Total liberal - Die Welthandelsorganisation
und die Liberalisierung von Dienstleistungen

 

 

Relevanz des General Agreement on Trade in Services (GATS)

Die Dienstleistungen werden innerhalb der World Trade Organisation (WTO) durch das General Agreement on Trade in Services (GATS) geregelt. GATS ist einer der drei zentralen Verträge. Das Abkommen wurde erst in der Uruguay-Runde geschlossen; die Entwicklungsländer wollten es nicht. Mit dem GATS werden Dienstleistungen neu in das Gefüge der WTO eingefügt. Die Liberalisierung war nicht umfassend, aber es wurden weitere Verhandlungen vereinbart: GATS gehört damit zur sogenannten eingebauten Agenda (Built In Agenda), die Verhandlungen laufen seit Anfang 2000, unabhängig vom Scheitern der WTO-Konferenz in Seattle. Dem GATS ist das kontinuierliche und dynamische Weitertreiben der Liberalisierung inhärent.

Die aktuellen Verhandlungen sind von großer Relevanz:

-   Dienstleistungen betreffen volkswirtschaftliche Schlüsselbereiche und Querschnitts­funktionen (wie Finanz- oder Telekommunikationsdienstleistungen)

-   GATS erfaßt gesellschaftliche Basisdienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Wasser oder auch audiovisuelle Medien.

-   GATS hat eine gesellschaftspolitische Reichweite und Eingriffstiefe in innerstaatliche Regulierung, die nicht mit dem Güterhandel vergleichbar ist.

 

GATS ist damit relevant für grundlegende soziale Dienstleistungen, ökologische und entwicklungs­politische Fragen. Die Verhandlungen sind wichtig und umstritten. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen machen auf das Thema aufmerksam, auch die Gewerkschaften sind aktiv. Auf der anderen Seite drängen Industrieländer und vor allem die Wirtschaftlobbies wie das European Services Forum auf weitere Liberalisierungen der internationalen Dienstleistungshandels.

 

 

Dienstleistungen und ihr Handel

Es ist nicht einfach, Dienstleistungen klar zu definieren. Als klassische Kriterien für Dienstleistungen gelten unter anderem:

·        Gleichzeitigkeit von Konsum und Produktion

·        mangelnde Transport- und Lagerfähigkeit

·        Immaterialität

·        hoher Anteil an Human- und geringer Anteil an Sachkapital.

Allerdings lassen sich immer auch Gegenbeispiele für diese Kriterien finden. Moderne Dienstleistungen wie Finanz- oder Telekommunikationsdienstleistungen lassen sich ohne Probleme rund um den Globus handeln und sie zeichnen sich durch eine hohe Kapital­intensität aus.

Die WTO ging deshalb einen anderen Weg und listete schlicht und einfach auf, welche Bereiche als Dienstleistungen erfaßt werden sollen. Diese Klassifikation besteht aus zwölf Hauptkategorien und weiteren Unterteilungen:

1. Unternehmerische und berufsbezogene Dienstleistungen

2. Kommunikationsdienstleistungen

3. Bau- und Montagedienstleistungen

4. Vertriebsdienstleistungen

5. Bildungsdienstleistungen

6. Umweltdienstleistungen

7. Finanzdienstleistungen

8. Medizinische und Soziale Dienstleistungen

9. Tourismus und Reisedienstleistungen

10.Erholung, Kultur und Sport

11.Transportdienstleistungen

12.Sonstige nicht aufgeführte Dienstleistungen

 

Unter das GATS fallen also volkswirtschaftliche Schlüsselbereiche und Querschnitts­funk­tionen (wie Finanz- oder Telekommunikationsdienstleistungen) und gesellschaftliche Basisdienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und audiovisuelle Medien. Die Klassifikation ist dabei immer wieder Teil der Verhandlungen: so will die EU in den aktuellen Verhandlungen die Wasserversorgung als Umweltdienstleistung in GATS integrieren.

