- kassiber Sonderausgabe zum Krieg 09/2001 -


Osama Bin Laden und die Geheimdienste

Vom CIA-Zögling zum Top-Terroristen

"Wir kämpfen einen Jihad und dies ist die erste internationale islamische Brigade der modernen Ära. Die Kommunisten haben ihre internationalen Brigaden, der Westen hat die NATO, warum können sich die Muslims nicht vereinigen und eine gemeinsame Front bilden?" sagte der General Hamid Gul, Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI (Inter Service International). Das war die erste und einzige Rechtfertigung, die ich jemals für das, was im folgenden "Arabische Afghanen" genannt wird, bekam, obwohl niemand Afghane war und viele nicht einmal Araber.

Im Jahre 1986, veranlaßte der Chef des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA, William Casey, im afghanischen Krieg gegen die Sowjetunion drei sehr entscheidende, damals jedoch höchst geheime Maßnahmen. Er überredete den US-Kongreß dazu, die Mudjaheddin mit "Stinger"-Luftabwehrraketen US-amerikanischer Herstellung zu versorgen, um sowjetische Flugzeuge abzuschießen, und US-Berater bereitzustellen, um Guerillas zu trainieren. Bis dahin waren keine Waffen US-amerikanischer Herstellung oder Personal in diesem Krieg direkt zum Einsatz gekommen. Der CIA, der britische Geheimdienst MI6 und der pakistanische ISI vereinbarten außerdem einen provokativen Plan, nämlich Guerillaangriffe in den Sozialistischen Sowjetrepubliken Tadschikistan und Usbekistan, dem unsicheren muslimischen Unterbau des Sowjetstaates, aus dem die Sowjettruppen in Afghanistan ihren Nachschub erhielten, zu starten.
Der Auftrag für den Angriff wurde ISIs bevorzugten Mujaheddinführer Gulbuddin Hekmatar erteilt. Im März 1987 überquerten kleine Einheiten von Basen im Norden Afghanistans aus den Fluß Amu Darya und starteten ihre ersten Raketenangriffe auf Dörfer in Tadschikistan. CIA-Chef Casey war begeistert über die Nachrichten und kam bei seiner nächsten Geheimreise nach Pakistan gemeinsam mit Präsident Zia ul-Haq nach Afghanistan, um die Mudjahedin-Gruppen zu besichtigen.
Drittens widmete William Casey die Unterstützung des CIA einer alten Initiative des pakistanischen Geheimdienstes ISI: Radikale Muslims aus der ganzen Welt zu rekrutieren, sie nach Pakistan zu holen, damit sie mit den afghanischen Mudjahedin kämpfen. ISI förderte dies seit 1982 und nun hatten alle anderen Mächte ihre Gründe, diese Idee zu unterstützen: Pakistans Präsident Zia ul-Haq wollte die Einheit des Islams voranbringen, Pakistan in die Führung der muslimischen Welt verwandeln und eine islamische Opposition in Zentralasien hervorbringen. Washington wollte demonstrieren, daß die ganze muslimische Welt Seite an Seite mit den Afghanen und ihren US-amerikanischen Gönnern die Sowjetunion bekämpfte. Und die Saudis sahen darin sowohl eine Gelegenheit, den Wahabismus (reaktionäre Ausprägung der Lehre des Islams) zu befördern als auch seine verstimmten Radikalen loszuwerden. Keine dieser Parteien beachtete, daß diese Freiwilligen auch eigene Pläne haben könnten, die ihren Haß auf die Sowjets auch gegen ihre eigenen Regimes und gegen die Amerikaner richten könnten. Pakistan hatte bereits seine Botschaften angewiesen, Visa an alle, die mit den Mudjahedin kämpfen wollten, zu erteilen. Im Nahen Osten organisierten die Muslimbruderschaft, die in Saudi-Arabien ansässige Muslimische Weltliga und palästinensische Islamisten die Rekruten und brachten sie in Kontakt mit den Pakistanis.
