Interview mit Isaac Velazco, internationaler Repraesentant der MRTA

Juli 2000

Frage: Gibt oder gab es Gespraeche mit der peruanischen Regierung, um einen politischen Ausweg aus der Situation ihrer politischen Gefangenen zu finden, so wie es der Fall beim Leuchtenden Pfad mit seinem bekannten Friedensabkommen war?

Antwort: Die Friedensabkommen zwischen dem Leuchtenden Pfad und dem Diktator Fujimori haben lediglich dazu gedient, dem sogenannten Praesidenten Gonzalo einige  Privilegien" zukommen zu lassen wie den Zugang zu jeder Art von Information, eine offene Zelle, die Gesellschaft seiner Frau und bis hin zu Geburtstagstorten vom Diktator, was dem Diktator dazu gedient hat, eine nette Form psychosozialer Politik einzufuehren und sich gegenueber dem Volk als Sieger im Kampf gegen die Subversion darzustellen.
Die MRTA hat wiederholt ihre Bereitschaft ausgedrueckt, Gesamtloesungen fuer die oekonomischen, politischen und sozialen Probleme zu suchen, die das peruanische Volk betreffen, denn wir sind Teil dieses heute von einer brutalen neoliberal- und staatsterroristischen Aggression unterdrueckten Volkes. Wir werden niemals die Hoffnung unseres Volkes auf einen Morgen der Gerechtigkeit, der Wuerde und Freiheit verraten, um Brosamen zu bekommen, die die Diktatur anbieten mag, wir sehen klar, dass die Freiheit und Wuerde eines Volkes nicht erbettelt, sondern durch den direkten Kampf gegen die Unterdruecker von Innen und Aussen erobert werden.

Frage: Was koennen Sie uns ueber die Gespraeche zwischen der nordamerikanischen Regierung und Alejandro Toledo ueber den Fall Lori Berenson sagen?

Antwort: Wenn es ein Gespraech zwischen dem Herrn Toledo und der nordamerikanischen Regierung gab, so sind diese es, die Ihre Frage beantworten muessen. Der Fall der Journalistin Lori Berenson, die angeklagt ist, unserer Organisation anzugehoeren, ist ein weiterer Beweis fuer die Verletzung der Menschenrechte in Peru, fuer das Fehlen von Unabhaengigkeit der juristischen Macht, von der absoluten Abwesenheit von Prozessgarantien, von Prozessregeln und vom Recht auf Verteidigung. Lori Berenson wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, nur weil sie das ueble Angebot der Regierung nicht akzeptierte, ein Dokument zu unterschreiben, in dem sie die MRTA als eine terroristische Organisation bezeichnen sollte, der selbe Vorschlag, den sie dem Journalisten Danilo Quijano an dem Tag machten, an dem er freigelassen werden sollte. Der Adjutant des Diktators brachte ihm ein Dokument, in dem sie die MRTA beschuldigen, eine terroristische Organisation zu sein. Als er sich weigerte, zu unterzeichnen, wurde er wieder eingesperrt und erst nach Monaten auf Grund nationalen und internationalen Drucks freigelassen.
Die Wuerde hat einen Preis und es gibt welche, die sie geringschaetzen und deshalb als Geishas enden, andere hingegen wuerdigen sie in ihrer wirklichen Dimension und deshalb erleiden sie Verfolgung, erzwungenes Exil, verlieren die Freiheit oder das Leben, aber sie verlieren niemals ihre Wuerde.

Frage: Praktisch waehrend seiner gesamten Regierungszeit hat der Fujimorismus gepredigt, dass die MRTA zerschlagen sei. Ist das richtig?

Antwort: Die psychosoziale Politik hat als zentrales Ziel auf der einen Seite die Paralysierung unseres Volkes durch Angst und auf der anderen Seite die Liquidation der Hoffnung gehabt. Dafuer nutzte sie die Fehler und den Horror des des Leuchtenden Pfades, verwechselte den bewaffneten Kampf mit Terrorismus um zu versuchen zu verschleiern, dass er ein legitimes Recht des Volkes ist, das sogar in der fujimoristischen Verfassung verankert ist, das Recht auf Aufstand gegen eine unterdrueckerische und ausbeuterische Regierung.
Wir leugnen nicht, dass wir harte Schlaege in diesem ungleichen Kampf erlitten haben, aber eine Zerschlagung ist eine andere Geschichte.
Wir sind geschlagen worden, aber nicht besiegt. Die MRTA unterstreicht, dass sie weder besiegt ist noch sich ergeben hat, der Kampf geht weiter.

