkere Beschäftigung mit diesen Phänomenen gibt. Meist wird das Herrschaftsverhältnis Rassismus weitgehend isoliert betrachtet und nicht in eine umfassende Gesellschaftsanalyse und -kritik eingebettet. Nicht nur der Mangel an theoretischen Positionen ist ein Problem, sondern auch deren Qualität: Eine Unterordnung von Antisemitismus als Spielart des Rassismus oder die Vorstellung, dass die kapitalistische Ordnung Rassismus als lediglich vorgefundenes Herrschaftsverhältnis instrumentalisiert, jedoch in der weiteren Entwicklung als Hindernis der Kapitalakkumulation abschaffen wird, sind keine isolierten Positionen, sondern durchaus gängig in der antirassistischen Diskussion. Für einen konsequenten linken Antirassismus ist eine Auseinandersetzung mit Kapitalismus und der Funktion von Rassismus in diesem unbedingt notwendig. Unsere Hoffnung besteht darin, eine Diskussion zu diesem Thema nicht nur in der antirassistischen Bewegung in Gang zu bringen, sondern diese als Teil einer radikalen Linken zu führen.

Rassismus entstand in seiner modernen Form parallel zur Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaften und konnte dabei auf den bestehenden Stereotypen und Mustern des Fremdenhasses aufbauen. Er ist keine bloße Fortdauer derartiger archaischer Vorstellungen, sondern notwendiger Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft. Kapitalismus scheint unvereinbar mit oder zumindest blind gegenüber Konstruktionen wie Geschlecht und Rasse. Das kapitalistische Verwertungsprinzip und das Versprechen auf formale Gleichheit gilt prinzipiell für alle Menschen sowohl innerhalb eines Nationalstaates als auch für Außenstehende – aber letzteres nur bedingt, solange sie Wert schaffen. Die Ideologie des Universalismus – die nur den Anspruch der Gleichheit aller Menschen als frei tauschende im Streben nach persönlichem Glück erhebt – ist der kapitalistischen Produktionsweise besonders angemessen und zur endlosen Akkumulation von Kapital zwingend erforderlich. Sie ermöglicht den freien Strom aller Waren in Form von Gütern, Kapital und Arbeitskraft zu ihrem nur über den Markt vermittelten Wert. Alle bestehenden sozialen Unterschiede werden auf Unterschiede in der Leistung und Effektivität des Einzelnen zurückgeführt. Eine Gesellschaft, die auf dem Leistungsprinzip basiert und sich universalistisch gibt, ist politisch instabiler als vorherige Gesellschaftsformen, die soziale Stellungen aus Religion oder feudalistischer Tradition herleiten und damit feststehende Überzeugungen garantieren konnten. Sie wird subjektiv als ungerecht erlebt, da die persönliche Leistung nach eigener Wahrnehmung scheinbar unterbewertet wird und das bürgerliche Subjekt, die Möglichkeit des Scheiterns vor Augen, sich permanent gemäß den Anforderungen der kapitalistischen Gesellschaft zurichten und sie erfüllen muss. Eine Leistungsgesellschaft kann nicht mehr den Glauben an eine ewige, festgefügte Ordnung und sichere Überzeugungen bieten.
An dieser Stelle greift Rassismus als eine Ideologie der Ungleichheit: Die formale Gleichheit und das Glücksversprechen bei hoher Leistung widerspricht der realen Ungleichheit in der kapitalistischen Ordnung, die sich nicht nur aus unterschiedlicher Leistung und Effektivität erklären lässt. Mittels Ideologien wie Sexismus und Rassismus werden komplexe soziale Zusammenhänge zu biologischen Entwicklungen verklärt, rationalisiert und dadurch scheinbar durchschaubarer. Damit verschleiern sie die tatsächlichen Ursachen, die dem kapitalistischen System immanent sind, und stabilisieren die politische Ordnung.
Das bürgerliche Subjekt lernt in einem schmerzhaften, nie vollständig abgeschlossenen Prozess, seinen Lebensalltag und seine Bedürfnisse auf eine von außen aufgezwungene Arbeitsdisziplin auszurichten, die aber nicht als solche begriffen, sondern als prinzipiell notwendig und richtig von innen heraus bejaht wird. Es verklärt Arbeit als natürlich und dem menschlichen Wesen zugehörig. Folgerichtig begreift es seine Zurichtung als Verwirklichung des menschlichen Charakters und benötigt kaum noch äußere Zwänge, sondern verstümmelt sich vielmehr freiwillig zur kapitalistischen Arbeitsmaschine. Aus dieser Zurichtung folgen die ambivalenten Gefühle von Hass und Faszination gegenüber der Imagination des ”Fremden”, der sich der abstrakten, abhängigen Arbeit zu entziehen und vollständig von seinen „Trieben“ und Bedürfnissen beherrscht scheint. "Der Fremde" wird als Spiegelbild des bürgerlichen Subjektes konstruiert und erhält all die Eigenschaften zugeschrieben, vor denen sich dieses fürchtet, die es verabscheut oder die es sich wünscht. Rassismus wirkt gemeinschafts- und identitätsstiftend und spielt eine bedeutende Rolle bei der Durchsetzung der Werte und Sekundärtugenden im kapitalistischen Arbeitsprozess und der bürgerlichen Gesellschaft.