Der ISI und die pakistanische Partei Jamaat-e-Islami bildeten Empfangskomitees, um die eintreffenden Kämpfer willkommen zu heißen, zu beherbergen sowie zu trainieren und forderten sie sodann auf, sich einer der Mudjahedingruppen anzuschließen, zumeist der Hisb-e-Islami. Die Gelder für dieses Unternehmen kamen direkt vom saudi-arabischen Geheimdienst.
Unter diesen Tausenden in Afghanistan gegen die Sowjetunion kämpfenden, ausländischen Rekruten befand sich ein junger saudischer Student namens Osama Bin Laden, ein Sohn des jemenitischen Baumagnaten Mohammed Bin Laden. Dieser war mit Prinz Turki Bin Faisal, dem späteren saudi-arabischen König Faisal, eng befreundet und seine Firma erlangte fabelhaften Wohlstand durch die Renovierung und Vergrößerung der heiligen Moscheen von Mekka und Medina. Der pakistanische Geheimdienst ISI wollte schon lange Prinz Turki Bin Faisal, damals Chef des saudi-arabischen Geheimdienstes Istakhbarat, für sich gewinnen: Um allen Muslimen die Entschlossenheit der saudischen königlichen Familie für den Jihad zu demonstrieren und um mit einem königlichen Prinzen das saudische Kontingent zu führen. Bin Laden, Prinz Turki und General Gul wurden so enge Freunde und Verbündete in der gemeinsamen Sache.
Das Zentrum der "arabischen Afghanen" waren die Büros der Muslimischen Weltliga und der Muslimbruderschaft in Peschawar. Die Muslimbruderschaft wurde von Abdullah Azam geführt, einem jordanischen Palästinenser, den Bin Laden erstmals an der Universität Jeddah kennengelernt hatte und als seinen Lehrer bezeichnete. Abdullah Azam und seine beiden Söhne wurden 1989 bei einem Bombenanschlag in Peschawar getötet. Im Laufe der achtziger Jahre hatte Abdullah Azam enge Bindungen zu Gulbuddin Hekmatjar.. Saudi-arabische Gelder flossen zu Abdullah Azam und das Makhtab al Khidmat oder Servicezentrum, das dieser 1984 gründete, um den neuen Rekruten zu dienen und Spenden von islamischen Wohlfahrtsorganisationen zu erhalten. Spenden vom saudischen Geheimdienst, dem saudischen Roten Halbmond, der Muslimischen Weltliga und privaten Spenden von saudischen Prinzen und Moscheen wurden über das Makhtab-Servicezentrum weitergeleitet. Ein Jahrzehnt später stand das Makhtab bereits im Zentrum eines Netzes radikaler Organisationen, die halfen, den Bombenanschlag auf das World Trade Center in New York und die Anschläge auf die US-Botschaften in Afrika (Nairobi und Dar-es-Salaam) im Jahre 1998 auszuführen.
Der Vater von Osama, Mohammed Bin Laden unterstützte den Kampf in Afghanistan und spendetereichlich, so daß zu dem Zeitpunkt, als sich Osama Bin Laden entschied, an diesem teilzunehmen, seine Familie enthusiastisch reagierte. Er reiste zum ersten Mal 1980 nach Peschawar und traf Mudjaheddin-Führer, kam regelmäßig mit saudischen Spenden zurück, bis er sich 1982 entschied, sich in Peschawar anzusiedeln. Ihn begleiteten Ingenieure und er führte schweres Baugerät mit sich, um den Mudjaheddin zu helfen, Straßen zu bauen und Depots anzulegen. 1986 half er den Khost-Tunnelkomplex anzulegen, den der CIA als Hauptwaffenlager, Trainingsbasis und medizinisches Zentrum der Mudjaheddin förderte, tief unter den Bergen nahe der pakistanischen Grenze. In Khost bildete Bin Laden sein erstes eigenes Trainingslager für "Arabische Afghanen".
