Buchkritik aus:
junge Welt
Sonnabend/ Sonntag, 8./9. November
1997, Nr. 260

Die Kunst geht weiter


Mit Plakaten, Bildern und Skulpturen den Kampf gegen die Herrschaft wagen:
Eine Erscheinung bei Pahl-Rugenstein Nachfolger versammelt Ergebnisse.
Von Mathias von Richthofen

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Dieser Artikel fünf des Grundgesetzes wird von den Richtern des Bundesverfassungsgerichtes als eines der "vornehmsten Menschenrechte" bezeichnet, die Freiheit der Kunst sowie die freie Meinungsäußerung gelten als der unmittelbarste Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit.

Für Bernd Langer, Maler und Sympathisant der Initiative Kunst und Kampf (KuK), scheint diese Freiheit nach Ansicht des Kommissariats für politische Straftaten allerdings nicht gelten.

Kaum hatte er im Sommer '93 seine Staffelei in der Roten Straße in Göttingen aufgestellt, begannen die Polizeikräfte sich für die Pinselstriche des Künstlers zu interessieren. Die Beamten begannen damit, schriftliche Protokolle über das subversive Treiben des Künstlers anzufertigen. Langer wollte in der traditionell von Studenten bewohnten und bevölkerten Straße ein Szene teilweise nachzeichnen, bei der eine Laterne in der Straße eine wichtige Bedeutung hatte. Die Aktion eskalierte, als eine Fernsehjournalistin über das Bild sowie die geplante Ausstellung von KuK in der Roten Straße recherchierte. Am Ende der Recherche verlangte das Landeskriminalamt Niedersachsen von der Journalistin die Herausgabe aller Unterlagen und des Filmmaterials, da daß LKA sich daraus Erkenntnisse über die MacherInnen von KuK erhoffte. Auf dem Gemälde werden mehrere Einzelszenen dargestellt. So auch eine Szene, bei der Neonazis von autonomen Antifaschisten bei der Laterne in die Flucht geschlagen werden.

Die Initiative Kunst und Kampf (KuK), deren Entstehung und Werk das Buch "Kunst als Widerstand" zeigt, entstand vor gut zehn Jahren unter der Parole, es lebe die antifaschistische, antagonistische Kultur. Die Mitglieder der Initiative, so auch der Autor Bernd Langer, sind Teil der autonomen Bewegung.

Antagonistisches Verhältnis Kunst und Kampf versteht sich als politische, zeitgenössische Widerstandskunst. Bei den Werken von KuK handelt es sich hauptsächlich um Plakate, die mit Mitteln der Kunst politische Ansprüche und Realitäten abbilden. Widerstand wird politisch klar und offensiv dargestellt. Im Gegensatz zu den bislang bekannten Plakaten, die zur Demonstration oder zum Widerstand aufriefen, haben die Arbeiten von KuK der Anspruch, über das konkrete Thema hinaus in allgemeinverständlicher Formensprache auf komplexe Zusammenhänge hinzuweisen. Bei den Bildern von KuK handelt es sich um antagonistische Kultur, die im unversöhnlichen Widerspruch zum herrschenden System steht.

Im Laufe der Jahre engagieren sich viele Künstler bei KuK, weil sie hier für sich eine Möglichkeit sehen, politische Themen, linke Kulturtheorien sowie die Kriminalisierung politischer Kunst in der BRD, künstlerisch darzustellen. Arbeiten von KuK haben immer den Anspruch, im politischen Kontext zu einem Ereignis zu stehen. Die Aussagen der Arbeiten geben über den aktuellen Anlaß hinaus die Möglichkeit, politische Zusammenhänge zu erkennen. Um deutlich zu machen, aus welcher Motivation, aus welchen historischen Ursprüngen heraus KuK agiert, beschreibt der Autor ausführlich die Geschichte de Widerstandes seit 1945.
Die Aussagen der Arbeiten zeichnet Langer in dem Buch immer wieder anhand von Ereignissen und Zusammenstößen mit der Polizei nach; die Geschichte des künstlerischen Widerstandes und seiner Kriminalisierung durch die Urteile der Gerichte.

Von der ersten Widerständen, über die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die Anti-Atom Bewegung, den sich formierenden Frauenbewegungen, der Friedensbewegung mit Pablo Picasos Taube als Symbol, kann sich der Leser ein klares Bild des sich immer stärker politisierenden Kampfes gegen das imperialistische System machen. Langer beschreibt den Weg, der von den ersten Protestbewegungen, über die heutigen Antifa Bewegungen, bis hin zur Entstehung der Autonomen geführt hat.

Vom Autor möglicherweise nicht beabsichtigt, eignet sich das Buch auch hervorragend als Nachhilfeunterricht für Beamte des Staatsschutz, der Polizei und der Gerichte.

Viele der Beamten offenbaren bei ihren Einsätzen zur Ermittlung gegen die Künstler der Plakataufrufe des KuK einen erschreckenden Mangel an historischen Wissen und Fakten. Denn anders scheint es schwer nachvollziehbar, daß Ermittlungsverfahren gegen "Rosa Luxemburg", "Günter Sare", "Siegbert und Lotte Rotholz" oder "Clara Zetkin", als Verantwortliche im Sinne des Pressegesetzes (V.i.S.d.P.) eingeleitet wurden und werden.

Im zweiten Teil des Buches werden einhundertfünf Farb- und zweihundert kommentierte Schwarzweißabbildungen von KuK gezeigt, die die Geschichte und Konzeption der Initiative und ihrer Macher deutlich machen. Im Zusammenhang aus Text und den gezeigten Bildern werden Aktionen der autonomen Bewegung verständlich, werden Wesen und Begriff des Autonomen Antifaschismus aufgearbeitet.

Ganz im Sinne des Bundespräsidenten Roman Herzog, der in seinen Kommentaren zum Grundgesetz schreibt, auch "politische Darstellungen sind als Kunst anzusehen", scheint Langer das Buch als Summe einer über zehnjährigen Auseinandersetzung gegen die Kriminalisierung der politischen Kunst zu verstehen. "Das Buch versteht sich als Dokument und Aufforderung zum Handeln - nicht als Schwanengesang."

Junge Welt im Internet

Zurück