 

Volkswirtschaftliche Rolle der Dienstleistungen

Der Anteil der Dienstleistungen an den Volkswirtschaften wächst. In Deutschland wuchs der Anteil der Dienstleistungen an der Volkswirtschaft von 41 Prozent im Jahre 1960 auf 65 Prozent im Jahre 1995. Auch in anderen Ländern spielen Dienstleistungen eine große Rolle (Daten von 1999):

 

Hongkong

85 % des Bruttoinlandprodukts

USA

71

Argentinien

56

Indien

45

Nigeria

27

 

Der internationale Dienstleistungshandel

Auch der Dienstleistungshandel wächst: von von 1990 bis 1997 um 8% jährlich (im Vergleich der Handel mit Waren wuchs jährlich um 7%). Dabei sind zwei Eigenheiten zu beachten: Erstens ist sind die Anteile am globalen Dienstleistungshandel sehr unterschiedlich verteilt. Zweitens gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem Handel und dem Anteil der Dienstleistungen am gesamten Weltsozialprodukt.

 

Anteile an den weltweiten Dienstleistungsexporten

Die "Industriestaaten" dominieren auch den Dienstleistungssektor. Der größte Dienstleistungsexporteur ist die EU, gefolgt von den USA. Für die USA ist dabei wichtig, daß sie im Dienstleistungssektor einen Handelsüberschuß erzielen (Daten von 1999):

 

EU

42% der weltweiten DL-Exporte

USA

18,8%

Asien

20%

Lateinamerika

4%

 

Argentinien hat in Analyse für die Verhandlungen 2001 festgestellt, daß sich der Anteil der 17 führenden Entwicklungsländer am Dienstleistungshandel sich seit 1994 nicht vergrößert hat: von 17,75% sank er leicht auf 17,37% (1999). Der Dienstleistungshandel der Entwicklungsländer konzentriert sich auf Reise und Transport. Der Anteil dieser Sektoren am Gesamthandel ist aber rückläufig.[1] 

 

Kluft zwischen dem Handel mit Dienstleistungen und ihrer nationalen Bedeutung

Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem Handel mit Dienstleistungen und ihrem Anteil am gesamten Weltsozialprodukt: Während der Dienstleistungen 1999 schätzungsweise 65 % des Weltsozialprodukts ausmachten, entfallen auf den Handel mit Dienstleistungen nur 20% des Welthandels.

In dieser niedrigen Zahl spiegeln sich statistische Probleme beim Dienstleistungshandel wider, aber auch die Umstände, dass viele Dienstleistungen stärkeren regulativen Beschränkungen als Güter unterliegen oder nicht grenzüberschreitend handelbar sind.

Allerdings trifft für viele Dienstleistungen zunehmend nicht mehr zu, dass sie nicht grenzüberschreitend gehandelt werden können. Der technische Fortschritt v.a. im IT- und Kommunikationsbereich ermöglicht, dass viele Dienstleistungen inzwischen global gehandelt werden können (z.B. Finanz- oder Beratungsdienstleistungen, E-Commerce).

Die stärkere regulative Beschränkung liegt zum einen an der gesellschaftspolitischen Bedeutung vieler Dienstleistungssektoren und ihrer oft staatlichen Ausführung, wie bei Bildung oder Gesundheit. Zum anderen liegt sie aber am Charakter der Dienstleistung selbst: durch ihren "flüchtigen" Charakter lassen sich Dienstleistungen meist nicht wie Produkte definieren, sondern erfordern eine Prozessregulierung. Eine Operation im Krankenhaus kann nicht wie ein Produkt genormt und reguliert werden; stattdessen muß die Ausbildung und Zulassung der Ärzte reguliert werden.

Die laufenden GATS-Verhandlungen sollen nun diese Diskrepanz verringern und den Dienstleistungshandel fördern. Die Liberalisierung soll vorangetrieben werden, innerstaatliche Regulierung klaren Regeln unterworfen werden.

 

 

 

Grundstrukturen des GATS

Im Kern entspricht das GATS der klassischen Freihandelsdoktrin. Die wichtigsten Grundprinzipien sind die Meistbegünstigungsklausel, das Nichtdiskriminierungsgebot (die sog. Inländerbehandlung) und der freie Marktzugang.

Die Meistbegünstigungsklausel besagt, dass die Zugeständnisse, die ein Vertragsstaat einem anderen einräumt, auch allen anderen Staaten zugestanden werden müssen. Die Regel wirkt durch ihre Verbreiterung von Vergünstigungen wie ein automatischer Verstärker von Liberalisierungen. Das Nichtdiskriminierungsgebot bedeutet die Verpflichtung zur Gleichbehandlung ausländischer Unternehmen mit den inländischen Konkurrenten. Die Gewährung von Marktzugang in einem Sektor ist gleichbedeutend mit der Abschaffung von Handelshemmnissen.