Frage: Was ist mit den von Herrn Hugo Avellaneda nach der Besetzung der japanischen Botschaft in Lima gemachten Aeusserungen? Gehoert er noch zur MRTA?

Antwort: Erklaerung von wem? Von der Regierung? Von der Sensationspresse? Ueber die internen Angelegenheiten der MRTA entscheiden nur die Tupacamaristas, niemand sonst als sie. Die MRTA hat ihre Dynamik aus Entwicklung und organischer Funktion und sie funktioniert hervorragend, es gibt eine staendige Herausbildung neuer Aktivisten und Fuehrer. Wer uebernimmt die Fuehrung der MRTA? Das ist eine Angelegenheit, die nur unsere Organisation etwas angeht. Der Regierung wuerde es gefallen, zu wissen, wer heute die Fuehrer der MRTA sind, denn die Informationen, die sie dank solcher Verraeter wie Cistero Garcia oder Andris Mendoza del Aguila erhalten haben, nutzen ihnen heute nicht mehr, denn die MRTA hat ihre Fuehrungsstrukturen an die harten Bedingungen des heutigen Kampfes angepasst.

Frage: Herrschen Bedingungen fuer einen Dialog mit dem Praesidenten Fujimori?

Antwort: Dialog ueber welche Angelegenheiten? Die Wahlen? Die harten Probleme, mit denen die Bevoelkerung konfrontiert ist? Die Flexibilisierung der Arbeit? Die niedrigen Loehne und Gehaelter? Die Schaffung von Arbeitsplaetzen? Die Verletzung der Menschenrechten? Nein, meine Herren Journalisten, es ist unvorstellbar, dass nach 10 Jahren der Vorherrschaft, des Autoritarismus und der staendigen Verachtung unserer elementaren Rechte auf Leben und Arbeit diese es sein koennten, die fragen, ob es Bedingungen fuer einen. Dialog gibt oder nicht   mit einem Diktator, dessen einzige Sprache die Konfrontation, die erlebten Ereignisse und der Staatsterrorismus ist.

Frage: Was koennen Sie uns ueber den Hungerstreik von Victor Polay und Peter Cardenas Schultz sagen?

Antwort: Die Genossen Victor, Peter und Miguel haben bereits zwei Hungerstreiks durchgefuehrt, und zwar vom 21. September bis zum 22. Oktober 1999 und vom 1. bis zum 17. Mai diesen Jahres, um von der Regierung ein Ende der brutalen Isolation zu fordern, der sie mi Militaergefaengnis der Marinebasis von Callao unterworfen sind. Kann es in einer Demokratie ein Militaergefaengnis fuer zivile Buerger geben? Dieses Gefaengnis erinnert an die schaendliche Geschichte des Gefaengnisses von Franzoesisch-Guayana am Anfang des 20.
Jahrhunderts, als die Menschenrechte noch nicht den Rang erreicht hatten, den sie heute mit der Allgemeinen Erklaerung der Menschenrechte geniessen. Die Marinebasis von Callao erinnert sehr an das vom franzoesischen Regime in den ersten Jahren des 20.
Jahrhunderts erfundene Modell. Wenn Sie den Roman  Papillon" lesen, werden Sie eine Uebereinstimmung in der Form des Aufbaus der Zellen, in der Art der Isolation und im Ziel all dessen finden: den Willen zu brechen und das Individuum physisch zu zerbrechen, um es zu einem willenlosen Wesen zu machen, das man kontrollieren kann. Dieses ganze System hat wenig mit Zivilisation und Demokratie zu tun, dafuer viel mit Unmenschlichkeit und es unterstreicht die Verruecktheit des Regimes, aber es unterstreicht auch die Heuchelei der westlichen Demokratien, die all das kennen aber gegenueber diesen Verletzungen der Rechte von Menschen, die zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden und die auf Befehl des verrueckten Diktator Alberto Fujimori einer zusaetzlichen Bestrafung, der staendigen Folter, ausgesetzt sind, in einem komplizenhaften Schweigen verharren. Trotz alledem bleibt die Moral unserer Genossen intakt und auch ihr Willen, den wahnsinnigen Graebern fuer Lebende", die ihr Gefaengnis darstellt, zu widerstehen, auch wenn sich ihre physische Gesundheit aufgrund dieses unmenschlichen Haftsystems schnell verschlechtert.

Frage: Kann man von einem Einverstaendnis der MRTA mit dem Leuchtenden Pfad (Sendero Luminoso) sprechen oder ist Ihre Position gegenueber ihnen die selbe, also eine der Rivalitaet?