Der Kapitalismus ist also legitimierend und konstituierend für den Rassismus. Dennoch ist es falsch, diesen rein ökonomistisch aus dem Kapitalverhältnis abzuleiten: Als eine Ideologie der Ungleichheit verselbständigt er sich und reproduziert sich ständig. Ebenso ist der Rassismus aber auch konstituierend für den Kapitalismus. Er spielt eine wichtige Rolle für dessen Aufrechterhaltung und verhindert, dass die kapitalismusimmanenten Widersprüche zu Tage treten. Rassismus zu bekämpfen muss heißen, auch Kapitalismus als eine seiner wesentliche Grundlagen zu bekämpfen.

Antisemitismus enthält zwar rassistische Elemente, argumentiert mit der konstruierten "Rasse" des "Juden" und erklärt die soziale Wirklichkeit ebenfalls als biologisch begründet, funktioniert aber anders.
Zum einen konstruiert die rassistische Ideologie die "fremden Völker" oder "Rassen" als unterlegen gegenüber dem eigenen Volk. Antisemiten hingegen schreiben dem "Juden" als vermeintlichem "Drahtzieher hinter den Kulissen" eine unheimliche Macht und Weltmachtsstreben zu und sehen somit die Gefahr in seiner vermeintlichen Überlegenheit.
Zum Zweiten wird in der antisemitischen Logik nicht wie in der rassistischen Logik der Gegensatz ”Nation gegen Nation” aufgemacht, der eine grundsätzliche Anerkennung dieser Kategorie impliziert und für die eigene Identität eine konstituierende und festigende Wirkung hat. Vielmehr verkörpert die Figur des "Juden" eine dritte Position außerhalb der Nationengegensatzes von eigener und fremder Nation und stellt somit das Nationenkonzept grundsätzlich in Frage. Er ist nicht Angehöriger der eigenen oder einer fremden Nation, sondern verkörpert die ”Nicht-Nation”. Der "Jude” wird mit Universalismus und der möglichen Aufhebung des Nationenkonzeptes gleichgesetzt und unerbittlicher verfolgt. Im Hass und Kampf gegen ”die Juden” sind selbst nationale Feinde vereint.
Mit der Figur des "Juden” – der real keiner ist und auch nicht mehr als solcher gekennzeichnet werden muss, damit antisemitische Argumentationen funktionieren – wird ein scheinbar Verantwortlicher für die als unverständlich erlebten kapitalistischen Verhältnisse konstruiert, auf den das Unbehagen projiziert wird. Der Antisemitismus als verkürzte Kapitalismuskritik entwickelt auf diese Weise eine mächtige und falsche Welterklärung. Durch die Trennung zwischen ehrenhaftem, ”schaffenden” Kapital und dem als unheimlich und verheerend definierten ”raffenden Kapital" werden die negativen Seiten des Kapitalismus abgespalten. Die Abschaffung oder wenigstens Zähmung des Finanzkapitals impliziert in dieser
Logik die Beseitigung aller Probleme: mit dem Rest ließe es sich dann ganz gut und angenehm leben.

