GRENZCAMP 2001   FRANKFURT/M AIRPORT

 
4. antirassistisches Grenzcamp vom 27. Juli bis 5. August 2001 beim Flughafen Frankfurt/Main
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Orientierungsversuche im Feld antirassistischer Politik Teil 1

von N O S E R V I C E Kassel - - 20.07.2001 16:27

In die antirassistische Diskussion innerhalb der radikalen Linken ist einige Bewegung gekommen. Die von der Regierung der Neuen Mitte jetzt mit schnellen Schritten in Angriff genommene Erneuerung des Migrationsregimes - insbesondere die aktuellen Planungen für ein Einwanderungsgesetz fordern zum Überdenken antirassistischer Positionen und Interventionsmöglichkeiten heraus.



Der Fokus auf Flucht und Papierlose, die Verteidigung der Reste des Asylrechts ist zu eng geworden (vgl.: ARAB; kmii Rundbrief #15). Die Phase einer primär auf Abschottung setzenden nationalistischen Politik, die die 80er und 90er Jahre prägte, ist vorbei: es soll Zuwanderung geben, soweit sie von ökonomischem Nutzen ist. Die ‚Grenzen" des staatlichen Raumes stellen sich immer weniger als geschlossene ‚Mauern" dar, sondern als vielgestaltige ‚Siebe", die auch das Innere durchziehen. Was es zu unterwandern und zu bekämpfen gilt, ist ein komplexer Apparat der Kontrolle, der Überwachung, der Selektion und Lenkung von Migrationsbewegungen: Optimale Verwertungs- sprich Ausbeutungsbedingungen für ihre Arbeitskraft zu schaffen, ist das erklärte Ziel der Zuwanderungspläne der Regulierungsexperten.
Noch sind die konkreten Regelungen und Maßnahmen, durch die Einwanderung und ihre Ausbeutung in anstehender Zukunft gemanagt werden soll, nicht genau festgelegt. Wie das Kräftemessen zwischen den immer noch restriktiven, bzw. präventiven Interessen der nationalen Politik und der vor allem an flexibler Verfügbarkeit migrantischer Arbeitskraft interessierten Wirtschaftlobby sich innerhalb der politischen Ökonomie des Rassismus brd-style entwickeln wird, scheint relativ offen. Doch was sich abzeichnet, ist, dass die (Neu)Regelung der Einwanderung die Unterstützung weiter Teile der sozialarbeiterischen MigrantInnen- und Flüchtlingslobby sowie anderer Linker findet, die ihr oppositionelles Engagement als einen Kampf für die Anerkennung der Einwanderung betrachtet haben und die nun ‚endlich" Erfolge vor Augen sehen.

Vorläufig und ungesichert sind auch die Ansätze einer strategischen Neuorientierung innerhalb antirassistischer Handlungsfelder - und können gar nicht anders sein. Wir meinen in der jüngeren Diskussion drei unterschiedliche Positionen/Argumentationsschienen ausmachen zu können, wobei wir ihnen keine absolute Trennschärfe unterstellen und sie nicht als prinzipiell konkurrierende betrachten:

(1) Es wird nicht genug eingewandert, es werden nicht genug Rechte vergeben, die Debatte ermöglicht Erweiterungen des status quo:
Die Wende in Richtung offizielles Einwanderungsland grundsätzlich affirmieren und aufspringen auf den herrschenden ökonomischen Diskurs, der einen Bedarf nach ‚nützlicher" migrantischer Arbeitskraft feststellt, um die damit verbundene Wertschätzung in Form von Aufenthaltsrechten und -garantien und Versorgungsoptionen (sprich vor allem Arbeitsrechte) auf möglichst viele/alle MigrantInnen auszuweiten. Z.B. behaupten Teile der Grünen auch mittlere FacharbeiterInnen seien Experten und analog Linke, dass der Expertenstatus eigentlich allen zusteht und, da mit diesem Status Rechte verknüpft sind, alle entsprechend den gleichen Anspruch auf diese Rechte haben.

(2) Auf das eingehen, was von der Einwanderungsdebatte überschattet wird, bzw. versuchen, in ihrem Windschatten strukturelle Verbesserungen durchzusetzen:
für die Situation der Flüchtlinge und Papierlosen, für die Zukunft des Asylrechts. Beispielhaft für diesen Ansatz scheint uns der Vorschlag von Ulla Jelpke u.a. mit "kein mensch ist illegal" in eine Legalisierungskampagne zu starten (siehe kmii Rundbrief # 15).