"Ich zog nach Pakistan in die afghanische Grenzregion. Dort empfing ich Freiwillige aus dem saudischen Königreich und aus allen arabischen und muslimischen Ländern. Ich bildete dort mein eigenes Lager, in dem diese Freiwilligen von pakistanischen und amerikanischen Offizieren ausgebildet wurden. Die Waffen kamen von den Amerikanern, das Geld von den Saudis." "Ich erkannte, daß es nicht reichte, in Afghanistan zu kämpfen, sondern daß wir an allen Fronten die kommunistische oder westliche Unterdrückung bekämpfen mußten.", erklärte Bin Laden später.
Bin Laden behauptete später, am Legen von Hinterhalten gegen sowjetische Truppen teilgenommen zu haben, doch verwendete er hauptsächlich seinen Reichtum und saudische Spenden, um Mudjaheddin-Projekte zu gründen und den Wahabismus unter den Afghanen zu verbreiten. Mit Hilfe Bin Ladens bauten mehrere tausend arabische Militante ihre Basen in Kunar, Nuristan und Badakhshan auf, doch ihre extremen wahabitischen Regeln machten sie bei der Mehrheit der afghanischen Bevölkerung unbeliebt. Darüber hinaus entfremdeten sich die "Arabischen Afghanen" von den Nicht-Paschtunen und Schiiten durch ihre Allianz mit den extremsten prowahabitischen paschtunischen Mudjaheddin.
Ahmed Schah Masud (Anfang September 2001 ermordeter Chef der Nord-Allianz) kritisierte später die "Arabischen Afghanen". "Meine Jihad-Fraktion hatte keine guten Beziehungen zu den 'Arabischen Afghanen' in der Zeit des Jihads. Im Gegensatz dazu hatten sie sehr gute Beziehungen zu den Fraktionen von Abdul Rasul Sayyaf und Gulbuddin Hekmatjar. Als meine Fraktion 1992 in Kabul eintraf, kämpften die 'Arabischen Afghanen' in den Reihen von Hekmatjars Truppen gegen uns. Wir forderten sie auf, unser Land zu verlassen. Bin Laden schadet uns mehr als er uns nützt," sagte Masud 1997, nachdem er von den Taliban aus Kabul vertrieben wurde.
1990 war Bin Laden enttäuscht vom internen Gezänk der Mudjahedin und kehrte nach Saudi-Arabien zurück, um in seinem Familienunternehmen zu arbeiten. Er gründete eine Wohlfahrtsorganisation für "arabisch-afghanische" Veteranen - ungefähr 4.000 von ihnen hatten sich allein in Medina und Mekka angesiedelt - und spendete Geld an die Familien der Gefallenen. Nach der Invasion Iraks in Kuwait brachte er die königliche Familie dazu, eine Miliz aus der Bevölkerung des Königreichs zu rekrutieren und aus den "arabisch-afghanischen" Veteranen eine Kampftruppe aufzubauen, um gegen den Irak zu kämpfen. Stattdessen bat König Fahd die Amerikaner um Beistand. Für Bin Laden war das ein ungeheurer Schock. Als die 540.000 Mann starken US-Truppen eintrafen, begann Bin Laden die königliche Familie offen zu kritisieren, und übte Druck auf die saudische Ulema aus, sie sollte Fatwas aussprechen gegen im Lande stationierte Nichtmuslime.
Bin Ladens Kritik radikalisierte sich nachdem 20.000 US-Truppen nach der Befreiung Kuwaits weiterhin in Saudi Arabien stationiert blieben. 1992 hatte er ein hitziges Treffen mit Innenminister Prinz Naif, den er des Verrats am Islam beschuldigte. Naif beklagte sich bei König Fahd, und Bin Laden wurde zur unerwünschten Person erklärt. Nichtsdestotrotz hatte er weiterhin seine Verbündeten in der königlichen Familie, welche Naif ebenso ablehnten während er weiterhin seine Beziehungen sowohl zu dem Saudischen Geheimdienst als auch dem ISI beibehielt.