Anders als im GATT gelten die Prinzipien des Marktzugangs und der Inländerbehandlung aber nicht für alle Dienstleistungen gleichermaßen. GATS folgt einem Positivlistenansatz: jedes Land stellt Listen auf, die für die verschiedenen Sektoren einzeln festlegen, ob Marktzugang und Inländerbehandlung gewährt werden. Dabei können auch Ausnahmen festgelegt werden – allerdings ist das mittel- bis langfristige Ziel des GATS, die Geltung der Freihandelsprinzipien immer weiter auszudehnen und die Ausnahmen immer weiter zu reduzieren.

Eine weitere Eigenheit des GATS ist die Unterscheidung von vier Handelsarten (Modes):

1)   Grenzüberschreitender Handel (cross border supply): Analog zum Warenhandel verbleiben Anbieter und Konsument in ihrem Land; die Dienstleistung wird im Land des Konsumenten genutzt. Dazu zählt u.a. jeder Tausch über internationale Kommunikationsnetze (wie telefonische Beratung, elektronische Nachrichten oder Unterhaltung).

2)   Konsum im Ausland (consumption abroad): In diesem Fall bewegt sich der Konsument zeitweilig in das Land des Anbieters. Hierzu zählt wesentlich der Tourismus, aber auch die Nutzung von Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern oder Flughäfen.

3)   Kommerzielle Präsenz (commercial presence): Die Dienstleistung wird vom Anbieter im Land des Konsumenten erbracht. Dies geschieht seitens des Anbieters durch die Gründung von Tochtergesellschaften, die Errichtung von Niederlassungen oder den Kauf von Beteiligungen im Ausland. An dieser Stelle geht es also um die Liberalisierung von Investitionen.

4)   Grenzüberschreitender Verkehr natürlicher Personen (Presence of natural persons): Hier kommen die Dienstleister zeitweise in das betreffende Land und erbringen dort die Dienstleistung vor Ort. Dies können ausländische Baufirmen mit ihren Arbeitern sein, aber auch der Transfer von firmeninternen Führungs- und Fachkräften.

 

GATS geht mit diesen vier Handelsarten – vor allem mit den brisanten Modes 3 und 4 – weit über den Handelsbegriff hinaus, wie man ihn aus dem Gütersektor kennt.

Nach diesen Handelsarten und nach Sektoren gliedern sich dann die konkreten Liberalisierungsverpflichtungen der Länder. Je nach Sektor sind eine unterschiedliche Zahl von Ländern Verpflichtungen eingegangen. Die Wettbewerbsvorteile der Industrieländer in einer großen Anzahl von Sektoren führte dazu, dass sie auch insgesamt eine größere Anzahl an Verpflichtungen eingegangen sind als die Entwicklungsländer. Die für die Entwicklungsländer interessanten Sektoren wie die temporäre Migration nicht hochqualifizierter Personen wurden jedoch weitestgehend ausgespart. Die meisten Verpflichtungen gibt es bisher im Tourismussektor, die wenigsten bislang bei Bildung und Gesundheit. Die neuen Verhandlungen sollen nun die Verpflichtungen ausweiten.

 

Weitere relevante Regeln

GATS enthält weitere Regeln, die hier nicht alle dargestellt werden können. Nur zwei Bereiche sollen kurz dargestellt werden: die innerstaatliche Regulierung (Domestic Regulation) und die Förderung von Entwicklungsländern.

GATS fordert, dass innerstaatliche Regulierung den Handel nicht unnötig behindern darf. Die Regulierung müsse vernünftig, objektiv und unparteiisch sein. Brisant ist der Auftrag, die WTO solle Disziplinen für die staatliche Regulierung entwickeln. Dies gilt für Qualifikationsanforderungen, technische Standards und Lizenzregeln. Diese Disziplinen gehören zu den brisantesten Verhandlungspunkten (s. unten unter Probleme).

Falls innerstaatliche Regeln dem nicht gerecht werden, können sie vor dem WTO-Schiedsgericht angegriffen werden. Das GATS greift dabei weit aus: es gilt erstens für alle staatlichen Ebenen, auch Regeln, die auf kommunaler Ebene getroffen werden; zweitens erfaßt es alle Maßnahmen, die den Handel mit Dienstleistungen beeinflussen. Regulierungen, die sich auf Güter richten, können also auch angegriffen werden, wenn sie auch den Dienstleistungshandel betreffen (z.B. Standards für Motoren, wenn sie den Handel mit Transportdienstleistungen beeinflussen).

