linksrhein Quelle: AZW Nummer 07, erschienen am 03.08.1995
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Erstes Schwulen-Camp der DGB-Jugend

Markelfingen. Perspektive Schwul: Diese Sichtweise setzt sich immer mehr auch in den Gewerkschaften durch. Nach und nach bieten die Arbeiterorganisationen für diese Mitgliedergruppe Wochenendseminare an, Arbeitskreise zur Homosexualität gründen sich, Aufklärungsarbeit wird von den Gewerkschaftern vorangetrieben.
Auch der DGB will bei dieser Entwicklung nicht außen vor stehen. So bot das Jugendreferat des Stuttgarter Dachverbandes zum ersten Mal ein fünftägiges Jungendcamp für Schwule an. Auf dem Gewerkschaftscamp in Markelfingen versammelten sich etwa 50 schwule Jugendliche zum Erfahrungsaustausch, um in Workshops und Seminaren eine neue Sichtweise zu ihrer oft noch als "abartig" disqualifizierten Sexualität zu gewinnen.

Coming Out stand ganz oben auf der Liste der Angebote. Wie sagt es der Jungschwule seinen Eltern, wie macht er am Arbeitsplatz bekannt, daß er schwul ist? Strategien, um Negativreaktionen zu vermeiden, erarbeiteten die Teilnehmer in Workshops. Schützenhilfe boten Mitglieder des Arbeitskreises "Homosexualität" der Stuttgarter ÖTV. Daß die Familie in der Regel nicht gleich mit Rausschmiß droht, war die Erfahrung aller Teilnehmer. Nicht so glimpflich geht das Coming Out meist am Arbeitsplatz ab: Kaum ein Arbeitgeber wird einen bekennenden Schwulen in seiner Belegschaft mit offenen Armen empfangen. Vielmehr befürchten die meisten Personalchefs ein schlechteres Betriebsklima oder meinen sogar, daß der Firmenumsatz zurückgehen könnte, wenn die Homosexualität des Mitarbeiters für den Kunden offenbar wird. Rausschmiß aus der Firma kann die Konsequenz sein. Deshalb wollten die Leiter auch Mut geben, denn viele Schwule stehen in einem unerträglichen Interessenskonflikt: Einerseits lähmt die Angst, als "warmer Bruder" entdeckt zu werden, andererseits müssen sich viele Schwule regelrecht verbiegen, um sich nicht zu outen. Besonders haarig wird die Situation schwuler Arbeitnehmer, wenn sie HIV-positiv sind. Das Bekenntnis zur Krankheit kommt einem zweiten Coming Out gleich, wie die Teilnehmer von einem offen lebenden HIV-Infizierten erfuhren. Sicherheit im Umgang mit Kondomen vermittelte der Safe Sex Workshop, geleitet von einem AIDS- Berater eines Gesundheitsamtes.

Wenn "es" denn mal raus sein sollte, wartet ein skeptisches, vielleicht sogar homophobes Umfeld auf den Schwulen. Mit Selbstsicherheit können viele Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, beispielsweise mit einer gelungenen Argumentationsstrategie. Wie diese aufgebaut und wirksam in der freien Rede eingesetzt wird, lernten die Teilnehmer beim Rhetorikkurs. Gutes Argumentieren kann auch dem heterosexuellen Mitmenschen dienlich sein, doch dieser unterliegt nicht ständig der Angst, durch schwulwirkendes Auftreten als lächerlich empfunden zu werden. Daß aber spezielle "schwule" Gesten vom heterosexuellen Publikum kaum wahrgenommen werden, zeigte anhand von Videoaufnahmen der einzige heterosexuelle Teilnehmer, der Campleiter Roland Schinko. Der Stuttgarter Jugendreferent beim DGB kümmert sich besonders engagiert um die Belange "seiner" Jungschwulen. Er findet es unerträglich, daß Menschen nur wegen ihrer Sexualität diskriminiert werden: "Schwulsein muß selbstverständlich werden!" Ein kleiner Schritt in dieser Richtung war das Schwulencamp schon, denn die Urlauber auf dem benachbarten Campingplatz wurden nicht nur mit händchenhaltenden Männern konfrontiert, sondern durften sich auch über Lautsprecherdurchsagen des Campradios freuen, wie die neuesten Testergebnisse von Kondomen. Entsprechend unterkühlt reagierten die Camper bei einer Interviewumfrage zum Thema Homosexualität.

Nicht so unterkühlt scheint es im eisigen Island zuzugehen: Denn wie "Take That" auf dem Kontinent die Hitparaden stürmen, so ist Pall Oskar auf der Geysierinsel der Teenistar - und dazu noch offen schwul. Grund genug für die DGB-Verantwortlichen, den schwarzhaarigen Popstar für das schwule Sommercamp zu engagieren. Locker und gänzlich ohne Starallüren plauderte der Entertainer mit den Teilnehmern über seine Erfahrungen, schwul zu leben. Begeisterungsstürme standen am Ende seines Auftrittes im Discozelt. Ebenso viel Applaus erntete der Travestiestar Fräulein Wommy Wonder, der zum Gaudium seines Publikums aus den rosa Nähkästchen einer schwäbischen Diva plauderte. Mit Weiberrock und Sissyimitation war ihr Auftritt ein Höhepunkt des Schwulenseminars am Bodensee.

Bei so viel positiven Eindrücken ist es für Roland Schinko keine Frage, eine Neuauflage des schwulen Jungendcamp am Bodensee im kommenden Jahr zu planen.

Kontaktadressen:

Peter Schwab, Engelberger Str. 41/06/328, 79106 Freiburg
DGB-Baden-Württemberg, Abteilung Jugend, Willy Bleicher Str. 20, 70174 Stuttgart

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