linksrhein Quelle: AZW Nummer 08, erschienen am 31.08.1995
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Konstanzer Schulen

Kinder und Jugendliche ohne deutschen Paß stark benachteiligt

Schon im Juli hat das Konstanzer Sozial- und Jugendamt einen Bericht über die Situation der ausländischen Schülerinnen und Schülern an den Konstanzer Schulen vorgelegt. Der Bericht sorgte für einen kurzen Wirbel in Gemeinderatsgremien und der Öffentlichkeit, weil aus ihm unter anderem hervorging, daß die zuständigen Stellen offenbar Kinder ohne deutschen Paß besonders schnell in die Sonderschule abschieben.

Entsprechende Vorwürfe wurden zu Recht erhoben, wie schon eine oberflächliche Lektüre des Berichts zeigt. Denn tatsächlich sind von den insgesamt 101 Schülerinnen und Schülern, die 1995 die sogenannte Förderschule Comenius besuchen, sage und schreibe 44,6% Kinder ausländischer Eltern. Diese sind damit völlig überrepräsentiert: die Zahlen bedeuten nämlich, daß 4,2% aller ausländischer Schülerinnen und Schüler in die Förderschule müssen, während diese Quote bei deutschen Kindern gerade mal 0,9% ausmacht.

Die Wahrscheinlichkeit als Kind mit deutschem Paß in der Sonderschule zu landen ist "4,6 mal niedriger als bei den AusländerInnen" hat man im Bericht akribisch ausgerechnet. Der Ausländeranteil ist außerdem gegenüber dem letzten Jahr um sage und schreibe 5,8% gestiegen. Dazu kommt, daß unter den Ausländerinnen und Ausländern der Anteil von Flüchtlingskindern mit 28% sehr hoch ist. Der Verdacht ist also nicht von der Hand zu weisen, daß die Schulbehörden hier gezielt Kinder in eine Sonderschuleinrichtung abschieben, ohne deren besondere soziale und kulturelle Lage zu berücksichtigen.

Über Kritik brauchen sich die Verantwortlichen, die die Vorwürfe natürlich weit von sich gewiesen haben, angesichts solcher Zustände also nicht zu wundern. Sowieso ist es erstaunlich, daß diese Kritik sich nur auf die Konstanzer Förderschulpraxis beschränkte. Denn der Bericht selbst ist ein einziger Beleg dafür, wie das deutsche Bildungssystem Kinder und Jugendliche ohne deutschen Paß diskriminiert.

Von den 6875 Schülerinnen und Schülern an den städtischen Schulen in Konstanz hatten im laufenden Schuljahr 1083 keinen deutschen Paß. Bei der Verteilung auf die einzelnen Schultypen nach Absolvierung der für alle obligatorischen Grundschule gibt es für diese 15,8% Schulbesucherinnen und -besucher gravierende Unterschiede zu deutschen Kindern und Jugendlichen.

Während ausländische Schülerinnen und Schüler an den Hauptschulen nämlich überrepräsentiert sind, ist dieses Verhältnis an den Gymnasien genau umgekehrt. Die Konstanzer Hauptschulen werden von 272 Heranwachsenden aus dem Ausland besucht. Das sind zwar 3,7% weniger als im Jahr zuvor, entspricht jedoch immer noch einem Ausländeranteil von 34,8% - zur Erinnerung nocheinmal der entsprechende Anteil von Ausländern an der Gesamtschülerzahl: 15,8%. Anders ausgedrückt: Während nur 13,4% aller deutschen Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule in der Hauptschule landen, finden sich 43% der Jungendlichen ohne deutschen Paß dort wieder.

Dabei darf nicht vergessen werden, daß es angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt schon blankem Euphemismus gleichkommt, von der Hauptschule noch als weitereführender Schule zu sprechen, wie dies der Bericht tut. Wer heute nicht mindestens eine Realschulabschluß vorweisen kann, läuft sehr große Gefahr, von vornherein durch alle Maschen des beruflichen Bildungssystems zu fallen. Der Grund für diesen hohen Anteil ausländischer Kinder an den Hauptschulen: die Empfehlungen der Schulbehörden. "Im Schuljahr 1993/94", so der Bericht zu diesem Sachverhalt, "erhielten 52% der ausländischen GrundschülerInnen eine Hauptschulempfehlung. Bei den deutschen waren es 20,9%. Fast umgekehrt sind die Empfehlungen für das Gymnasium: Hier haben 16% der AusländerInnen und 47,9% der Deutschen eine Empfehlung für diese Schulgattung bekommen." Entsprechend niedrig ist der Ausländeranteil an den Konstanzer Gymnasien: 7,8%. Selbst an den Realschulen sind Heranwachsende ohne deutschen Paß mit einem Anteil von 12,1% noch unterrepräsentiert, obwohl es hier gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme um 13,4% auf 147 gegeben hat.

Die entsprechenden Muster der rassistischen deutschen Gesellschaft spiegeln sich denn auch in den Schulabschlüssen wider: Während 94% der Deutschen mit Abschluß von der Hauptschule abgingen, betrug diese Zahl bei Menschen ohne deutschen Paß 85%. Entsprechend die Anteile beim Realschulabschluß (90,5% zu 81,5%) und dem Abitur (94% zu 91%).

Es ist schon ein starkes Stück Verharmolsung dieser Situation, wenn das Sozial- und Jugendamt angesichts dieser Zahlen im Schlußwort des Berichts vor allem hervorhebt, daß die "Anzahl der ausländischen SchülerInnen, die einen Schulabschluß erreichen, stetig" steige. Daß dies mit einer ständigen Entwertung von Haupt- und Realschulabschluß einhergeht, wird denn auch vornehm verschwiegen.

Fazit: Das dreigliedrige Schulsystem sorgt nicht nur ganz allgemein für eine Vorauslese, wem einmal welcher Platz in der kapitalistischen Produktion und damit der Gesellschaft zugewiesen wird. Es ist gleichzeitig der klassenmäßige und rassistische Garant dafür, daß dies so geschieht, daß alle da bleiben, wo sie sind: eine feine Klassengesellschaft.

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