GATS sieht aber gewisse Ausnahmen vor, beispielsweise für den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier oder den Schutz der öffentlichen Sicherheit. Allerdings sollen die Ausnahmen eng interpretiert werden. In anderen Verträgen der WTO haben sich die Ausnahmen bisher als nicht ausreichend erwiesen.

Die Sonderregeln für Entwicklungsländer fallen im GATS mager aus. So sollen Sektoren besonders geöffnet werden, die für Entwicklungsländer von besonderem Interesse sind. Diese "Soll-Bestimmung" hat aber keine Wirkung, wie die bisherigen Verhandlungen zeigen. Industrieländern sollen Kontaktpunkte für Unternehmen aus Entwicklungsländer einrichten, der Zugang für Entwicklungsländer zu Technologie soll gefördert werden - aber auf kommerzieller Basis! Das alles ist kaum der Rede wert.

 

 

 

Probleme

1 Ökonomisierung/ Dominanz des Nordens

Die Liberalisierung des Dienstleistungssektors unterwirft zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche der Freihandelsdoktrin. Die Gesellschaft wird immer stärker ökonomisiert. Die GATS-Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels mit Dienstleistungen finden im Rahmen grundlegender Asymmetrien zwischen den beteiligten Staaten statt. Der Norden dominiert dabei sowohl die Märkte als auch die Verhandlungen. Die Industrieländer verfügen über genug Kapazität für große Delegationen, viele Verhandlungsvorschläge und die genaue Analyse ihrer Interessen. Sie gestalten damit die Verhandlungen in ihrem Interesse. Viele Entwicklungsländer mit kleinen Delegationen sind dazu nicht in der Lage. Sie haben große Schwierigkeiten, die in ihrem Interesse zu liberalisierenden Sektoren und möglichen Nachteilen in anderen Sektoren zu identifizieren.

 

2 Undemokratische Verhandlungen

GATS-Verhandlungen genügen wie die WTO insgesamt nicht modernen demokratischen Ansprüchen. Viele Absprachen werden hinter verschlossenen Türen getroffen, z.B. unter den USA, der EU, Japan und Kanada (der sogenannten Quad). Es fehlt jegliche parlamentarische Kontrolle. Dies gilt einerseits für die Verhandlungen innerhalb der EU, als auch für die Vorbereitung und Positionsfindung in der EU und in Deutschland. Weder Europaparlament noch Bundestag haben bei den GATS-Verhandlungen echten Einfluß. Die Verhandlungen werden von der EU-Kommission und den nationalen Ministerien wie dem Bundeswirtschaftsministerium geführt. Ein besonderes Problem ist die fehlende Beteiligung der Kommunen, da GATS auch Eingriffe auf lokaler Ebene erfaßt.

 

3 Privatisierung

Die Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit oder Wasserversorgung gehört zu den größten Gefahren der laufenden Verhandlungen. In den letzten Monaten wurde international kontrovers diskutiert, ob öffentliche Dienstleistungen vom GATS erfaßt werden oder nicht. GATS nimmt nach Art. I.3 staatliche Dienstleistungen nur aus, wenn sie nicht auf kommerzieller Basis und nicht im Wettbewerb zu anderen Anbietern geleistet werden. Für viele öffentliche Dienstleistungen, z.B. im Gesundheits- oder Bildungssystem, gilt dies bereits nicht mehr. Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen sind bereits in der GATS-Klassifikation. Angesichts dieser Tatsache und der offensichtlichen Liberalisierungsinteressen bei Gesundheit und Bildung, kann man nicht von einer wirkungsvollen Ausnahmeregel ausgehen. Nichtregierungsorganisation forderten eine Ausnahme öffentlicher Dienstleistungen aus den Verhandlungen; dies wurde von der EU und anderen Staaten aber abgelehnt.

Bildung und Gesundheit sind besonders brisante Bereiche mit bislang geringen Liberalisierungen. Wirtschaftliche Interessengruppen wie die amerikanische Coalition of Services Industries drängt aber auf Liberalisierungen. Die USA haben ein Dokument zu höherer Bildung erarbeitet, das mögliche Handelshemmnisse im Bildungsbereich aufzählt. Genannt werden u.a. fehlender Marktzugang, schleppende Zulassung, verpflichtende Zusammenarbeit mit lokalen Partnern und undurchsichtige Subventionen. Das US-Papier liefert so Indizien für mögliche Verhandlungsfelder. Neuerdings hat auch Neuseeland einen Verhandlungsvorschlag zu Bildung vorgelegt. Bildung- und Gesundheitssyteme könnten zudem durch neue Regeln für staatliche Regulierung unter Druck geraten (s. unten).