1992 ging Bin Laden in den Sudan, um dort am Islamischen Aufstand teilzunehmen, der dort unter Führung des Sudanesens Hassan al Turabi im Gange war. Bin Ladens fortgesetzte Kritik an der saudischen Königsfamilie verärgerte diese schließlich so sehr, daß sie den Präzedenzfall schuf und ihm 1994 seine Staatsbürgerschaft aberkannte. Im Sudan sammelte Bin Laden mit seinem Reichtum und seinen Kontakten wieder Veteranen aus dem Afghanistankrieg um sich, die alle angewidert waren vom amerikanischen Sieg über den Irak und der Haltung der arabischen herrschenden Eliten, die es dem US-Militär erlaubten, im Golf zu bleiben. Als die USA und Saudi Arabien ihren Druck auf den Sudan gegen die Beherbergung Bin Ladens verstärkten, forderten die sudanesischen Behörden ihn auf, das Land zu verlassen.
Im Mai 1996 reiste Bin Laden zurück nach Afghanistan und im August hatte er schließlich seine erste Jihad-Erklärung gegen die USA veröffentlicht, die er beschuldigte, Saudi Arabien besetzt zu halten. 1997 schloß er Freundschaft mit Mullah Omar (Taliban-Führer), zog nach Kandahar und kam so unter den Schutz der Taliban.
Inzwischen hatte der CIA eine Sondereinheit eingerichtet, um seine Aktivitäten und Beziehungen zu anderen islamischen Militanten zu überwachen. Ein Bericht des US-Außenministeriums vom August 1996 kam zu der Einschätzung, daß Bin Laden "einer der weltweit bedeutendsten finanziellen Sponsoren extremistischer islamischer Operationen" sei. Der Report erklärte, daß Bin Laden terroristische Lager in Somalia, Ägypten, dem Sudan, Jemen, und Afghanistan finanzierte. Im April 1996 unterzeichnete Präsident Clinton das Anti-Terrorismus-Gesetz, das den USA erlaubte, Guthaben von "terroristischen Organisationen" zu blockieren. Es wurde als erstes angewandt, um Bin Ladens Zugang zu seinem Guthaben von aus geschätzten 250-300 Millionen US $ zu sperren. Ein paar Monate später erklärte der ägyptische Nachrichtendienst, daß Bin Laden 1000 Milizionäre trainierte - eine zweite Generation "arabischer Afghanen", um eine islamische Revolution in den arabischen Ländern vorzubereiten.
Im Frühjahr 1997 bildete der CIA eine Spezialeinheit, die in Peschawar eintraf und versuchte, eine Fangoperation durchzuführen, um Bin Laden aus Afghanistan herauszuholen. Sie warben Afghanis und Pakistanis an, um ihnen zu helfen, brachen die Operation jedoch ab. Am 23. Februar 1998 beschlossen alle mit der Al Quaeda verbundenen Gruppen auf einem Treffen ein Manifest, in dem unter der Ägide einer "Internationalen Islamischen Front der Jihad gegen Juden und Kreuzzügler" verkündet wurde. Das Manifest erklärte, daß "die USA seit mehr als sieben Jahren die Länder des Islam in den heiligsten Stätten besetzt hielt, die arabische Halbinsel, ihre Reichtümer plündert, ihren Führern die Politik diktiert, ihre Völker demütigt, ihre Nachbarn terrorisiert und ihre Basen auf der arabischen Halbinsel in die Speerspitze verwandelt, mit der sie die benachbarten moslemischen Völker bekämpft." Die Versammlung sprach eine Fatwa aus. "Die Entscheidung Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten - Zivilisten wie Militärs - ist eine Pflicht für einen jeden Moslem, die er in jedem Land in dem dies möglich ist verfolgen muss." Bin Laden hatte damit eine Politik formuliert, die nicht nur gegen die Saudische Königsfamilie oder gegen die USA gerichtet war, sondern zur Befreiung des gesamten Mittleren Osten aufrief. Als der amerikanische Luftkrieg gegen den Irak 1998 eskalierte, forderte Bin Laden alle Muslime dazu auf, Amerikaner und Briten anzugreifen, zu bekämpfen und zu töten.