:: Einwanderungsland Deutschland? Dekonstruktion eines Wunschtraumes ::

Momentan findet eine Veränderung des Migrationsregimes statt. Die rigiden Standards der BRD in der Ausländerpolitik werden, trotz europäischer Vorreiterrolle für die Verschärfung in Teilbereichen, durch den Druck der Wirtschaft und der EU an EU-Normen angepasst. Ebenso entscheidend ist der veränderte politische Hintergrund der Rot-Grünen Bundesregierung: ihre Politik ist bestimmt vom Modell der westlichen Demokratie und der Zivilgesellschaft, die der völkischen, spezifischen Form des deutschen Nationalismus und Rassismus entgegensteht. Allzu plumper, unflexibler Rassismus, der sich wirtschaftlichen Überlegungen und Forderungen entzieht, soll als muffiges deutsches Wahngebilde zugunsten einer demokratisch, kapitalistisch-rationalen Form weichen.

Das ”Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern” spiegelt diesen ”neuen Geist” wider: Es ermöglicht Zuwanderung, begrenzt diese aber nach flexiblen politischen und vor allem wirtschaftlichen Bedürfnissen: Die Verknüpfung von (ohnehin zeitlich befristeten) Aufenthaltserlaubnissen an konkrete Arbeitgeber führt zu einer kompletten Abhängigkeit vom Arbeitsplatz und Rechtsunsicherheit der nur als Arbeitskräfte wahrgenommenen Menschen. Gleichzeitig baut es systematisch andere Formen des Aufenthaltes ab: Infolge der ersatzlosen Abschaffung des Instrumentes der Duldung werden hunderttausende AusländerInnen illegalisiert. Geplante ”Ausreisezentren” sollen ihre Verfügbarkeit für Abschiebungen garantieren. Bisherige Bestimmungen der Ausländergesetzgebung werden verschärft.

In der Einwanderungsdebatte wird die zukünftige Regelung von Arbeitsmigration entwickelt, die sich an den Kriterien: “erwünscht, wenn nützlich” an wirtschaftlichen Erfordernissen orientiert. In diesem Diskurs ist völkischer Rassismus und eine undifferenzierte Abschottung nicht mehr primäres Prinzip der Politik, sondern Kontrolle und Steuerung von Migration. Die große Diskursverschiebung bereitet nur den Boden für eine minimale Gesetzesänderung, in der jedoch das völkische Prinzip weiterhin dominiert und wird danach wieder teilweise zurückgenommen.
Demzufolge wird Rassismus natürlich nicht in Frage gestellt. MigrantInnnen haben kein Recht auf Bewegungsfreiheit. Diejenigen von ihnen, die hier leben wollen, müssen ihre ökonomische Nützlichkeit unter Beweis stellen. Selbst wenn sie dies schaffen, müssen sie sich integrieren und kritiklos an die Normen des "Hausherrn Deutschland" anpassen. Die Multi-Kulti-Fraktion fordert eine kulturelle Bereicherung der deutschen Monokultur, während die konservativen Kräfte die Untergrabung der "deutschen Leitkultur" verhindern wollen. Alle Anderen gelten zunächst als finanziell belastend oder gefährlich, weil sie – je nach Lesart – kriminell oder fundamentalistisch seien. Gegen diese schottet sich Deutschland desto stärker ab. Mit dem geplanten Zuwanderungsgesetz wird sich die Lage einiger weniger konkret verbessern, für die Mehrzahl jedoch ist eine eindeutige Verschlechterung ihrer Situation zu erwarten. Anders verhält es sich mit der gesellschaftlichen Wirkung, die aus der Diskursverschiebung folgt: Für die hier lebenden MigrantInnen macht es einen entscheidenden Unterschied, ob sie als ”gefährliche und das Sozialsystem ausnützende Ausländer” von Nazis verprügelt oder als potentiell ”nützliche Fachkräfte” angesehen werden. Es bestimmt ihre gesellschaftliche Situation und ihr Überleben unter deutschen Verhältnissen.