Die Liberalisierung der Wasserversorgung als weiterer Basisdienstleistung wird besonders von der EU und den europäischen Wasserkonzernen wie Suez vorangetrieben. Die EU möchte die Wasserversorgung in einer neuen Klassifikation der Umweltdienstleistungen unterbringen. NROs wehren sich vehement gegen diese Pläne und fordern, daß Wasser ganz aus GATS ausgeklammert wird.

Für audiovisuelle Dienstleistungen wie Fernsehen oder Hörfunk wollen die USA neue Liberalisierungsverpflichtungen erreichen und eine Überprüfung der Subventionen in diesem Sektor.

Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen würde aus Gesundheit, Sozialsystemen, Bildung und Kultur eine bloße Ware machen; dies käme vor allem denjenigen zu gute, die sie sich (in hoher Qualität) leisten können. Ländliche Bereiche oder sozial schwache Gruppen der Gesellschaft sind dagegen für profitorientierte Konzerne meist uninteressant und werden vernachlässigt. Die privaten Konzerne konzentrieren sich auf einkommens­starke Konsumentengruppen.

 

4 Deregulierung

Die innerstaatliche Regulierung (Domestic Regulation) im Dienstleistungssektor ist einer der zentralen Themen der Verhandlungen. Es hat sich eine heftige öffentliche Auseinandersetzung um die Frage entwickelt, ob und in welchem Maße GATS die Regulierungskompetenz der Nationalstaaten einschränkt.

Kern der Debatte ist der sogenannte Necessity Test (Notwendigkeitstest). Dieser beinhaltet ein die allgemeinen Regel, daß Regulierungen den Handel nicht mehr behindern sollen als notwendig. Die zweite Komponente ist die fallweise Überprüfung einzelner Regulierungen durch den Streitschlichtungsmechanismus. Eine handelsbehindernde Maßnahme könne nur dann als notwendig betrachtet werden, wenn es keine handelsfreundlichere Alternative gibt, die voraussichtlich den Zweck genauso erfüllt.

Damit würden staatliche Maßnahmen, die den Dienstleistungshandel einschränken, vor dem WTO-Schiedsgericht angegriffen werden. Die angegriffenen Staaten könnten sich zwar auf Ausnahmen berufen, dass die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier oder ähnliches notwendig sei. Die Canadian Environmental Law Association weist aber in einem Memo daraufhin, daß in elf WTO-Streitfällen im Güterbereich bisher ein Notwendigkeitstest angewandt wurde. In zehn von elf Fällen hatte die angegriffene Regulierungsmaßnahme trotz Rückgriff auf Ausnahmeregeln keinen Bestand, u.a. bei den Streitfällen um Thunfisch und Hormonfleisch. Dies zeigt die gefährlichen Tendenzen der GATS-Verhandlungen zur innerstaatlichen Regulierung: sie laufen auf den Abbau staatlicher Regulierung hinaus.

Dies zeigt sich auch in einem Vorschlag Australiens: Danach soll jede Regulierungsmaßnahme ein "Regulatory Impact Statement" erfordern: dieses enthält u.a. die Ziele, die Handlungsoptionen und eine Abschätzung der Auswirkungen für Verbraucher, Wirtschaft und Regierung. Dabei fehlt jeder Hinweis darauf, ob und wie in der Folgenabschätzung auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden sollen. Das Papier betont außerdem, daß freiwillige Ansätze Vorrang vor regulativen Maßnahmen haben sollten.

Ein informelles Papier des WTO-Sekretariat diskutiert, welche politischen Ziele - über die Ausnahmen des Art. XIV hinaus - generell als legitim betrachtet werden können. "Öffent­liches Interesse" sei von den WTO-Mitgliedern als zu breit abgelehnt worden. Verbraucherschutz und Qualitätssicherung seien die Ziele, die am ehesten horizontal angewendet werden können. Das Sekretariat weist dabei in einer Fußnote daraufhin, daß Verbraucherschutz ein sehr breiter Begriff sei und möglicherweise zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden könnte. Dieser Hinweis zeigt, aus welcher Perspektive das Sekretariat das Thema betrachtet: Regulierung steht unter Generalverdacht.

