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DISKUSSION

Wolfgang Sternstein

Atomwaffen vor dem Bundesverfassungsgericht

Zweifelt nie daran, dass eine kleine Schar engagierter Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich ist sie nie anders verändert worden. (Margaret Mead)

Friedensarbeit braucht einen langen Atem. Zehn Jahre hat es gedauert von der ersten Idee bis zur auf Seite 20 bis 23 dokumentierten Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht. Sie ist eine Frucht des hartnäckigen und geduldigen zivilen Ungehorsams der EUCOMmunity. Der Einsatz hat sich gelohnt, selbst wenn das Verfassungsgericht sie aus formalen oder inhaltlichen Gründen ablehnen sollte. Sie ist in der Tat ein bemerkenswertes Dokument der Zivilcourage eines Amtsrichters.

Die erste "Entzäunungsaktion" am EUCOM, der Kommandozentrale für die amerikanischen Streitkräfte in Europa und weit darüber hinaus, datiert im Jahr 1990. Über sie und sechs weitere Aktionen informiert die gemeinsam von der EUCOMmunity und Ohne Rüstung Leben herausgegebene Do
kumentation: "Die EUCOMmunity. Initiative für eine atomwaffenfreie Welt".

Während alle übrigen Richter des Amtsgerichts Stuttgart, die wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung angeklagten Teilnehmer der Entzäunungsaktionen mehr oder weniger milde verurteilten - die Urteile reichen von Verwarnung mit Strafvorbehalt bis zu 40 Tagessätzen für „Wiederholungstäter" - sprach Amtsrichter Rainer Wolf im Herbst 1996 insgesamt neun Angeklagte frei, weil er ihre Aktion für völkerrechtlich gerechtfertigt hielt. Schon vor dem Aufsehen erregenden Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) hatte er bei dem Hamburger Völkerrechtler Professor Norman Paech ein Gutachten zur Frage der Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen sowie der Beteiligung des EUCOM an Kriegsverbrechen im Golfkrieg von 1991 in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten bestätigte die Argumente der Angeklagten, die ihre Taten aus strafrechtlichen, verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und naturrechtlichen Gründen für gerechtfertigt hielten, weit gehend. Dennoch wurden die Freisprüche vom Oberlandesgericht Stuttgart auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben und zur Neuverhandlung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Diese Verhandlung steht noch aus.

Für die Aktion vom 1. September 1996 - die sechste - klagte die Staatsanwaltschaft 15 von insgesamt 16 zivilen Ungehorsamen an, darunter auch mich. Die Hauptverhandlung bei Amtsrichter Wolf fand am 25. Februar dieses Jahres statt. Offensichtlich hat die Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts Stuttgart Richter Wolf nicht zu überzeugen vermocht. Jedenfalls entschloss er sich, den Fall dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100, Abs. 2 zur Entscheidung vorzulegen. Der Art. 100, Abs. 2 lautet: „Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen." Selbst ein Skeptiker wird schwerlich bestreiten können, dass diese Verfassungsnorm eine Vorlage an das Verfassungsgericht rechtfertigt, ja notwendig macht.

Bleibt zu wünschen, dass sich das Bundesverfassungsgericht seiner Verantwortung für den Frieden und den Schutz der Menschenrechte bewusst wird.

Bezugsadresse: Ohne Rüstung Leben, Sophienstr. 19, 70178 Stuttgart, Tel.: 0711/60 83 96


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