(3) Die Auseinandersetzung um das neue Migrationsregime aufgreifen, um den Zusammenhang zwischen begehrter Einwanderung und globaler kapitalistischer Ausbeutung, Imperialismus, Konkurrenz und Armut ebenso wie deren staatliche Sicherstellung und Regulation herausstellen und daran eine deutliche Absage des Einwanderungsgesetzes (nicht nur Kritik) festzumachen. Z.B. "In der Auseinandersetzung über die sich abzeichnende Wende in der EU-Einwanderungspolitik sehen wir eine Chance für die Linke, aus ihrem Rückzug in oft sozialarbeiterisch eingefärbte und voneinander getrennte Abwehrkämpfe herauszukommen. Denn in dieser Wende drückt sich eine globale Krise kapitalistischer Vergesellschaftung aus, die den Antikapitalismus in vielen politischen Zusammenhängen wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat - nicht nur in Seattle, Prag, Neapel oder im Juli in Genua" (vgl.: Wildcat; kmii Rundbrief #15). Zurückweisen aller staatlichen und über- und substaatlichen Organisationen, die die globalen Wanderungsbewegungen regieren wollen. Die Entwürfe für ein Einwanderungsgesetz öffentlich ablehnen, weil es sich dabei um nichts anderes als ein neues entrechtendes Ausländergesetz handelt. Zurückweisen der Koppelung von Rechtsansprüchen an eine Prüfung der Verwertbarkeit von Individuen. Die lokalen Punkte von Widersetzlichkeit, Kampf und Rebellion suchen und darin selbst ein Teil sein/werden (vgl.: Wildcat; kmii Rundbrief #15).

Wir selbst formulieren unsere Thesen und Probleme in diesem Text ausgehend von der dritten Position.

Um gleich einem möglichen Missverständnis zu begegnen: Unserer Auffassung nach sind diese Ansätze nicht entlang der häufig angesetzten Unterscheidungen von ‚Reformismus" versus ‚(utopischer) Revolution", ‚theoretischer Kritik" versus ‚kritischer Praxis" oder ‚Positionierung" versus ‚Intervention" aufzuteilen, geschweige denn einfach abzuurteilen. Wir denken, dass diese Unterscheidungen auch vom Prinzip her gar keine Gegensätze darstellen. Denn jede Praxis, noch die theoretischste, ist - wenn sie sich nicht auf Akte der Verneinung und Zerstörung beschränkt - in gewissem Sinne ‚reformistisch": sie macht etwas anders unter bestehenden Bedingungen. Und unter ‚Revolution" stellen wir uns - jenseits von Aufständen, die wohl immer nur befristet möglich sind - ein kollektives Handeln vor, das nicht damit aufhören will, die Dinge und uns selbst zu verändern.
Alle Äußerungen sind Interventionen: Auch die Art, wie wir uns die Welt erklären, verändert die Welt - oder sorgt eben mit dafür, dass sie bleibt wie sie ist. In diesem Sinne: Verbalradikalismus, ja bitte. Stehen die Erklärungen allerdings nicht im Zusammenhang mit der übrigen (politischen) Lebenspraxis der Sprechenden, bleiben sie ein hilfloses Brüllen, bloßes Gelaber oder reihen sich im schlimmsten Fall ein ins Spektakel. Abgesehen davon müssen wir unseren Gegen-Diskurs natürlich immer taktisch abstimmen auf die jeweiligen Umgebungen, die wir damit beeindrucken wollen.

Mit welchen Umgebungen aber haben wir es zu tun?
Einige Interventionsebenen, die uns im Feld antirassistischer Politiken zentral erscheinen, möchten wir im folgenden versuchen von einander abzugrenzen (Trennschärfeproblem eingeschlossen). Wir glauben, dass es nicht nur einiges mehr an Klarheit in die Diskussionen bringen kann, sondern grundsätzlich notwendig ist, jede ausgemachte Interventionsmöglichkeit daraufhin zu befragen, wer da jeweils für wen, wo mit welchen Mitteln was erreichen will.