Es waren jedoch die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998, die 220 Menschen töteten und Bin Laden in der moslemischen Welt und dem Westen zu einem bekannten Namen machten. Nur 13 Tage später nachdem sie Bin Laden beschuldigten, den Angriff verübt zu haben, führten die USA Vergeltungsschläge aus, indem sie 70 Cruise Missiles gegen Bin Ladens Lager rund um Khost und Jalalabad feuerten. Mehrere Lager die der Taliban und arabisch-afghanischen und pakistanischen Gruppen übergeben worden waren, wurden getroffen. Im November 1998 setzte die USA 5 Millionen Dollar Belohnung für die Ergreifung Bin Ladens aus. Die Amerikaner waren gleichfalls alarmiert, als Bin Laden behauptete, es sei seine islamische Pflicht, chemische und nukleare Waffen zu erwerben. "Es wäre eine Sünde für Moslems, nicht zu versuchen in den Besitz von Waffen zu gelangen, die die Ungläubien davon abhalten Moslems Schaden zu zufügen. Feindschaft gegen die USA ist eine religiöse Pflicht und wir hoffen, dafür von Gott belohnt zu werden", sagte er.
Innerhalb weniger Wochen nach den Bombenanschlägen in Afrika überbewertete die Clinton Administration Bin Ladens Rolle derart, daß sie ihn für alle Grausamkeiten, die in der muslimischen Welt gegen die USA verübt wurden, verantwortlich machte. In der darauffolgenden Anklage gegen ihn durch ein Gericht in New York wurde Bin Laden beschuldigt verantwortlich zu sein für die 18 im Jahre 1993 in Mogadischu, Somalia, getöteten amerikanischen Soldaten; den Tod von fünf Beamten im Bombenanschlag von Riyad 1995 und für den Tod von 19 weiteren US-Soldaten in Dhahran 1996.
Er wurde auch verdächtigt, bei den Anschlägen in Aden 1992, auf das World Trade Center 1993 und bei einem Komplott gegen Präsident Clinton auf den Philippinen seine Hände im Spiel gehabt zu haben. Ebenso für die im Jahre 1995 geplante Sprengung eines Dutzends ziviler US-Flugzeuge.
Es gab allerdings große Skepsis - selbst bei US-Experten - daß er an allen diesen letzteren Operationen beteiligt war. Die Clinton-Administration war jedoch verzweifelt auf der Suche nach einer Ablenkung, als sie durch die Untiefen der Monica Lewinsky-Affaire durchwatete und brauchte auch eine auf alles zielende simple Erklärung für die unerklärten Terrorakte. Bin Laden wurde zum Zentrum dessen aufgebaut, was Washington zur Verschwörung gegen die USA aufbaute.
Washington war jedoch nicht darauf vorbereitet zuzugeben, daß der Jihad in Afghanistan mit der Unterstützung der CIA Dutzende über die muslimische Welt verstreute fundamentalistische Bewegungen hervorgebrachte hatte, die weniger eine Wut auf die Amerikaner, als vielmehr auf ihre eigenen korrupten und inkompetenten Regimes hatten. Bereits 1992-3 rieten ägyptische und algerische Staatschefs Washington auf höchster Ebene sich diplomatisch wieder in Afghanistan zu engagieren, um Frieden zu befördern und die Präsenz der "Arabischen Afghanen" zu beenden. Washington ignorierte die Warnungen und ignorierte den Schauplatz Afghanistan weiterhin als dort der Bürgerkrieg bereits eskalierte.
Bin Laden kannte viele Drahtzieher der Gewalttaten in der moslemischen Welt (Algerien, Ägypten) weil sie in Afghanistan zusammen gelebt und gekämpft hatten. Seine Organisation organisierte die Unterstützung von Veteranen und ihren Familien aus dem Afghanistankrieg und unterhielt weiterhin Kontakte zu ihnen. Er mag durchaus einige ihrer Operationen finanziert haben, doch ist es unwahrscheinlich, daß er wußte was in ihnen allen vorging, geschweige denn, daß er ihre landesinternen Pläne kannte. Bin Laden hatte in der Nomenklatur des Islam immer eine unsichers Position inne. Er ist weder ein islamischer Gelehrter noch ein Lehrer und kann daher rechtlich keine Fatwas aussprechen - obwohl er dies tut. Im Westen wurden seine "Tod den Amerikanern"-Aufrufe als Fatwas interpretiert, obwohl sie in der moslemischen Welt kein moralisches Gewicht haben.
