Aussageverweigerung
Beugehaft

Interview mit Rechtsanwältin Waltraud Verleih

Radio Steffi führte Mitte Juli mit Rechtsanwältin Waltraud Verleih (Frankfurt/Main) ein Interview zu den Themen Beugehaft und Auskunftsverweigerungsrecht für ZeugInnen in Ermittlungsverfahren. Waltraud Verleih ist Verteidigerin von Ulf B. aus Bremen, der am 4.Juli zu fünf Monaten Beugehaft verurteilt wurde, weil er als Zeuge die Aussage im 'radikal-Verfahren' insbesondere gegen einen Freund und Genossen, verweigerte.

FRAGE: Was ist der eigentliche Sinn von Erzwingungs-/Beugehaft?

ANTWORT: Vom Gesetzeswortlaut her ist das unstreitig. Es geht darum, ZeugInnen, die kein Recht haben, Angaben zu verweigern, zu 'zwingen', Angaben zu machen und ihren in der Aussageverweigerung dokumentierten Willen, die Mitarbeit bei Ermittlungshandlungen zu verweigern, zu 'beugen'. Vereinfacht ausgedrückt, Druck auf Zeugen auszuüben, auszusagen. Beugehaft, im Gesetz Erzwingungshaft genannt, wird vom zuständigen Ermittlungsrichter verhängt, wenn Zeugen unberechtigt Fragen, die seitens der Staatsanwaltschaft oder durch den Richter gestellt werden, verweigern (§ 70 II Strafprozeßordnung/StPO).

FRAGE: Gibt es noch andere Maßnahmen, um eine Zeugenaussage zu erzwingen?

ANTWORT: Ja, das sog. Ordnungsgeld zur Erzwingung einer Aussage. Das Ordnungsgeld kann vom vernehmenden Staatsanwalt verfügt werden oder auch durch den Richter. Wenn das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, kann ersatzweise (Ordnungs-)Haft verkündet werden. Die Ordnungshaft für nicht beigetriebene Ordnungsgelder wird nicht auf die Erzwingungshaft zur Erlangung der Aussage angerechnet.

FRAGE: Die maximale Erzwingungs-/Beugehaft beträgt ja sechs Monate. Kann sie unter irgendwelchen Umständen noch verlängert werden, z.B. wenn man auf einzelne Fragen die Antwort verweigert, anstatt zum gesamten Komplex?

ANTWORT: Nein. Sechs Monate Erzwingungshaft sind die gesetzliche Obergrenze, und zwar für Aussagen in einem ganz bestimmten Verfahrenskomplex. Wenn bspw. eine Zeugin oder ein Zeuge erst zu einem und dann zum nächsten Komplex Angaben machen soll und auch für den nächsten Komplex die Angaben verweigert, so darf die Erzwingungshaft zwar mehrmals verhängt werden, sie darf aber die Obergrenze von sechs Monaten für das gesamte Ermittlungsverfahren, in dem die Zeugin/der Zeuge Aussagen machen soll, nicht übersteigen.
Das Ordnungsgeld zur Erzwingung von Angaben darf nur einmal verhängt werden. Im 'radikal-Verfahren' hat der Richter im Übereifer wegen der Aussageverweigerung neben der Beugehaft von fünf Monaten ein Ordnungsgeld von 800 Mark, ersatzweise 30 Tage Ordnungshaft, verkündet. Das Ordnungsgeld mußte er zurücknehmen, da der Betroffene bereits bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung für die Aussageverweigerung mit einem Ordnungsgeld von 500 Mark belegt worden war. Der Übereifer des Richters war angeblich durch das Verhalten des Betroffenen provoziert, der zur Vernehmung mit Gepäck, insbesondere Lesematerial, erschien. Damit dieses Material vom Ermittlungsrichter gleich gesichtet und ihm dann auch in der Vollzugsanstalt übergeben werden kann, da ansonsten alle Lesematerialien von der Anstalt erst wieder zum Richter geschickt werden und dann wieder in die Anstalt zurück, was ewig dauert. Diese durchaus umsichtige Maßnahme hat den Ermittlungsrichter so brüskiert, daß er auch die Höhe der Erzwingungshaft, die in diesem konkreten Fall verhängt wurde, fünf Monate, damit begründete.