:: Terrorismus, Migration und westeuropäische Bananen ::

Auch bei der Diskussion um Terrorismusbekämpfung ergänzen sich kapitalistische Verwertungslogik und Rassismus. Die Überwachung von MigrantInnen dient ihrer Abschreckung, Stigmatisierung, Kriminalisierung und Disziplinierung. Dass diese Überwachung ungleich umfangreicher ist als die, welcher Deutsche ausgesetzt sind, sticht ins Auge. Denn Ausländerzentralregister, Schengener Informationssystem und europäische Fingerabdruckdateien betreffen ausschließlich oder in erster Linie Nicht-EU-BürgerInnen. Diese der Kontrolle und Abschottung dienenden Mechanismen entsprechen auch der Logik einer Einteilung von Menschen in nützlich und unnütz. Die Speicherung von Daten über Stand des Asylverfahrens, Aufenthaltsstatus, Vorstrafen, eventuelle Einbürgerungsbestrebungen bis hin zu Wohnungsgröße, Maß der erreichten Integration und Art und Weise des Lebensunterhalts im Ausländerzentralregister als Informationsverbund von Ausländerbehörden, Grenzschutz, Zoll, Justiz, Arbeitsämtern, Geheimdiensten, Verfassungsschutz und Polizei erleichtern eine solche Einteilung. Eine ebenso große Rolle spielt die Kontrolle normgerechten Verhaltens. Zu vermerken ist eine stetige Zunahme technischer Überwachung, aber ebenso die Ausdifferenzierung der tatsächlichen Repression. Wo sich die deutsche Durchschnittsbevölkerung mittels sozialer Selbstkontrolle überwacht und für sie die Grenzen innerhalb Europas fallen, sehen sich als systemgefährdend eingeschätzte Randgruppen immer mehr repressiven Beschränkungen unterworfen. Rassismus kommt dort ins Spiel, wo die Gruppe "Ausländer" konstruiert wird und Menschen aufgrund ihrer Nationalität als unangepasst, assimilierungsunwillig, mithin "gefährlich" eingestuft werden. Das Ausländerzentralregister (AZR) entstand in den 50er Jahren auch aus dieser Begründung heraus: laut Bundesinnenministerium aufgrund der "Notwendigkeit der verstärkten Überwachung der Ausländer im Bundesgebiet". Dieser Logik folgt auch das "Terrorismusbekämpfungsgesetz", das zum großen Teil schon bestehende Regelungen verschärft, Kompetenzen ausweitet und sich wie eine allgemeine Verdachtserklärung gegen Flüchtlinge, MigrantInnen und deren UnterstützerInnen liest. Es geht ganz offensichtlich darum, abgelehnte AsylbewerberInnen und illegale MigrantInnen schnell abzuschieben und die Fahndungsarbeit zu erleichtern. Auch die Effektivierung der Arbeitsweise und Funktion des AZR ist Teil des Terrorismusbekämpfungsgesetzes. Als Sammelbecken personenbezogener Daten nichtdeutscher Menschen eignet sich das Ausländerzentralregister perfekt zur Rasterfahndung. Dabei fördert jene durch ihre rassistischen Profile die Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und ein entsprechendes gesellschaftliches Klima, das, gepaart mit Änderungen im Asyl-, Ausländer- und dem neuen Zuwanderungsgesetz, eine politische Betätigung von MigrantInnen gezielt zu verhindern sucht. Die oft geäußerte These, dass MigrantInnen als Versuchskaninchen in der Sicherheitspolitik dahingehend eingesetzt werden, zu testen, wie viel Überwachung später an der deutschen Bevölkerung durchsetzbar wäre, erscheint bei der MigrantInnen betreffenden Sondererfassung wert hinterfragt zu werden. Deutsche StaatsbürgerInnen profitieren eher von ihr, als dass sie Angst haben müssten, je davon betroffen zu sein. MigrantInnen werden stärker