Obwohl die EU die Bemühungen um neue Regeln für innerstaatliche Regulierung unterstützt, nimmt sie neuerdings an einigen Stellen eine defensive Haltung ein. Die Verhandlungen dürften nicht zu einem unberechenbaren Mandat für Streitschlichtungs­verfahren führen.

Zu den direkten Einschränkungen des GATS kommt noch die indirekten Auswirkungen der Liberalisierung. Der ansteigende internationale Konkurrenzdruck und Standortwettbewerb fördert den Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und Umweltstandards, weil so Kosten der Unternehmen zu Lasten der Gesellschaft gesenkt werden können.

 

5 Umweltfolgen

GATS droht die regulativen Möglichkeiten der Umweltpolitik zu beschränken. Dazu kommen direkte Umweltauswirkungen durch Liberalisierung, z.B. im Transportsektor. Diese ökologischen Auswirkungen sind bislang weitgehend ungeklärt. Erst in letzter Zeit kommt etwas Bewegung in diesen Bereich. So hat sich die OECD des Themas angenommen und erste Vorüberlegungen dazu veröffentlicht (Services Trade Liberalization: Assessing the Environmental Effects. 2000). Die OECD unterscheidet zwischen Dienstleistungen, bei denen einzelne Anlagen allein einen großen negativen Effekt auf die Umwelt haben, und Dienstleistungen, die in ihrer Gesamtheit kumulativ problematisch sind. Zu den ersteren gehören Energieversorgung, Kurierdienstleistungen, Fluglinien und Krankenhäuser. Bei den kumulativen Dienstleistungen nennt die OECD u.a. Tankstellen, Fastfood-Ketten oder Hotels. Die OECD führt eine Vielzahl direkter und indirekter ökologischer Effekte an, sowohl positiver als auch negativer Art. Dazu zählen Ressourcenverbrauch, Luftverschmutzung oder Kontamination durch Chemikalien. In Vorträgen redet die OECD leider undifferenzierter von Win-Win-Situationen als in ihren ersten Dokumenten.

Der WWF hat ein Diskussionspapier zu den Auswirkungen der Liberalisierung im Tourismussektor am Beispiel der Türkei vorgelegt. Liberalisierung kann danach positive und negative Effekte haben, abhängig von der vorhandenen Infrastruktur, den Regulierungen und Institutionen. WWF betont, daß das Diskussionspapier nur eine vorläufige Analyse sein kann, da bisher zu wenig Forschung und Daten vorliegen.

Auch das deutsche Forum Umwelt und Entwicklung arbeitet zusammen mit dem Center for International Environmental Law an diesem Thema und wird demnächst eine Studie vorlegen.

 

6 Investitionen

Mit der Handelsart 3 (kommerzielle Präsenz) erfaßt GATS auch Investitionen. Die WTO spricht deshalb vom ersten multilateralen Abkommen über Investitionen. In den laufenden Verhandlungen sollen Staaten weitere Verpflichtungen für Investitionen übernehmen: zum Beispiel sollen Obergrenzen bei finanziellen Beteiligungen abgeschafft werden, die Wahl der Rechtsform nicht eingeschränkt sein.

Es gibt deshalb eine Debatte, ob durch die GATS-Verhandlungen versucht wird, das des 1998 in der OECD gescheiterten Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) durch die Hintertür einzuführen. Der Grundgedanke des MAI war es, die Rechte von Investoren über alles zu stellen. Dazu gehörte die Beseitigung entwicklungspolitischer Steuerungsmittel wie Kapitalverkehrskontrollen, Auflagen wie der verpflichtenden Nutzung eines Anteils an lokalen Vorprodukten, Auflagen über die legale Form von Investitionen und Beschränkungen der Inländerbehandlung, z.B. bei der öffentlichen Auftragsvergabe.