"Arabische Afghanen", die ihn aus der Zeit des Jihad kannten, sagen, er sei weder intellektuell noch rhetorisch auf der Höhe dessen, was in der Muslimischen Welt getan werden müsse. In diesem Sinne war er weder der Lenin der islamischen Revolution noch war er der internationalistische Ideologe einer solchen so wie es Che Guevara für die Dritte Welt war.
Bin Ladens frühere Verbündete beschreiben ihn als leicht zu beeindrucken, immer auf der Suche nach Mentoren, die mehr über den Islam und die moderne Welt wußten als er.
Nach den Anschlägen in Afrika starteten die USA eine wirklich globale Operation. Mehr als 80 militante Islamisten wurden in einem dutzend verschiedenen Ländern festgenommen. Militante wurden in einem Halbkreis von Tansania, Kenia, Sudan, Jemen über Pakistan, Bangladesch, Malaysia und den Philippinen aufgegriffen. Im Dezember 1998 nahmen indische Behörden einen Bengalen fest, der eines Bombenplans auf das US-Konsulats in Kalkutta verdächtigt wurde. Sieben junge Afghanen wurden mit falschen italienischen Pässen in Malaysia festgenommen und beschuldigt, eine Anschlagsserie geplant zu haben. Dem FBI zufolge wurden Militante, die im Dezember 1998 in Jemen 16 westliche Touristen kidnappten von Bin Laden finanziert. Im Februar 1999 behaupteten die Behörden Bangladeschs, Bin Laden habe eine Million US $ an die Harakat-ul-Jihad (HJ) in Dhaka gespendet, deren Mitglieder zum Teil in Afghanistan trainiert und gekämpft hatten. HJ Chefs erklärten, sie wollten Bangladesch in einen Taliban-ähnlichen Staat verwandeln.
Unterdessen hatten im Laufe eines Gerichtsverfahrens gegen 107 Al-Jihad Mitglieder vor einem Militärgericht in Kairo ägyptische Geheimdienstoffiziere bezeugt, daß Bin Laden Al-Jihad finanziert hatte. Im Februar 1999 behauptete der CIA durch die Satellitenüberwachung der Kommunikationsnetze Bin Ladens seine Anhänger daran gehindert zu haben, sieben Bombenanschläge gegen US-Einrichtungen in Saudi Arabien, Albanien, Aserbaidschan, Tadschikistan, Uganda, Uruguay und der Elfenbeinküste zu verüben - und damit betonten sie die Reichweite der "Arabischen Afghanen". 1999 stellte die Clinton Administration 6,7 Milliarden US $ für die Terrorismusbekämpfung bereit, während das Antiterror-Budget des FBI von 118 auf 286 Millionen US$ wuchs. Die Agency stellte 2650 Agenten für diese Aufgabe ab, zweimal so viele wie 1998.
Jedoch waren es Pakistan und Saudi Arabien, die ursprünglichen Sponsoren der "Arabischen Afghanen", die unter deren Aktionen am meisten zu leiden hatten. Im März 1997 wurden drei arabische und tadschikische Militante nach einer 36-stündigen Schießerei zwischen ihnen und der Polizei in einem afghanischen Flüchtlingslager bei Peschawar erschossen. Als Angehörige der Wahabitischen Tafkir Gruppe planten sie ein Treffen islamischer Staatschefs in Islamabad [der pakistanischen Hauptstadt] in die Luft zu sprengen.
