Was ist eigentlich ein Terrorist?

(Schöne Grüße von George Orwell)

Beitrag zur Antikriegsdemo am 22.10.2001

 

Was genau ist eigentlich ein Terrorist? fragte mich neulich eine Bekannte. Gute Frage, dachte ich mir, und sah mir einmal die offizielle Definition vom Bundesamt für Verfassungsschutz an:  „Terror ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, der mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden soll.“ Danach sah ich mir an, wie der Begriff in der Praxis gebraucht wird:

Saddam Hussein, der die Diktatur in Kuwait angreift, ist ein Terrorist. Saddam Hussein, der die Diktatur im Iran angreift, ist kein Terrorist, sondern ein Verteidiger der Freiheit gegen den fundamentalistischen Islam.

Die PKK, die mit Gewalt für ein freies Kurdistan gegen den autoritären türkischen Staat kämpft, ist eine terroristische Vereinigung. Die UCK, die mit Gewalt für ein freies Großalbanien gegen den autoritären jugoslawischen Staat kämpft (und sich dabei über organisierte Kriminalität und Drogenhandel finanziert), ist eine Gruppe von Freiheitskämpfern.

Die Contras in Nicaragua, die die demokratisch gewählte sozialistische Regierung stürzen wollen und Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichten, sind Freiheitskämpfer und werden von der USA massiv militärisch und finanziell unterstützt. Die Bauern in Kolumbien, die sich nur über Koka-Anbau ein menschenwürdiges Dasein sichern können und sich den Regierungsplänen widersetzen, weil diese für sie Elend und Not bedeuten, sind Terroristen und werden von der USA mit Unterstützung der EU massiv militärisch und finanziell bekämpft.

Die Taliban, die gegen die Sowjets in den Krieg ziehen, sind Freiheitskämpfer und werden von den USA mit Waffen beliefert. Die Taliban, die Bin Laden Unterschlupf gewähren, sind Terroristen und werden von der USA mit Bomben beworfen.

RAF-Mitglieder, die aus politischen Motiven Bombenanschläge verüben, bei denen Menschen sterben, sind Terroristen, die politische Morde begehen. Neonazis, die aus politischen Motiven Brandanschläge auf Asylbewerberheime verüben, bei denen ebenfalls Menschen sterben, sind fehlgeleitete Einzeltäter. Staatschefs, die humanitäre Intervention anordnen, die Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung verursachen, sind die Verteidiger der Freiheit, die (wie Schröder kürzlich so schön formulierte) Verantwortung übernehmen im Kampf für die Menschenrechte.

 

Mit anderen Worten: Die Definition ist willkürlich. Terroristen sind immer die aktuellen politischen Gegner der Herrschenden. Ein Akt des Terrors definiert sich nicht durch die Grausamkeit, mit der er verübt wird, auch nicht durch die Unschuld  oder die Zahl der Todesopfer, ebensowenig durch das politische Motiv, sondern einzig und allein darüber, ob die Ausübenden zur „zivilisierten Welt“, also zu den Verbündeten des kapitalistischen Westens, gezählt werden oder nicht. Daher verwandeln sich unzuverlässige Verbündete auch schon mal innerhalb weniger Jahre von Freiheitskämpfern in Terroristen - siehe Taliban und Saddam Hussein.

Staaten üben übrigens normalerweise keinen Terror aus, da sie dazu legitimiert sind, Gewalt anzuwenden. Wer sie dazu legitimiert hat? Sie selbst. Eine Ausnahme bilden die Staaten, die sich der westlichen Dominanz inklusive der Öffnung für multinationale Konzerne verschließen wie z.B. Kuba oder Jugoslawien: diese sind politische Gegner und daher illegitime terroristische Schurkenstaaten, die natürlich bombardiert werden dürfen.

Wer die Definitionsmacht über den Begriff Terrorismus hat, darf seinen politischen Gegner legitimerweise mit Waffengewalt angreifen - natürlich nur im Namen von Freiheit und Demokratie.

 

Wirklich spannend ist jedoch, daß die offizielle Definition im Moment erweitert wird. In Großbritannien hat die Labour-Regierung unter Blair auf die erfolgreiche Mobilisierung zu den globalen Aktionstagen durch die „Reclaim the Streets“ Bewegung zu einer interessanten Gesetzesänderung geführt. Diese definiert die „Androhung oder Anwendung“ von Gewalt gegen Eigentum ebenfalls als Terrorismus, genauso wie Handlungen, die ein Risiko für einen Teil der Öffentlichkeit darstellen. Der Satz „Ich werde eine Scheibe einschmeißen“ ist unter diesem neuen Gesetz ausreichend für eine Erfassung, Behandlung und Verurteilung als Terrorist. Auch in der BRD werden mit Terrorparagraphen unzählige Menschen verfolgt, die sich noch etwas anderes als Kapitalismus und Staat vorstellen können. Mehrere Artikel in wirtschaftsfreundlichen Zeitungen haben bereits gefordert, die sog. Anti-Globalisierungsbewegung endlich auch als das zu behandeln, was sie ist - eine Ansammlung von Terroristen. Daß auf solche Ruhestörer mit scharfer Munition und möglicherweise tödlichem Ausgang geschossen werden darf, ist nicht nur die Ansicht der halbfaschistischen Regierung in Italien. Auch im „liberalen“ Schweden hat der zuständige Minister kategorisch festgestellt: Es wurde nicht auf Demonstranten geschossen, sondern auf Kriminelle, und Europas Staatschefs waren sich einig: es muß hart durchgegriffen werden.

 

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Stoiber und Schily und Schröder und Fischer den „militanten Extremisten“ des antikapitalistischen Teils der globalisierungskritischen Bewegung den Terrorismusaufkleber an die Stirn heften, um ihn als Zielscheibe zu benutzen - nicht nur für Gasgranaten und Gummiknüppel wie bisher, sondern vielleicht demnächst auch für Pistolenkugeln. Diese politischen Morde werden dann auch kein Terrorismus sein, sondern lediglich die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

 

Wir verstehen uns als Teil dieser Bewegung, die auf diese Weise kriminalisiert wird. Wir sind nicht das, was heute politikfähig genannt wird. Wir fordern keine Steuer auf internationale Kapitaltransaktionen. Wir wollen überhaupt kein Konkurrenzsystem, in dem der Mensch des Menschen Wolf ist. Wir wollen überhaupt keine Volksvertreter, die im Namen der Menschenrechte Machtpolitik betreiben und Menschen töten. Und wir wollen auch keine Einteilung der Menschen nach ihrer Herkunft in Deutsche und Ausländer. Wir wollen Freiheit von Herrschaft, Selbstbestimmung und direkte Demokratie. Kein Volk, kein Staat, kein Vaterland. Für eine Welt, in der viele Welten Platz haben.

 

 

 

Aachen, 22. Oktober 2001

Gruppe Behubelni (Beißende Hunde bellen nicht)