Die GATS-Verhandlungen werden wohl nicht so weit gehen. Zunächst geht es um die Ausweitung der Liberalisierung von Investitionen, ob neue Regeln dafür geschaffen werden, ist noch offen. Das Ziel der EU ist beispielsweise immer noch ein eigenständiges Investitionsabkommen in der WTO. Die Relevanz der GATS-Verhandlungen für Investitionen hängt also davon ab, ob eine mögliche neue Runde nach der Ministerkonferenz in Katar Investitionen als eigenes Thema enthält. Allerdings müssen auch die GATS-Verhandlungen genau im Auge behalten werden. Denn nach Ansicht der OECD-Mitarbeiter Sauvé und Wilkie hat das GATS von allen WTO-Abkommen das größte Potential, bestehende investitionsbezogene Regeln zu erweitern und ein fortschreitend höheres Niveau an Investitionsschutz und –liberalisierung zu erreichen.

 

7 Mode 4: Debatte um GATS-Visa

Viele Entwicklungsländer haben ein besonderes Interesse an Liberalisierung des "grenzüberschreitenden Verkehrs natürlicher Personen". Sie rechnen sich aufgrund billiger Arbeitskräfte Marktchancen aus. Indien hat einen horizontalen Vorschlag zu Mode 4 vorgelegt. Indien fordert in seinem Papier die Erleichterung dieser temporären Arbeitsmigration und regt die Schaffung von "GATS-Visa" für kurzfristige Arbeitsaufenthalte an.

Allerdings wurde bereits deutlich, daß der Widerstand der europäischen Regierungen gegen diese Vorschläge groß ist. Auch die europäischen Gewerkschaften wehren sich dagegen. Die Industrie will nur eine Liberalisierung für leitendes Personal, weil dies bei der Eröffnung neuer Niederlassungen braucht (Verknüpfung zu Investitionen).

 

 

 

Verhandlungen und Interessenlagen

Verhandlungsstand

Die Verhandlungen laufen trotz aller Probleme und aller öffentlichen Kritik weiter. Ende März 2001 wurde die erste Phase der (Vor-)Verhandlungen abgeschlossen und Verhaltensrichtlinien für die Verhandlungen über konkrete Liberalisierungspflichten beschlossen.

Die Verhandlungen sollen vor allem sektorweise geführt werden. Andere Verhandlungsmittel wie Cluster, die mehrere Sektoren bündeln, bleiben aber möglich. Nichtregierungsorganisationen (NRO) kritisieren dies, da Cluster eine schnellere, unbedachtere Liberalisierung fördern kann. Kein Sektor wird von vornherein von den Verhandlungen ausgenommen; dies hatten NRO für grundlegende öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit oder Wasser verlangt. Die Entwicklungsländer konnten an einigen Punkten durch abgestimmtes Verhalten ihre Position durchsetzen: Die endgültige Fassung der Richtlinien hebt an mehreren Stellen die besondere Flexibilität für die Entwicklungsländer hervor.

Die Industrieländer sind mit den Richtlinien und ihrem Aushandlungsprozeß nicht zufrieden. Stimmen aus der EU-Kommission stellen nun die praktische Relevanz der Richtlinien in Frage und sprechen davon, daß es mehr um Vertrauensbildung gegangen sei.

Es gibt inzwischen eine große Anzahl von Vorlagen zu einzelnen Sektoren, u.a. zu Finanzdienstleistungen, Bildungsdienstleistungen, Handel, Vertrieb, Tourismus und Energie- und Umweltdienstleistungen. Die meisten Vorlagen stammen bislang von Industrieländern, v.a. Australien, EU, Kanada und USA. Sie finden sich alle auf der WTO-Webseite (unter www.wto.org/english/tratop_e/serv_e/s_propnewnegs_e.htm).

Die GATS-Verhandlungen hängen nicht direkt an der Verabschiedung einer neuen Runde bei der WTO-Ministerkonferenz in Doha im November 2001. Allerdings könnte eine neue Runde die Möglichkeit von Kompromissen zwischen verschiedenen Themen erleichtern. Außerdem legt die Ministerkonferenz möglicherweise einen festen Zeitplan für die weiteren Verhandlungen vor und beschleunigt die Verhandlungen so weiter.

 

Analyse des Dienstleistungshandels fehlt weiterhin

Bei Verhandlungen wurde eines bisher an den Rand gedrängt: die Untersuchung der Auswirkungen der Liberalisierung. GATS fordert vor jeder neuen Verhandlungsrunde eigentlich eine Analyse des Dienstleistungshandel und der Auswirkungen der Liberalisierung. Dies ist bis jetzt nicht erfolgt und soll nach den beschlossenen Verhandlungsrichtlinien nur begleitend durchgeführt werden. Allerdings wäre eine solche Abschätzung dringend nötig.