FRAGE: Bedeutet Erzwingungs-/Beugehaft besondere Haftbedingungen?

ANTWORT: Für den Vollzug der Erzwingungshaft gelten die Bestimmungen des Strafvollzugsrechts, d.h. diejenigen, die in Erzwingungshaft sind, sollen behandelt werden wie Strafgefangene, was einen gegenüber der Untersuchungshaft teilweise gelockerten Vollzug bedeutet: Bestimmte einschränkende Maßnahmen, bspw. Post- und Besuchskontrolle sind der Anstalt vorbehalten, während dies bei U-Haft dem Richter vorbehalten ist.
Im 'radikal-Verfahren' hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) Tätigkeiten, die der Anstalt obliegen, an sich genommen und entscheidet meines Erachtens ohne gesetzliche Grundlage über die Erteilung der Besuchserlaubnis und über die Weiterleitung von Post, m.E. unter Verstoß gegen geltendes Recht. Er ist nicht der nach Artikel 102 GG zuständige Richter. M.E. entscheidet er auch in einer Art und Weise, die rechtswidrig ist, indem er die Bedeutung der Erzwingungshaft und der U-Haft gleichstellt. Obwohl nach dem Gesetz derjenige, der noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, als unschuldig zu gelten hat, schränkt die U-Haft die Kontaktmöglichkeiten nach außen gravierender ein als die Strafhaft, in der die Person bereits verurteilt ist.
Während also für die Erzwingungshaft an sich die Voraussetzungen der Strafhaft gegeben wären, nimmt sich der Ermittlungsrichter beim BGH den für die Kontaktaufnahme nach außen wichtigen Teil Post/Besuch selbst vor, um darüber zu entscheiden. In dem Verfahren, über das wir hier reden, hat er allein an einem einzigen Tag elf Beschlüsse gemacht, in denen er Post anhielt oder Besuche nicht erlaubte. Daß der Ermittlungsrichter beim BGH sich die Erteilung der Besuchserlaubnis vorbehalten hat, bedeutet ebenso wie bei der Postkontrolle eher eine Kontaktsperre. Während seitens der Vollzugsanstalt zwei Besuche monatlich mit je einer halben Stunde bewilligt werden, hat die Art und Weise der richterlichen Tätigkeit hier bedeutet, daß der Betroffene einen Monat warten mußte, bis er überhaupt den ersten Besuch erhielt.

FRAGE: Müssen ZeugInnen, die zur Polizei/Staatsanwaltschaft oder zum Richter geladen sind, Angaben machen?