Ebene: Alltagskämpfe
Die Politik des Alltags wird oft fetischisiert, insbesondere wenn es um den Alltag der ‚Anderen" geht, für die oder in deren Namen Linke Politik machen, während wir aus unserer eigenen Existenz wissen, wie anstrengend es ist, die alltäglichen Zumutungen (sei es der Arbeit, des Arbeitsamtes, Sozialamtes, der Uni...) als Anlässe für einen politischen Kampf wahrzunehmen. Diese Diskrepanz stellt angesichts der Zusammensetzung der Antira-Szene ein strukturelles Problem des politischen Bewusstseins dar. Dass die radikale Linke damit aufhören sollte, ihr politisches Leben an der Stelle anderer zu führen und dafür ihr eigenes Lebens zum Kampfterrain machen sollte, wurde mittlerweile oft gefordert. Den Horizont für eine globale Vernetzung der Kämpfe bietet noch immer die Kritik des Kapitalismus, innerhalb dessen rassistische Spaltungen mit dazu dienen, Arbeitszwang, Ausbeutung und Konkurrenz einzurichten - im Namen von Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung. Wird nicht in der ‚verwertungsrassistischen" Grundaussage der aktuellen Zuwanderungsdebatte - "jeder, der was zu verkaufen hat, darf hier auch was werden" - klar, dass es dabei um einen Zwang geht, dem in unterschiedlicher Härte und unterschiedlichen Formen alle unterworfen sind?

Antirassistische Alltagspraxis von MigrantInnen und Flüchtlingen ist es ihr Leben gegen die systematischen Diskriminierungen zu organisieren, um Papiere und materielle Versorgung zu kämpfen etc., zusammen mit denjenigen, die sich um Unterstützung bemühen, mit Infrastruktur, Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying.

Ebene: Politik an den Planungstischen
Hierunter fassen wir zum einen die institutionellen Nischen der Unterstützungsarbeit, seien es die von staatlicher Seite gebotenen (Parlamente, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften....) oder die einer ‚zivilgesellschaftlichen" Professionalisierung politischen Engagements bzw. einer politischen Organisierung professionellen Engagements (proAsyl, Flüchtlingsräte ...). An diesen Formen der Institutionalisierung kommt der antirassistische Lobbyismus in bewegungsschwachen Zeiten kaum vorbei, - ob er nun für die zu Unterstützenden was herausholen will, oder allgemeiner Unterstützung für den antirassistischen Standpunkt im ‚großen" wie im ‚kleinen" politischen Geschehen sucht. An den Gremien hängt das Versprechen der Effektivität: jenseits des Einzelfalles und für längere Dauer Verbesserungen an der rechtlichen und sozialstaatlichen Infrastruktur zu erreichen.
Von der Praxis in diesem Feld aber müssen wir die permanente Desillusionierung erwarten. Nicht nur, weil fast alle Erfahrung zeigt, wie viel Energie für minimalste Gewinne verpufft, die dann, wenn endlich erreicht, wohlmöglich auch noch von der Realität längst überholt/neutralisiert sind (vgl. Altfallregelungen). Die Desillusionierung zu erwarten heißt auch: Nicht daran glauben wollen, dass die Gesellschaft mit Hilfe von Gesetzen, Regelungen, sonstigen institutionellen Maßnahmen zum Guten zu bekehren ist. Wir wollen uns nicht im Staat wiederfinden, sondern begreifen ihn als ein Schlachtfeld. Der Staat, als verdichtetes Kräfteverhältnis, ist selbst nur ein krisenhafter Versuch, globale gesellschaftliche Antagonismen zu stabilisieren.
Um über den politischen Sinn und Unsinn von (staatsbezogenen) Reforminitiativen zu entscheiden, scheint uns neben der Frage, ob diese von Subjekten getragen werden, die sich für ihre eigenen Belange in die Verhandlungen begeben, die Frage maßgeblich, wie sehr man gezwungen ist auf die herrschende Logik einzusteigen und wie viel sperriges noch formuliert werde kann. (So zählen wir beispielsweise das Einsteigen auf die noch auf dem politischen Planungstisch liegende Forderung, dass für " Opfer von Schlepperbanden" vorrangig eine Legalisierung garantiert werden muss [vgl. Jelpke u.a. Legalisierungskongress Bochum] für zu weit gehend kompromissbereit. Seit seiner Entstehung versucht kmii den verfemten Berufsstand Schlepper als notwendige Reisedienstleistung im Diskurs umzuwerten und zu unterlaufen und dabei gleichzeitig die (technologische) Abschottung als Problem zu skandalisieren.) Nehmen wir als Beispiel die derzeit diskutierte Legalisierungskampagne. Allein an der dahinterstehenden subjektiven Masse und der Dynamik ihrer Kräfte wird sich entscheiden, ob ein Legalisierungsprogramm ‚reformistische" im Sinne von herrschaftsstabilisierenden Wirkungen zeitigt, oder aber ob es zum Katalysator weiterer, radikalerer Forderungen wird, den Kampf also ausweitet, anstatt ihn in der Rechtsform festzufahren.