Antwort: Man kann heute nicht von Dialog oder Einverstaendnis mit denjenigen sprechen, die es nicht verstanden haben, die Verschiedenheit unseres Volkes zu respektieren und sich als unfaehig erwiesen haben, die Widersprueche zu loesen, die im Volk aufgetreten sind und sie zu einem unnoetigen Antagonismus gebracht haben, der als tragisches Ergebnis die Hinrichtung von Bauern- und Gewerkschaftsfuehrern, Mitgliedern von Volksorganisationen und sogar tupacamaristischen Guerrilleros hatte, denen Reformismus, Revisionismus oder sonst irgendeine sektiererische Anklage vorgeworfen wurde. Sendero muesste diese ganze autoritaere, sektiererische und ausschliessende Methode korrigieren, die ihn mehr in die Naehe des neoliberalen Fundamentalismus gebracht hat als zu einer Alternative fuer das Volk. Und dies oeffentlich und effektiv machen und diesen Wandel muessten wir an den Tatsachen messen, damit unser Volk beginnen kann, an diejenigen zu glauben,  die ueber Jahre hinweg als nuetzliche Idioten der Interessen des neoliberalen Autoritarismus und der Fujimori-Diktatur gedient haben.

Frage: Wie lautet Ihre Diagnose des gegenwaertigen politischen Moments in Peru angesichts einer globalisierten Welt?

Antwort: Wir erleben einen Augenblick von grosser Tragweite in dem es gilt, Stellung zu einem wirklichen Problem zu nehmen: die Rechte des Volkes auf ein wuerdiges Leben in Freiheit und Gerechtigkeit oder die Privilegien einer mit den transnationalen Interessen eng verwobenen Minderheit zu verteidigen. Vom Bewusstseinsstand der Bevoelkerung, von der Arbeit der Organisation und der Bewusstseinsbildung, die heute von den Kernen von Revolutionaeren geleistet wird, wird die Zukunft unseres Landes abhaengen.

Frage: Wie kommt Ihnen die Tatsache vor, dass Teile der Linken, die frueher die Vereinigten Staaten als ultraliberal, imperialistisch und Unterdruecker der Volksklassen verurteilten, heute von ihnen eine Intervention fordern, um das Wahlproblem in Peru zu loesen?

Antwort: In den gegenwaertigen Momenten, in denen das sozialistische Lager zusammengebrochen ist, hat die traditionelle Linke den Kopf verloren und verwechselt heute den ideologischen Norden, der die Rebellion ihrer jungen Jahre motiviert hatte, mit dem geographischen Norden, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, und glaubt an die grossen Luegen, die sie mit der Hilfe gekaufter Intellektueller verbreiten, dass diese USA die Vorkaempferin der Freiheit und der Demokratie seien. Aber sie muessten die Schwarzen und die nordamerikanischen Indianer fragen und die Millionen von lateinamerikanischen Migranten, die in den Vereinigten Staaten leben, ob dort wirklich Demokratie und Freiheit herrschen. Auf der anderen Seite: Von welcher Linken sprechen wir? Heute haben sich die Konzepte ziemlich veraendert. Wenn wir heute die virtuelle Realitaet einiger Laender Europas nehmen, dann sehen wir, dass es dort Laender gibt, die von linken oder mitte-linken Koalitionen regiert werden, aber wenn wir die objektive Realitaet nehmen, dann muessen wir anerkennen, dass diese neoliberale Politik anwenden, die einem linken Konzept grundsaetzlich widerspricht, denn dieses ist antikapitalistisch und deshalb antineoliberal. Offensichtlich hat die institutionelle Linke politisch und ideologisch ziemlich nachgelassen seit jenem Wahlaufruf fuer das kleinere Uebel Fujimori in den Wahlen von 1990, seit der Nichtanerkennung der abgrundtiefen Unterschiede zwischen dem Leuchtenden Pfad und der MRTA, die aus der Angst davor entsprungen ist, als proterroristisch zu gelten, seit der Legalisierung der Diktatur durch ihre Teilnahme an den Wahlen zum sogenannten Demokratischen Verfassunggebenden Kongress, seit ihrem Schweigen zu den Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung, seit ihrer Unfaehigkeit, Widerstand zu leisten und die Arbeiter- und Volksbewegung bei politischer Unabhaengigkeit der Klasse zu reorganisieren. All das bringt uns dazu, von der Notwendigkeit der Neugruendung der peruanischen Linken zu sprechen. Wir sprechen von einer institutionellen Linken, der es an Kreativitaet und an einer Alternative zum neoliberalen Modell fehlt, aber das bedeutet nicht, dass es in unserem Volk keine Sektoren der revolutionaeren Linken gaebe, von denen wir ein Teil sind und mit denen wir langsam, aber entschlossen vorwaerts zum Aufbau einer breiten politischen Massenfront als Keim der Volksmacht voranschreiten, die unabwendbar die Fundamente des neoliberalen Systems erschuettern wird. Es sind Zeiten der Veraenderung, der verkrueppelte und verstreute Koerper des Tzpac Amaru schreitet aus den vier Regionen der Welt voran zu seiner Integration, zu seiner Einheit und zu seiner Vereinigung mit dem Kopf, denn nur dann wir die Befreiung unseres Volkes Realitaet sein.