überwacht, damit die EinwohnerInnen der Festung Europa nicht auf ihre Privilegien verzichten müssen. Die Ausweitung bestimmter Überwachungs- und Kontrollmechanismen schreitet auch in Bezug auf deutsche bzw. EU-BürgerInnen voran. Die Repression bezieht sich dabei jeweils nur auf sozial marginalisierte bzw. als kriminell eingestufte Gruppen. MigrantInnen gelten qua Herkunft als dazugehörig. Die öffentliche Diskussion um Einwanderung findet seit dem 11. September 2001, der anschließenden Rasterfahndung nach männlichen Studierenden muslimischen Glaubens und den steten Rufen nach Verschärfungen des Ausländerrechts unter veränderten Vorzeichen statt. Im Vordergrund des Diskurses steht nicht mehr nur, ob und wie viele hochqualifizierte oder billige Arbeitskräfte zum Wohle der deutschen Wirtschaft angeworben werden dürfen, sondern wie die Migrations- und Asylpolitik mit der Terrorbekämpfung verknüpft werden kann. Die jetzt eingeleiteten Maßnahmen folgen dabei der Logik von Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene, die die gesamten 90er Jahre geprägt haben. Natürlich ließen sich nach dem 11.9. schon länger gehegte Wünsche von Überwachungsdiensten und Sicherheitstechnokraten leichter durchsetzen, während die liberale Öffentlichkeit unisono dem Schock der Anschläge unterlag, nach mehr Sicherheit schrie oder einfach schwieg. Denn mit der vermeintlichen Bedrohung konnte so einiges gerechtfertigt werden, was im Rahmen der Debatte um ein Einwanderungsgesetz mühsamer hätte durchgeboxt werden müssen und was mit Terrorismusbekämpfung offensichtlich nichts zu tun hat, wie zum Beispiel Sprachanalysen zur "Bestimmung der Herkunftsregion", bei denen es sich laut Gesetzesbegründung um eine Maßnahme zur erleichterten Abschiebung Ausreisepflichtiger handelt.
Andererseits enthält das Terrorismusbekämpfungsgesetz auch ein weiteres Moment, das nicht unterschlagen werden sollte. Die Anschläge des 11. September haben das Gefühl größtmöglicher Sicherheit und Bewegungsfreiheit für BewohnerInnen westlicher Wohlstandsstaaten scheinbar nachhaltig erschüttert. Aus integrierten Vorzeigeausländern wurden terroristische Schläfer. Der Ruf nach mehr Sicherheit, Überwachung und Abschottung hat in diesem Zusammenhang auch zu Maßnahmen geführt, die schwerlich der Logik der Einwanderungsdebatte entsprungen sein können, sondern Reaktion auf eine als real empfundene Bedrohung mit rassistischer Konnotation sind. Instrumentarien wie Visaerteilung oder Rasterfahndung, die gerade qualifizierte, also potentiell nützliche ausländische StudentInnen oder WissenschaftlerInen betrifft, machen den Wirtschaftsstandort Deutschland wohl eher madig. Da nützen auch staatliche Antinazikampagnen nichts, wenn die begehrten Fachkräfte mit staatlichem Rassismus konfrontiert werden, der sonst nur "unnützen" Flüchtlingen vorbehalten schien. Ein Fakt, den selbst das Auswärtige Amt “als mit den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands unvereinbar” kritisiert. Derart irrationale Maßnahmen könnten also durchaus nach einiger Zeit, wenn sich das Wahlkampfgeschrei gelegt hat, weniger zur Anwendung kommen.
Die Frage, wer Zugang wohin und mit welchen Rechten hat, ist aber aus beiden - der scheinbar rational-ökonomischen und der vermeintlich irrational-sicherheitsphobischen- Perspektiven die entscheidende. Und in beiden Fällen dient Rassismus zur Legitimierung.

