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sw, Konstanz 6. November 1999

Ziviler Ungehorsam oder des Fischers Bäume

Hölzle gegen Stämmle

Ein grauer Sonntag im November am Bodensee - ein Tag der Ruhe, Besinnlichkeit und der Erholung, Nicht nur für die Menschen, auch für die Natur, die am Ende einer langen Urlaubssaison die verdiente Verschnaufspause macht. Längst schon haben die Touristen der Bodenseemetropole 'Lebe wohl gesagt' und die graue November-Tristesse hat Einzug gehalten. Konstanz dämmert vor sich hin. Jedoch nicht an jenem Sonntag. Am hellichten Tag fährt der Physiker und Informatiker Peter Geist nach Dettingen. Hier, im Wohnort des sozialdemokratischen Baubürgermeisters, Ralf-Joachim Fischer, betritt er dessen Garten und sägt zwei Obstbäume um. Der alarmierten Polizei gesteht er seine Tat. Über seine Motive schweigt er sich aus, die Beamten bringen ihn in zunächst in ein Krankenhaus. Im Verlauf gibt Geist an, daß er seine Tat als symbolischen Akt verstanden wissen will. Warum Peter Geist, der im Modellprojekt 'Cherisy- Kaserne' lebt, diese obrigkeitsverhöhnende Aktion ausführte, dürfte nicht so einfach zu erklären sein.

Die Vorgeschichte: Die seit den 70er Jahren leerstehenden Kasernen laden die Bodenseemetropole ein, die chronische Wohnungsnot zu mildern. Aber alle öffentlichen und privaten Bauträger winken dem Bundesvermögensamt, dem 'neuen' Eigentümer, wegen der hohen Kosten ab. Die Leute der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) dagegen sind anderer Auffassung. Sie lassen nicht locker. Nachdem man die Pachtfinanzierung für die nächsten zehn Jahre unter Dach und Fach bekommen hatte, konnte Anfang der 80er Jahre das größte damalige Wohnungsbauprojekt Deutschlands in Angriff genommen werden. Wie nicht anders zu erwarten, war learning by doing' die wichtigste Maxime der nächsten Jahre. So entstanden nach und nach Wohnmöglichkeiten für StudentInnen und sozial Schwache in den Kasernenblöcken I bis IV. Insgesamt wurde sozialer Wohnraum für über 400 Menschen geschaffen. Aber auch andere Nutzerinnen liessen sich in den zum Wohnen ungeeigneten Gebäuden nieder: Kulturschaffende, Sportbegeisterte und Klein-Gewerbetreibende. Ein kleines, aber feines soziales und ökologisches "Biotop" entstand. In den Augen der Konstanzer BürgerInnen jedoch geriet dies zunehmend zu einem Ghetto innerhalb der sich 'sauber' brüstenden Konzilstadt.

Anfang der 90er Jahre, während sich die ESG und ihre neu gegründete Gesellschaft 'Neue Arbeit' zunehmend professionalisierte, war das Bundesvermögensamt zunehmend gezwungen, die noch zur Verfügung stehenden Flächen zu veräußern, Eine rege Bau- und Spekulantentätigkeit war die Folge.Baubürgerrneister Ralf-Joachim Fischer und sein Amt waren nicht nur als Baubehörde, sondern auch als moderierende Institution gefragt. Wirtschaftliche und ökologische Interessen prallten aufeinander. Oft fiel der sogenannte "Interessenausgleich" zuungunsten der Ökologie aus. So auch jüngst bei der geplanten, bis zu acht Stockwerke hohen, neuen Residenz der AOK.

Die um sich greifende Bautätigkeit auf dem einstigen Biotop demonstriert eindringlich, daß man gewillt ist, das Gelände, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, zu integrieren. Hierbei sind Bäume, auch wenn sie noch so alt sein sollten, eher hinderlich. Trotz des Versprechens, möglichst viele Bäume zu retten, wurden vier alte, massive Kastanien, die einer Baugrube im Wege standen, gefällt.

Die 'Geistliche Busfahrt: Für Peter Geist war damit ein persönlicher Augenblick gekommen. Unter Mißachtung jeglicher Tarnung suchte er am hellichten Tag den Garten Fischers auf. Er ging, ohne sich der Zustimmung des Spezialdemokraten versichert zu haben, mit Motorsäge auf zwei Apfelbäumchen zu und fällte sie: Hölzlein gegen Stämme. Ein Schelm, der böses dabei denkt.

Zu seinen Motiven befragt, gab Peter Geist an, daß er ein Zeichen setzen wollte, ein doppeltes noch dazu. Einmal: die Bewußtheit an die Schöpfung sich zu vergegenwärtigen, die Achtung auch vor Bäumen sich neu in den Blick zu werfen, sei ein Beweggrund seines Handelns gewesen. Zum anderen habe es ihn geärgert, daß 'mir nichts, dir nichts' jene Kastanien vor seinem Haus gefällt wurden. 'Was würde wohl ein Fischer sagen, wenn jemand in seinem Garten Bäume schneiden würde'. Geist ist sich über die zivilrechtlichen Folgen klar, er will sie tragen. Seinen Akt als zivilen Ungehorsam zu bezeichnen, ist ihm nicht undenkbar. Allerdings sieht er sein Handeln bescheiden an. Und nüchtern: vor nicht statthafter Nachahmung warnt er ausddrücklich. Wer beispielsweise sich am Hund des Nachbarn störe und auf Vergiftung des Tieres sinne, der irre. Geist: "Öffentlich beißen soll er ihn." (Damit der Hund die Chance hat, zurückzubeißen. Ja, dann könnte das durchaus als "Zivilcourage" bezeichnet werden.)

Daß seine Tat einen Zusammenhang mit dem Brand eines Baggers auf dem Cherisy-Areal noch in der darauffolgenden Nacht haben soll, weist Geist weit von sich.

Joachim Schwitzler

Heinz Ölke