Ebene: Analyse und Kritik des Status quo:
Wie denken wir die soziale Welt gegen die Verhältnisse, in denen sie heute existiert? Heißt gleichzeitig: Was klagen wir an den Zuständen an, wo suchen wir Verantwortung? Und: An welche utopischen Horizonte knüpfen wir Sinn und Ziele unserer aktuellen Handlungen, unseres politischen Geschäfts auf den beiden zuvor benannten Ebenen? Die soziale Welt wird als Krise beständig modernisiert - einschließlich der Ideologien, die erklären, warum die Welt sein soll, wie sie ist. Entsprechend müssen wir (uns) auch immer wieder ideologisch erklären, mit welchen Machtverhältnissen wir es zu tun haben, wo die aktuellen Linien der Widersetzung, des Konflikts zu suchen sind. Die Kritik des Staats und des Kapitalismus schließt unserer Auffassung nach dem Wunsch mit ein, für alle Verbesserungen zu erstreiten und damit selbst die Krise zu produzieren. Für was, wenn nicht dafür, steht die Forderung nach offenen Grenzen? Die Kämpfe für ein besseres Leben werden dabei in der Konsequenz auch auf Kosten des Systems gehen, d.h. auch auf Kosten der Gemütlichkeit erstritten werden, die es für die Privilegierten einrichtet.
Immer muss sich eine deutliche Kritik an den herrschenden Diskursen wetzen, muss auf sie immer wieder zugespitzt werden, um überhaupt was/wen zu jucken. Eine Kritik, die nicht mehr den unversöhnlichen Widerspruch öffentlich zu artikulieren sucht, beraubt sich selbst der utopischen Substanz. Wenn nur noch ‚wir", die ‚Eingeweihten" wissen was wir eigentlich wollen, wird dieses Wissen im ideologischen Universum der eigenen Köpfe schneller dem Vergessen anheimfallen, als wir uns fragen können: wozu, noch mal ...? Eine Position die nicht mehr öffentlich wird, fällt aus. Wenn hinter kmii in dieser Debatte keine Gruppen stehen, die fundamentale Kritik äußern wird eben das öffentlich, wie Szene-innenpolitisch passieren. Wir verwehren uns deshalb gegen die Rede, die fundamentale Kritik billig als "fundamentalistisch" und nicht "politikfähig" denunziert.

Damit sind wir - nach langem Vorbau - endlich bei dem ursprünglichen Anlass für diese Papier-Intervention angelangt. Der Stein unseres (und nicht nur unseres) Anstoßes war der Slogan "jeder mensch ist ein/e ExpertIn", mit dem Camp-Plakate versehen und eine inhaltliche Diskussionsveranstaltung des diesjährigen Grenzcamps betitelt sein wird. Wir sehen eine ähnlich positive Bezugnahme auf den Expertendiskurs - den wir im übrigen nicht einfach gegen die interne Limitationslogik umwerten können (wenn alle Experten wären, gäbe es keine mehr/gäbe es kein Wort dafür) - auch in einem Artikel in der antirassistischen Zeitung off limits Feb. 2001 no. 30, S. 6,7. Hier wird Migration als eine "essentielle(n) Bereicherung und Innovation" (ebd., S. 7) beschrieben, welche den "dramatische(n) Arbeitskräftemangel beseitige und die Sicherheit der Sozialsysteme auch künftig gewährleisten" (ebd.) könne. Zweck-kalkulierte Erwägungen braucht man aber in die Gestaltung um die Einwanderungsdebatte nicht hinzuzufügen! Sie fehlen diesem Vorhaben nicht! Die auf Bereicherung zielenden Argumente gilt es wünschens-werter-weise zu bestreiten und nicht mit zu gestalten. Darüber hinaus ist es wichtig politische Positionen zu formulieren, die einer "Kalkulation und Verwertung von potentiellen SozialbeitragszahlerInnen und ArbeitnehmerInnen" entgegengesetzt ist. Uns ist gesagt worden, der Artikel sei strategischer Natur, weil zuerst für die Süddeutsche Zeitung (SZ) geschrieben. Wir meinen, wenn überhaupt keine Ideen, die über das Bestehende hinausreichen, formuliert werden, dann ist der rein strategische Versuch, so er einer war, unter der Hand zur Affirmation geworden. Wir halten strategische Schritte, die notwendig reformerisch sind, für unerlässlich, wir würden jedoch die Wirkung des Artikels so nicht mehr bezeichnen.