Frage: Wird die MRTA wiedergeboren werden?

Antwort: Persoenlich glaube ich nicht an Wiedergeburt oder Auferstehung, aber wenn es das geben wuerde, muesste die MRTA um wiedergeboren zu werden erst einmal gestorben sein und trotz aller Propaganda des Diktator Fujimori ist die MRTA ein lebender Organismus und macht staendig Politik im ganzen Land. Dass wir keine grossen bewaffneten Aktionen durchfuehren bedeutet nicht, dass wir tot seien, es bedeutet die Anerkennung, dass dies nicht der Zeitpunkt fuer grosse militaerische Aktionen ist, sondern fuer die Entwicklung und Staerkung der Organisation und des Bewusstseins unseres Volkes, um die Kraefte zur endgueltigen Niederringung des Diktators zu vermehren. Die Vorschlaege der MRTA sind der Ausdruck des Willens zur EINHEIT und zum WANDEL, den unser Volk fordert. Seit der Ermordung unserer Brueder und Schwestern in der Residenz des japanischen Botschafters haben wir uns auf den Aufruf zur Staerkung der autonomen Basisorganisationen konzentriert. Die Mobilisierung und den direkten Kampf gegen die Diktatur verstaerken und verallgemeinern, die Einheit als grundlegendes Element zur Zerschlagung des neoliberalen Modells keine Organisation wird allein ohne die Mitwirkung anderer Organisationen unseres Volkes diesen brutalen Feind niederschlagen koennen.

Frage: Wer sind fuer Sie Alberto Fujimori, Francisco Tudela und Alejandro Toledo?

Antwort: Gelegenheitspolitiker, die aus dem angeblichen Fehlen von Perspektiven und vor dem Hintergrund des Scheiterns der traditionellen politischen Parteien entstanden sind. Sie sind Personen die kreolischen Politikerkaste, Ergebnisse der politische Periode, die wir als Konsequenz aus dem oekonomischen Modell erleben, das uns beweisen will, dass die individuelle Anstrengung die einzige Moeglichkeit ist, um Erfolge zu erringen, ohne dabei Ruecksicht auf Ethik und Moral zu nehmen. Niemand der genannten wird sich um die Verteidigung der Interessen des Volkes kuemmern. Alberto Fujimori hat bewiesen, dass er eine egozentrische Person ohne Skrupel ist, der die Luege zu einer politischen Waffe im Goebbelschen Stil gemacht hat, eine verrueckte Person, die vor nichts und niemandem halt macht, um ihr Ziel zu erreichen: an der Macht zu bleiben. Der Herr Tudela verteidigt durch seine Herkunft, seine Bildung und seine feinen Manieren ganz bewusst das neoliberale Modell mit allem, was damit in den ganzen Jahren zusammenhing: Staatsterrorismus und extremes Elend unseres Volkes. Der Herr Toledo repraesentiert trotz seines indigenen Gesichts nicht das wirkliche Peru, das Peru aller Blute. Als Politiker hat er seine Mittelmaessigkeit unter Beweis gestellt, denn trotz der Unterstuetzung, die ihm die Bevoelkerung zukommen laesst, ist er nicht in der Lage, auf die Unterstuetzung der Kraft des Volkes zu bauen, aus der Angst heraus, dass dieses Volk, dass der Diktatur ueberdruessig ist, nicht nur die Regierung, sondern auch das neoliberale Modell veraendern wuerde. Deshalb ruft er nach der internationalen Gemeinschaft um einen Verhandlungsausweg zu finden, der es ihm erlaubt, an die Regierung zu kommen, ohne den wilden  Kapitalismus, den Neoliberalismus, in Gefahr zu bringen.

Isaac Velazco

Uebersetzung: Andri Scheer