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DISKUSSION

Roland Vogt und Mohssen Massarrat

Vorschlag für eine Friedenssteuerfonds-Kampagne

Inhaltliche Begründung

Eine zunehmende Zahl von Menschen in Europa und in der Welt sucht nach Möglichkeiten, wie Konflikte zivil und mit gewaltfreien Mitteln ausgetragen werden können. Die zivile Gesellschaft hat eine Vielfalt ziviler, gewaltfreier Methoden der Konfliktbearbeitung entwickelt, wird aber von gesellschaftlichen Kräften, die einem veralteten, militärgestützten Friedensbegriff anhängen oder von Militär, Rüstung und Kriegen profitieren, insbesondere aber von Nationalstaaten daran gehindert, die zivilen Konzepte der Konfliktbearbeitung in erforderlichem Umfang zu entwickeln und zur Entfaltung zu bringen.

Das klassische Mittel der Verweigerung gegenüber Kriegsstrukturen ist die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe. Der Einberufung zum Wehrdienst konnte und kann man in den meisten zivilisierten Ländern die individuelle Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen entgegensetzen.

In jüngster Zeit entwickelt sich aber aus unterschiedlichen Gründen in verschiedenen Ländern das militärische Rekrutierungssystem von der Wehrpflicht weg zur Berufsarmee. Damit wird in Friedenszeiten der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe der Boden entzogen. Kriege und Vorbereitung von Kriegen werden zum Job für „Freiwillige", deren Freiwilligkeit angesichts wachsender Massenarbeitslosigkeit auch jenseits der ethischen Problematik der Tötungsbereitschaft im Kriegsfall einen zusätzlichen bitteren Beigeschmack hat.

Die moderne Kriegsdienstverweigerung, so behaupten wir, wird die Kriegssteuerverweigerung sein. Jede/r Steuerzahler/in trägt heutzutage durch den Anteil seiner/ihrer Steuer am nationalen Militärbudget dazu bei, Militär, Rüstung und Krieg mitzufinanzieren. Wer sich dem verweigern will, ist in der Regel mit einem staatlichen Steuererfassungssystem konfrontiert, das ihm und ihr keine Möglichkeit der Aussonderung einräumt. Wer aus Gewissensgründen den militärrüstungs- und kriegsbezogenen Steueranteil verweigern will, wird daran durch eine rigide Steuergesetzgebung gehindert, die nicht nur die Aussonderung des Kriegssteueranteils verhindert, sondern auch dem Staat rigorose Durchgriffsmöglichkeiten auf Einkommen und Vermögen der Verweigerer sichert. Praktizierende Kriegssteuerverweigerer können ein Lied davon singen.

Von verschiedenen Kriegssteuerverweigererinitiativen sind angesichts dieser Ausgangslage konstruktive Konzepte entwickelt worden, die bisher nicht erfolgreich waren, weil für die individuelle Entscheidung zur Steuerverwendung eine gesetzliche Grundlage fehlt. Die gesetzliche Regelung der Kriegssteuerverweigerung als politisches Ziel eröffnet daher eine neue Perspektive. Erforderlich sind dazu Gesetzesinitiativen für einen Friedenssteuerfonds, die dem Steuerzahler/der Steuerzahle
rin die Möglichkeit einräumen, den dem Militärbudget entsprechenden prozentualen Anteil ihrer Steuer über die Einzahlung in einen Friedenssteuerfonds zivilen Formen der Konfliktbearbeitung und der zivilen Umgestaltung (Konversion) zugutekommen zu lassen.

Wir gehen davon aus, dass bei hinreichender Vermittlung des Projekts Friedenssteuerfonds der gesellschaftliche und politische Druck auf die jeweilige nationale Gesetzgebung zunehmen wird und die gesetzliche Verankerung des Friedenssteuerfonds und der Kriegssteuerverweigerung aus Gewissensgründen politisch erreichbar ist. Dadurch erweitert sich die Möglichkeit der Verweigerung auf alle gesellschaftliche Gruppen. Die Kriegssteuerverweigerung eröffnet dann zum ersten Mal die Chance, über den Weg der Friedenssicherung direkt zu entscheiden.

Wenn dies gelingt, hat die zivile Gesellschaft einen bedeutenden, nahezu revolutionären Schritt zur Überwindung von Militär, Rüstung und Krieg getan, weil von da an bei entsprechender Zweckbindung Haushaltsmittel in den erforderlichen Größenordnungen zur Verfügung stehen, um zivile Formen des Kongliktaustrags erst an die Seite und eines Tages vollständig an die Stelle des militärischen Austragens von Konflikten zu setzen.

Da wir uns auf dem Wege zur Staatsqualität der europäischen Union (EU) befinden, sehen wir zugleich die Chance, die EU von vornherein auf der Grundlage dieser Innovation, weg vom Militärischen und hin zum Zivilen zu entwickeln.

Das heißt, in der künftigen Verfassung und in der Steuergesetzgebung des Staates namens europäische Union soll von Anbeginn das Recht auf Kriegssteuerverweigerung aus Gewissensgründen bzw. der Friedenssteuerfonds verankert sein.

Noch besser wäre es freilich, die EU wäre von vornherein als ziviles Gemeinwesen ohne Rüstung und Militär verfasst. Wenn dies aber nicht gelingt, wird der europäische Friedenssteuerfonds zu einem Projekt des Übergangs von der europäischen „Militärdemokratie" (einer Demokratie mit noch militärgestütztem Friedensbegriff) zur Zivildemokratie (zu einer Demokratie mit rein ziviler Friedensidentität).

Wir wissen, dass dies visionäre und ehrgeizige Ziele sind.

Unsere Erfahrungen und Beobachtungen in der Friedensbewegung und in anderen Zusammenhängen zeigen jedoch, dass es sich lohnen kann, auf die Verwirklichung solch visionärer Ziele Schritt für Schritt hinzuarbeiten. Gerade in jüngster Zeit gibt es trotz gleichzeitiger Rückfälle in die Barbarei ermutigende Beispiele, die zeigen, dass viele Menschen in ihrer Stadt, ihrer Region und ihrem Land und auch international durch auf konkrete Ziele zugeschnittene Kampagnen (Teil-)Erfolge erzielen können, wie dies durch die Landminen-Kampagne, die Kampagne zur Popularisierung des Zivilen Friedensdienstes, bei der Kampagne Schweiz ohne Armee und in ähnlichen Fällen geschehen ist.

Wir halten es für möglich, dass eine Kampagne für die Einrichtung von Friedenssteuerfonds europaweit zu einem Fokus der Friedensbewegung werden könnte.

(Entwurf: Februar 1998)


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