:: let’s get organized together ::

Antirassistische Politik in diesem Land sollte nicht in erster Linie für Flüchtlinge, sondern Politik gegen Deutsche und deren Rassismus, gegen deutsche Behörden und die staatliche Ausländerpolitik sein. Der Mythos der gemeinsamen Betroffenheit von ”deutschen” Linken und Flüchtlingen/MigrantInnen muss aufgehoben werden: ”deutsche” Linke sind den rassistischen Repressalien und der Gewalt nicht ausgesetzt.
Rassismus beinhaltet allerdings nicht nur eine abwertende Fremdzuschreibung, sondern auch eine einschränkende Selbstdefinition. Obwohl eine "deutsche" Linke in der gesellschaftlichen Situation davon profitiert, ist es falsch, einen selbstlähmenden Täter-Opfer-Gegensatz aufzumachen, sondern die Zurichtung von Menschen in rassistische Kategorien sollte bereits Anlass genug sein, sich aus den rassistischen Verhältnissen zu befreien.

Mitte der 80er Jahre fand erstmalig eine Auseinandersetzung innerhalb der Linken in der BRD mit dem Thema Rassismus statt. Die meist antiimperialistischen oder sozialrevolutionären Gruppen sahen Flüchtlinge und MigrantInnen als das neue revolutionäre Subjekt in Ablösung der Arbeiterklasse als Hoffnungsträger, als verlängerten Arm der Befreiungsbewegungen im Trikont und als Opfer der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung. Flüchtlinge galten zwar als politische Subjekte und PartnerInnen, wurden jedoch auch überhöht und instrumentalisiert.
Diese Sichtweise kehrte sich Anfang der 90er Jahre vor dem Hintergrund der rassistischen Pogrome und der de-Facto-Abschaffung des Asylrechtes um: Seitdem dominierte in der meist weissen, deutschen Antirabewegung ein instrumenteller Umgang mit Flüchtlingen, die meist nur als Opfer einer rassistischen Ausländerpolitik und des völkischen Rassismus wahrgenommen wurden. Entsprechend fand antirassistische Politik sowohl in Form von Flüchtlingshilfe und linker Sozialarbeit statt, als auch als Politik gegen den staatlichen Rassismus, aber nur selten gegen den Rassismus in der Bevölkerung. Versuche gemeinsamer Organisierung scheiterten im allgemeinen an mangelnder Vermittlung der unterschiedlichen Ansätze und Vorstellungen sowie am Paternalismus der ”deutschen” AntirassistInnen. MigrantInnengruppen warfen ihnen vor, in rassistischen Denkmustern verhaftet zu sein und sich nur mangelhaft mit ihrem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen. Der antirassistische Blick auf das Objekt der Begierde bewegte sich in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite stand die unbedingte Solidarität und kritikloser Anerkennung der politischen Inhalte von Flüchtlingen und MigrantInnen. Ihnen sollte nicht die durch die rassistische Sozialisation geprägte deutsche Sichtweise aufgezwungen werden. Die andere Extremposition forderte die gleichen politischen Ziele und Methoden ein, ohne die spezifischen Voraussetzungen und Ansätze einzubeziehen und sich mit ihnen gleichberechtigt politisch auseinanderzusetzen. Dieses Spannungsfeld wurde fälschlicher Weise meist einseitig in Richtung einer dieser Extrempole aufgelöst, obwohl es immer neu ausgelotet und ausgehalten werden muss. Weder Paternalismus und Mitleid, aber auch nicht die Halluzination der gleichen Betroffenheit können eine ernsthafte Basis für antirassistische Politik sein.

Das Anti-Grenzcamp ermöglicht eine gemeinsame politische Zusammenarbeit zwischen ”deutschen” AntirassistInnen und Flüchtlingen/MigrantInnen über eine Solidarisierung hinaus und jenseits von Paternalismus. Sowohl in der Organisierung des Camps als auch in der Woche selbst sind über eine bloße Teilnahme hinaus Selbstorganisationsgruppen und Flüchtlinge und MigrantInnen politisch eingebunden und präsent. In diesem Sinn gestaltet sich das Camp als Experimentierfeld für eine gleichberechtigte politische Zusammenarbeit und für eine Diskussion und Vermittlung unterschiedlicher politischer Vorstellungen. Das Camp bietet die Möglichkeit, die wechselseitig formulierten Ansprüche ernst zu nehmen und umzusetzen, und nicht zuletzt die politische Trennung von ”deutschen” und ”migrantischen” Gruppen aufzubrechen. Maßstab sollte hierbei nicht der Status (z.b. ”Flüchtling”) sein, sondern gemeinsame politische Interessen: z.B. der Kampf gegen den rassistischen Konsens und die Politik in der BRD. Darüber hinaus ist ein solidarischer Bezug auf die Kämpfe der anderen möglich.

:: Grenzcamp goes Thüringen ::