ANTWORT: Vor der Polizei muß nach geltendem Recht derzeit noch niemand Angaben machen und einer Vorladung muß auch keine Folge geleistet werden. Ladungen zur Staatsanwaltschaft oder zum Richter müssen Zeugen Folge leisten - und mit einigen Ausnahmen Angaben machen. Die Ausnahmen, die das Gesetz regelt, gelten für Angehörige bestimmter Berufe, für Familienangehörige und für den Fall der Selbstbeschuldigung. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus verwandtschaftlichen Gründen (§ 52 StPO) und das aus beruflichen Gründen (§ 53 ff. StPO) ist in der Regel unkompliziert. Komplizierter wird es beim Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO (wegen drohender Gefahr der Selbstbelastung). Während die Zeugnisverweigerung aus verwandtschaftlichen bzw. beruflichen Gründen das Recht beinhaltet, die Aussage insgesamt zu verweigern, bedeutet die Wahrnehmung des Rechts aus § 55 StPO, daß für jede einzelne Frage geprüft wird, ob die Verweigerung unter Bezug auf § 55 StPO rechtmäßig ist. Zeugen können bei der Geltendmachung des § 55 StPO, wenn sie nicht selbst auch beschuldigt sind, nicht pauschal die Angaben verweigern.
Die Schwierigkeit bei der Geltendmachung der Rechte nach § 55 StPO ist der mangelnde Überblick, den Zeugen haben. In Verfahren, in denen bspw. die Bundesanwaltschaft (BAW) ermittelt, ist der Anfangsverdacht gegen Beschuldigte in der Regel ungemein niedrig. So, wie die BAW in den sog. Organisationsdelikten im linksradikalen Spektrum ermittelt, gibt es dort wenig, was nicht ihren Verdacht erweckt. Besteht die BAW aber auf Zeugenaussagen, benimmt sie sich immer unglaublich generös, wenn es darum geht, Ausforschung zu betreiben. Da gibt es dann, wenn man den Aussagen einzelner Bundesanwälte folgt, fast nichts, was Zeugen in die Nähe von Straftaten rücken könnte. Mithin gäbe es kaum Angaben, die Zeugen selbst gefährden könnten. Da die BAW aber sicherlich nicht der seriöseste Verhandlungspartner bei der Prüfung von Verdachtsmomenten ist, empfiehlt sich eine sehr genaue Abwägung, in welchen Fällen Angaben zur Sache gemacht werden oder nicht. Möglicherweise müssen Betroffene es darauf ankommen lassen, bei einem Erzwingungshaftbeschluß Beschwerde einzulegen und den BGH überprüfen zu lassen, ob nun die Befürchtung der Zeugen berechtigt war, keine Angaben zu machen, da sie sich selbst belasten könnten, oder die Behauptung der BAW, die Zeugen könnten sich nie und nimmer verdächtig machen.
In Organisationsdelikten, gerade wegen sog. krimineller oder terroristischer Vereinigungen, ist große Vorsicht geboten, sich nicht selbst zu belasten. In der Regel können Zeugen den Umfang des Verfahrens und die Verknüpfung von Angaben, wie sie die BAW zu Lasten von Betroffenen vornehmen kann, nicht überblicken. In der Regel können Zeugen von Angaben, die sie gemacht haben, nicht zurücktreten. Angaben, die heute strafrechtlich irrelevant sind, können bei einer Umbewertung von Tatgeschehen strafrechtliche Relevanz bekommen. Angaben, die einmal aktenkundig gemacht sind, insbesondere Angaben gegenüber Ermittlungsrichtern, sind verwertbarer Aktenbestandteil. Kommt es in dem konkreten Verfahren zu einer Anklage, sind die Personen, die im Ermittlungsverfahren Angaben gemacht haben, Beweismittel im Sinne der StPO, werden als solche in der Anklageschrift erwähnt und müssen mit ihrer Ladung in die Hauptverhandlung zur Zeugenvernehmung rechnen.

FRAGE: Wenn sich Zeugen auf § 55 StPO berufen, können sie deshalb ein Ermittlungsverfahren bekommen?

ANTWORT: Nein. Das Auskunftsverweigerungsrecht beruht auf dem Grundsatz, daß niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen. Aber eine einfache Berufung auf § 55 StPO - z.B.: "Ich sage nichts, weil ich mich belasten könnte" - wird in der Praxis nicht anerkannt. In den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft oder das Gericht Zweifel an den Angaben von Zeugen haben, daß sie sich selbst belasten könnten, müssen diese die Tatsachen, auf die sie sich zur Verweigerung der Angaben stützen, glaubhaft machen (§ 56 StPO), in der Regel durch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Eine falsche eidesstattliche Versicherung ist strafbar. Es dürfen für die Glaubhaftmachung aber keine Angaben zu der Tat verlangt werden, um deren Verfolgung es geht. Zeugen brauchen sich durch die Glaubhaftmachung nicht selbst zu belasten. Zeugen dürfen nicht gezwungen werden, 'Beweismittel' gegen sich selbst zu sein.

FRAGE: Was passiert Zeugen, die falsche Angaben machen?

ANTWORT: Sie können ein Verfahren wegen falscher uneidlicher Aussage oder wegen Meineids bekommen (§§ 153, 154 StGB) oder wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB), weil die Ermittlungsbehörden davon ausgehen, daß falsche Angaben gemacht wurden, um Personen vor der Strafverfolgung zu schützen. Ob dann zusätzlich gegen Zeugen wegen falscher uneidlicher Aussage oder Meineids ermittelt wird, hängt davon ab, ob die Aussage beschworen wurde oder unvereidigt geblieben ist. Die Strafprozeßordnung geht grundsätzlich davon aus, daß Zeugen Angaben machen müssen, und daß diese Angaben vollständig und wahrheitsgemäß sind.

Das Interview wurde von uns leicht gekürzt und überarbeitet.

(Quelle: bremer kassiber nr. 27, Oktober 1995)

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