 

Interessenlagen im Überblick

Die USA treten für eine starke Liberalisierung in ausgewählten Sektoren ein; sie äußern auch Interesse an den Gesundheits- und Bildungssektoren. Besonders wichtig ist den USA, den EU-Markt für audiovisuelle Dienstleistungen wie Film und Fernsehen zu knacken. Auch die für den E-Commerce wichtigen Sektoren stehen hoch auf der Agenda.

Die Europäische Union tritt ebenfalls für starke Liberalisierung im Dienstleistungsbereich ein. Diese solle aber in eine neue umfassende WTO-Runde eingebettet werden. Etwas vorsichtiger ist die EU bei öffentlichen Dienstleistungen: sie möchte im Bildungs- und Gesundheitssektor das europäische Modell erhalten. Gleichzeitig formuliert sie aber aggressive Liberalisierungsforderungen an andere Länder und drängt auf die Aufnahme der Wasserversorgung in GATS. Der einzige Bereich, den sie definitiv schützen will, ist der audiovisuelle Sektor.

Die Entwicklungsländer treten in verschiedenen Gruppierungen auf. Es gibt aber einige Punkte, an denen sich die meisten Entwicklungsländer treffen: sie wollen weniger Liberalisierung als die Industrienationen und eine größere Rolle des Staates. Es gibt aber durchaus bei einigen Entwicklungsländern Hoffnung auf Marktchancen im Dienstleistungsbereich. Besonderes Interesse haben eine Reihe von Entwicklungsländern an der Liberalisierung von Mode 4. Insgesamt haben die Entwicklungsländer bislang weniger sektorspezifische Verhandlungsvorschläge gemacht. Sie waren  aktiver bei Debatte um die Verhandlungsrichtlinien.

 

Eine hitzige Debatte

Nicht zuletzt die möglichen Gefahren für die staatliche Regulierung heizen die internationale Diskussion um GATS an. Von verschiedenen Seiten wurden Vorwürfe laut, daß GATS die Demokratie unterlaufe. Denn letztlich entscheide ein Schiedsgericht an Stelle nationaler Parlamente über die Gültigkeit der staatlichen Regeln.

Angesichts der Vorwürfe und stärker werdenden NRO-Kampagnen hat sich das WTO-Sekretariat zu einem ungewöhnlichen Schritt entschieden: im Vorfeld einer Protestaktion in Genf verteilte es ein Papier an Journalisten mit dem Titel "Facts and Fiction". Im aggressiven Ton wirft die WTO den GATS-Kritikern Mißverständnisse und Verzerrungen vor. Sie versucht zugleich, überaus formalistisch und ohne Bezug auf Macht- und Interessenlagen in Genf, die Kritik der NROs zu widerlegen. (Das Papier und kritische Anmerkungen dazu finden sich unter www.gatswatch.org).

Das Papier hat verschiedene Nachahmer gefunden. So hat das englische Department of Trade and Industry Briefe mit einer angepaßten "Facts and Fiction"-Version an die englischen Abgeordneten gesandt. Von Seiten der Industrie hat International Financial Services, London, eine ähnliche NRO-Kritik auf ihre Webseite gestellt (www.ifsl.org.uk). Die Lobbygruppe vertritt die Interessen der Londoner Finanzwelt; bezeichnenderweise wird ihre Arbeitsgruppe zur Dienstleistungsliberalisierung seit Februar 2001 vom ehemaligen EU-Handelskommissar Leon Brittan geleitet.

"Facts and Fiction" ist ein Beispiel für eine neue Strategie gegen NROs. Edelman Public Relations Worldwide hat sich nach Seattle besonders dieses Themas angenommen. Die Agentur rät Unternehmen und Regierungen, offensiv gegen NRO-Kritik vorzugehen. Offensichtlich findet dieser Ansatz inzwischen Widerhall.

Andererseits zeigt Facts and Fiction auch den öffentlichen Druck und die Verunsicherung der WTO. In der zweiten Verhandlungsphase wird sich die Auseinandersetzung vermutlich weiter verschärfen. In Deutschland steckt die Diskussion um GATS leider noch in den Kinderschuhen – allerdings melden sich die Kritiker inzwischen lauter zu Wort.

 

 



[1] WTO 2001: Communication from Argentina:  Assessment of Trade in Services: the Participation of Developing Countries (S/CSS/W/44).