Antirassismus heißt auf dem antirassistischen Camp nicht nur ein Nebeneinander und einseitiges Starkmachen deutscher Antiragruppen für die Interessen von Flüchtlingen, sondern bedeutet eine wirkliche Zusammenarbeit mit selbstorganisierten MigrantInnen, die zwingend notwendige politische Auseinandersetzung miteinander. Nur über diesen Ansatz kann längerfristig und über ein Anti-Grenzcamp hinaus eine kooperative politische Praxis erwachsen, unter der Voraussetzung, dass sie auf der Basis gemeinsamer politischer Ziele steht.
Ein Anspruch des Camps war von Beginn an, eine Stärkung der Gruppenstrukturen vor Ort, regional und bundesweit zu erreichen. An diesem Ziel ist auch in Thüringen anzusetzen. In Thüringen gibt es eine starke Selbstorganisierung von Flüchtlingsgruppen, die Zusammenarbeit zwischen ihnen und deutschen linken und linksradikalen Gruppen in der Region kann gestärkt, beziehungsweise eine Vernetzung von Flüchtlingen untereinander vorangetrieben werden. An bestimmte interne, auf dem Camp in Frankfurt/ Main begonnene Debatten soll angeknüpft werden, als Beispiele seien die Verschränkung von Sexismus und Rassismus, die Verzahnung von Herrschaftsverhältnissen am Thema Arbeit oder der Paradigmawechsel in der Einwanderungspolitik unter der rot-grünen Regierung genannt.
Ein Schwerpunkt des Camps wird einerseits auf der Lebenssituation der Flüchtlinge in den Heimen in Thüringen und anderswo, anderseits auf dem Kampf gegen die Residenzpflicht liegen. Die ZAST in Jena-Forst und das angegliederte Transitlager, wo etwa 400 Menschen unter knastähnlichen Bedingungen leben müssen, wird Ziel unserer Interventionen sein. Die Residenzpflicht beschränkt MigrantInnen in ihrer Bewegungsfreiheit, und somit in der Möglichkeit zur politischen Betätigung. Sie ist als innere Grenze Teil eines institutionalisierten Rassismus um Einwanderungsgesetze, Inneren Sicherheit und Kampf gegen den Terrorismus, und soll thematisiert und bekämpft werden.
Im Gegensatz zu Frankfurt/ Main, dem letztjährigen Austragungsort des Camps, wird es wieder eine stärkere und nötige Konfrontation mit der Bevölkerung geben. Statt einer kulturell-rassistischen Bevölkerung, von der 20 - 30% ohne deutschen Pass leben, erwartet die TeilnehmerInnen ein rassistischer Konsens, der sich, gepaart mit den nazistischen Strukturen und rechter Hegemonie, insbesondere auf die Lebensbedingungen der Flüchtlinge vor Ort auswirkt.
Das Camp in Thüringen, dass einerseits durchaus eine Rückkehr zu den Wurzeln der Campidee darstellt, soll andererseits nicht auf den Teilbereich Antira beschränkt bleiben. Wie schon die Jahre zuvor wird vorrangig das Herrschaftsprinzip Rassismus herausgegriffen, um darüber hinaus eine grundsätzliche Gesellschaftskritik zu üben und die Verbindung zu anderen Herrschaftsverhältnissen zu beleuchten. Besonderes Augenmerk beim Grenzcamp 2002 soll die Einwanderungsdebatte und die damit verbundene Diskussion um das kapitalistische Verwertungsprinzip sein. Gerade auch in Jena ist eine Trennung nach Nützlichkeitskriterien für den Wirtschaftsstandort Deutschland offensichtlich. Einerseits werden Flüchtlinge terrorisiert, stigmatisiert und unsichtbar gemacht, andererseits soll nach Überfällen auf ausländische Gastprofessoren eine Prise Antifaschismus das Image retten.
Verbunden mit dem Blick auf die Anschläge vom 11. September, nach denen der Kampf gegen den Terrorismus ausgerufen wurde, will sich das diesjährige Camp auch mit Krieg auseinandersetzen. In Thüringen werden sich unsere antimilitaristischen Aktionen exemplarisch gegen Jenoptik richten, die unter anderem militärisches Equipment produzieren. Die taktische Forderung nach einer Verbesserung der konkreten Lebenssituation von Flüchtlingen soll verbunden werden mit einer grundsätzlichen Gesellschaftskritik. Die konkrete Situation in Thüringen lässt die inhaltliche Ausrichtung des Camps mit verschiedenen Optionen offen. Letztendlich lebt das fünfte antirassistische Camp von der Vielfalt der politischen Ansätze und Ideen im linken bis linksradikalen Spektrum.

Strawberry champagne for ever!
Für eine radikale Linke!
For free movement – smash capitalism!
Ninguna persona es ilegal!
Détruyez la societé bourgeoise  !
19.05.2002