Mit der Ermutigung von Pakistan, den Taliban und Bin Laden hatten sich "Arabische Afghanen" in der Partei Harkat-ul-Ansar eingeschrieben, um im Kaschmir gegen indische Truppen zu kämpfen. Durch die Einführung von Arabern, die im Kaschmirtal wahabitische Herrschaftsregeln einführten, fühlten sich einheimische Kaschmiris bedroht. Die US Regierung erklärte Ansar 1996 zur terroristischen Vereinigung, worauf diese sogleich ihren Namen in Harkat-ul Mudjahedin änderte. Alle pakistanischen Opfer des US-Raketenangriffs in Khost gehörten Ansar an. 1999 erklärte die Organisation Ansar, sie würden im Kaschmirtal eine strikte wahabitische Kleiderordnung erlassen und verboten Jeans und Jacken. Ansar hatte früher die liberalen Traditionen der Kaschmirischen Moslems respektiert, doch die Aktionen der "Arabischen Afghanen" verletzten die Legitimität der Kaschmiri Bewegung, und gaben der indischen Regierung die Gelegenheit zum Propagandaerfolg.
Pakistan geriet unter Druck, als Washington Premierminister Nawaz Sharif zur Verhaftung Bin Ladens drängte. Die engen Kontakte des ISI und die Tatsache, daß er Kaschmiri-Kämpfer finanzierte und trainierte, die die Khost Lager benutzten, wurden für Nawaz Sharif zum Dilemma, als er im Dezember 1998 Washington besuchte. Sharif wich der Frage aus, doch andere Vertreter der Pakistanischen Delegation waren unverschämter und erinnerten ihre amerikanischen Gegenüber, wie sie beide Bin Laden in den 80ern und den Taliban in den 90ern Geburtshilfe leisteten.
Für das pakistanische Establishment wurde die Unterstützung für Bin Laden zu einem weiteren Widerspruch in der Außenpolitik Pakistans. Die USA waren Pakistans engster Verbündeter mit weitreichenden Beziehungen ins Militär und den Geheimdienst ISI hinein. Doch sowohl die Taliban als auch Bin Laden boten den von Pakistan gestützten Kaschmiri Rebellen Zuflucht und Trainingsmöglichkeiten. Islamabad hatte geringes Interesse diese Unterstützung auszutrocknen. Obwohl die USA wiederholt die ISI-Kommandeure zur Zusammenarbeit bei der Auslieferung Bin Ladens zu überreden versuchten, lehnten diese ab. Doch gelang es den USA auf diesem Wege einige von Bin Ladens Anhängern zu verhaften. Ohne Pakistans Mithilfe konnten die USA nicht hoffen, eine Fangoperation oder gezieltere Anschläge zu starten, weil sie Pakistans Territorium für solche Razzien brauchten. Zugleich wagten die USA es nicht, Pakistan für seine Unterstützung der Taliban anzuklagen, weil sie immer noch auf eine Kooperation des ISI für den Fang Bin Ladens hofften.
Die Saudis finanzierten dagegen noch im Herbst 1998 die Eroberung des Nordens Afghanistans durch die Taliban. Seit den Anschlägen in Nairobi und Dar-es-Salaam und trotz des Druckes der USA, ihre Unterstützung für die Taliban zu beenden, hörten die Saudis nicht auf die Taliban zu finanzieren und schwiegen zu der Notwendigkeit, Bin Laden auszuliefern. Die Wahrheit über das Schweigen der Saudis war jedoch komplizierter. Die Saudis zogen es vor, Bin Laden in Afghanistan zu lassen, weil seine Verhaftung und Verurteilung durch die Amerikaner das enge Verhältnis, das Bin Laden zu sympathisierenden Teilen der saudischen Familie und Teilen des saudischen Geheimdienstes unterhielt, noch viel deutlicher hätte werden lassen, was sehr peinlich hätte werden können. Die Saudis wollten Bin Laden tot oder als Gefangenen der Taliban - sie wollten ihn nicht als Gefangenen der USA.
Nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Afrika verstärkten die USA ihren Druck auf Saudi Arabien. Prinz Turki besuchte Kandahar, um die Taliban zu überreden, Bin Laden auszuliefern. Bei diesem Treffen weigerte sich Mullah Omar und beschimpfte Prinz Turki. Bin Laden selbst beschrieb was ablief: "Er (Prinz Turki) forderte Mullah Omar auf, uns aufzugeben oder uns aus Afghanistan auszuweisen. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Saudischen Regimes aufzutreten und um die Herausgabe Osama Bin Ladens zu fragen. Es war als ob Prinz Turki als ein Gesandter der US-Regierung kam." Wütend über diese Beschimpfungen setzte das Saudische Regime ihre diplomatischen Beziehungen zu den Taliban aus und stellte alle Hilfen ein, wobei sie ihre Anerkennung des Taliban-Regimes nicht widerriefen.
Von nun an entfaltete Bin Laden beachtlichen Einfluss innerhalb der Taliban, den er vorher noch nicht in dieser Form hatte. Der Kontakt zwischen den Taliban und den "Arabischen Afghanen" und ihrer pan-islamischen Ideologie war bis zur Eroberung Kabuls 1996 nicht vorhanden. Pakistan war in der Einführung Bin Ladens bei den Führern der Taliban in Kandahar involviert, weil es die Trainingslager in Khost den Kaschmiri Rebellen vorbehalten wollte, die nun in den Händen der Taliban waren.
Teils zu seiner eigenen Sicherheit und teils um ihn zu kontrollieren, versetzten die Taliban Bin Laden 1997 nach Kandahar. Zu Beginn lebte er als zahlender Gast. Er baute für Mullah Omars Familie ein Haus und spendete für andere Taliban Führer. Er versprach, die Straße vom Flughafen und der Stadt Kandahar zu teeren und Moscheen, Schulen und Dämme zu bauen, doch seine zivilen Vorhaben kamen nie in Gang und seine Fonds wurden eingefroren. Während Bin Laden in seinem Haus in Kandahar mit seiner Familie, seinen Dienern und Mitkämpfern in enormem Luxus lebte, brachte das arrogante Gebaren der "Arabischen Afghanen" und ihre Unfähigkeit, auch nur eines der zivilen Projekte zu erfüllen, die lokale Bevölkerung gegen sich auf. In den Augen der Kandaharis waren die Taliban die Profiteure der arabischen Großzügigkeit und nicht das einfache Volk.
Nach den Bomben in Afrika wandten sich die Taliban immer aggressiver gegen die USA, die UN, die Saudis und andere moslemische Regime auf der Welt. Ihre Verlautbarungen waren gekennzeichnet vomTrotz den Bin Laden angenommen hatte, und der ursprünglich kein Erkennungszeichen der Taliban war. Als sich der Druck der USA auf die Taliban, Bin Laden auszuliefern verstärkte, entgegneten sie, er sei ihr Gast und in der afghanischen Tradition sei es nicht üblich, einen Gast auszuweisen.
Als erkennbar wurde, daß Washington einen neuen Militärschlag gegen Bin Laden vorbereitete, versuchten die Taliban einen Deal mit Washington: Bin Laden solle das Land verlassen und im Gegenzug solle die Regierung anerkannt werden. So betrachteten die Taliban Bin Laden bis zum Winter 1998 als ein Vermögen, als ein Unterpfand mit dem sie mit den Amerikanern verhandeln könnten.
Ein an die Taliban gerichtetes Ultimatum der USA vom Februar 1999 entweder Bin Laden auszuliefern, oder aber die Konsequenzen zu gewärtigen, zwang die Taliban, ihn aus Kandahar diskret verschwinden zu lassen. Dieser Schritt brachte den Taliban etwas Zeit, doch die Sache war noch weit von einer Lösung entfernt.
Ahmed Rashid
Taliban. Islam, Oil and the New Great Game in Central Asia, London, IB Tauris, 2000, 3. Auflage, 260 S., 46,- Ahmed Rashid ist langjähriger Korrespondent für den Daily Telegraph und das Far Eastern Economic Review, arbeitet auch für BBC und CNN. Schreibt zu Afghanistan seit 1979.

[Redaktionell überarbeitet und stark gekürzt]


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kombo(p) - 27.09.2001