wer schickt wen wohin und wozu?
Aus diesen wie auch aus anderen Gründen bereitet uns der Slogan " jeder mensch ist ein/e ExpertIn" politische Bauchschmerzen zeige.
Wir sehen, dass der Slogan einen uneindeutigen Spannungsbogen eröffnet zwischen der Zustimmung zum Experten und seiner Auflösung. Der Spruch ist damit auf zwei politische Strategien hin auslegbar: Die eine, welche das eigene politische Gewicht affirmativ für hypothetische Ziele an den politischen Planungstischen in die Waagschale wirft und MigrantInnen als Bereicherung und innovative Kraft promotet; die andere, die den Spruch als absurden Widerspruch in sich befürwortet und damit das Limitiertsein von Expertentum und damit verbundene Rechtspositionen thematisieren und die subjektive Wertschätzung aller für ihr je spezifisches Expertentum zum Ausdruck bringen will. Wie man"s aber dreht und wendet, beide Intentionen entkommen nicht der Logik des herrschenden Migrationsdiskurses. Die Existenzberechtigung von MigrantInnen wird an ihren Expertenstatus gekoppelt, so wie sich ehedem für viele wohlmeinende Liberale und GewerkschafterInnen das Anwesenheitsrecht daraus speiste, dass sie "unsere Dreckarbeit" machen, was nicht ohne Grund von Linksradikalen scharf kritisiert wurde. Diese Argumentation macht das Recht der Anderen von ihrem Nutzen für ein Kollektiv/Subjekt abhängig, das sich in dieser Geste ein Definitionsrecht, eine Verfügungsgewalt und somit eine Vormachtstellung zu sichern sucht. Die Parole ist deshalb mehr als gefährdet , mit den dominierenden Inhalten der Einwanderungsdebatte verwechselt zu werden.
Auch der Gleichheitsanspruch, bzw. die Forderung nach einem allgemeinen Anrecht auf den exklusiven Status des Experten, unterwandert von sich aus nicht die herrschende Logik. Denn die absurde Widersprüchlichkeit der Verbindung, welche die subversive linke Lesart mit dem Spruch an die Öffentlichkeit bringen möchte, ist doch gar kein verschwiegenes Geheimnis, sondern die überaus offenbare Wirklichkeit des Kapitalismus: Die Ideologie der freien Marktwirtschaft, dass allen Menschen die gleichen Chancen offen stehen sich zu vermarkten, wird von den wirklichen Verhältnissen des Elends, des Mangels und des Zwangs in jedem Moment Lügen gestraft. Der ideologische Charakter der Wirklichkeit liegt gerade darin, dass die Leute handeln, als ob es einen freien und gleichen Warentausch gäbe, obwohl sie wissen, dass es so nicht ist. "Jeder Mensch ist ein Experte", sagen die vom Arbeitsamt, und wenn du nicht aufhörst über sie zu lachen, weil sie es doch besser wissen müssten, werden sie dir - während sie dir die Kohle kürzen - noch einmal versichern: "Doch doch, es kommt nur darauf an, was Sie aus sich machen. Sie müssen es nur wollen." Fit for Job? Sozialdarwinistische Klappe zu. Wie will man mit dieser Ideologie über ihren Widerspruch diskutieren?
Auch wenn es in dem Kontext vorrangig um jene Rechte geht, die den Zugang zu privilegierten ökonomischen Räumen von vorneherein beschränken, müssen wir uns fragen, was dieser Spruch noch an subversiven Potential hat in einer Zeit, in der die Bundesregierung in halbseitigen Annoncen mit dem Slogan "Gerechtigkeit ist wettbewerbsfähig" für sich selbst wirbt. Da ist tatsächlich eine Subversion in Gange! Müssen wir nicht jetzt erst recht auf der Kompromisslosigkeit jeder Gerechtigkeitsforderung und der Bedingungslosigkeit von Rechtsansprüchen insistieren, indem wir diese nicht an die Form des Gesetzes binden, sondern gegen das Gesetz behaupten? kein mensch ist illegal!

Der Text wird fortgesetzt: siehe Orientierungsversuche Teil 2.