Zum "Krieg gegen den Terrorismus" in Tschetschenien

Der zweite Krieg in Tschetschenien dauert nun schon fast 2 ½ Jahre. Er hat ein sowieso schon zerstörtes Land weiter ruiniert und 10 000e Menschenleben gekostet. Er hat Vladimir Putin an die Macht gebracht und dient weiterhin als Begründung für die repressiven Tendenzen der russischen Regierung. Er ist angeblich ein Krieg gegen den "(islamistischen) Terrorismus". Real trifft er die Zivilbevölkerung und reproduziert den Rassismus gegen KaukasierInnen. Längst schon ist dies ein Krieg von sogenannter "niedriger Intensität", in dem die russischen Streitkräfte kaum einen Unterschied machen zwischen den von ihnen "Terroristen" genannten Freischärlern und der Zivilbevölkerung. Die verschiedenen tschetschenischen bewaffneten Gruppen dagegen benutzen die Bevölkerung als Schutzschild. In den letzten Wochen ungefähr seit Weihnachten hat die Russische Armee eine neue "Offensive" gestartet, bei der laut Berichten russischer Menschenrechtsorganisationen erneut 100e ZivilistInnen getötet wurden. Bei sogenannten "Säuberungsaktionen" kommt es immer wieder zu schweren Übergriffen, Verletzungen, Vergewaltigungen und Morden. Die westlichen Regierungen haben über diesen Krieg von Anfang an Krokodilstränen vergossen, ohne reale Konsequenzen zu ziehen. Außenminister Fischer nannte ihn Anfang 2000 ein "Problem unter der strategischen Schwelle" (vgl. Presseerklärung von Pro Asyl, 26.1.2000). Seit der neuen "Allianz gegen den Terror", bei der Russland ganz vorne mit dabei ist, sind auch diese Krokodilstränen fast vollständig versiegt. Russland ist somit letztlich mit seiner Strategie, den "Kampf gegen den Terrorismus" als gemeinsames russisch-westliches Ziel darzustellen, nach dem 11.9. endlich erfolgreich. Bei Fischer hört sich das so an: "Die Kritik an den Ereignissen in Tschetschenien, die wir formuliert haben, beinhaltet keine Kritik an der Legitimation - ich behaupte sogar: an der Pflicht - der Russischen Föderation, ihre territoriale Integrität zu erhalten. Russland hat nicht nur das Recht auf, sondern auch die Pflicht zur Selbstverteidigung gegen Terrorismus. Das habe ich nie in Frage gestellt. Man muss aber sehr wohl die Frage stellen, ob dies Menschenrechtsverletzungen in dem Ausmaß legitimiert, wie sie etwa unabhängige Menschenrechtsorganisationen dargestellt haben" (Rede im Bundestag, 26.9.2001). Und auch Bundeskanzler Schröder kündigte an, die bisherige Kritik künftig "differenzierter" handhaben zu wollen. Es wird also nach wie vor anerkannt, dass die tschetschenische Zivilbevölkerung unter dem Krieg leidet, und die russische Regierung für "zu hartes Vorgehen" kritisiert. Doch zu der Erkenntnis, dass es sinnlos ist, ein ganzes Land zu bombardieren, um einzelne Bombenanschläge zu verhindern, zu dieser Erkenntnis sind die Regierungen im Westen ja selbst noch nicht vorgedrungen. Der Unterschied des Tschetschenien- zum Afganistan-Krieg besteht also angeblich darin, dass letzterer "sauberer" - und "erfolgreicher" - geführt wird. Die rhetorische Kritik an Menschenrechtsverletzungen bleibt folgenlos. Sie bleibt folgenlos für das Verhältnis zu Russland - kein russischer Politiker seit Gorbatschow ist mehr hofiert und zum Vorreiter eines besseren Russlands erklärt worden als ausgerechnet Putin, der seine Macht auf den Leichen des Tschetschenienkrieges begründet hat. Sie bleibt folgenlos auch für die Politik gegenüber tschetschenischen Flüchtlingen. Die meisten von ihnen schaffen es schon gar nicht, die Region oder Russland zu verlassen, 100 000e leben in Flüchtlingslagern im benachbarten Inguschetien. Diejenigen, denen die Ausreise unter großen Schwierigkeiten gelingt, scheitern meist an den Grenzen der Festung Europa. So halten sich viele tschetschenische Flüchtlinge in Polen und anderen EU-Anrainerstaaten auf, wo sie meist auch kein Asyl bekommen, aber zumindest nicht abgeschoben werden. Aber auch die wenigen, die es bis nach Deutschland schaffen, können sich hier nicht sicher fühlen. In einem Fall wurde ein 17-Jähriger, dessen Mutter in Hamburg wohnt, in das "sichere Drittland" Polen abgeschoben. Im Juni 2001 wurde der Entscheidungsstop für tschetschenische Asylverfahren aufgehoben, d.h. prinzipiell können wieder Abschiebungen beschlossen werden. Im Dezember 2001 verkündet das BAFL (Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge), dass es für tschetschenische Flüchtlinge innerrussische Fluchtalternativen gäbe. Angesichts der rassistischen Praxis der Behörden in den meisten Teilen der Russischen Föderation und des weitverbreiteten Alltagsrassismus eine völlig realitätsferne Aussage, mit der der Weg für Abschiebungen freigemacht werden soll. Nur verstärkter Druck von unten hier kann ein Bleiberecht für die Flüchtlinge sichern. Schluss mit dem Krieg in Tschetschenien! Grenzen auf für Flüchtlinge aus Tschetschenien und von anderswo!


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